Nur noch dem Namen nach eine Gewerkschaft

Scharfsinnigere und aufrichtigere Journalisten, die das Rettungspaket von Präsident Bush für die amerikanische Autoindustrie kommentieren, weisen auf einen kritischen Aspekt des Plans hin. Der Plan sieht die Schließung von Werken, die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die Verschlechterung von Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen für Mitglieder der Autoarbeitergewerkschaft UAW vor, die auf das Niveau von Arbeitern bei nicht gewerkschaftlich organisierten ausländischen Autofirmen in den USA herabgestuft werden sollen.

"Das Ergebnis", schreibt Warren Brown in der Washington Post vom Samstag, "wird sein, dass General Motors und Ford in Amerika kleiner und im Ausland größer und stärker werden, und dass, solange jedenfalls keine wirklich internationale Gewerkschaft entsteht, die United Auto Workers nur noch dem Namen nach eine Gewerkschaft ist."

Weiter schreibt Brown, "das Gerede von 'Restrukturieren oder Sterben'", das im gesamten politischen Establishments von Bush und Obama bis zu den Demokraten und Republikanern im Kongress zur Zeit Thema ist, "treibt die Autofirmen zu einer Fortsetzung dessen, was sie schon die ganze Zeit machen, nämlich Schrumpfen, und dass sie damit den Prozess beschleunigen, der die UAW praktisch eliminiert".

In der gleichen Ausgabe der Zeitung schreibt Peter Whoriskey über die im Rettungsplan geforderten Verschlechterungen bei Löhnen und Sozialleistungen: "Sie werden im Zusammenspiel mit noch weiteren Zugeständnissen jeden nennenswerten Unterschied zwischen gewerkschaftlich organisierten und unorganisierten Arbeitern beseitigen, und der Wegfall dieser Vorteile einer Gewerkschaftsmitgliedschaft würde den grundlegenden Sinn der Gewerkschaft zur Disposition stellen, wie einige Industrieanalysten und sozialpolitische Experten meinen."

Der Artikel zitiert einen Historiker der Arbeiterbewegung, David Montgomery, mit den Worten: "Der Abstieg auf das Niveau ausländischer Firmen wirft die Frage auf, warum man überhaupt noch eine Gewerkschaft braucht."

Solche Äußerungen in der Presse weisen auf eine Tatsache hin, die kaum noch zu bestreiten ist. Die UAW und die andern Gewerkschaften sind nur noch ein Schatten dessen, was sie einst in der Geschichte der Arbeiterbewegung darstellten. Ihre gesellschaftliche Rolle besteht heute darin, die Forderungen der Regierung und der Konzerne gegen die Arbeiter durchzusetzen. Sie erfüllen nicht einmal mehr im Ansatz die historische Rolle von Gewerkschaften, die darin besteht, die Ausbeutung der Arbeiter durch eine Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen abzumildern.

UAW-Präsident Ron Gettelfinger personifiziert die Verwandlung der UAW. Er weist keine Spur von Klassenbewusstsein auf. Es übersteigt seine Vorstellungskraft, dass die Organisation, die er leitet, gesellschaftliche Interessen vertreten könnte, die denen der Konzerne entgegenstehen. Er sieht die Krise mit den gleichen Augen wie die Autobosse, die großen Aktienbesitzer, die Banker und ihre politischen Vertreter in der Demokratischen und der Republikanischen Partei.

Die Gewerkschaft hat bereits die wichtigsten Bestimmungen des Regierungsplans akzeptiert. Gettelfinger sagte auf einer Pressekonferenz am 12. Dezember, er habe in Verhandlungen mit den Republikanern im Senat den verlangten Zugeständnissen schon zugestimmt. Er wehre sich lediglich dagegen, sie schon bis Ende 2009 voll durchzusetzen.

Die UAW will die Zugeständnisse erst 2011 in vollem Umfang wirksam werden lassen, wenn der Tarifvertrag ausläuft, um zu vermeiden, dass die Mitglieder schon früher über das Ergebnis der Vereinbarung abstimmen müssen. Sie will so Zeit gewinnen, ältere Arbeiter rauszudrängen und sie mit Neueingestellten zu ersetzen. Nach dem laufenden Tarifvertrag verdienen neue Arbeiter 14,20 Dollar in der Stunde, d.h. halb so viel wie langjährige Arbeiter. Das neue Lohnniveau, das nach realer Kaufkraft gerechnet die Hälfte dessen beträgt, was die Arbeiter bei den Großen Drei 1967 verdient haben, liegt dem Rettungsplans zugrunde.

Jedenfalls beinhaltet der Bush-Plan vom Freitag den Zeitplan, der von den Republikanern im Senat verlangt wird.

Indem sie gemeinsam mit den Vorstandsvorsitzenden der Großen Drei einen Plan unterstützt, der der Regierung enorme Vollmachten gibt, die Löhne und Arbeitsbedingungen der Autoarbeiter zu verschlechtern, stellt sich die UAW praktisch auf den Standpunkt, dass jeder Widerstand der Arbeiterklasse dagegen illegitim sei.

Welche Logik steht hinter dem Regierungsplan? Alles muss der Wiederherstellung der Profitabilität der Konzerne untergeordnet werden. Es gibt also keine wirkliche Grenze für Lohnsenkungen und Arbeitsverdichtung. Die Gewerkschaft akzeptiert ausdrücklich das Ziel, die Konzerne wieder konkurrenzfähig zu machen. Alles, was diesem Ziel entgegensteht, muss aus dem Weg geräumt werden, vor allem der Widerstand der Arbeiter.

Der Zusammenbruch der Gewerkschaften und ihre Verwandlung in offene und direkte Agenturen der Konzerne und der Regierung ist das Endergebnis einer langen Entwicklung. Die Wurzeln ihrer Degeneration können bis zu ihrer Entstehung in den 1930er Jahren zurückverfolgt werden. Obwohl sie als Ergebnis von Massenkämpfen entstanden, wiesen die UAW und ihre Schwestergewerkschaften den Kampf gegen den Kapitalismus zurück und wandten sich gegen den Aufbau einer Partei der Arbeiterklasse. Nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligten sie sich an der anti-kommunistischen Hexenjagd auf Sozialisten und linke Arbeiter auch in ihren eigenen Reihen. Diese hatten in den Besetzungsstreiks und den militanten Kämpfen, in denen die Gewerkschaften aufgebaut worden waren, eine entscheidende Rolle gespielt.

Die reaktionäre Logik, die aus der Politik der Bürokratie folgt, zeigte sich am Ende des Nachkriegsbooms, als die amerikanische Industrie zunehmend unter den Druck ihrer ausländischen Konkurrenten geriet, vor allem in den 1970er Jahren. Die UAW und der AFL-CIO eilten dem amerikanischen Kapitalismus zu Hilfe, indem sie sich bei der Senkung des Lebensstandards der amerikanischen Arbeiterklasse zum Partner der Wirtschaft und der Regierung machten.

Unsere Bewegung warnte schon 1980 bei der Rettungsaktion der Regierung für Chrysler, als die UAW der Schließung von Werken und Lohnzugeständnissen zustimmte und dafür einen Sitz im Aufsichtsrat erhielt, dass dies ein qualitativ neues Stadium in der Degeneration der Gewerkschaften einleite. Es folgte eine nicht enden wollende Kette von immer neuen Zugeständnissen, und heute spielt die UAW bei der direkten Verarmung der Arbeiter, die sie angeblich vertritt, die entscheidende Rolle.

Was folgt daraus?

Arbeiter, die heute gegen die Zerstörung ihres Lebensstandards und ihrer Arbeitsbedingungen kämpfen, geraten unvermeidlich in Konflikt mit der UAW, dem AFL-CIO und dem gesamten Gewerkschaftsapparat. Diese reaktionären Organisationen halten die Arbeiter gefangen, deshalb müssen sie aus ihnen ausbrechen.

Die Offensive der Regierung und der Unternehmer wird sich rasch von den Autoarbeitern auf andere Teile der Arbeiterklasse ausdehnen. Im Kampf dagegen gewinnt eine Frage besondere Bedeutung, nämlich die Bildung von demokratischen Basisorganisationen, die von den Gewerkschaften unabhängig sind und sich ihnen entgegenstellen. Auch müssen die Arbeiter jene opportunistischen "linken" Gruppen ablehnen, die versuchen, sie weiter an die UAW und andere Organisationen zu ketten, die in Wirklichkeit von der Wirtschaft und der Regierung kontrolliert werden. Diese Tendenzen verteidigen die Gewerkschaftsbürokratie, weil sie ihre politischen Grundauffassungen teilen.

Die neuen Basisorganisationen müssen sich auf Massenstreiks, Betriebsbesetzungen und andere Widerstandsformen vorbereiten. Vor allem bedarf es einer neuen politischen Perspektive. Arbeitskämpfe müssen mit dem Aufbau einer politischen Massenbewegung der Arbeiterklasse verbunden werden. Die Arbeiterklasse kann ihre eigenen Interessen nur durch den Aufbau einer eigenen Partei durchsetzen, deren Ziel die revolutionäre sozialistische Umwandlung der Gesellschaft ist. Das ist die Perspektive der Socialist Equality Party.

Siehe auch:
Warum die UAW und die Demokraten Wirtschaftsnationalismus schüren
(19. Dezember 2008)
Autoarbeiter brauchen eine sozialistische Strategie
(18. Dezember 2008)
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