Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party

Teil 6

Die US-amerikanische Socialist Equality Party (SEP) hat vom 3. bis 9. August 2008 ihren Gründungskongress durchgeführt. Der Kongress diskutierte und verabschiedete ein Dokument über die "historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party", das wir hier in deutscher Übersetzung in elf Teilen veröffentlichen. Bereits in deutscher Übersetzung erschienen sind ein Bericht über den Gründungskongress und die Grundsatzerklärung der SEP, die ebenfalls vom Gründungskongress verabschiedet wurde.

Die Ursprünge des pablistischen Revisionismus

110. Die erneute Stabilisierung der kapitalistischen Entwicklung verlieh den sozialen Kämpfen der Nachkriegszeit ihren widersprüchlichen Charakter. Das Kriegsende brachte einen Aufschwung im Klassenkampf in den entwickelten Ländern und die antiimperialistische Bewegung in den Kolonien mit sich. Die ökonomische Stabilisierung erweiterte allerdings enorm das Handlungsfeld für die bürgerlich-nationalistischen Bewegungen, Stalinisten, Gewerkschaftsbürokraten und verschiedenen kleinbürgerlichen Bewegungen, die diese Kämpfe anführten. Die objektive Funktion dieser Bewegungen und Organisationen bestand darin, in der einen oder anderen Form unter größeren Teilen der Arbeiterklasse und unterdrückten Massen eine Unterstützerbasis für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Weltsystems zu schaffen. Sie förderten die Illusion, dass durch eine Politik nationaler Reformen, denen nach dem Krieg neues Leben eingehaucht wurde, dauerhafte Errungenschaften zu erreichen seien.

111. Die Komplexität der Nachkriegsperiode fand Ausdruck in Form einer revisionistischen Tendenz innerhalb der trotzkistischen Bewegung, die sich an die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Organisationen anpasste. Die Revisionisten fingen an, die stalinistischen und sozialdemokratischen Tendenzen wie auch die kleinbürgerlich-nationalistischen und radikalen Bewegungen nicht als Hindernisse für die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse zu sehen, sondern betrachteten sie vielmehr als alternative Vehikel, um den Sozialismus zu erreichen. Es ging ihnen nicht mehr darum, diesen Organisationen die unabhängige Perspektive der Vierten Internationale entgegenzusetzen. Vielmehr wollten sie die Vierte Internationale in ein Druckmittel verwandeln, um auf die vorhandenen Führer der Arbeiterklasse und nationalen Bewegungen einzuwirken. Die Revisionisten schrieben den Stalinisten und bürgerlichen Nationalisten eine historisch progressive Rolle zu und wiesen Trotzkis Analyse zurück, dass ihnen ein grundlegend konterrevolutionärer Charakter eigen sei. Die umfassende Revision der Perspektive, auf der die Vierte Internationale gegründet worden war, ging ursprünglich von zwei Männern aus, die führende Positionen in der trotzkistischen Bewegung im Nachkriegseuropa innehatten: Michel Pablo und Ernest Mandel.

112. Pablos Revisionen waren eine impressionistische Reaktion auf die politischen Veränderungen in Osteuropa. Die erste Reaktion der Vierten Internationale auf die Errichtung der stalinistisch dominierten Regimes gründete sich auf Trotzkis Analyse und Verständnis. Trotz der politischen "Erfolge" des Stalinismus bestand die Vierte Internationale darauf, dass dieser seinem Wesen nach eine konterrevolutionäre Rolle spielte. So hieß es in einer Stellungnahme aus dem Jahre 1946:

"Ihre abscheulichen Verrätereien, die Unterdrückung von Massenerhebungen, ihr konterrevolutionärer Terror, die Verwüstungen, die sie anrichteten, und ihre Plünderungen - all dies diskreditiert in den Augen der Arbeiter allein schon das Wort, schon die Idee des Kommunismus. Wie schwer wiegen die Verstaatlichungen in Osteuropa gegen die Verbrechen Stalins an der Arbeiterklasse? Die stalinistischen konterrevolutionären Abenteuer in Osteuropa haben dem Stalinismus keineswegs den Ruf eingebracht, eine progressive historische Mission zu erfüllen; sie haben vielmehr die Dringlichkeit verschärft, diesen blutigen Dämon zu besiegen und ihn daran zu hindern, noch mehr Schaden anzurichten, als er der Weltarbeiterklasse und ihrem Kampf für ihre Emanzipation bereits zugefügt hat.

Die Blindheit des Stalinismus, sein unbeschreiblich reaktionärer Charakter und sein historischer Bankrott offenbaren sich unübersehbar vor allem in Osteuropa. Gegen armselige Ausbeute, gegen erbärmliche Reparationszahlungen, die die wirtschaftlichen Nöte der UdSSR nicht im Geringsten beheben, hat der Kreml in ganz Osteuropa und weltweit eine Mauer des Hasses gegen sich errichtet. Als Gegenleistung für die militärische Kontrolle über die von Armut heimgesuchten, bankrotten Balkanstaaten hat der Kreml den anglo-amerikanischen Imperialisten geholfen, die Revolution zu unterdrücken und den niedergehenden Kapitalismus wieder aufzupäppeln."[70]

113. Im April 1949 erklärte das Internationale Exekutivkomitee der Vierten Internationale:

"Man kann den Stalinismus nicht aufgrund vereinzelter Ergebnisse seiner Politik einschätzen, sondern muss von der Gesamtheit seiner Aktivitäten auf Weltebene ausgehen. Betrachten wir den Verfallszustand, in dem sich der Kapitalismus selbst vier Jahre nach Kriegsende noch befindet, und betrachten wir die konkrete Situation von 1943-45, so steht außer Frage, dass auf Weltebene der Stalinismus der entscheidende Faktor war, der den plötzlichen und zeitgleichen Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung in Europa und Asien verhinderte. In diesem Sinne sind die ‚Errungenschaften’ der Bürokratie in der Pufferzone höchstens der Preis, den der Imperialismus für ihm auf Weltebene geleistete Dienste bezahlte - und dieser Preis wird darüber hinaus inzwischen ständig in Frage gestellt.

Vom internationalen Standpunkt aus wiegen die Reformen der Sowjetbürokratie - die Angleichung der Pufferzone an die UDSSR - weit weniger schwer als die Schläge, die die Sowjetbürokratie gerade durch ihre Taten in der Pufferzone dem Bewusstsein des Weltproletariats versetzt hat, das sie mit ihrer Politik demoralisiert, verwirrt, fehlleitet und lähmt, so dass es teilweise für die imperialistischen Kampagnen zur Vorbereitung eines neuen Krieges empfänglich wird. Selbst vom Standpunkt der UdSSR aus gefährden sie die Niederlagen und die Demoralisierung des Weltproletariats, die der Stalinismus verursacht hat, weit mehr, als sie die Festigung der Pufferstaaten stärkt."[71]

Pablo weist den Trotzkismus zurück

114. Doch im Lauf des Jahres 1949 gab es Anzeichen, dass Pablo seine Haltung veränderte. Er fing an, über den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus zu schreiben, der sich über "Jahrhunderte" hinweg in "deformierten Arbeiterstaaten" nach stalinistischem Vorbild vollziehen würde. Im Jahre 1951 verabschiedete das Internationale Exekutivkomitee der Vierten Internationale eine Resolution, die die Theorie der "Kriegsrevolution" unterstützte. Nach dieser Theorie sollte der Ausbruch eines Kriegs zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion die Form eines weltweiten Bürgerkriegs annehmen, der wiederum die Sowjetbürokratie dazu zwingen werde, als Geburtshelferin für die soziale Revolution zu fungieren. Im selben Jahr veröffentlichte Pablo ein Dokument, in dem es heißt:"Die gesellschaftliche Wirklichkeit besteht für unsere Bewegung im Wesentlichen aus der kapitalistischen Herrschaft und der stalinistischen Welt."[72]

115. Pablos Analyse schrieb den Klassenkonflikt ebenso ab wie die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse und die historische Notwendigkeit der Vierten Internationale. Für ihn bestand die Aufgabe der Vierten Internationale darin, als Druckmittel innerhalb der existierenden stalinistischen Organisationen zu wirken. Der Pablismus erweiterte die falschen Behauptungen zugunsten der stalinistischen Bürokratie auf die bürgerlich-nationalen Bewegungen in den halbkolonialen und unterentwickelten Ländern. Anstelle einer Klassenanalyse sprach Pablo vom "Aufgehen in der echten Massenbewegung". In einem Bericht an den Dritten Weltkongress der Vierten Internationale im August/September 1951 zog Pablo folgende Schlüsse aus dieser Perspektive: "Es gibt heute keine einzige trotzkistische Organisation, in der nicht alle oder zumindest ein Teil ernsthaft, tiefgreifend und konkret verstehen, dass es notwendig ist, alle organisatorischen Erwägungen betreffs der formalen Eigenständigkeit der wirklichen Integration in die Massenbewegung, wie sie sich in jedem Land ausdrückt, unterzuordnen, beziehungsweise der Integration in eine wichtige Strömung in dieser Massenbewegung, die man beeinflussen kann."[73]

116. Die theoretische Grundlage des Pablismus war eine objektivistische Methode, die die Bedeutung, welche die marxistische Bewegung der Rolle der Partei für die Entwicklung der Weltrevolution beimisst, leugnete. So heißt es an späterer Stelle:

"Der Standpunkt des Objektivismus besteht darin, zu betrachten anstatt praktisch revolutionär zu handeln, zu beobachten anstatt zu kämpfen, zu rechtfertigen, was geschieht, anstatt zu erklären, was getan werden muss. Diese Methode lieferte die theoretische Untermauerung für eine Perspektive, in der der Trotzkismus nicht mehr als die Lehre zur Anleitung der praktischen Tätigkeit der Partei gesehen wurde, die entschlossen ist, die Macht zu erobern und den Verlauf der Geschichte zu ändern, sondern als eine allgemeine Interpretation eines historischen Prozesses, in dessen Verlauf der Sozialismus letztlich unter der Führung nicht-proletarischer Kräfte errichtet wird, die der Vierten Internationale feindlich gegenüberstehen. Insofern dem Trotzkismus überhaupt eine direkte Rolle im Gang der Ereignisse zugeschrieben wurde, dann bestand sie lediglich in einer Art unterbewusstem geistigen Prozess, der unbewusst die Aktivitäten der Stalinisten, Neostalinisten, Halbstalinisten und natürlich der kleinbürgerlichen Nationalisten dieser oder jener Prägung anleitete.

In diesem Sinne war der Pablismus weit mehr als eine Reihe unzutreffender Behauptungen, falscher Prognosen und programmatischer Revisionen. Er griff die gesamte Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus an und verwarf die zentralen Lehren, die die Marxisten aus der historischen Entwicklung des Klassenkampfes in einem ganzen Jahrhundert abgeleitet hatten. Die größte Errungenschaft des Marxismus im zwanzigsten Jahrhundert - die leninistische Parteikonzeption - wurde untergraben, als Pablo die Notwendigkeit des bewussten Faktors im Kampf des Proletariats und in der historischen Verwirklichung der proletarischen Diktatur ablehnte. Für Pablo und seine Anhänger bestand keine Notwendigkeit, die Arbeiterklasse theoretisch zu erziehen und ihr ihre historischen Aufgaben bewusst zu machen. Es bestand keine Notwendigkeit, für den Marxismus und gegen die Vorherrschaft bürgerlicher Ideologie in der spontanen Bewegung der Arbeiterklasse zu kämpfen....

Die Anpassung an den Stalinismus war ein wichtiges Merkmal der neuen, pablistischen Anschauung, aber es wäre falsch, allein darin ihre Wesensart zu sehen. Der Pablismus war (und ist) schrankenloses Liquidatorentum, d. h. die Zurückweisung der Hegemonie des Proletariats in der sozialistischen Revolution und der wirklich unabhängigen Existenz der Vierten Internationale als bewusster Ausdruck der historischen Rolle der Arbeiterklasse....

Die praktische Tätigkeit der trotzkistischen Bewegung sollte sich nicht länger auf die Erziehung des Proletariats konzentrieren, um ihm seine historischen Aufgaben bewusst zu machen und seine bedingungslose programmatische und organisatorische Unabhängigkeit von allen anderen Klassenkräften herzustellen. Sie sollte sich auch nicht mehr auf eine wissenschaftliche Analyse der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und der Klassenkräfte stützen, die wiederum auf dem Boden eines historisch begründeten Vertrauens in die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse stand. Stattdessen sollte sie sich nach taktischen Zweckmäßigkeiten richten. Prinzipielle Positionen, das Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe, sollten dabei der vergeblichen Hoffnung geopfert werden, die Führer der stalinistischen, sozialdemokratischen und bürgerlich-nationalistischen Organisationen zu beeinflussen und nach links zu drücken."[74]

117. Auf Grundlage dieser Perspektive versuchte Pablo mit Mandels Unterstützung, seine Stellung als Internationaler Sekretär der Vierten Internationale auszunutzen und ganze Sektionen zu zwingen, sich als unabhängige Organisationen aufzulösen und in stalinistische Parteien einzutreten; eine Taktik, die von ihnen als Entrismus sui generis bezeichnet wurde. Die Revisionisten kamen zu dem Schluss, das Bemühen um den Aufbau von Sektionen der Vierten Internationale in jedem Land sei ein Fehler gewesen. Diese Position wurde zum Kennzeichen einer katastrophalen Perspektive, die immer wieder aufs Neue zum Tragen kam, bei unzähligen opportunistischen Tendenzen auch heute noch. Sie meinen, es sei nicht möglich revolutionäre Parteien aufzubauen und daher müsse man nach irgendeiner anderen Kraft Ausschau halten, die zu dem gegebenen Zeitpunkt gerade zufällig eine Massenorganisation leitet - unabhängig von deren Geschichte, Programm und Klassenbasis.

118. Die pablistische Tendenz in den Vereinigten Staaten wurde von Bert Cochran angeführt. Sie fand vor allem Unterstützung unter einer Gruppe von Gewerkschaftern innerhalb der SWP, die den Druck des Antikommunismus auf die Arbeiterklasse ebenso widerspiegelten wie das Anwachsen einer eher konservativen Schicht von Arbeitern, die von einem steigenden Lebensstandard profitierten. Die Cochran-Anhänger lehnten jede Diskussion über die Spaltung zwischen Trotzkismus und Stalinismus ab, eine Position, die in ihrem berüchtigten Wahlspruch "Werft den alten Trotzkismus über Bord" zum Ausdruck kam. Cochran wandte sich gegen das Grundprinzip, dass sozialistisches Bewusstsein historisches Bewusstsein ist, als er 1951 schrieb: "...während Trotzki in ganz unmittelbarem und direktem Sinne der Lehrer und Führer unserer Bewegung war, so folgt daraus doch keineswegs, dass wir Arbeiter dadurch unter unserem Banner sammeln werden, dass wir ihnen Recht und Unrecht im Kampf zwischen Stalin und Trotzki einbläuen, der inzwischen Geschichte ist."[75] Diese Forderung, Geschichte zu vergessen, meinte in Wirklichkeit, dass die Perspektive und Prinzipien vergessen werden sollten, die in dieser Geschichte beinhaltet sind. Die meisten Cochran-Anhänger brachten diese liquidatorische Perspektive schließlich zu ihrem logischen Ende, indem sie sich in den Gewerkschaften auflösten und in die Demokratische Partei eintraten.

Der "Offene Brief" und die Gründung des Internationalen Komitees

119. Die Fraktionskämpfe, die sich innerhalb der Vierten Internationale entwickelten, kulminierten im November 1953 in der Veröffentlichung eines Offenen Briefes, den Cannon an die Trotzkisten in der ganzen Welt richtete. Unterstützt von den trotzkistischen Organisationen in Großbritannien und Frankreich war Cannons Handeln vollkommen durch die Umstände gerechtfertigt, mit denen die Weltbewegung konfrontiert war. Auf dem Spiel standen die Verteidigung der wesentlichen politischen Prinzipien, auf denen die Vierte Internationale seit ihrer Gründung beruhte, und ihr Überleben als unabhängige revolutionäre Organisation. Cannons Brief erklärte, warum es keinen Kompromiss mit dem Pablismus geben könne, und fasste diese Prinzipien folgendermaßen zusammen:

"1. Der Todeskampf des kapitalistischen Systems droht, die Zivilisation durch immer schlimmere Depressionen, Weltkriege und barbarische Erscheinungen wie den Faschismus, zu zerstören. Die Entwicklung von Atomwaffen unterstreicht heute diese Gefahr auf das Ernsteste und Nachdrücklichste.

2. Der Sturz in den Abgrund kann nur verhindert werden, indem der Kapitalismus weltweit durch eine sozialistische Planwirtschaft ersetzt, und so die Spirale des Fortschritts, die der Kapitalismus in seiner Frühzeit in Gang gesetzt hat, wieder aufgenommen wird.

3. Dies kann nur unter der Führung der Arbeiterklasse geschehen, da sie die einzige wahrhaft revolutionäre Klasse in der Gesellschaft ist. Doch die Arbeiterklasse selbst ist mit einer Krise der Führung konfrontiert, obwohl die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auf Weltebene noch nie so günstig wie heute dafür waren, dass die Arbeiter den Weg der Machteroberung beschreiten können.

4. Um sich für die Durchsetzung dieses welthistorischen Zieles zu organisieren, muss die Arbeiterklasse in jedem Land eine revolutionäre Partei nach dem Muster, wie es Lenin entwickelt hat, aufbauen; das heißt, eine Kampfpartei, die in der Lage ist, Demokratie und Zentralismus dialektisch zu vereinen - Demokratie in der Entscheidungsfindung, Zentralismus bei der Durchführung dieser Beschlüsse; mit einer Führung, die von den einfachen Mitgliedern kontrolliert wird, Mitgliedern, die fähig sind, diszipliniert vorzugehen, auch wenn sie unter Feuer stehen.

5. Das Haupthindernis hierfür ist der Stalinismus, der dadurch, dass er das Ansehen der Oktoberrevolution von 1917 in Russland ausnutzt, Arbeiter anzieht, nur um dann später ihr Vertrauen zu missbrauchen und sie entweder in die Arme der Sozialdemokratie, in Apathie oder zurück zu Illusionen über den Kapitalismus zu treiben. Den Preis für diese Verrätereien hat dann das arbeitende Volk zu zahlen, in Form einer Stärkung faschistischer oder monarchistischer Kräfte und durch neue Kriege, die der Kapitalismus hervorbringt und vorbereitet. Seit ihrer Gründung stellte sich die Vierte Internationale als eine ihrer Hauptaufgaben den Sturz des Stalinismus innerhalb und außerhalb der UdSSR.

6. Viele Sektionen der Vierten Internationale sowie Parteien und Gruppen, die mit ihrem Programm sympathisieren, stehen vor der Notwendigkeit einer flexiblen Taktik. Es ist daher umso dringender, dass sie wissen, wie man den Imperialismus und alle seine kleinbürgerlichen Agenturen (wie z.B. nationalistische Organisationen und Gewerkschaftsbürokratien) bekämpft, ohne vor dem Stalinismus zu kapitulieren; dass sie umgekehrt wissen, wie man gegen den Stalinismus kämpft (der letzten Endes eine kleinbürgerliche Agentur des Imperialismus ist), ohne vor dem Imperialismus zu kapitulieren."[76]

120. Der Offene Brief wies darauf hin, dass Pablo diese Prinzipien über Bord geworfen hatte.

"Anstatt die Gefahr einer neuen Barbarei herauszustreichen, hält er die Entwicklung zum Sozialismus für ‚unaufhaltsam’; und doch sieht er den Sozialismus nicht für unsere Generation oder eine der nächsten Generationen kommen.

Stattdessen vertritt er das Konzept einer ‘alles überflutenden’ Welle von Revolutionen, die nichts als ‘deformierte’ Arbeiterstaaten, d.h. Arbeiterstaaten des stalinistischen Typus hervorbringen, die dann ‘jahrhundertelang’ weiter bestehen.

Damit verrät er den größtmöglichen Pessimismus über die Fähigkeiten der Arbeiterklasse, was völlig auf einer Linie liegt mit dem Spott, mit dem er sich kürzlich über den Kampf für den Aufbau unabhängiger revolutionärer sozialistischer Parteien äußerte. Anstatt am Hauptkurs festzuhalten und mit allen taktischen Mitteln unabhängige revolutionäre sozialistische Parteien aufzubauen, blickt er auf die stalinistische Bürokratie oder einen entscheidenden Teil dieser Bürokratie, ob sie sich nicht unter dem Druck der Massen dazu bringen lässt, sich zu verändern und die ‘Ideen’ und das ‘Programm’ des Trotzkismus anzunehmen."[77]

121. Cannons Brief schloss mit einer Warnung und dem Aufruf zu handeln:

"Wir fassen zusammen: Der Graben zwischen Pablos Revisionismus und dem orthodoxen Trotzkismus ist so tief, dass weder ein politischer noch ein organisatorischer Kompromiss möglich ist. Die Pablo-Fraktion hat bewiesen, dass sie das Zustandekommen von demokratischen Entscheidungen, die wirklich die Meinung der Mehrheit widerspiegeln, nicht zulassen wird. Sie verlangen die vollständige Unterordnung unter ihre verbrecherische Politik. Sie sind entschlossen, alle orthodoxen Trotzkisten aus der Vierten Internationale zu vertreiben oder ihnen einen Maulkorb umzuhängen und Handschellen anzulegen...

Wenn wir den Sektionen der Vierten Internationale von unserer Position aus, die erzwungenermaßen außerhalb der Mitgliedschaft liegt, einen Rat geben dürfen[78], so meinen wir, dass es Zeit ist zu handeln. Es ist Zeit, dass die orthodox-trotzkistische Mehrheit der Vierten Internationale ihren Willen gegen Pablos Machtanmaßung durchsetzt."[79]

Die leninistisch-trotzkistische Theorie der Partei

122. Nach der Spaltung schrieb Cannon über die wesentlichen Fragen im Hinblick auf die politischen Prinzipien, die aufgekommen waren. Er betonte dabei den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Marxismus und den spontaneistischen Konzeptionen von Pablo und Mandel.

"Wir allein richten uns uneingeschränkt nach Lenins und Trotzkis Theorie der Partei als der bewussten Avantgarde und ihrer Rolle als Führung im revolutionären Kampf. Diese Frage wird brennend aktuell und ist in der gegenwärtigen Epoche wichtiger als alle anderen.

Das Problem der Führung nun beschränkt sich nicht auf die spontanen Erscheinungen des Klassenkampfes in einem lang hingezogenen Prozess, ja nicht einmal auf die Eroberung der Macht in diesem oder jenem Land, wo der Kapitalismus besonders schwach ist. Es ist vielmehr eine Frage der Entwicklung der internationalen Revolution und der sozialistischen Umwandlung der Gesellschaft. Wer die Annahme zulässt, dass dies automatisch geschehen könnte, gibt in Wirklichkeit den ganzen Marxismus auf. Nein, es erfordert bewusstes Handeln, und dazu ist die Führung der marxistischen Partei, die das bewusste Element im historischen Prozess darstellt, unerlässlich. Keine andere Partei taugt dafür. Keine andere Tendenz in der Arbeiterbewegung kann als hinlänglicher Ersatz angesehen werden. Aus diesem Grund ist unsere Haltung gegenüber allen anderen Parteien und Tendenzen unversöhnlich feindlich.

Wenn die Kräfteverhältnisse eine Anpassung der Kader der Avantgarde an Organisationen erfordern, die momentan von solchen feindlichen Tendenzen beherrscht werden - von Stalinisten, Sozialdemokraten, Zentristen -, dann muss eine solche Anpassung stets als eine taktische Anpassung gesehen werden, die dazu dient, den Kampf gegen sie zu erleichtern, niemals, um ihnen die entscheidende historische Rolle zuzuschreiben, während den Marxisten die zweitrangige Aufgabe überlassen bleibt, freundliche Ratschläge zu erteilen und ‘loyale’ Kritik zu äußern."[80]

Stalinismus in der Krise

123. Der Kampf innerhalb der Vierten Internationalen war sowohl Spiegelbild als auch Vorwegnahme von Veränderungen auf Weltebene. Als sich die Spaltung vollzog, steckte der Kreml in einer Krise. Die blutigen Säuberungen in Osteuropa und die berüchtigten Festnahmen von jüdischen Ärzten in der Sowjetunion machten selbst dem direkten Umfeld von Stalin völlig klar, dass die ausufernde Paranoia des Diktators jede kohärente Antwort auf die Krise der sowjetischen Nachkriegsgesellschaft verhinderte. Als Stalin im März 1953 plötzlich unter sonderbaren Begleitumständen starb, bot sich die Möglichkeit für eine veränderte Politik. Nach einem kurzen Fraktionskampf innerhalb des Politbüros wurde Lawrenti Beria, der Chef von Stalins Geheimpolizei, seines Postens enthoben und hingerichtet. Durch diesen Akt zeigte die Bürokratie, die ihre Macht der Zerstörung des revolutionären Kaders der Bolschewistischen Partei durch Stalin verdankte, ihren Wunsch, die Privilegien ohne die permanente Gefahr von Säuberungen, Verhaftungen und Hinrichtungen zu genießen. Aber der Zugang der Bürokratie zu den Privilegien war durch die wachsende Unzufriedenheit der Arbeiterklasse in der Sowjetunion und Osteuropa stärker gefährdet als bisher. Im Juni 1953 erhoben sich ostdeutsche Arbeiter gegen die stalinistische Bürokratie und wurden von sowjetischen Truppen unterdrückt. Im Februar 1956 hielt Nikita Chruschtschow seine "Geheimrede" vor dem 20. Kongress der Kommunistischen Partei, in der er einige Verbrechen Stalins verurteilte, aber absichtlich die Opfer aus der trotzkistischen Linken Opposition und die bei den Moskauer Prozessen zum Tode Verurteilten ausnahm. Chruschtschow, selbst ein Führer der stalinistischen Bürokratie, konnte die Ursprünge der Stalinschen Verbrechen nicht darlegen und flüchtete sich in einfache Entschuldigungen: Stalins Handlanger in der Bürokratie und die gesamte sowjetische Bevölkerung seien einem "Personenkult" verfallen. Im gleichen Jahr erhob sich die ungarische Arbeiterklasse und bildete Arbeiterräte, die eine Embryonalform der politischen Revolution darstellten. Der Aufstand wurde brutal unterdrückt, als Chruschtschow sowjetische Panzer nach Budapest schickte. Dies verdeutlichte einmal mehr den vollkommen konterrevolutionären Charakter des Stalinismus. Stalins Tod hatte nichts an der Tatsache geändert, dass der Stalinismus jeder revolutionären Bewegung unversöhnlich feindlich gegenüberstand.

124. Die Krise des Stalinismus bot eine gute Gelegenheit für die Klärung zentraler politischer Fragen. Die britischen Trotzkisten unter Führung von Gerry Healy betonten, wie wichtig eine Klärung der großen politischen Fragen sei, die hinter Trotzkis Kampf gegen Stalin standen. Dies beinhaltete natürlich die Vertiefung des Kampfes gegen die Pablisten, die jedes politische Manöver des Stalinismus als Beispiel für eine fortschrittliche "Selbstreform" der Bürokratie interpretierten. Doch an diesem Punkt nahm die SWP-Führung Abschied von ihrem unversöhnlichen Widerstand gegen den Pablismus, den Cannon in den Jahren 1953/54 so kraftvoll vertreten hatte. Im Jahre 1957 zeigte Cannon Interesse an einer möglichen Wiedervereinigung mit den Pablisten und behauptete zu Unrecht, die Differenzen zwischen dem IKVI und dem pablistischen Sekretariat hätten sich über die Jahre hinweg verkleinert. Diese veränderte Haltung der SWP gegenüber den Pablisten war Ausdruck eines klaren Rechtsrucks in der allgemeinen politischen Linie der Partei. In den späten 1950er Jahren zeigte die SWP Interesse, bei einer "Umgruppierung" verschiedener radikaler Tendenzen dabei zu sein. Ihre Hinwendung zu den Pablisten bedeutete eine Veränderung der Klassenausrichtung der SWP, weg von ihrer traditionellen "proletarischen Orientierung" und hin zu Bündnissen mit politischen Vertretern radikaler Teile des Kleinbürgertums.

Castrismus und die Hinwendung der SWP zu Pablo

125. Castros Machtübernahme im Januar 1959 nahm die wachsende opportunistische Fraktion in der SWP zum Anlass, die Partei wieder auf das kleinbürgerliche Milieu des amerikanischen Radikalismus zu orientieren. Die Castro-Regierung war auf Grundlage eines bürgerlich-nationalistischen Programms und durch einen Guerillakrieg, der von der Bauernschaft getragen wurde, an die Macht gelangt. Der nationalistische Charakter der Bewegung und ihre ersten Bemühungen, soziale Reformen umzusetzen, brachten sie in Konflikt mit dem amerikanischen Imperialismus. Als Antwort auf die Drohungen von Seiten der Vereinigten Staaten suchte Castro die Unterstützung der Sowjetunion. Erst an diesem Punkt erklärte sich das Regime selbst als "kommunistisch".

126. Ursprünglich hatte die SWP das Castro-Regime als bürgerlich-nationalistisch bezeichnet. Aber im Laufe des Jahres 1960 veränderte die Partei unter Führung von Joseph Hansen ihre Haltung. Eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung dieser Veränderungen spielte die intensive und politisch undurchsichtige Zusammenarbeit der SWP mit dem zweifelhaften "Fair Play for Cuba Committee". Im Dezember 1960 erklärte die SWP, Kuba sei zum Arbeiterstaat geworden. Hansen rechtfertigte die Haltung auf der kruden empiristischen Basis, dass Verstaatlichungen stattgefunden hatten, und war sich dabei offenbar der Tatsache nicht bewusst, dass die Nationalisierung des Bodens - wie Lenin vielmals in seinen umfangreichen Schriften zur Agrarfrage in Russland betont hatte - ihrem Wesen nach eine bürgerlich-demokratische Maßnahme ist. Auch bezog Hansen die Analyse der kubanischen Entwicklungen nicht auf die historischen und theoretischen Probleme - darunter die Frage nach der Klassengrundlage des Regimes und das Nichtvorhandensein von unabhängigen Arbeiterorganisationen - die die SWP in den Diskussionen über Osteuropa und China vorrangig beschäftigt hatten. Darüber hinaus wurden die Ereignisse in Kuba isoliert von der internationalen Situation und allen Fragen der Weltperspektive behandelt. Die "Tatsache", dass Castro Verstaatlichungen durchgeführt hatte, war ein Beweis dafür, argumentierte die SWP, dass eine Revolution mit "stumpfer Waffe" und von "unbewussten Marxisten" durchgeführt werden könne, die aufgrund des Drucks objektiver Notwendigkeit und ohne die aktive Beteiligung der Arbeiterklasse den Sozialismus einführten.

127. Die Haltung der SWP, die enge Parallelen zur Argumentation der Pablisten aufwies, war einer Zurückweisung der Prinzipien, die Cannon in seinem Offenen Brief dargelegt hatte. Wenn Arbeiterstaaten durch die Taten kleinbürgerlicher Guerillaführer, die ihre Basis in der Bauernschaft hatten, und unter Bedingungen, wo nicht einmal erkennbare Herrschaftsorgane der Arbeiterklasse existierten, geschaffen werden konnten - was sollte dann noch der Zweck der Vierten Internationale sein? Die Bewunderung der SWP für den Castrismus und Guerillakampf in Lateinamerika bedeutete die Zurückweisung einer revolutionären Perspektive für die amerikanische und internationale Arbeiterklasse. Ihre Haltung zu Kuba ging Hand in Hand mit einer zunehmenden Anpassung der Partei an die kleinbürgerliche Protestpolitik in den Vereinigten Staaten.

Die SLL verteidigt den Trotzkismus

128. Diese Entwicklungen intensivierten den politischen Konflikt mit dem Internationalen Komitee. In einem Brief vom 2. Januar 1961 schrieb die Socialist Labour League, die britische Sektion des IKVI, an die SWP-Führung:

"Die größte Gefahr für die revolutionäre Bewegung ist das Liquidatorentum, das sich aus der Kapitulation vor der Stärke des Imperialismus, vor den bürokratischen Apparaten der Arbeiterbewegung oder vor beidem ergibt. Noch unverkennbarer als 1953 vertritt der Pablismus heute diese liquidatorische Tendenz in der internationalen marxistischen Bewegung...

Jede Abweichung von der Strategie der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und des Aufbaus revolutionärer Parteien wird die Bedeutung eines Fehlers der trotzkistischen Bewegung von welthistorischem Ausmaß annehmen...

Gerade weil die Möglichkeiten, die sich dem Trotzkismus eröffnen, so gewaltig sind, und daher die Notwendigkeit politischer und theoretischer Klarheit so groß ist, müssen wir uns nachdrücklich gegenüber dem Revisionismus in allen seinen Formen abgrenzen. Es ist an der Zeit, die Periode zu beenden, in der der pablistische Revisionismus als eine Strömung innerhalb des Trotzkismus betrachtet wurde. Wenn wir das nicht tun, können wir uns nicht für die revolutionären Kämpfe rüsten, die jetzt beginnen."[81]

129. Im Mai 1961 erweiterte die SLL ihre Kritik an der Abwendung der SWP vom Trotzkismus und ihre immer klarere Anpassung an die unzähligen bürgerlichen und kleinbürgerlichen nationalistischen Tendenzen, die die damalige antikoloniale und antiimperialistische Bewegung dominierten. Die Linie der SWP, wie das SLL-Dokument feststellt, bedeutete eine Abkehr von den Konzeptionen, die Trotzki in seiner Theorie der Permanenten Revolution entwickelt hatte:

"Ein wesentlicher Bestandteil des revolutionären Marxismus in unserer Epoche ist die Theorie, dass die nationale Bourgeoisie in den unterentwickelten Ländern unfähig ist, den Kapitalismus zu besiegen und einen unabhängigen Nationalstaat zu errichten. Diese Klasse ist mit dem Imperialismus verbunden und von Natur aus unfähig zu einer unabhängigen kapitalistischen Entwicklung, denn sie ist Teil des kapitalistischen Weltmarktes und kann mit den Produkten der fortgeschrittenen Länder nicht konkurrieren...

Es stimmt zwar, dass die Stufe der ‘Unabhängigkeit’ von Ländern wie Ghana und nationale Unabhängigkeitsbewegungen unter Führung von Männern wie Mboya in Kenia stimulierend auf nationale Befreiungsbewegungen in anderen Ländern wirken, aber es bleibt doch eine Tatsache, dass Nkrumah, Mboya, Nasser (Ägypten), Kassem, Nehru (Indien), Sukarno (Indonesien) und ihresgleichen die nationale Bourgeoisie ihres Landes vertreten. Die maßgeblichen imperialistischen Politiker in den USA und Großbritannien wissen sehr genau, dass der Besitz und die strategischen Bündnisse des internationalen Kapitals in Asien, Afrika und Lateinamerika nur aufrechterhalten werden können, wenn sie Führern dieser Art die politische ‘Unabhängigkeit’ geben oder ihren Sieg über feudale Elemente wie Farouk und Nuries-Said akzeptieren....

Trotzkisten sind nicht dazu da, die Rolle solcher nationalistischer Führer aufzuwerten. Diese verfügen nur deshalb über das Vertrauen der Massen, weil die sozialdemokratischen und besonders die stalinistischen Führungen verraten haben. Daher werden sie zu Puffern zwischen dem Imperialismus und den Arbeiter- und Bauernmassen. Die Möglichkeit wirtschaftlicher Hilfe aus der Sowjetunion versetzt sie oft in die Lage, gegenüber den Imperialisten höher zu pokern. Sie ermöglicht es radikaleren Elementen unter den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führern sogar, imperialistischen Besitz anzugreifen und größere Unterstützung bei den Massen zu gewinnen. Die entscheidende Frage für uns aber ist in jedem Fall, dass die Arbeiterklasse in diesen Ländern durch eine marxistische Partei ihre politische Unabhängigkeit herstellt, die arme Bauernschaft zum Aufbau von Sowjets führt und die notwendigen Verbindungen zur internationalen sozialistischen Revolution erkennt. In keinem Fall sollten Trotzkisten unserer Meinung nach diese Strategie durch die Hoffnung ersetzen, dass die nationalistische Führung sozialistisch werde. Die Befreiung der Arbeiterklasse ist die Aufgabe der Arbeiter selbst."[82]

130. Und zur Kubafrage erklärte die SLL:

"Die gegenwärtige Diskussion über Kuba scheint folgendermaßen vorzugehen: Die kubanischen Massen unterstützen Castro; Castro begann als Kleinbürger, ist aber Sozialist geworden; der öffentliche Druck des imperialistischen Angriffs und des Volkskampfes könnten ihn zum Marxisten machen, und schon die Aufgaben, die sich ihm bei der Verteidigung der Errungenschaften der Revolution stellen, haben ihn ‘auf natürlichem Wege’ zu Positionen gebracht, die man vom Trotzkismus nicht mehr unterscheiden kann. Diese Herangehensweise tritt die Grundsätze des Marxismus mit Füßen... [Wir] müssen politische Tendenzen auf einer Klassengrundlage einschätzen, danach, wie sie sich über lange Perioden hinweg in Beziehung zur Bewegung der Klassen im Kampf entwickeln. Keine proletarische Partei, und schon gar keine proletarische Revolution, wird in irgendeinem rückständigen Land aus bekehrten kleinbürgerlichen Nationalisten hervorgehen, die ‘natürlich’ oder ‘zufällig’ über die Bedeutung von Arbeitern und Bauern stolpern."[83]

Die pablistische Wiedervereinigung und der Verrat in Ceylon

131. Im Juni 1963 hielten die SWP und die europäischen Pablisten einen Vereinigungskongress ab und gründeten ein neues "Vereinigtes Sekretariat". Was diesem Kongress seinen unprinzipiellen und reaktionären Charakter verlieh, war die bewusste und entschlossene Weigerung, die Fragen zu untersuchen, die zur Spaltung von 1953 geführt hatten. Die wiederholte Behauptung, die Differenzen seien Vergangenheit und im Kontext der "neuen Weltrealität" nicht weiter relevant, verschleierten nur die sehr realen und gefährlichen Implikationen pablistischer Politik. Die Weigerung der britischen Trotzkisten, an der reaktionären Scharade des "Vereinigungskongresses" teilzunehmen, in dem die wichtigsten Fragen von der Diskussion ausgenommen waren, ist als Akt großen politischen Mutes zu werten.

132. Innerhalb eines Jahres wurde klar, worum es eigentlich ging. Im Juni 1964 akzeptierte eine der führenden Sektionen der pablistischen Internationale, die Lanka Sama Samaja Party (LSSP) eine Einladung der ceylonesischen Ministerpräsidentin Sirimavo Bandaranaike, in ihre neu zu bildende bürgerliche Koalitionsregierung einzutreten. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vierten Internationalen war eine trotzkistische Partei an einem solchen krassen Verrat sozialistischer Prinzipien beteiligt. Dieser Verrat war über viele Jahre politischen Abrutschens der LSSP vorbereitet worden, doch die Pablisten verhinderten eine Diskussion über den politischen Niedergang der LSSP. Nun wirkte nur ein Jahr nach der Wiedervereinigung die pablistische Internationale (mit kritischer Unterstützung der SWP) als Geburtshelferin bei dem Verrat, der zu einem Bürgerkrieg geführt, die srilankische Gesellschaft verwüstet und beinahe 100.000 Menschenleben gekostet hat. Das Internationale Komitee verurteilte die Rolle der Pablisten bei der ceylonesischen Katastrophe. Die Worte des IKVI haben den Test der Zeit bestanden:

"Der Eintritt von Mitgliedern der LSSP in die Bandaranaike-Koalition bezeichnet das Ende einer ganzen Entwicklungsepoche der Vierten Internationale. Der Revisionismus in der trotzkistischen Weltbewegung hat seinen Ausdruck im direkten Dienst am Imperialismus, in der Vorbereitung einer Niederlage der Arbeiterklasse gefunden."[84]

Wird fortgesetzt

 

Anmerkungen
70 Fourth International, November 1946, S. 345
71 David North, Das Erbe, das wir verteidigen, Essen, Arbeiterpresse Verlag 1988, Seite 162-163
72 ebenda, S. 187
73 ebenda, S. 195
74 ebenda, S. 190-93
75 ebenda, S. 205-06
76 ebenda, S. 231-232
77 ebenda, S. 233
78 Die amerikanischen Trotzkisten dürfen seit den 1940er Jahren aufgrund reaktionärer gesetzlicher Bestimmungen (Voorhis Act) der Vierten Internationale formal nicht angehören.
79 David North, Das Erbe, das wir verteidigen, Essen, Arbeiterpresse Verlag 1988, S. 240
80 ebenda, S. 248-49
81 ebenda, S. 369-70
82 ebenda, S. 371-72
83 ebenda, S. 372-73
84 ebenda, S. 395

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