Religion statt Wissenschaft

Obama ernennt christlichen Evangelikalen zum Leiter der National Institutes of Health

In der letzten Juliwoche gab Präsident Obama die Berufung von Francis S. Collins zum Direktor der National Institutes of Health bekannt. Collins, gewiss ein fähiger Biologe und Leiter des bahnbrechenden Humangenomprojekts (HGP), ist seit längerem ein unverhohlener Fürsprecher der christlichen Evangelikalen und hat öffentlich geäußert, Darwins Evolutionstheorie könne die moralische Dimension der menschlichen Existenz nicht erklären.

Mit der Entscheidung für Collins hat Obama erkennbar viele qualifizierte Wissenschaftler übergangen, deren Berufung keine Kontroverse über prononcierte religiöse Ansichten ausgelöst hätte. Obamas Entscheidung war eine gezielte Anpassung an die religiöse Rechte.

2006 brachte Collins ein Buch heraus, The Language of God (Die Sprache Gottes). Zur Wahl dieses Titels hatte ihn der damalige Präsident Bill Clinton angeregt - wie George W. Bush ein Südstaatenbaptist -, der in einer Erklärung zur ersten vollständigen Kartierung des menschlichen Genoms gesagt hatte: "Heute lernen wir die Sprache verstehen, in der Gott das Leben schuf".

Collins lehnt zwar die pseudowissenschaftlichen Theorien des "intelligenten Design" der Kreationisten ab, behauptet aber dafür, zwischen Evolution und Religion gäbe es keinen Widerspruch. Er postulierte, dass Gott die Welt vor 13.7 Mrd. Jahren erschaffen, die Evolution in Gang gesetzt und dann hin und wieder in die Geschichte der Menschheit eingegriffen habe, so mit der Christusgeschichte.

Manche Aspekte des menschlichen Wesens, so Collins, könnten nicht mit Darwins Theorie erklärt werden. "Selbstlose Aufopferung für andere stellt den Evolutionswissenschaftler vor ein großes Problem", lautet sein Argument.

Kurz nach Erscheinen des Buches und mehr als vier Jahre nach der erfolgreichen Sequentierung des genetischen Codes im Rahmen des HGP erhielt Collins von Bush die höchste zivile Auszeichnung der USA, die Presidential Medal of Freedom verliehen.

2007 schied Collins aus dem HGP aus und gründete die Stiftung BioLogos, um seine These, die biologische Evolution sei dem Willen Gottes zuzuschreiben, zu propagieren. Berichten zufolge lag er mit der Bush-Regierung über Kreuz, weil diese bestimmte Bereiche wissenschaftlicher Forschung behinderte. Collins befürwortete, dass die Hunderttausende überzähliger menschlicher Embryonen, die jährlich im Rahmen der künstlichen (in vitro) Befruchtung abgetötet werden, für Zwecke der Stammzellenforschung genutzt werden dürften. Collins trat sowohl bei der Auswahl des Demokratischen Präsidentschaftskandidaten und auch bei der Wahl selbst als Unterstützer Obamas in Erscheinung.

Collins ist unstrittig ein hochqualifizierter Wissenschaftler, der ein großes Forschungsprojekt erfolgreich leiten kann, wie das Beispiel des HGP zeigt. Diese wissenschaftlichen Fortschritte wurden allerdings im Konflikt mit den religiösen Anschauungen erzielt, mit denen Collins in der Öffentlichkeit assoziiert wird.

Als Direktor der National Institutes of Health (NIH) wird sich Collins' Funktion von seiner Rolle als Wissenschaftler unterscheiden. Er wird an der Spitze der wichtigsten Wissenschaftsinstitution auf diesem Planeten stehen, die über stattliche Mittel verfügt. In den nächsten vierzehn Monaten werden die NIH an ihrem Sitz in Bethesda, Maryland vier Mrd. US-Dollar ausgeben und in den USA und weltweit 37 Mrd. Dollar an Forschungsstipendien vergeben.

Der Harvard-Experimentalpsychologe Steven Pinker schrieb: "Ich hege ernsthafte Bedenken gegen die Berufung Francis Collins' zum Direktor der NIH. Nicht weil ich der Ansicht wäre, dass vom Staat bezahlte Wissenschaftsfunktionäre sich einem religiösen Lackmustest unterziehen sollten oder dass ein überzeugter Christ nicht dafür in Frage kommen könnte. Bei Collins handelt es sich aber nicht um eine Frage seines privaten Glaubens, sondern seiner öffentlichen Stellungnahmen. Der Direktor der NIH ist nicht einfach ein Bürokrat, der dafür sorgt, das die Gelder verteilt werden...Wer diese Funktion innehat, ist auch ein öffentliches Aushängeschild der Wissenschaft, verantwortlich für eine maßgeblich meinungsbildende Stimme der Wissenschaft im Land. Er erstattet dem Kongress Bericht, entscheidet über Prioritäten, wählt Sprecher aus und Experten für Forschungsvorhaben, und er ist in vieler Hinsicht ein Symbol für die biologische und medizinische Forschung in den USA und der Welt. Unter diesem Aspekt sind einige von Collins' Parteinahmen sehr beunruhigend."

Die wirtschaftsfreundlichen Medien begrüßten die Wahl Collins' überwiegend als klugen Schachzug Obamas, als Mittel, die Religion zu ihrem Recht kommen zu lassen und gleichzeitig eine Person zu ernennen, die die Evolutionslehre gegen den Kreationismus verteidigt und Einschränkungen des Rechts auf Abtreibung und der Stammzellenforschung ablehnt.

Christliche Fundamentalisten und katholische Organisationen hießen die Ernennung Collins' gut, außer den Kräften, denen es vor allem darum geht, für die Theorie des "intelligenten Design" die Werbetrommel zu rühren.

In den letzten Jahre ist Collins zu einem immer vehementeren Fürsprecher der Religion geworden. In seinem Blog für BioLogos, den er "Science and the Sacred" (Wissenschaft und das Heilige) nennt, schrieb er: "Nehmen wir einmal an, Gott entschied sich für den Mechanismus der Evolution, um Tiere wie uns zu erschaffen, in dem Wissen, dass dieser Prozess schließlich Lebewesen mit großem Gehirn hervorbringen würde, mit der Fähigkeit zu denken, Fragen über unsere eigene Herkunft zu stellen, die Wahrheit über das Universum und Hinweise auf den Einen zu entdecken, der dem Leben Sinn verleiht. Können wir wirklich behaupten, wir hätten es nicht auf diese Weise getan?"

Der britische Naturwissenschaftler Richard Dawkins mokierte sich in einer Diskussion mit Collins über Wissenschaft und Religion, die im Magazin Time erschien, über dieses Argument. "Das geht nun ganz weit an der Sache vorbei. Hätte Gott das Leben und die Menschen erschaffen wollen, warum hätte er sich dann ausgerechnet für den Riesenumweg entscheiden sollen, noch etwa zehn Milliarden Jahre zu warten, ehe Leben zum ersten Mal in Erscheinung trat, und dann noch einmal vier Milliarden Jahre zu warten, bis die Menschen auftauchten, die beten und sündigen und all die anderen Dinge tun konnten, an denen religiös gesinnte Menschen interessiert sind."

Viele seiner öffentlichen Erklärungen sind so formuliert, als trete Collins entschieden für wissenschaftliche Erkenntnis ein. Doch in manchen unbeobachteten Momenten hat er Ansichten geäußert, die einer wörtlichen Auslegung der Bibel näher stehen. In Religulous, dem wichtigtuerischen antireligiösen Film des Comedian Bill Maher, gibt es eine Szene mit Collins, wo er in einem Interview das Neue Testament als "Bericht von Augenzeugen", beschreibt, "die ihre Erlebnisse niedergeschrieben haben."

Die wissenschaftliche Bibelexegese im 19. Jahrhundert hat allerdings nachgewiesen, dass die Verfasser des Neuen Testaments bis zu einem Jahrhundert später lebten als der historische Jesus von Nazareth. Ihre oft widersprüchlichen Berichte waren das Ergebnis unterschiedlicher Überlieferungstraditionen und Lehrmeinungen unter den frühen christlichen Sekten.

Was immer die religiösen Ansichten des Kandidaten für die Leitung der National Institutes of Health im einzelnen sein mögen, klar ist auf jeden Fall die politische Bedeutung seiner Berufung durch Obama. Wie auf jedem wichtigen Politikfeld - die Kriege im Irak und in Afghanistan, die Rettungsmaßnahmen für die Wall Street, die Angriffe auf demokratische Rechte und Sozialleistungen - setzt die Obama-Administration den rechten Kurs ihres republikanischen Vorgängers in verstärktem Maße fort.

Siehe auch:
Zu Ehren des zweihundertsten Geburtstags von Abraham Lincoln und Charles Darwin
(21. Februar 2009)
Wissenschaft# Religion und Gesellschaft: The God Delusion von Richard Dawkins
( 20. Mai 2007)
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