Angesichts des Erdbebens lobt das Wall Street Journal Augusto Pinochet

In einem Leitartikel vom Montag mit dem Titel "Zwei Erdbeben - und was sie uns zeigen" vergleicht das Wall Street Journal das enorme Erdbeben in Chile vom Samstag mit dem Ausmaß der menschlichen Katastrophe, die sich in Haiti entwickelt hat.

Die Zeitung beruft sich auf die viel größeren Opferzahlen und Zerstörungen in Haiti und lobt die vergleichsweise bessere Vorbereitung auf eine solche Katastrophe in Chile. In dem Artikel heißt es: "Aber eine solche Vorbereitung ist der Luxus eines blühenden Landes im Unterschied zu dem heruntergekommenen und schlecht regierten Haiti. Chile hat in den letzten Jahrzehnten enorm von den Marktreformen der 1970er Jahre unter Diktator Augusto Pinochet profitiert."

Man könnte den Ausdruck prägen: "Lüge - aber wenigstens so, dass es Sinn macht."

Die Bevölkerung in Haiti lebt vor allem deswegen in tiefster Armut, weil die kleine Insel ein Jahrhundert lang direkt unter dem Daumen der USA stand und zum Teil Jahrzehnte lange militärische Besetzungen ertragen musste. Die USA stützten die verhasste und brutale Diktatur von Papa Doc und Baby Doc Duvalier, die von 1957 bis 1986 dauerte.

In der jüngsten Zeit haben Washington und die globale Finanzwirtschaft Haiti "marktwirtschaftliche" Reformen verordnet - mit katastrophalen Folgen für die Bevölkerung. Das ist genau der wirtschaftspolitische Kurs, der laut dem Journal Chile beim Erdbeben vor einem viel größeren Verlust an Menschenleben bewahrt haben soll. Die Kleinbauern Haitis wurden ruiniert und in die fürchterlichen Slums von Port-au-Prince getrieben, die als die schlimmsten der westlichen Hemisphäre gelten. Eventuell noch vorhandene soziale Infrastruktur und soziale Netzwerke wurden zerstört, was bei dem Erdbeben vom 12. Januar zu Tod und Zerstörung beitrug.

Chile erfuhr eine andere historische und soziale Entwicklung. Es erlangte schon 1818 seine Unabhängigkeit von Spanien, und obwohl sich die soziale Struktur kaum veränderte und die Bevölkerung nur wenige Vorteile von der Unabhängigkeit hatte, geriet das Land nicht, wie Haiti, unter die direkte Kontrolle der USA.

Im Übrigen kann man Chile überhaupt nur "blühend" nennen, wenn man sich auf die Lebensbedingungen der Wohlhabenden konzentriert. Die von der CIA unterstützte Militärdiktatur, die im September 1973 die Macht ergriff und die "Volksfrontregierung" Allendes stürzte, ermordete Zehntausende politische Gegner und folterte eine gleichgroße oder noch größere Zahl barbarisch. Das Journal preist dieses Regime als nachahmenswertes Modell.

Durch die Herrschaft sadistischer Folterknechte schuf Pinochet (nach dem Rat von Wirtschaftstheoretiker Milton Friedman und anderen "Marktwirtschaftlern") die Grundlage für das "chilenische Wunder", das, um es nochmals zu sagen, nur ein Wunder für die Reichen war.

Nach Pinochets Putsch stieg die Arbeitslosigkeit im Land so schnell, und fielen die Löhne so rapide wie niemals sonst in der Geschichte Südamerikas. Von 1974 bis 1975 verdoppelte sich die Arbeitslosenrate, während Tausende Linke, Akademiker und Gewerkschafter in Geheimgefängnissen verstümmelt und ermordet wurden. 1983 waren 35 Prozent der Arbeitskräfte arbeitslos. Das führte zu einer Streikwelle, in deren Verlauf Pinochets Häscher erneut Zehntausende ins Gefängnis warfen.

Was das Journal am Chile der 1970er und 1980er Jahre so bewundert, ist die ungeheure Verlagerung von Reichtum von unten nach oben, die unter dem Stiefel des Militärs und der Geheimpolizei stattfand. Als Pinochet 1990 schließlich abtreten musste, war die Kalorienaufnahme des durchschnittlichen Chilenen um zwanzig Prozent zurückgegangen.

Von 1980 bis 1989 vergrößerten die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung ihren Anteil am Nationaleinkommen von 36,5 Prozent auf 46,8 Prozent, während der Anteil der unteren 50 Prozent von 20,4 Prozent auf 16,8 Prozent zurückging.

Zwei Jahrzehnte später ist Chile nach wie vor eines der Länder, in denen die soziale Ungleichheit weltweit am größten ist. In einer Studie der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung der UN von 2009 hieß es: "In Chile gibt es im Vergleich zu anderen Ländern eine hohe Einkommensungleichheit... Einkommensungleichheit in Chile ist selbst nach lateinamerikanischen Maßstäben hoch. In dieser Region herrscht insgesamt die weltweit größte Ungleichheit."

Anfang des letzten Jahrzehnts wiesen auf dem Kontinent nur Brasilien und Kolumbien eine größere Einkommensungleichheit auf als Chile.

Davon abgesehen gerät die rosige Darstellung der chilenischen Katastrophe durch das Journal selbst ins Wanken. Die kanadische Globe and Mail berichtet, dass die chilenischen Behörden "jetzt sagen, es könnte Tausende Tote gegeben haben". Rettungsmannschaften kämpften immer noch darum, "den Schaden einzuschätzen und sich so schnell wie möglich zu eingeschlossenen Überlebenden in den kleinen, isolierten Küstenstädten vorzukämpfen, die am Samstagmorgen am schwersten unter dem Erdbeben zu leiden hatten."

Zu den "schärferen Bauvorschriften Chiles", die das Journal so selbstgefällig erwähnt, schreibt der Reporter des Globe and Mail : "Die Realität sieht in kleinen Städten wie Constitucion [einem Tourismus- und Fischerstädtchen] ganz anders aus. In Gegenden mit einem Mangel an erschwinglichem Wohnraum bauten die Leute Häuser, wo sie gerade wohnten - Hütten aus einer Mischung aus Holz und Zement."

Inzwischen hat die chilenische Regierung Polizeieinheiten in das Gebiet verlegt und die Armee in Alarmbereitschaft versetzt, um "Plünderer" unter Kontrolle zu halten, d.h. "verzweifelte Einwohner auf der Suche nach Wasser und Lebensmitteln in verlassenen und beschädigten Supermärkten", wie CNN berichtet. "Die Behörden setzten Tränengas und Wasserwerfer ein", um die Anwohner zu zerstreuen.

Der Kabelsender berichtete auch, dass in der Provinzhauptstadt Conception "die Polizeikräfte nicht ausreichten, um alle unter Kontrolle zu halten, die in Läden nach Lebensmitteln und Versorgungsgütern suchten. Einige waren verzweifelt, als Einkaufsmärkte schlossen und es keinen Treibstoff mehr gab."

Elogen auf Pinochet sind für das Journal nichts Neues. Im Verein mit einem seiner Idole, der ehemaligen britischen Premierministerin Margret Thatcher, hat sich die Stimme der Wall Street immer wieder auf die Seite des mörderischen chilenischen Regimes und seiner Spitzenfigur gestellt.

Als Pinochet im Oktober 1998 von den britischen Behörden (vorübergehend) festgesetzt worden war, knirschte das Journal vernehmlich mit den Zähnen und erklärte, der General habe "den Putsch geführt, der sein Land gerettet hat". Unter der Führung des Militärs, versicherte die Zeitung, sei Chile "aus einem Brückenkopf des Kommunismus in ein erfolgreiches Beispiel für Marktreformen" verwandelt worden.

Als der verhasste Diktator im Dezember 2006 starb, erklärte das Journal, dass Pinochet "1973 die Macht mit einem Putsch übernahm, aber schließlich Verhältnisse schuf, in denen demokratische Institutionen wieder Überhand gewannen." Er betrieb "Marktreformen, die Chile wohlhabend und seine Nachbarn neidisch machten".

Die Zuneigung des Journal für Pinochet erinnert an den berühmten Ausspruch über den faschistischen Diktator Italiens, Benito Mussolini: "Er hat dafür gesorgt, dass die Züge pünktlich fuhren". Die Herausgeber der Zeitung haben eine natürliche Neigung zu autoritären Verhältnissen und Diktatur.

Sie wären sehr erfreut, könnte mit der Arbeiterklasse und den politischen Gegnern des Kapitalismus in den USA genauso umgesprungen werden wie unter Pinochet. Die Redaktion, die für die größten Finanzplünderer spricht, träumt von Polizei und Militär auf den Straßen und Internierungslagern für Sozialisten.

Dieser pro-faschistische Schmutz zieht keinerlei Protest der liberalen Medien der USA auf sich. Das Journal zählt auf die Feigheit der New York Times und anderer ähnlicher Stützen des liberalen Establishments und auf die zunehmend anti-demokratische Stimmung unter ihnen.

Siehe auch:
Trauer um Pinochet - faschistische Neigungen im US-Establishment
(19. Dezember 2006)
Politische Lehren aus dem Putsch in Chile 1973
( 13. Dezember 2006)
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