Pleitewelle überrollt Auto-Zulieferindustrie

Weltmarktführer für Bremsbeläge TMD Friction insolvent

Während die großen deutschen Autokonzerne die Produktion drosseln und die Belegschaften in den verlängerten Weihnachtsurlaub und in Kurzarbeit schicken, wird die Zulieferindustrie von einer Pleitewelle überrollt. Gleich drei größere Betriebe haben innerhalb weniger Tage Insolvenz angemeldet: TMD Friction, die Tedrive Germany GmbH sowie die Wagon Automotive GmbH.

TMD Friction produziert an 15 Standorten in elf Ländern. Der Weltmarktführer bei Bremsbelägen beschäftigt weltweit 4.500 Arbeiter und erzielte 2007 einen Umsatz von 690 Millionen Euro. An den deutschen Standorten Leverkusen, Essen, Hamm und Coswig sind 2.000 Arbeiter beschäftigt, davon die Hälfte in Leverkusen.

Die Belegschaft steht vor einer ungewissen Zukunft. Der vorläufige Insolvenzverwalter, der Düsseldorfer Anwalt Frank Kebekus, hat zwar am vergangenen Donnerstag auf Betriebsversammlungen erklärt, seine ersten Gespräche mit Banken, Lieferanten und Kunden seien "positiv" verlaufen. Er glaube, das Unternehmen könne als Ganzes verkauft werden. Die Gehälter für die nächsten drei Monate seien vorfinanziert, die Novemberlöhne könnten aber nicht pünktlich am 15. Dezember ausbezahlt werden. Ab Februar 2009 erhielten die Beschäftigten dann drei Monate lang Insolvenzgeld.

Die Belegschaft muss sich aber dennoch auf Kürzungen und Entlassungen vorbereiten. Für die meisten Beschäftigten beginnt schon ab dieser Woche der Weihnachtsurlaub. Am 5. Januar soll die Produktion dann nur teilweise wieder aufgenommen werden. Am Stammsitz Leverkusen ist noch keine Kurzarbeit vorgesehen, an den anderen drei deutschen Standorten soll bis Mai nur noch reduziert gearbeitet werden.

Besonders hart betroffen sind ältere Arbeiter, die einen Vorruhestandsvertrag unterschrieben haben und auf die versprochene Abfindung warten. Kebekus sagte, diese könne derzeit nicht ausgezahlt werden. Auch eine spätere Auszahlung aus der Insolvenzmasse sei unsicher und werde bestenfalls einen geringen Teil der vereinbarten Summe decken.

Die Tedrive Germany GmbH, die ebenfalls Insolvenz angemeldet hat, entwickelt und produziert in Düren bei Aachen Antriebswellen und Differentiale sowie in Wülfrath bei Wuppertal Lenksysteme. In Düren sind rund 900 und in Wülfrath 800 Beschäftigte betroffen. Das Unternehmen ist 2007 aus der Visteon GmbH entstanden, die ihrerseits aus dem Ford-Konzern ausgegliedert worden war.

Die Wagon Automotive GmbH stellt im unterfränkischen Aschaffenburg mit 650 Beschäftigten Karosserieteile her. Geschäftsführer Helge Bender hat angekündigt, die Insolvenz werde "auch einen gewissen Personalabbau mit sich ziehen". Hintergrund der Insolvenz sei die Zahlungsunfähigkeit des britischen Mutterkonzerns Wagon PLC (Birmingham). Dieser beschäftigt weltweit 6.300 Menschen.

Spekulationsobjekte

Die Produktionsstopps der Autohersteller wirken sich aufgrund der Just-in-Time-Produktion ohne Zeitverzögerung auf die Zulieferer aus. Die zugelieferten Teile werden von den Autoherstellern nicht zwischengelagert, sondern "just in time" in die laufende Produktion geliefert. Die Auto-Hersteller sparen sich so die teure Lagerhaltung. Kommt es aber zu Verzögerungen, ist sofort die gesamte Fertigungskette betroffen.

Mit der Absatzkrise bleiben die Zulieferer auf ihren Produkten sitzen. Die Logistikbranche, die mit ihren zahlreichen LKWs die Lager der Auto-Hersteller auf die Straße verlegt, wird ebenfalls getroffen. Auch der größte deutsche Stahlproduzent ThyssenKrupp Steel hat aufgrund der Auftragsrückgänge aus der Auto-Industrie Kurzarbeit im nächsten Jahr angekündigt.

Die Pleitewelle in der Zulieferindustrie ist aber nur zum Teil eine Folge des Absatzrückgangs in der Autoindustrie. Verschärft wird die Lage durch die Tätigkeit von Finanzspekulanten.

Die großen Autokonzerne haben seit vielen Jahren die Produktionskosten gesenkt, indem sie Teile der Produktion in Zulieferbetriebe auslagerten, die aufgrund niedrigerer Löhne und härterer Arbeitsbedingungen wesentlich kostengünstiger produzieren, als sie dies selbst tun könnten. Zum Teil ist dies mit direkter Unterstützung der Betriebsräte und der IG Metall erfolgt.

Diese Zulieferbetriebe wurden dann ihrerseits zu begehrten Übernahmeobjekten für Finanzspekulanten, die die Übernahme finanzieren, indem sie den übernommenen Firmen die Kosten der eigenen Übernahme in Form hoher Schulden auflasten. Als Folge sind sie schon bei einem geringen Absatzeinbruch zahlungsunfähig. Sie können die Einbrüche auf dem Automarkt nicht abfedern und müssen wegen mangelnder Liquidität Insolvenz anmelden.

So ist Tedrive ist im Besitz der Private-Equity-Gesellschaft Orlando Management. Die britische Wagon PLC gehört dem amerikanischen Milliardär Wilbur Ross. TMD Friction war 2001 vom britischen Private-Equity-Unternehmen Montagu für 776 Millionen Euro übernommen worden. 2006 gab dann Montagu die Kontrolle an die Fremdkapitalgeber, eine Gruppe von Hedgefonds, ab. Beteiligt sind seitdem die Fonds Davidson Kempner, Clearwater und Eos.

In Deutschland hat sich die Zahl der Übernahmen von größeren Unternehmen der Auto-Zulieferindustrie durch Private-Equity-Gesellschaften zwischen 2000 und 2005 mehr als verdreifacht. Es sei auffallend, dass "die Mehrzahl jener 15 Zulieferer, die bei der [nordrhein-westfälischen] Landesregierung um eine Bürgschaft angefragt haben, im Besitz von Finanzinvestoren sind", schreibt die Westdeutsche Allgemeine Zeitung.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Banken, obwohl sie selbst Gelder aus dem 500-Milliarden-Rettungspaket der Bundesregierung erhalten, dieses Geld nicht an klein- und mittelständische Betriebe weitergeben.

"Die meisten der Betriebe, die in die Schieflage geraten sind, haben lediglich ein Liquiditätsproblem - und dafür sind eindeutig die Banken zuständig", sagte Stefan Bratzel, Autoindustrie-Experte an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.

Der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) Matthias Wissmann formulierte dies so: "Es kann nicht sein, dass einzelne Banken die drastischen Auftragseinbrüche zum Anlass nehmen, den Zulieferern den Geldhahn zuzudrehen, Arbeitsplätze zu gefährden und selber von der Bundesregierung einen 500 Milliarden Euro teuren Rettungsschirm angeboten bekommen."

Der VDA schrieb in einer Mitteilung: "In den letzten Wochen mehren sich Nachrichten von Zulieferfirmen, dass einige Geschäftsbanken, zu denen auch Landesbanken gehören, zunehmend Kreditzusagen verteuern, zurückziehen oder Kredite kurzfristig fällig stellen."

Der VDA selbst diskutiert zwar einen eigenen Rettungsfonds für Not leidende Zulieferer, in den Automobilhersteller wie Daimler, BMW oder Volkswagen einzahlen sollen. Zustandekommen wird er aber wohl nicht. "Es gibt noch wettbewerbliche Fragen", sagte dazu ein VDA-Sprecher.

Vor fünf Jahren hatten die Autokonzerne noch eine solche Rettung für den Kunststoffteile-Spezialisten Peguform organisiert. Da dessen Insolvenz bei mehreren Autobauern den Teile-Nachschub gefährdete, stellten sie dem Zulieferer Überbrückungskredite zur Verfügung. Peguform hatte seinerzeit trotz voller Auftragsbücher Insolvenz anmelden müssen, weil der damalige Eigentümer Venture Holdings Geld abgezogen hatte.

Pleitewelle schwillt an

Die drei Zulieferunternehmen, die letzte Woche Insolvenz anmeldeten, sind nur die Spitze des Eisbergs. Arndt Kirchhoff, Vorsitzender des Mittelstandsauschusses im Bundesverband der Deutschen Industrie und Chef von Kirchhoff Automotive, nennt die Lage dramatisch: "Jeden Tag fällt einer um, und von den kleinen erfährt man noch gar nichts."

Dies bestätigt der Kreditversicherer Euler Hermes, der zum Versicherungskonzern Allianz gehört. Nach dessen Angaben habe sich die Zahl der Firmenpleiten im Fahrzeugbau im dritten Quartal zum Vorquartal fast verdreifacht. "Die Kfz-Zulieferindustrie ist besonders betroffen", sagt Hermes-Chefvolkswirt Romeo Grill.

In den mehr als 500 Unternehmen der Zulieferindustrie arbeiten in Deutschland rund 330.000 Menschen. "In der Branche kursieren Namen von circa 80 Unternehmen, die akut insolvenzgefährdet sind", sagte Marcus Berret, von der Unternehmensberatung Roland Berger.

Der Achsen- und Werkzeugbauer HWU in Hohenlockstedt (Schleswig-Holstein) scheint trotz Betriebsbesetzung durch die rund 100 Beschäftigten endgültig zu schließen. Die Geschäftsführung verhandelt mit den Betriebsräten bereits über Sozialpläne und eine Transfergesellschaft.

In vielen anderen Betrieben wird versucht, mit verlängerten Weihnachtsferien sowie der Beendigung von befristeten und Zeitarbeitsverhältnissen die Krise abzufedern. Viele Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet.

So schickt der weltgrößte Autozulieferer Bosch Zehntausende Beschäftigte in verlängerte Weihnachtsferien. Im Stammwerk Stuttgart-Feuerbach stehen die Bänder vom 22. Dezember bis 7. Januar still. In den Bosch-Werken in Bamberg und Salzgitter ist Kurzarbeit vereinbart. Das gleiche - Kurzarbeit und verlängerte Weihnachtsferien - haben andere Hersteller wie Delphi in Wuppertal oder Hella in Lippstadt angekündigt.

Siehe auch:
Belegschaft besetzt Autozulieferer in Hohenlockstedt
(11. Dezember 2008)
Opel-Betriebsrat fordert Geheimhaltung über geplante Lohnsenkung und Sozialabbau
( 10. Dezember 2008)
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