Die "Hitler"-Option in Afghanistan

Die Absetzung von General Stanley McChrystal von seinem Posten als US-Kommandeur in Afghanistan und seine Ersetzung durch General David Petraeus ist keine prinzipielle Verteidigung der zivilen Kontrolle über das Militär, wie es die politischen Apologeten Obamas darstellen. Es ist auch nicht, wie es die vom Weißen Haus verbreitete offizielle Linie gerne hätte, nur ein personeller und kein politischer Wechsel.

Alles deutet darauf hin, dass der Wechsel im Kommandostab aus der wachsenden Unzufriedenheit mit McChrystal's Methoden zur Aufstandsbekämpfung resultiert. Denn es ist ihm nicht gelungen, die von den Taliban geführte Guerilla, die den Großteil des südlichen und östlichen Afghanistan kontrolliert, zu vertreiben. Dieser Wechsel kündet einen drastischen Anstieg der amerikanischen, militärischen Gewaltmaßnahmen und insbesondere größere zivile Opferzahlen unter der afghanischen Bevölkerung an. Deren "Verbrechen" besteht darin, mit dem anti-amerikanischen Aufstand zu sympathisieren und ihn zu unterstützen.

Einem Medien-Bericht zufolge bereitet Petraeus bereits eine Änderung der Einsatzregeln vor, um einen stärkeren Einsatz militärischer Gewalt zuzulassen.

Laut einem Bericht in der englischen Independent vom Sonntag war McChrystal bezüglich der Erfolgsaussichten immer pessimistischer geworden, vor allem nachdem er gezwungen war, die geplante Offensive auf die wichtigste Stadt im Süden, Kandahar, eine Hochburg der Taliban, zu verschieben. Dem Vernehmen nach informierte er am Anfang des Monats die Verteidigungsminister der NATO "und warnte sie, in den kommenden sechs Monaten keinerlei Fortschritte zu erwarten."

Die Zeitung schreibt: "Informierten Kreisen zufolge war es diese Informationen, zusammen mit dem Artikel im Rolling Stone, die Obama davon überzeugten, gegen McChrystal vorzugehen". Der Artikel fügt hinzu: "Mit seiner Warnung an die Minister, dass nicht mit einem baldigen Erfolg, sondern mit einer ‘hartnäckigen und wachsenden Aufstandsbewegung’ zu rechnen sei, habe der General der offiziellen Regierungslinie widersprochen und damit seine Kompetenzen überschritten."

In den Vereinigten Staaten hat angeführt von der New York Times eine Medienkampagne begonnen, die McChrystal als übermäßig besorgt über den Tod von afghanischen Zivilisten hinstellt, die in die eskalierenden Kriegshandlungen zwischen amerikanischen Streitkräften und NATO und der Taliban Guerilla hineingezogen werden.

Sie begann mit einem Artikel vom 22. Juni von CJ Chivers, der die wachsende Frustration bei Stabsoffizieren, Unteroffizieren und gemeinen Soldaten in Afghanistan über die "Handschellen" beschreibt, die McChrystal ihnen angelegt habe. Die Taktik des Generals beschränkte angeblich "den Einsatz westlicher Feuerkraft - Luftangriffe und ferngesteuerte Raketenangriffe, Artilleriefeuer und sogar Mörserfeuer - um die Bodentruppen zu unterstützen."

Dieses Thema wurde von mehreren Times Korrespondenten in Online-Kommentaren auf der Website der Zeitung aufgegriffen - Robert Mackey, John Burns und Dexter Filkins stimmten ihm alle zu - und danach auch von den zur Zeitung gehörenden Kommentatoren, sowohl den liberalen als auch und den konservativen.

Bob Herbert, ein liberaler Kolumnist, entdeckte in einer Spalte vom Samstag mit dem Titel "Schlimmer als ein Alptraum" plötzlich seine Berufung als Berater in Fragen militärischer Taktiken. Er prangerte die Strategie der Aufstandsbekämpfung von McChrystal und Petraeus an und erklärte, ihre Befürworter "scheinen einen wesentlichen Aspekt der Kriegsführung aus den Augen verloren zu haben: Du ziehst nicht mit halben Schritten in den Krieg. Du ziehst in den Krieg, um den Feind zu vernichten. Das tust Du heftig und so schnell wie möglich. Wenn Du das nicht tun willst, wenn Du Skrupel dabei hast, oder wenn Du nicht weißt wie, dann zieh’ nicht in den Krieg. Die Männer, die die Strände der Normandie erstürmt haben, haben nicht versucht, die Köpfe und Herzen von irgendjemandem zu gewinnen."

Er fuhr fort: "Eine der Schattenseiten dieses Schlachtfeldes ist die Vorsicht, die störende Abneigung dagegen, unseren eigenen Kampfverbänden durch unterstützende Luftangriffe und Artillerie die Deckung zu geben, die sie für nötig halten."

Ross Douthat, ein konservativer Kolumnist von der Times, warf am Montag das gleiche Thema auf und argumentierte: "Erfolg ist unsere einzige Karte für den Ausstieg". Die Obama-Administration "hat nicht die Wahl gehabt, in Afghanistan zu bleiben oder sich aus dem Kampf zurückzuziehen. Sie hat zwischen zwei verschiedenen Arten, zu bleiben, gewählt." - d.h. zwischen einem andauernder Stillstand oder einem vollständigen militärischen Sieg.

Douthat bemerkte, dass der Rolling Stone Artikel, der die Möglichkeit einer Amtsenthebung McChrystal's unterstützte " angeblich eine linksextreme, Antikriegs Kritik der Aufstandsbekämpfung" war. Aber tatsächlich brachte er die "Klagen, dass die derzeitige Strategie in Afghanistan zu viel Wert auf unschuldige Leben legt" zum Ausdruck. Er zitiert einen anderen Analytiker, indem er den Artikel als Kritik an der derzeitigen Strategie zusammenfasste, "weil sie unseren Soldaten nicht erlaubt, genügend Menschen zu töten."

Es mag weit hergeholt erscheinen, dass General McChrystal, ein langjähriger Kommandeur der Sondereinsatzkräfte, die während seiner Jahre im Irak verantwortlich für die Ermordung von Tausenden von Aufständischen waren, für nicht blutrünstig genug gehalten werden sollte. Die Logik einer solchen Kritik wurde in einer charakteristischen Analyse der Washington Quarterly Ausgabe vom Juli 2010 dargelegt, dem Magazin des Center for Strategic and International Studies, einem wichtigen strategischen Think Tank in der amerikanischen Hauptstadt.

Geschrieben von Lorenzo Zambernardi, einem italienischen, der zu Zeit in den USA arbeitet, diskutiert der Artikel etwas, das er das "unmögliche Trilemma der Aufstandsbekämpfung" nennt.

Zambernardi argumentiert: "Aufstandsbekämpfung umfasst drei Hauptziele, aber bei der echten Praxis muss die Aufstandsbekämpfung zwei von dreien auswählen.... Das Unmögliche Trilemma der Aufstandsbekämpfung ist, dass es bei dieser Art von Konflikt unmöglich ist, 1) den Schutz der Truppe, 2) die Unterscheidung zwischen feindlichen Kämpfern und Nicht-Kämpfenden, 3) die physische Vernichtung der Aufständischen." gleichzeitig zu erreichen.

Nach diesem Schema hätte McChrystal das zweite und dritte Ziel ausgewählt, mit dem daraus resultierenden Anstieg der US-NATO Opfer und der wachsenden Unzufriedenheit bei den einfachen Soldaten darüber, größere Risiken einzugehen, um zivile Opfer zu vermeiden. Die Alternative, schreibt der Autor, besteht darin, stattdessen den Schwerpunkt auf das erste und dritte Ziel zu legen: "Ein Staat kann seine Streitkräfte schützen und gleichzeitig Aufständische vernichten, aber nur indem er wahllos Zivilisten tötet, so wie die Osmanen, Italiener und Nazis es auf dem Balkan, in Libyen beziehungsweise Osteuropa taten."

Diese Wahl, die der Autor später als "Politik der Barbarei bezeichnete", ließe sich vielleicht als "die Hitler-Option" umschreiben.

Auf diese Entscheidung läuft die amerikanische Afghanistanpolitik jetzt hinaus: Hin zu einer dramatischen Eskalation der Gewalt in einem Krieg, der schon immer von äußerster Brutalität und Gleichgültigkeit gegenüber der Vernichtung von unschuldigen Leben geprägt war.

So reagiert der US-Imperialismus auf sein Scheitern, den Widerstand der afghanischen Bevölkerung gegen den neokolonialen Krieg Washingtons und die Besatzung zu unterdrücken. Die nachdrückliche Forderung, das Blutbad auszuweiten, entstand, weil der anti-amerikanische Aufstand breite Unterstützung in der Bevölkerung findet. Dieser Kampf der afghanischen Massen gegen die ausländische Besatzung ist völlig legitim.

Zehntausende afghanische Zivilisten wurden in dem mehr als neun Jahre dauernden Krieg, dem längsten militärischen Engagement in der amerikanischen Geschichte, getötet worden. US-Luftangriffe wurden auf Hochzeiten, Familienausflüge und sogar Beerdigungszeremonien durchgeführt.

Tens of thousands of Afghan civilians have been killed in more than nine years of warfare, the longest single military engagement in American history. US air strikes have hit wedding celebrations, family outings, even funeral ceremonies.

Tausende von Zivilisten wurden in Afghanistan festgenommen, inhaftiert und in dem berüchtigten Gefangenenlager Bagram und anderen derartigen Einrichtungen im ganzen Land gefoltert. Amerikanische Predator-Raketen wurden auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze bei Drohnenangriffen auf Dörfer abgefeuert, mit Hunderten, wahrscheinlich Tausenden Toten.

Dies ist das Blutbad, dass Obama in seinem Wahlkampf öffentlich als "guten Krieg" unterstützte und das der liberale Flügel der Demokratischen Partei bis heute begeistert unterstützt, ungeachtet des wachsenden, breiten Widerstands der amerikanischen Bevölkerung. Diejenigen, die die Entscheidungen zur Fortsetzung und Eskalation dieses Konflikts treffen, machen sich der Kriegsverbrechen schuldig. Diejenigen, die die politischen Rechtfertigungen liefern, mit denen dieser Krieg an das amerikanische Volk "verkauft" verkauft wird, sind ihre Komplizen.

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