Ölkonzerne bereiten sich auf die Zeit nach Gaddafi vor

Die großen amerikanischen und europäischen Ölkonzerne, die bisher in Libyen aktiv waren, bereiten sich darauf vor, ihre Geschäfte wiederaufzunehmen. Sie warten nur darauf, dass der von der Nato geführte völkerrechtswidrige Krieg einen „Regimewechsel“ durchsetzt und Muammar al-Gaddafi durch eine willfährige Regierung ersetzt.

Die Internationale Energieagentur sagte gestern eine langsame aber stetige Wiederaufnahme der Ölförderung voraus. „Bis nächstes Jahr sollten die politischen Entwicklungen auf die eine oder andere Art beigelegt sein, und bis 2013 sollten die Fördermengen wieder auf dem Vorkrisenniveau liegen, völlig erholt werden sie sich bis 2015 haben“, hieß es in einem Bericht der IAE. Paolo Scaroni, der Präsident des italienischen Ölkonzerns ENI, erklärte am Mittwoch ebenfalls: „Wir denken, dass sich in Libyen alles wieder normalisieren wird… jede Regierung, die an die Macht kommt, wird die Förderung, in Zusammenarbeit mit den Konzernen wieder aufnehmen, die das Land bereits kennen. Wenn wir auf das nächste Jahr schauen, tun wir das mit Optimismus.“

Die Vorstandschefs anderer großer Ölkonzerne, die ihre Wirtschaftstätigkeit in Libyen eingestellt haben – darunter der amerikanische Konzern ConocoPhillips und British Petroleum (BP) – hielten sich stärker zurück, bereiten sich aber hinter den Kulissen darauf vor, ihre Interessen in dem ölreichen nordafrikanischen Staat zu sichern.

Letzte Woche meldete die Washington Post, dass Vertreter von ConocoPhillips und anderen amerikanischen Ölkonzernen sich mit Delegierten des sogenannten Nationalen Übergangsrates im von den „Rebellen“ besetzten Bengasi getroffen hätten. Die Vertreter erhielten Berichten zufolge die Zusicherung, dass alle Verträge, die sie mit der libyschen Regierung abgeschlossen hatten, anerkannt würden.

Nansen Saleri, der Vorsitzende des Öltechnikunternehmens Quantum Reservoir Impact aus Houston, sagte der Washington Post: „Sie können sich jetzt denken, wer gewinnen wird, jedenfalls nicht Gaddafi. Bestimmte Teile dieses Mosaiks nehmen jetzt Form an. Die westlichen Konzerne bringen sich in Stellung. In fünf Jahren werden die Fördermengen in Libyen höher sein als heute, und die Investitionen werden sich auszahlen.“

Obwohl die Förderarbeiten aufgrund des Krieges eingestellt wurden, suchen die transnationalen Ölkonzerne immer noch aktiv nach neuen Geschäftsmöglichkeiten in Libyen und Nordafrika. Laut einem Bericht, der letzte Woche im Oil & Gas Journal veröffentlicht wurde, hat die kanadische Erdölprospektionsfirma Sonde Resources ein Feld im Mittelmeer, das im Festlandssockel von Libyen und Tunesien liegt, als wirtschaftlich rentabel eingestuft. Es enthält geschätzte 362 Millionen Barrel Öl und 28 Milliarden Kubikmeter Erdgas.

Gestern schrieb Reuters in einem Bericht mit dem Titel „Der arabische Frühling wird keine negativen Auswirkungen auf die Ölkonzerne haben“, dass die Aufstände von Arbeitern und Jugendlichen in Nordafrika und dem Nahen Osten die profitablen Arrangements, die vorher mit mehreren inzwischen abgesetzten Despoten ausgehandelt wurden, nicht beeinträchtigen werden. „In der Vergangenheit folgten auf größere politische Umwälzungen im Nahen Osten oft die Ausweisung ausländischer Ölkonzerne“ „Die Ölkonzerne sind auf die neuen Staatschefs in Ägypten und Tunesien zugegangen, und, wie eine Quelle aus der italienischen Regierung Reuters mitteilte, sogar auf die libyschen Rebellenführer. Die Konzerne behaupten, die Signale deuten bisher nicht auf großflächige Beschlagnahmungen von Eigentum hin.“

Diese Entwicklungen unterstreichen den rein räuberischen und neokolonialen Charakter des amerikanisch-europäischen Angriffs auf Libyen. Die Obama-Regierung und ihre europäischen Verbündeten versuchen kaum noch, den Schein zu wahren, sich an die Vorgaben der UN-Resolution 1973 zu halten, oder an deren erklärtes Ziel, „die Zivilbevölkerung zu schützen“. Gaddafi und seine Familie haben mehrere Attentatsversuche überlebt, große Teile der zivilen Infrastruktur wurden systematisch angegriffen, und die Bombenangriffe wurden ständig gesteigert, wodurch es immer mehr zivile Opfer gibt. Die wahre Absicht ist es, die libysche Regierung durch eine Marionettenregierung zu ersetzen, die sich den geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen der Großmächte in Libyen und der Region fügt.

Von zentraler Bedeutung für diese Ziele ist die Kontrolle über Libyen. Bisher machte das libysche Öl fast 2 Prozent der globalen Fördermenge aus und ist von besonders guter Qualität. Außerdem wird angenommen, dass riesige Ölreserven noch nicht entdeckt sind, da etwa 70 Prozent des Landes noch nach Öl durchsucht werden muss.

Amerikanische diplomatische Telegramme, die vor kurzem von WikiLeaks veröffentlicht wurden, werfen Licht auf die schmutzigen Praktiken amerikanischer und europäischer Ölkonzerne in Libyen.

Die Washington Post fasste den Inhalt der Telegramme zusammen: „Im Jahr 2004 hob Präsident George W. Bush die Wirtschaftssanktionen gegen Libyen im Gegenzug für den Verzicht auf Atomwaffen und Terrorismus überraschend auf. Bei den Chefs der amerikanischen Ölkonzerne machte sich Optimismus breit, da sie hofften, wieder die Kontrolle über die libyschen Ölfelder zu gewinnen, die sie fast zwei Jahrzehnte zuvor räumen mussten… Allerdings hatten sich die Beziehungen zu Gaddafi bereits verschlechtert, bevor bewaffnete Konflikte die US-Konzerne aus dem Land trieben. Der libysche Führer forderte härtere Vertragsbedingungen. Er verlangte hohe Bonuszahlungen, im Voraus. Er war außerdem erbost, dass er für seine vorherigen Zugeständnisse nicht mehr Respekt und Anerkennung von den USA bekam, und drängte die Ölkonzerne dazu, Druck auf die Politik der USA auszuüben.

In einem Telegramm des Außenministeriums vom Dezember 2004 hieß es, dass Vorstände von ConocoPhilipps ein vor kurzem abgeschlossenes Geschäft mit der libyschen Regierung für „nicht gut“ hielten, aber „der Konzern empfand es als Eintrittsgebühr, für den libyschen Markt.“

Im November 2007 hieß es allerdings in einem anderen Telegramm des Außenministeriums: „Es gibt zunehmend Hinweise auf libyschen Rohstoff-Nationalismus.“ Amerikanische Vertreter zitierten missbilligend aus einer Rede Gaddafis, in der er erklärte, dass „die Libyer dafür sorgen müssen, dass sie von diesem Geld [aus dem Ölgeschäft] profitieren“. Das Telegramm endete mit: „Die Kräfte, die die politische und wirtschaftliche Führung Libyens dominieren, verfolgen eine zunehmend nationalistische Politik im Energiesektor. Diese könnte die Bestrebungen gefährden, auf effiziente Weise Libyens riesige Öl- und Gasreserven abzubauen.“

In einem weiteren Telegramm von 2008 hieß es, dass die libysche Regierung ExxonMobil gedroht habe, dessen Ölförderung „bedeutend einzuschränken“, um „die USA zu bestrafen“, nachdem der Kongress ein Gesetz verabschiedet hatte, das es Familien der Opfer des Anschlags von Lockerbie erleichtert, Libyen auf Schadensersatz zu verklagen.

In dem Telegramm wird deutlich, dass die großen Ölkonzerne nicht nur ihre bestehenden Verträge mit Gaddafi schützen wollen, sondern sogar noch günstigere Bedingungen aushandeln wollen. Gleichzeitig schüren die Rivalitäten zwischen den Großmächten das Rennen um Libyens Öl. Es steht außer Frage, dass die amerikanischen, britischen und französischen Konzerne von der Marionettenregierung, die Gaddafi nachfolgen soll, erwarten, gegenüber russischen, chinesischen, italienischen und deutschen Firmen, die auch in Libyen aktiv sind, bevorzugt behandelt zu werden.

Ein von WikiLeaks veröffentlichtes Telegramm enthüllt, dass amerikanische diplomatische Vertreter im April 2008 das Außen- und Finanzministerium drängten, die italienische Regierung aufzufordern, eine Vereinbarung zwischen dem italienischen Konzern ENI und der russischen Gasprom anzufechten. ENI sollte Gasprom beim Bau einer Pipeline durch das Schwarze Meer unterstützen, dafür plante der Ölkonzern, einen Teil seiner Beteiligung an dem lukrativen libyschen Ölfeld „Elefant“ zu verkaufen. In dem vertraulichen Telegramm hieß es: „Der Minister möge die neue Regierung von Berlusconi dazu drängen, auf ENI einuwirken, weniger als Strohmann für Gasprom zu agieren… [ENI] scheint Gasprom in seinem Streben zu unterstützen, Europas Energiereserven zu dominieren, und gegen die die von den USA unterstützten Bestrebungen der EU zu arbeiten, die Energieversorgung zu diversifizieren.“

Durch den Krieg ist die Vereinbarung hinfällig geworden. Am 20. April erklärte der Vorstand von ENI, dass der Verkauf des libyschen Ölfeldes auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.

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