Nato unterstützt Ausweitung des Kriegs in Zentralasien

Der Gipfel zum 60. Jahrestag der Nato im französischen Straßburg und im deutschen Baden-Baden endete mit der plakativen Verpflichtung Europas, zusätzlich "bis zu" 5.000 zusätzliche Soldaten für Afghanistan zur Verfügung zu stellen.

Dies war die kleinstmögliche Zusage, die die europäischen Staaten machen konnten, ohne die Vereinigten Staaten offen vor den Kopf zu stoßen. Dennoch ist diese Zusage der Wegbereiter für eine Eskalation des Kriegs in Afghanistan und seine Ausweitung nach Pakistan - zentrale Ziele der Außenpolitik der Obama-Regierung.

Präsident Obama belässt zwar bedeutende Truppenkontingente im Irak, aber den militärischen Schwerpunkt verlegt er, wie von Teilen der amerikanischen Bourgeoisie seit langem gefordert, nach Zentral- und sogar nach Südasien. Diese Region ist ein strategischer Fokus des US-Imperialismus. Ein militärischer Erfolg in Afghanistan wird als entscheidend angesehen, um dem globalen Einfluss sowohl von Russland als auch von China entgegenzuwirken und die amerikanische Hegemonie in strategischen Fragen wie Öl Pipelines, Transitrouten und Märkten sicherzustellen.

Die Kontrolle über Afghanistan verschafft den USA Zugang zu traditionell russischen Einflussspähren wie dem Kaukasus, dem ex-sowjetischen Zentralasien und dem Iran. Sie bedroht aber mit Pakistan auch den wichtigsten Verbündeten Chinas auf dem indischen Subkontinent.

Zu diesem Zweck hat Obama einen militärischen "Surge" nach dem Muster des Irak noch vor den afghanischen Präsidentschaftswahlen im August bekannt gegeben. Die USA wollen weitere 21.000 Kampftruppen schicken und über eine Stationierung von weiteren 10.000 denkt Obama nach. Von den bisherigen 70.000 ausländischen Soldaten in Afghanistan stellen die USA 38.000. Der Anteil des amerikanischen Kontingents an den Kampftruppen ist noch größer.

12.000 weitere US-Soldaten operieren zudem außerhalb der Nato-Strukturen.

Durch die Aufstockung der amerikanischen Militärpräsenz auf über 60.000 Soldaten hofft Obama die Kontrolle der USA über dieses strategisch wichtige Gebiet zu stärken. Aber er möchte dennoch, dass Europa seine logistische und militärische Unterstützung beträchtlich verstärkt, um den explodierenden Kosten entgegen zu wirken und Europa fester an den Krieg zu binden.

Bei einer Rede am Freitag in Straßburg betonte Obama, dass der Krieg in Afghanistan auch nach dem Wechsel im Amt des US-Präsidenten weiter gehen werde. Die Regierung spricht zwar nicht mehr vom "Krieg gegen den Terror", aber Obama erklärte: "Ich glaube, Europa muss verstehen, dass, obwohl ich jetzt Präsident bin und nicht mehr George Bush, al-Qaida immer noch eine Bedrohung ist... Es wird eine sehr schwierige Aufgabe werden."

Obama rechtfertigt die fortgesetzte Besetzung des Irak und die zunehmenden Angriff auf Afghanistan und Pakistan im Wesentlichen mit den gleichen Vorwänden, welche die Bush-Regierung für ihre neo-kolonialistische Politik benutzt hat, darunter auch die angebliche Bedrohung durch al-Qaida. Diese Vorwände sind von keiner europäischen Macht in Frage gestellt worden.

Die europäischen Mächte sind zufrieden damit, an der afghanischen Operationen beteiligt zu sein, um zu verhindern, dass sie ausschließlich unter der Kontrolle der USA abläuft. Sie möchten auch nicht, dass sie zu einem schlimmeren Debakel wird als der Irak. Aber sie wollen gleichzeitig verhindern, immer stärker in einen Konflikt hineingezogen werden, der in den eigenen Ländern höchst unpopulär ist. Dieser Stimmung gaben die 30.000 Demonstranten in Baden-Baden, Kehl und Straßburg während des Gipfels Ausdruck.

Obama erklärte, die Nato-Partner hätten zugestimmt, etwa 5.000 Soldaten und Ausbilder zu schicken, "um [Washingtons] neue Strategie zu unterstützen". Das Weiße Haus behauptete, zehn Länder hätten versprochen, mehr Militär zu schicken. Der scheidende Nato-Generalsekretär Jap de Hoop Scheffer erklärte: "Letztlich ist entscheidend, dass dieser Gipfel und diese Allianz bei Afghanistan Farbe bekannt haben."

Das ist nicht zutreffend. Selbst diese geringe Aufstockung ist nur befristet - bis zu den afghanischen Präsidentschaftswahlen - und es geht überwiegend nicht um Kampftruppen.

Obamas wichtigster Verbündeter beim Kampf um mehr Soldaten ist der britische Premierminister Gordon Brown. Schon am Tag vor dem Gipfel hatte Brown in Absprache mit Obama bis zu 1.000 Soldaten angeboten und gehofft, damit andere Staaten unter Druck zu setzen, seinem Beispiel zu folgen. Großbritannien hat im Moment 8.100 Soldaten in Afghanistan. Aber der Independent berichtet, dass Obama sogar 2.00 bis 3.000 zusätzliche britische Soldaten gefordert hatte. Das war "in der Regierung aber auf entschiedenen Widerstand gestoßen. Das Schatzamt hatte sich z.B. schon aus Kostengründen dagegen gestellt."

Das jetzt zugesagte kleinere Kontingent läuft im Oktober aus und umfasst auch 250 schon in diesem Jahr geschickte Soldaten.

Browns Manöver ging jedenfalls schief. Der Ko-Gastgeber des Gipfels, der französische Präsident Nicolas Sarkozy wies jede zusätzliche militärische Verpflichtung Frankreichs zurück und stimmte nur der Entsendung von 150 Militärpolizisten zu, die helfen sollen, zivile afghanische Polizisten auszubilden.

Kanzlerin Angela Merkel wich nicht von ihrer bisherigen Position ab, bis zur Wahl in Afghanistan weitere 600 Soldaten zu schicken. Damit wird eine Gesamtzahl von 4.100 deutschen Soldaten erreicht. Diese operieren als nicht kämpfende Einheiten im Norden des Landes.

Steve Flanagan, vom Center for Strategic and International Studies in Washington nannte diese Verpflichtungen "das blanke Minimum... Der gefährliche Teil der Mission wird mehr und mehr zur Angelegenheit einer US-geführten Koalition. Es weht zwar noch die Nato-Flagge, aber wenn man sich die Zahlen anschaut, dann gibt es keine wirkliche Lastenteilung."

Obama konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Er nannte die Verpflichtungen "eine solide Anzahlung". Die Sunday Times kommentierte beißend: "Er hat Recht. Aber er ist vielleicht zu optimistisch, wenn er glaubt, es würden weitere Raten folgen. Wenn nicht einmal ein neuer amerikanischer Präsident, der mit einem Maximum an gutem Willen ausgestattet ist, die Nato überreden kann, mehr zu tun, dann wird er es auch später nicht können."

Seit dem Fall der Sowjetunion gibt es die Forderung nach einer größeren und unabhängigeren militärischen Rolle Europas. Der Streit geht lediglich darum, ob das innerhalb oder außerhalb der Nato stattfinden sollte.

Obama versuchte die amerikanisch-europäischen Bindungen auf dem Gipfel in Straßburg wieder zu stärken. Er setzte sich für eine neue "Erklärung zu den Grundsätzen des Bündnisses" ein, die in Straßburg verabschiedet wurde und in der es heißt, "die Nato anerkennt die Bedeutung einer stärkeren und fähigeren europäischen Verteidigung und begrüßt die Bemühungen der europäischen Union, ihre Fähigkeiten zu stärken, um einen größeren Beitrag zu den gemeinsamen Sicherheitsinteressen leisten zu können... Wir sind entschlossen, die Beziehungen der Nato zur EU auf die Grundlage einer funktionierenden strategischen Partnerschaft zu stellen, wie die NATO und die EU es erklärt haben".

Auf der öffentlichen Versammlung vor dem Straßburger Gipfel erklärte Obama: "Wir müssen uns selbst gegenüber ehrlich sein. In den letzten Jahren haben wir zugelassen, dass das Bündnis auseinander driftet. Ich weiß, dass es ehrliche Meinungsverschiedenheiten in politischen Fragen gegeben hat, aber wir wissen auch, dass sich noch etwas anderes in unsere Beziehung eingeschlichen hat."

Europa hat eine 25.000 Mann starke Nato-Reaktionstruppe und die 60.000 Mann starke Schnelle Eingreiftruppe der EU. Aber die weitere Zusammenarbeit mit der Nato hat ihren Preis und ist im Interesse der europäischen Bourgeoisie. Sie kann sich so als globale militärische Kraft gerieren, wozu sie aus eigener Kraft nicht in der Lage wäre.

Kurz vor dem Gipfel in Straßburg hatte Sarkozy den Wiedereintritt Frankreichs in die militärische Kommandostruktur der Nato durchgesetzt, 43 Jahre nachdem Präsident Charles de Gaulle ausgetreten war und eine unabhängige nukleare Abschreckung aufgebaut hatte.

Sarkozy traf diese Entscheidung mit der Unterstützung Merkels. Sie ist Teil ihrer gemeinsamen Anstrengung, eine stärkere und einheitlichere europäische Position sichtbar zu machen, wie es schon vorher auf dem G-20-Gipfel zu beobachten war. Auf dem Gipfel machte Sarkozy klar, dass eine Entsendung von Truppen nach Afghanistan und anderswo einen größeren französischen Einfluss bedinge. "Wir stellen unsere Soldaten zur Verfügung, aber sind nicht Mitglied in den Ausschüssen, die über Strategie und Operationen entscheiden", sagte er. "Die Zeit ist gekommen, dem ein Ende zu bereiten."

Trotz der wachsenden Spannungen zwischen den USA und Europa wird der Nato-Gipfel dem neokolonialen Militarismus Washingtons weiter den Segen Berlins, Paris’, Londons und Roms erteilen.

Der einzige offene Konflikt wegen Afghanistan, neben dem über Truppenzahlen, drehte sich um ein von Präsident Karzai unterstütztes Gesetz zur Regelung der Familienbeziehungen der schiitischen Minderheit im Land. Die UN-Frauenorganisation sagte, das Gesetz "legalisiere Vergewaltigung in der Ehe", weil es die Frau verpflichte, dem Mann auf Verlangen zu Willen zu sein, verbiete der Frau, das Haus ohne Erlaubnis des Mannes zu verlassen, spreche Kinder automatisch den Vätern zu und erlaube die Eheschließung Minderjähriger. Das Gesetz soll jetzt noch einmal überprüft werden.

Nichts wurde gegen den "Surge" in Afghanistan gesagt, oder gegen die amerikanischen Raketenangriffe auf Pakistan, die ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und offiziell mehr als eine halbe Million Menschen zu Flüchtlingen gemacht haben, oder gegen die Drohung eines offenen Krieges gegen das 173-Millionen-Volk.

Im Gegenteil, Obama, Merkel und Sarkozy taten sich zusammen, um den dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen zum neuen Generalsekretär der Nato zu machen. Rasmussen war immer ein verlässlicher Verbündeter und Freund Bushs beim Krieg im Irak. Er lobte dessen "Ideale von Freiheit und gegen Unterwerfung" und unterstützte die Inhaftierung ohne Prozess in Guantánamo Bay. Er verteidigte an führender Stelle die provokativen Anti-Mohammed-Karikaturen in der Tageszeitung JyllandsPosten. Deswegen ist seine Nominierung selbst schon provokativ, wenn nicht aggressiv, was die Folgen angeht. Die Opposition der Türkei wurde mit dem Versprechen auf mehrere hohe Nato-Posten und auf Fortschritte beim Beitrittsverfahren zur EU erkauft.

Was die USA und Europa selbst jetzt noch vereint, ist der gemeinsame Wunsch, den globalen Einfluss Russlands und Chinas abzuwehren. Zwei osteuropäische Staaten wurden in Straßburg neu in die Nato aufgenommen: Albanien und Kroatien. Die andauernde Aufnahme ehemaliger Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts in die Nato verärgert Russland. Die Folge waren scharfe Konflikte wegen der amerikanischen Pläne, einen Raketenabwehrschild in Polen und Tschechien zu installieren, und über die Unterstützung der Nato für Georgien beim Konflikt um Abchasien und Südossetien.

Die "Erklärung zu den Grundsätzen des Bündnisses" kombiniert Lob für die Nato-Erweiterung als "historischen Erfolg, der unsere Vision eines geeinten und freien Europas näher bringt, und das Versprechen, dass die Tür der Nato für alle europäischen Demokratien offen bleibt", mit dem Versprechen, "einer starken, kooperativen Partnerschaft der Nato mit Russland". Selbst über ein Angebot an Russland, Mitglied der Nato zu werden, wurde gesprochen.

Moskau aber weiß, dass es bedroht ist. Während des G-20-Gipfels warnte der russische Präsident Dimitri Medwedew vor einer weiteren Osterweiterung der Nato. "Vor der Entscheidung über eine Erweiterung des Blocks, sollte man über die Konsequenzen nachdenken", sagte er. "Ich habe das meinem neuen Freund, dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama, offen gesagt. Die Nato sollte sich um die Erhaltung ihrer Einheit kümmern und nicht die Beziehungen zu ihren Nachbarn beschädigen."

Siehe auch:
Die Nato feiert 60. Jahrestag und weitet den Krieg in Zentralasien aus
(4. April 2009)
Transatlantisches Kräftemessen in München
( 7. Februar 2009)
Loading