Opel-Krise

Betriebsrat fordert Geheimhaltung über geplante Lohnsenkung und Sozialabbau

Zwischen den Betriebsräten von Opel-Bochum und Rüsselsheim ist ein heftiger Streit ausgebrochen. Als der Betriebsratsvorsitzende in Bochum Rainer Einenkel in der vergangenen Woche über drohende Kurzarbeit und Lohnsenkung sprach, reagierte Opel-Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz in Rüsselsheim wütend.

Es sei "unverantwortlich" über Dinge zu sprechen, die noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien, und führe zu einer unnötigen Verunsicherung der Beschäftigten. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau rief Franz eindringlich zu Geschlossenheit unter den Betriebsräten auf. In den kommenden Tagen sei eine Konferenz des europäischen Betriebsrats geplant, auf der über die Möglichkeiten von Kurzarbeit, Arbeitszeitverkürzungen mit teilweisem Lohnausgleich und einer Streckung der Arbeitszeit beraten werde.

Jetzt schon Zahlen über Produktionskürzungen zu nennen, sei unseriös und "schadet der Marke", sagte er empört der Frankfurter Rundschau. Er warnte vor unnötiger Panikmache und nannte es fahrlässig, Produktionskürzungen und Einbußen für die Belegschaft "herbeizureden". Niemand wisse, wie sich der Markt im nächsten Jahr entwickle.

Allerdings hatte auch Rainer Einenkel den Mantel des Schweigens nur ein wenig gelüftet. Er machte nur einen kleinen Teil der geheimen Absprachen und Vereinbarungen mit der Geschäftsleitung bekannt. Als Betriebsratschef in Bochum steht er unter starkem Druck der Arbeiter, die vor vier Jahren das Werk eine Woche lang besetzt hatten und damit drohen, es wieder zu tun. Er hält es für ratsam die Belegschaft auf das vorzubereiten, was kommt.

"Wir werden im nächsten Jahr in den europäischen Astra-Werken die Produktion um 20 bis 30 Prozent zurückfahren", sagte er der in Düsseldorf erscheinenden CDU-nahen Rheinischen Post. Der Astra wird im belgischen Antwerpen, im britischen Ellesmere Port, im polnischen Gliwice und eben in Bochum produziert. Dort bauen fast 7.000 Menschen, davon 5.000 Opel-Arbeiter, die Modelle Astra und Zafira.

Einenkel erklärte auch, welche Folgen dieser Produktionsrückgang haben werde: "Im Gespräch sind entweder der Wegfall der Nachtschicht in Bochum, 70 Tage Kurzarbeit im kommenden Jahr oder eine Reduktion der Wochenarbeitszeit von 35 auf 30 Stunden ohne Lohnausgleich."

Der Abbau der Nachtschicht wäre mit einem weiteren Arbeitsplatzabbau verbunden, den Einenkel nicht favorisiert. Er bevorzugt die Kurzarbeit oder die Arbeitszeitverkürzung. Dies hätte in beiden Fällen eine durchschnittliche Lohneinbuße von 15 Prozent zur Folge, so Einenkel gegenüber dem Blatt.

Da die Opelarbeiter derzeit nach dem Tarif der Metall- und Elektroindustrie bezahlt werden, würde dies eine dementsprechende untertarifliche Bezahlung bedeuten. Vor vier Jahren wurde in Bochum bei Opel noch 14 bis 17 Prozent über Tarif gezahlt.

Angesichts dieser Enthüllungen Einenkels warnte der Betriebsratsvorsitzende des Eisenacher Opel-Werks Harald Lieske vor einem "Unterbietungswettbewerb" zwischen den einzelnen Standorten. Er sagte gegenüber der Deutschen Presse Agentur (dpa) am Sonntag, er hoffe, schon in dieser Woche eine Arbeitszeit- und Lohnkürzung für alle deutschen Opel-Werke auf 33 Stunden pro Woche vereinbaren zu können.

Zur Kostenreduzierung sei bei Opel aber ein ganzer Maßnahmenkatalog im Gespräch, sagte er gegenüber der Tageszeitung taz. Über eine Arbeitszeitreduzierung seien auch Nullrunden und eine Kürzung des Weihnachtsgelds denkbar.

Rainer Einenkel, der offensichtlich in täglichem Kontakt zur Rheinischen Post steht, legte am Freitag nach: "Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass GM sich von Opel trennt", sagte er in einem weiteren Gespräch mit der Zeitung. Bislang hatten dies die Konzernspitzen von General Motors in Detroit und von Opel in Rüsselsheim "kategorisch ausgeschlossen".

Am Montag erklärte Einenkel dann in derselben Zeitung: "Wir sind permanent damit beschäftigt, für den Fall der Fälle die Zukunft mitgestalten zu können." Er führte nicht genau aus, was damit gemeint sei, machte aber doch deutlich, dass im Betriebsrat bereits über Maßnahmen im Fall einer möglichen Werksschließung gesprochen werde.

Diese Aussagen bezeichnete Franz als Panikmache und versuchte allen Betriebsräten einen Maulkorb umzuhängen. Dabei wurde er vom Unternehmens-Sprecher Jörg Schrott unterstützt, der sich bemühte, die von Einenkel genannten Details zu dementieren. "Uns sind diese Zahlen nicht bekannt", sagte er, schob aber nach, Opel werde im kommenden Jahr die Zahl der gebauten Autos flexibel an die jeweilige Marktlage anpassen.

Franz machte mit seinem Maulkorberlass unmissverständlich deutlich, wie er die Aufgabe der über hundert hauptamtlichen Betriebsräte in den vier deutschen Opel-Werken - deren Vorsitzender er ist - sieht. Ungeachtet der Tatsache, dass die Betriebsräte von den Beschäftigten gewählt werden, haben sie seiner Meinung nach vor allem die Konzerninteressen zu vertreten und durchzusetzen. Es ist bekannt, dass Klaus Franz den Posten des Personalchefs bei Opel anstrebt und dafür auch bereits im Gespräch ist. In seinem Büro werden gegenwärtig die Pläne über Kurzarbeit, verbunden mit Lohnsenkung, und Arbeitsplatzabbau ausgearbeitet.

Ähnlich wie bei VW und in den anderen Autokonzernen hat Franz in der Vergangenheit umfangreiche Privilegien für die hauptamtlichen Betriebsräte durchgesetzt und ein weit reichendes Netz gegenseitiger Abhängigkeit geschaffen. Die VW-Rotlichtaffäre mit ihrer Betriebsräte-Prostitution auf Konzernkosten war in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Nun stützt sich Franz auf diese mafiösen Strukturen, um jeden Widerstand von Seiten der Arbeiter im Keim zu ersticken und die Interessen der Konzernleitung durchzusetzen.

In einer Frage stimmen Franz und Einenkel trotz ihres Streits überein. Beide lehnen jede Form von gemeinsamen Kampfmaßnahmen zur Verteidigung aller Arbeitsplätze und Löhne an allen Standorten entschieden ab. Und das obwohl täglich neue Informationen über Produktionsrückgänge, Kurzarbeit, Entlassungen und Sozialabbau bekannt werden.

"Die Automobilmärkte haben eine Talfahrt genommen, die in dieser Geschwindigkeit und Ausprägung noch nie vorher stattgefunden hat", erklärte der Präsident des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann. Für 2009 erwartet sie in Deutschland den schwächsten Absatz seit der Wiedervereinigung 1990, nämlich nur noch 2,9 Millionen Neuzulassungen - nochmals ein Minus von 200.000 Stück gegenüber dem schon jetzt schlechten Jahr 2008. Die Opel-Geschäftsführung wird keine gegensätzliche Entwicklung des Marktes erwarten. Während im November der Autoverkauf insgesamt um rund 18 Prozent eingebrochen war, sank er bei Opel sogar um 36 Prozent.

Am Dienstag berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass auch der Automobilkonzern Daimler aufgrund massiver Absatzprobleme Kurzarbeit im Mercedes-Werk in Sindelfingen angemeldet hat. Von Mitte Januar an werden davon fast 20.000 Mitarbeiter betroffen sein. Zum ersten Mal seit 15 Jahren greift der Konzern zu derart einschneidenden Maßnahmen.

Unmittelbar betroffen ist auch die Zulieferindustrie. So hat der größte deutsche Automobil-Zulieferer, TMD Friction, Insolvenz angemeldet. Der Leverkusener Bremsenhersteller fertigt an 15 Standorten und erzielte im vergangenen Jahr mit 4.500 Beschäftigten einen Umsatz von 690 Millionen Euro. Die Firma war 2001 von einem britischen Private-Equity-Unternehmen übernommen und dann an einen Hedgefonds verkauft worden, berichtet die Süddeutsche.

Angesichts dieser Situation wird ein gemeinsamer Kampf aller Autowerker an allen Standorten immer dringender. Der Schlagabtausch zwischen Einenkel und Franz wirft ein grelles Licht auf die Rolle der Betriebsräte und ihre enge Verbindung zur Konzernleitung. Er macht deutlich, dass die Verteidigung der Arbeitsplätze, Löhne und sozialen Bedingungen nur im Kampf gegen das Co-Management der Betriebsräte möglich ist.

Es ist notwendig die Betriebsräte zur Rechenschaft zu ziehen, sie in ihren Büros aufzusuchen und die Offenlegung aller Geheimverträge und vertraulichen Absprachen mit der Geschäftsführung zu verlangen. Alle Verhandlungen hinter dem Rücken der Beschäftigten müssen sofort gestoppt und verhindert werden. Diejenigen Betriebsräte, die in den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses teilnehmen, müssen die Belegschaft in vollem Umfang informieren und Rede und Antwort stehen. Auch Einenkel weiß weit mehr, als er sagt.

Im Bochumer Betriebsrat sitzen zahlreiche so genannte "oppositionelle" Betriebsräte. Jetzt zeigt sich, was von ihnen zu halten ist. Die Behauptung, sie seien an die Schweigepflicht gebunden, darf nicht akzeptiert werden. Mit den Vorbereitungen, die Produktion drastisch zu reduzieren, Werksteile, oder sogar ganze Werke zu schließen und bestehende Tarifverträge auszuhebeln, hat die Betriebsleitung den Tariffrieden und die Betriebsverfassung bereits außer Kraft gesetzt.

Siehe auch:
Opel vor Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen - Standort Bochum droht das Aus
(29. November 2008)
Betriebsräte und IG Metall bieten Lohnsenkung und Kurzarbeit an
( 21. November 2008)
Die Debatte über die Opel-Bürgschaft
( 22. November 2008)
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