Gespräch mit einem Opelarbeiter

"Gemeinsamer Widerstand ist notwendig"

Wenige Tage vor Beginn der Werksferien stehen die Opel-Arbeiter ohne Urlaubsgeld da. Auch im Stammwerk Opel-Rüsselsheim wächst deshalb der Unmut, nicht nur gegen die Geschäftsleitung, sondern auch gegen die Betriebsräte.

Viele Arbeiter sind erzürnt, dass der Gesamtbetriebsrat der Nichtauszahlung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds, sowie der Einbehaltung tariflicher Lohnerhöhungen zugestimmt hat. Mit dem Geld soll eine "Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesellschaft" (MKBG) gegründet werden, an deren Spitze der Gesamt- und Europabetriebsrats-Vorsitzende Klaus Franz stehen wird. Franz ist auch Vize-Aufsichtsratsvorsitzender des Opel-Konzerns.

Der Aufsichtsrat dieser neuen Kapitalgesellschaft soll hauptsächlich aus IG Metall-Funktionären bestehen. Die Gründung einer Kapitalbeteiligungsgesellschaft mit den Geldern, die eigentlich den Arbeitern gehören, sei "die einzige Möglichkeit", wie Beschäftigte in Zukunft "Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen nehmen" könnten, argumentiert die IG Metall in einem Schreiben, das an alle Mitarbeiter verteilt wurde.

Ein ehemaliger Vertrauensmann der IG Metall berichtete der WSWS -Redaktion, dass viele Arbeiter sehr misstrauisch sind und sich darüber ärgern, dass alles über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Angesichts der angespannten Situation, in der jede oppositionelle Meinung von Geschäftsleitung und Betriebsrat verfolgt und unterdrückt wird, wollte er unerkannt bleiben. Nennen wir ihn Peter Haupt.

"Uns Arbeiter hat niemand gefragt", sagte Haupt und fügte sarkastisch hinzu, dass ja nun wohl alle Opelarbeiter Anteilseigner des neuen Konzerns Opel/Vauxhall Europe seien. Aber, so Haupt: "Wir können über die Anteile, die uns angeblich gehören, in keiner Weise selbst bestimmen. Wir können sie nicht verkaufen."

Es ist nicht das erste Mal, dass Gelder, die den Arbeitern gehören, eingefroren werden. Schon die Lohnerhöhung von 2,1 Prozent ist im März mit Zustimmung des Betriebsrats zurückbehalten und der Unternehmensleitung zur Verfügung gestellt worden.

Am 29. Juni fand in Rüsselsheim eine erweiterte Vollversammlung der gewerkschaftlichen Vertrauensleute statt, zu der auch IG Metall-Mitglieder Zugang hatten. Aus Peter Haupts Bericht darüber ergibt sich folgendes Bild:

Die Einbehaltung des Urlaubsgelds wurde in mehreren Beiträgen heftig kritisiert. Viele Arbeiter erklärten, sie könnten auf das Geld nicht verzichten.

Eric Kordes, ein jüngerer Vertrauensmann aus der Fahrzeugmontage, sprach sich gegen den Verzicht aus und informierte die Versammlung darüber, dass er Anfang Juni zum zweiten Mal eine Abmahnung wegen angeblicher Arbeitsfehler erhalten habe. Die erste Abmahnung hatte er bekommen, als er begonnen hatte, Unterschriften unter den Kollegen zu sammeln, um gegen den erzwungenen Verzicht zu protestieren. Gegen die Abmahnung klagte er vor Gericht, wurde aber von der IG Metall nicht verteidigt. Kurz danach kam die zweite Abmahnung.

Zu seinen Arbeitskollegen sagte Kordes, er fürchte, entlassen zu werden, weil die Betriebsleitung offensichtlich an ihm ein Beispiel statuieren und die Kollegen einschüchtern wolle.

Peter Haupt unterstützt Kordes, ist aber der Auffassung, dass er die Rolle der Gewerkschaft und der Betriebsräte falsch eingeschätzt habe. "Er handelte in der Annahme, dass er mit der IG Metall eine mächtige Organisation im Rücken habe. Doch als es drauf ankam, wurde er im Stich gelassen. Der Betriebsrat ist nicht einmal zum Verhandlungstermin vor Gericht erschienen. Die IG Metall war nicht bereit, ihn über die Gewährung von Rechtshilfe hinaus zu unterstützen und zu verteidigen."

Weil die Gewerkschaft sich strikt weigert, einen gemeinsamen Kampf an allen Standorten zu organisieren, reagieren viele Kollegen verunsichert auf die ständigen Ankündigungen, dass die wirtschaftliche Lage drastische Sparmaßnahmen erfordere. Viele Arbeiter seien auch eingeschüchtert, berichtete Peter Haupt und sagte. "Natürlich haben viele Kollegen Angst und denken vor allem daran, den eigenen Arbeitsplatz zu behalten."

Er erinnerte sich sehr gut an die Ereignisse vor fünf Jahren. Der Streik der Opelaner in Bochum fand damals unter den Beschäftigten in Rüsselsheim große Sympathie. Doch der Betriebsrat weigerte sich, die streikenden Kollegen in Bochum aktiv zu unterstützen. Er und viele seiner Kollegen seien damals dafür gewesen, den Streik auf das Stammwerk und die anderen Standorte auszudehnen, erklärte Haupt und fügte hinzu:

"Bei uns im Werk waren im Jahr 2004 viele wie ich überzeugt, dass die Zeit jetzt reif sei, und dass endlich gestreikt werden müsse. Wir haben nicht verstanden, warum wir nicht gemeinsam mit Bochum streiken sollten."

Seither sieht er die Tätigkeit des Betriebsrats mit kritischen Augen. Die IG Metall greife die wachsende Arbeitsbelastung nicht auf und unternehme nichts Ernsthaftes dagegen. Deshalb seien in letzter Zeit viele ausgetreten. "Sie sagen, eine Gewerkschaft, die mich nicht vertritt, brauche ich nicht. Der Horrorkatalog wird ja sowieso durchgesetzt, dann nutze ich mein Geld lieber für was anderes." Im Gegensatz zu den Produktionsarbeitern hätten die freigestellten Betriebsräte sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze, sagte Haupt.

Die Arbeiter dagegen müssen in naher Zukunft mit gesteigerter Arbeitshetze, weniger Lohn und größerer Unsicherheit rechnen. Besonders bei einer Übernahme durch Magna - die der Betriebsrat favorisiert - ist die Streichung aller tariflichen Sonderzahlungen und Lohnerhöhungen, höhere Arbeitsflexibilität und Einsatz von bis zu dreißig Prozent Leiharbeit vorgesehen.

Zu den veränderten Arbeitsabläufen erklärte uns Haupt, im Werk sei die Abschaffung von geregelten Pausen vorgesehen. Bisher haben die Arbeiter seit einigen Jahren außer der großen Essenspause etwa alle anderthalb Stunden ein Intervall von zehn Minuten. "Das hilft, damit sich der Körper von den eintönigen Abläufen kurz erholen kann", erläutert er. "Dennoch ist es in letzter Zeit schon so extrem hart geworden, dass man nach jeder Schicht völlig fertig rauskommt."

"In Zukunft soll es keine regulären Pausen mehr geben, sondern man wird der Reihe nach abgelöst. Wenn du also viertel vor sechs anfängst und um viertel nach sechs eine Pause bekommst, dann kannst du vielleicht bis um zwölf durcharbeiten, bis dich wieder jemand ablösen kann. Das sind vielleicht vier Stunden ohne Toilettengang - das ist knallhart."

Was die Frage der Leiharbeiter angeht, so wird schon heute in Rüsselsheim ein wachsender Teil der Arbeit durch Leiharbeit abgedeckt. Bei Opel-Rüsselsheim arbeiten die Leihfirmen Formel D, Powertrain, Adecco, SDR, Randstad - um nur einige zu nennen.

Die Leiharbeiter erhalten für die gleiche Produktionstätigkeit erheblich weniger Geld als fest angestellte Opelaner. Während diese nach Lohngruppe E pro Stunde 16,50 Euro erhalten, gibt es Kollegen, die z.B. für die Leihfirma Formel D arbeiten und nur 7,50 Euro erhalten - noch dazu ohne jede Arbeitssicherheit.

Die Auszubildenden werden schon seit zwei Jahren nicht mehr im Betrieb übernommen, sondern an eine Leihfirma - meist Adecco oder Randstad - vermittelt. Über diese Firma kehren sie meist in ihre alte Funktion ans Band zurück. Opel zahlt ihnen einen gewissen Ausgleich, doch ihr Lohn ist immer noch erheblich niedriger, als wenn sie direkt bei Opel beschäftigt wären.

Ermöglicht hat dies der "Zukunftsvertrag 2010", dem der Betriebsrat schon 2005 zustimmte, und der den Opel-Arbeitern den schärfsten Sanierungskurs der Nachkriegsgeschichte mit Nullrunden, Lohneinbußen und flexiblen Arbeitszeiten aufgezwungen hat.

Heute verlangt der Investor Magna im Fall der Übernahme von den Opel/Vauxhall-Belegschaften jährliche Einsparungen in Höhe von 350 Millionen US-Dollar. Das kommt der Streichung von europaweit 10.000 Stellen gleich. Der Gesamtbetriebsrat und besonders der Rüsselsheimer Betriebsrat haben sich seit sechs Wochen ausdrücklich für eine Übernahme durch Magna ausgesprochen.

Anstatt allen Forderungen von Magna nachzugeben, sei es höchste Zeit, gemeinsam Widerstand zu leisten, betonte der ehemalige Vertrauensmann.

Siehe auch:
Der neue GM-Konzern
(14. Juli 2009)
Opel-Arbeiter kämpfen gegen Streichung des Urlaubsgelds
( 14. Juli 2009)
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