Trotzki in Norwegen

J.B., ein Leser der gleichheit, der die Partei für Soziale Gleichheit während der Montagsdemonstrationen gegen die Hartz IV-Gesetze kennen gelernt hatte und seit der Zeit interessiert die politischen und historischen Analysen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale verfolgt, hat auf einer Reise in Norwegen das Haus ausfindig gemacht, in dem der aus der Sowjetunion verbannte Leo Trotzki Zuflucht gefunden hatte.

Das Haus in Norwegen, in dem Trotzki nach
seiner Verbannung Zuflucht gefunden hatte

Nachdem ihm die französischen Behörden1935 den weiteren Aufenthalt in Frankreich verweigert hatten, war kein anderes europäisches Land bereit, ihm Exil zu gewähren. Frankreich verhandelte damals mit Stalin über ein sowjetisch-französisches Bündnis und war dabei, eine Volksfrontregierung mit Unterstützung der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs zu bilden.

In Norwegen war damals gerade die sozialdemokratische Arbeiterpartei an die Macht gekommen, die sich als links von der Zweiten Internationale verstand und sogar für einige Zeit der Kommunistischen Internationale beigetreten war, mit der sie allerdings bereits 1923 wieder gebrochen hatte.

Walter Held, ein Anhänger Trotzkis, der in Norwegen im Exil lebte, hatte sich an Olaf Scheflo, einen Führer der Partei gewandt, der mit Trotzki sympathisierte und schließlich die Zusage erreicht, dass dieser sich in Norwegen vorübergehend niederlassen konnte.

Nach einigen Problemen, die hohe Regierungsbeamte verursacht hatten, die gegen Trotzki eingestellt waren, erhielt er das auf sechs Monate befristete Visum, das mit einer Reihe kleinlicher Auflagen verknüpft war. Trotzki musste der Regierung versprechen, dass er sich jeglicher politischen Tätigkeit enthalten und sich in einiger Entfernung von der Hauptstadt Oslo aufhalten würde. Wie Isaac Deutscher schreibt, tat Trotzki dies "unter der Annahme, dass man von ihm verlangte, er solle sich nicht in die inneren Angelegenheiten Norwegens einmischen. Die Regierung sollte später behaupten, dass sie ihn gebeten hätte, von jeder politischen Tätigkeit abzusehen."[1]

Konrad Knudsen, ein Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung Arbeiderbladet, versuchte vergeblich, ein Haus für Trotzki zu mieten und lud ihn und seine Frau Natalja schließlich in sein eigenes Haus ein. Obwohl er politisch mit seinem Gast nicht übereinstimmte, war seine ganze Familie den beiden freundschaftlich verbunden und tat alles, um ihnen den Aufenthalt angenehm zu machen. Nachdem Trotzki sich von einem schweren, hartnäckigen Infekt einigermaßen erholt hatte, begann er an der Arbeit zu einem seiner wichtigsten Bücher Verratene Revolution, in dem er seine Analyse der Degeneration der Sowjetunion, des ersten Arbeiterstaates, in ein bürokratisches Regine zusammenfasste.

In dieser Zeit begann in der Sowjetunion die Periode der Morde und Säuberungen, in der nicht nur die gesamte bolschewistische Führungselite, sondern auch Hunderttausende Angehörige der Intelligenz, des Militärs, Kulturschaffende und zahllose einfache Sowjetbürger und -bürgerinnen verhaftet, in Straflager gesperrt und mit oder ohne Gerichtsverfahren ermordet wurden. Der Hauptangeklagte der Schauprozesse mit ihren erfundenen Anklagen und im Vorhinein festgelegten Urteilen war Trotzki.

Dessen Visum wurde nicht verlängert. Er musste Norwegen verlassen, nachdem Stalin der norwegischen Regierung mit Handelsboykott und anderen Sanktionen drohte.

In Verratene Revolution kommt Trotzki zu der Schlussfolgerung, dass es für die Zukunft der Sowjetunion nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder ist die Arbeiterklasse in der Lage, die stalinistische Bürokratie durch eine politische Revolution zu stürzen und die Sowjetdemokratie wieder herzustellen oder die Bürokratie wird die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse wieder einführen und sich selbst zur herrschenden Klasse aufschwingen, was sie Ende der 1980er Jahre dann auch tat.

Herr B. war von dieser Prognose Trotzkis aus den 1930er Jahren sehr beeindruckt. Auch er selbst habe, so meinte er, noch wenige Jahre vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der DDR nicht geglaubt, dass es so kommen würde.

Er schickte uns zwei Fotos des Hauses, in dem Trotzki dieses Buch verfasste. Es steht nur wenige hundert Meter von der Europastraße 16 entfernt, die von Oslo nach Bergen führt in Weksal in der Nähe von Hönnefoss, etwa sechzig Kilometer nördlich von Oslo. In dem kleinen Ort weiß man heute kaum noch etwas über Trotzki. Es gibt keine Wegweiser dorthin und am Haus befindet sich keine Gedenktafel. Der jetzige Besitzer soll wegen seiner rechten politischen Anschauungen auch kein Interesse daran haben.

 

Anmerkung:

1 Isaac Deutscher: Trotzki: Der verstoßene Prophet 1929-1940, Stuttgart 1972. S. 277

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