Ein Jahr seit dem Bankrott von General Motors

Diese Woche vor einem Jahr erklärte der große US-Autokonzern General Motors seinen Bankrott. Es war die größte Insolvenz der nordamerikanischen Industriegeschichte. Am 1. Juni 2009 fand dieser Akt, den die Obama Administration angeordnet hatte, statt und leitete damit die Vernichtung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen, die Schrumpfung von Dutzenden von Fertigungs- und Bauteilfabriken und die Schließung von mehr als tausend Autohandelsfirmen ein.

Die Insolvenz des Automobil-Weltkonzerns hatte internationale Auswirkungen. Sie führte zu Entlassungen in Kanada, zur Schließung eines Opelwerks in Belgien und zur Streichung von tausenden Arbeitsplätzen in Deutschland, Spanien und Großbritannien, allein in Deutschland mindestens 8.300 Stellen bei Opel.

Bis zum Jahr 2012 will GM in den USA mindestens 31.000 der insgesamt 96.000 Beschäftigten der US-Werke entlassen. Die Maßnahme zielt darauf ab, die Personalausgaben um dreißig Prozent zu senken. Dies wird schreckliche Auswirkungen auf die Bevölkerung in Städten und Gemeinden von Michigan, Ohio und anderen US-Staaten haben, die bereits wirtschaftlich stark gebeutelt sind. Jetzt schon hat eine Rekordzahl von Arbeitern ihre Häuser verloren, und viele Stadtverwaltungen und Schulen haben kein Geld mehr.

Aus dem Insolvenzverfahren vom 10. Juli 2009 ging "New GM" hervor. Die neue Firma strich zusätzlich zur Arbeitsplatzvernichtung die Löhne und Sonderzahlungen rücksichtslos zusammen. Unter Bedingungen, die vom amerikanischen Finanzministerium diktiert und von der Autogewerkschaft UAW durchgesetzt wurden, wurden die damaligen Löhne eingefroren und ihre Anpassung an die Steigerung der Lebenshaltungskosten ausgesetzt, sowie Urlaubszeiten erheblich gekürzt. Rentnern wurden die medizinischen Leistungen, auch die für Zahnheilkunde und Brillen, zusammengestrichen.

Die nächste Generation von Autoarbeitern wird noch schlimmer dran sein. Der Anfangslohn für neueingestellte Arbeiter - 14 Dollar die Stunde - bedeutet ein Bruttojahreseinkommen von 28.000 Dollar, wovon noch die Steuern und die Gewerkschaftsbeiträge abgehen. Das ist weniger als die Hälfte eines mittleren Haushaltseinkommens in den USA und nur knapp über der von der US-Regierung sehr niedrig angesetzten Armutsgrenze für eine vierköpfige Familie. Zum ersten Mal seit einem Jahrhundert werden Autoarbeiter nicht mehr in der Lage sein, sich eins der Autos zu leisten, die sie selbst bauen.

Auch Chrysler meldete am 30. April 2009 Bankrott an. Der Analyst Itay Michaeli von Citi Invest Research rühmte letzte Woche, dass GM die Fixkosten pro Fahrzeug von 10.400 Dollar im letzten auf 7.280 Dollar in diesem Jahr und bis 2012 auf unter 6.000 Dollar absenkt. In den nächsten fünf Jahren könnten die Arbeitskosten bei GM und Chrysler niedriger liegen als in japanischen Autofirmen oder in jenen Betrieben der USA, die keine Gewerkschaften haben und die Produktion kleiner Autos in den USA profitabler als in Mexiko machen.

Vor kurzem gab General Motors bekannt, sein Reingewinn sei auf 865 Millionen Dollar gestiegen, während er im vorigen Jahr in der gleichen Zeit 6 Milliarden Verlust verzeichnen musste. Darüber hinaus erwartet die Wall Street einen Großgewinn durch den kommenden Verkauf von GM-Aktien, die derzeit von der US-Regierung gehalten werden. Währenddessen werden Arbeitsplätze, Wohnsiedlungen und der Lebensunterhalt der Arbeiter der Verwüstung preisgegeben.

Nach dem Wall Street Journal "läuft den Bankern der Wall Street schon das Wasser im Mund zusammen, weil sie infolge der geplanten öffentlichen Veräußerung der General-Motors-Aktien den größten Zahltag seit dem Zusammenbruch 2008 erwarten". Einige Analysten sagen voraus, dass beim Verkauf der GM-Aktie - wenn sie zwischen 113 bis 137 Dollars liegen wird - netto 70 Milliarden herausspringen könnten. Große Finanzfirmen halten fast zwei Milliarden Dollar dafür bereit, was der größte Beutezug aus einem einzigen Börsengang in der Geschichte wäre.

Vor diesem Coup, der an der Wall Street "bake-off" genannt wird, haben führende Bankleute von JP Morgan Chase, Morgan Stanley, der Bank of America, der Citigroup und Goldman Sachs sich etliche Male mit Vertretern von GM und dem Finanzministerium getroffen, um die Obama-Regierung zu überzeugen, dass sie in diesem Deal die besten Verhandlungsführer seien.

Beide "Autozaren" des Weißen Hauses, die die Oberaufsicht über die Insolvenzverfahren von GM und Chrysler führten, sind ehemalige Vorstandsmitglieder von Lazard, einer weiteren Wall Street Firma. Die Regierung nahm Lazard unter Vertrag, um sich von ihr über den Verkauf ihres 40 Milliarden Dollar GM-Aktien-Pakets beraten zu lassen. Ein weiterer Aspirant als Berater des Weißen Hauses, der Private Equity Investor Steven Rattner, der als 600 Millionen Dollar-Mann gehandelt wird, hat dagegen Probleme mit der US-Börsenaufsicht bekommen, weil er in ein illegales Schmiergeldgeschäft um lukrative Investitionen in einen staatlichen Pensionsfonds des Staates New York verwickelt ist.

Zusätzlich zu den Großinvestoren erwartet auch der Gewerkschaftsapparat der UAW Milliardengewinne aus dem GM-Aktienverkauf. Zum Lohn für seine Zusammenarbeit bei den Angriffen auf Arbeitsplätze und Löhne der Belegschaft, die sie angeblich vertritt, wurde der UAW die Kontrolle über einen mehrere Milliarden Dollar schweren Fonds übertragen, der die Gelder für die Gesundheitsversorgung der Rentner enthält. Außerdem wurden die UAW-Bürokraten mit Posten im Vorstand, einem GM-Aktienanteil von 17,5 Prozent und der Aktienmehrheit bei Chrysler belohnt.

Der scheidende UAW-Präsident Ron Gettelfinger verteidigte im letzten Monat gegenüber der American Press Association, dass die Gewerkschaft zehn Jahre lang immer wieder Zugeständnisse an die Unternehmen machte. Er sagte, die Autokonzerne seien jetzt wieder "ins Laufen gekommen", GM fahre Rekordprofite ein und Chrysler stelle erstmals seit zehn Jahren wieder Autoarbeiter ein.

Auf den Hinweis, dass die Neueingestellten so wenig verdienten, dass sie sich kaum ein Auto leisten könnten, verteidigte Gettelfinger die Lohnkürzungen und sagte: "Wir taten, was wir tun mussten, damit es ein Morgen gibt." Er pries auch Obamas Entscheidung, die Konkursgerichte zu nutzen, indem er erklärte, dies sei das "richtige Vorgehen" gewesen. "Ich glaube, der Präsident brauchte viel Mut, das in Angriff zu nehmen", meinte er, "aber lassen Sie einige Zeit verstreichen, dann wird man sehen können, dass es eine großartige Entscheidung war."

Am 2. Juni 2009 schrieb die World Socialist Web Sit e: " Die Obama-Regierung, die nach Chrysler jetzt auch GM in die Insolvenz führt, versucht die Wirtschaftskrise zu nutzen, um die Klassenbeziehungen in den Vereinigten Staaten vollkommen neu zu ordnen. Dazu gehören weiterer Personalabbau in den Grundindustrien und ein umfassendes und dauerhaftes Zurückfahren des Lebensstandards der Arbeiter in allen Bereichen der amerikanischen Wirtschaft.g

Diese Warnung hat sich bestätigt. Die brutalen Bedingungen, die den Arbeitern bei GM und Chrysler aufgezwungen werden, sind heute Richtschnur für einen nie dagewesenen Raubzug. Löhne und Sonderzahlungen werden gekürzt und "unprofitable" Rechtsansprüche wie Medicare und Sozialhilfe abgeschafft. Das öffentliche Schulwesen und andere wesentliche soziale Dienste werden völlig unterhöhlt.

Der Kolumnist Paul Ingrassia sprach dies vor einigen Tagen in einem Kommentar des Wall Street Journal offen aus, als er schrieb: "Jeder weiß, dass es lächerlich und unhaltbar war, Arbeiter immer weiter dafür zu bezahlen, dass sie [in der UAW-Beschäftigungsgesellschaft] nicht arbeiteten, ... und vergoldete Renten und Gesundheitsversorgung für die Beschäftigten zu finanzieren."

Heute, so fügte Ingrassia hinzu, "weiß jedermann, dass wir Staatsdefizite einfahren, die nicht länger erträglich sind. ... Und dass viele staatliche Pensionsfonds im Vergleich zum Niveau der Auszahlungen, die sie leisten, hoffnungslos unterfinanziert sind. Und dass es nichts brachte, mehr Geld in die öffentlichen Schulen hineinzustecken, ohne auf Strukturreformen und Rechenschaftsberichten zu bestehen. So kann es in Zukunft nicht weitergehen."

Es sei nötig, diese Fragen mit der notwendigen Ausgabendisziplin anzupacken und den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes Einhalt zu gebieten, so wie es GM mit der UAW getan habe. "Wenn wir dies weiterhin ablehnen und verzögern, wird es unser Ruin sein", fuhr Ingrassia fort. "Oder anders gesagt: Amerika hat GM gerettet, aber wer wird Amerika retten?"

In den exklusiven Kreisen von Wirtschaft, Politik und Medien "weiß jedermann", dass Arbeiter auf das Armutsniveau gedrückt werden müssen. Aber die Arbeiterklasse ist für die rücksichtslose Spekulation der Finanzelite nicht verantwortlich. Sie muss nicht dafür aufkommen, dass sich jene bereichern, indem sie Millionen Arbeitsplätze streichen, große Industrien zerstören und Städte, Staaten und ganze Länder - wie heute Griechenland und Spanien - in den Bankrott treiben.

Die Gesellschaft kann sich den verschwenderischen Luxus und parasitären Lebensstil der Wirtschafts- und Finanzaristokratie nicht länger leisten. Stattdessen muss eine politische Massenbewegung der Arbeiterklasse aufgebaut werden, die von beiden großen Parteien des Kapitals unabhängig ist. Sie muss die industriellen und finanziellen Ressourcen der Gesellschaft den Superreichen aus den Händen nehmen und unter die demokratische Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung stellen.

Voraussetzung für einen solchen Kampf ist der vollständige Bruch mit der Gewerkschaft UAW und ihrer reaktionären Klassenzusammenarbeit, wie auch mit ihrem Wirtschaftsnationalismus und der Unterstützung für die Demokratische Partei. Für den Kampf der Arbeiterklasse müssen neue Organisationen aufgebaut werden.

Siehe auch:
Der Bankrott von General Motors
(2. Juni 2009)
GM Europa: Betriebsrat setzt Lohnkürzungen und Arbeitsplatzabbau durch
( 29. Mai 2010)
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