Nach der “Rettung” Irlands: Die Finanzhaie suchen sich neue Opfer

Es gibt wohl kaum einen Bereich der Wirtschaft oder der Politik, in dem ein höheres Maß an Irreführung herrscht, als in der Art, wie die Operationen der Finanzmärkte beschrieben werden.

Die sogenannte Rettung Irlands, die am letzten Sonntag verkündet wurde, liefert dafür ein Paradebeispiel. Was stattgefunden hat, ist nicht die Rettung Irlands. Vielmehr hat die irische Regierung den Forderungen der internationalen Finanzmärkte nachgegeben, sämtliche Ressourcen des Staates einzusetzen, um sicherzustellen, dass alle irischen Schulden und Finanzwerte, die von internationalen Banken und Finanzeinrichtungen gehalten werden, auf Kosten der Arbeiterklasse voll zurückgezahlt werden. In anderen Worten: Nicht „Irland“ ist unter die Räder gekommen und muss gerettet werden, sondern Irlands Gläubiger – die europäischen und internationalen Banken.

Es wird damit gerechnet, dass die Vereinbarung jede irische Familie weitere viertausend Euro kostet, zusätzlich zu den geschätzten viertausend Euro, die sie bereits verloren hat. Als wolle sie unterstreichen, dass sie keine Grenzen kennt, um den räuberischen Forderungen der Finanzmärkte zu entsprechen, hat die irische Regierung zugestimmt, Rentenfonds in Höhe von 17,5 Milliarden Euro in das Rettungspaket einfließen zu lassen.

Die Vereinbarung war jedoch kaum angekündigt, da begannen die internationalen Finanzhaie bereits, ihre nächsten Ziele anzusteuern… Portugal, Spanien oder möglicherweise Belgien.

Die Verschärfung der europäischen Finanzkrise unterstreicht die Tatsache, dass der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 nicht das Ergebnis eines zyklischen Abschwungs war, dem eine „Erholung“ folgen würde, sondern der Beginn des Zusammenbruchs der gesamten globalen kapitalistischen Nachkriegsordnung.

Das Einsetzen der US-Finanzkrise 2007 hatte unmittelbare Auswirkungen auf die europäischen Banken. Sie waren entweder direkt in Subprime-Aktivitäten der US-Finanzhäuser verwickelt, wie im Fall der deutschen Staatsbanken, oder sie engagierten sich in ähnlichen Spekulationsgeschäften.

Wäre das alles gewesen, wäre die Krise längst vorbei. Aber die anfänglichen Konkurse waren nur der Ausdruck viel tieferer Widersprüche innerhalb des globalen kapitalistischen Systems.

Seit Beginn der achtziger Jahre, nach dem Ende des Nachkriegsbooms, wird der Weltkapitalismus durch das, was man den unaufhaltsamen Aufstieg der Finanzialisierung nennen könnte, charakterisiert. Eine vielsagende Statistik macht das Ausmaß dieses Prozesses deutlich: Vor drei Jahrzehnten, entsprach der der Bestand an globalen Finanzwerten etwa 100 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes. 2007 war er auf 350 Prozent angewachsen.

Die Auswirkungen dieser gewaltigen Veränderung zeigen sich nun in der Verschärfung der Schulden- und Finanzkrise.

Ungeachtet der Wahnvorstellung verschiedenster Finanzexperten, die meinen, Geld könne auf Grund seines Wesens endlos weiteres Geld erzeugen, repräsentieren Finanzvermögen in letzter Analyse einen Anspruch auf den Reichtum, der durch gesellschaftliche Arbeit geschaffen wird, insbesondere auf den Mehrwert, der im Verlauf der kapitalistischen Produktion aus der Arbeiterklasse gepresst wird.

So lange immer mehr Geld in das Finanzsystem floss und gewaltige Finanzprofite durch die Wertsteigerung von Vermögenswerten, insbesondere Immobilien, angehäuft wurden, schien dieses ökonomische Gesetz außer Kraft. Man konnte in der Tat den Eindruck gewinnen, als ob aus Geld noch mehr Geld werden könne, außerhalb des Prozesses der kapitalistischen Produktion.

Schließlich jedoch meldeten sich die Gesetze der kapitalistischen Ökonomie wieder zurück, und zwar nicht friedlich, sondern auf die Weise, wie Marx sie beschrieben hat – so wie das Gesetz der Schwerkraft sich manifestiert, wenn uns ein Haus auf den Kopf fällt. Dies Haus der Finanzen stürzte im September 2008 ein.

Regierungen reagierten mit Rettungs- und Ankurbelungspakten, um den direkten Sturz in eine Depression zu verhindern. Aber diese Maßnahmen konnten die Probleme nicht lösen, sondern schoben sie nur auf. Jetzt müssen diese Schulden durch einen Angriff auf den Lebensstandard und die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Arbeiterklasse lebt, zurückgezahlt werden.

Zeitweilig schien es, als ob der europäische Kapitalismus eine Art Alternative zu dem räuberischen System des “freien Marktes” darstellte, das in den USA herrschte. Tatsächlich war die Ausweitung des Finanzsektors und der Schulden für die Funktionsweise der europäischen Wirtschaft genauso entscheidend wie in den USA.

Mit der Einführung der Eurozone 1999 war versucht worden, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gegenüber ihren Rivalen auch weiterhin sicherzustellen. Es gab sogar Hoffnungen, dass der Euro in der Lage sein würde, den Dollar als internationale Leitwährung herauszufordern. Doch die Währungsunion hatte innerhalb Europas erhebliche Auswirkungen. Sie machte es weniger wettbewerbsfähigen oder sogenannten peripheren Ländern unmöglich, ihre Position auf dem Weltmarkt durch eine Abwertung ihrer Währung zu verbessern. Das Loch in ihrer Zahlungsbilanz wurde durch den Zustrom von Kapital aus den Banken und Finanzinstitutionen der sogenannten Kernländer, insbesondere Deutschlands und Frankreichs, verdeckt. Dieses Kapital wurde benutzt, um Immobilenentwicklungen oder touristische Projekte zu finanzieren und das wirtschaftliche Wachstum zu fördern, was wiederum zu neuen Exportmärkten für die stärkeren europäischen Wirtschaften führte. So wurde ein vortrefflicher wirtschaftlicher Kreislauf geschaffen.

Der deutsche Kapitalismus genoss erhebliche Vorteile. 1990, zur Zeit der Wiedervereinigung, machten Exporte etwa 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. 2008 waren sie auf 47,2 Prozent angewachsen, dem weltweit höchsten Anteil, wobei ein großer Teil der Exporte in die restliche Eurozone ging.

Darüber hinaus lag der Wechselkurs des Euro gegenüber anderen Währungen niedriger, als der der D-Mark gelegen hätte, und verschaffte den deutschen Exporten auf dem internationalen Markt Vorteile. Diese Phase kapitalistischer Entwicklung, durch die Ausweitung von Schulden ermöglicht, ist nun zu Ende. Eine Periode hat eingesetzt, in der sich alle Widersprüche, die Europa in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert zerrissen haben, zurückmelden.

Die sogenannte irische “Rettung” ist nur der Anfang. Die Finanzmärkte verlangen nicht nur eine begrenzte Zeit des Sparens, sondern die Zerstörung des gesamten Nachkriegssozialstaats.

Gleichzeitig schaffen die Sparmaßnahmen, die durchgesetzt werden, die Bedingungen für einen brutalen wirtschaftlichen Kreislauf, in dem langsames Wachstum die Wirtschaftskrise verschärft, wiederum zu wachsenden Schulden und Bankrotten führt – von Banken, Finanzinstitutionen und sogar Regierungen.

Die Zukunft der EU selbst ist fraglich. Es droht eine Rückkehr zu den innereuropäischen Konflikten, die zu zwei Weltkriegen führten. Nationale Konflikte und Risse mehren sich. In der Financial Times vom Montag warf José-Ignacio Torreblanca, Chef des Madrider Büros des europäischen Rates für Auswärtige Beziehungen, Deutschland vor, an den wachsenden ökonomischen Problemen, vor denen Spanien steht, schuld zu sein.

Während der 1980er und 1990er Jahre führte der Prozess der europäischen Integration zu einem „vortrefflichen Kreis wirtschaftlichen Wachstums: die Peripherie wuchs schneller als das Zentrum… aber Deutschland und andere profitierten maßgeblich, weil das Wachstum sich auf seine Exporte und Auslandsinvestitionen stützte.“ Nun scheint der Kreis „unwiderruflich gebrochen“ und Deutschland versucht es auf eigene Faust.

Die Arbeiterklasse muss der Krise die Stirn bieten, indem sie für ein eigenes Programm eintritt und den Kampf für seine Durchsetzung aufnimmt. Die Diktatur des Finanzkapitals und seine unersättliche Forderung nach der Verarmung der Arbeiterklasse muss durch die Enteignung der Banken und der Finanzeinrichtungen und die Annullierung ihrer Schulden beendet werden.

Eine nationale Lösung dieser Krise gibt es nicht. Ein aufgeteiltes Europa bedeutet eine Rückkehr zu den Katastrophen der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Europa muss auf progressiver Grundlage vereint werden und das ist nur möglich durch die Errichtung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa – das ist die Perspektive des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, der Weltpartei der sozialistischen Revolution.

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