Perspektive

Obamas blutiger “Endkampf “ in Afghanistan

Knapp zwei Monate, nachdem Präsident Obama einen begrenzten Abzug amerikanischer Truppen aus Afghanistan angekündigt hat, deutet alles darauf hin, dass die USA mit ihrer neuen Strategie das Blutvergießen noch ausweiten. Der Krieg dauert jetzt schon fast zehn Jahre.

Obama hat in Wirklichkeit nur den Rückzug jener 33.000 Kampfkräfte angekündigt, die er im Dezember 2009 erst zusätzlich nach Afghanistan geschickt hatte. In seiner Rede sagte er, man könne schon „das Licht eines sicheren Friedens in der Ferne erkennen“. Aber das einzig Helle an diesem angeblich „sicheren Frieden“ stammt von Hellfire-Raketen und amerikanischen Bomben in diesem Krieg, der offenbar noch endlos weitergeht.

In offiziellen Kreisen in Washington wird viel über die Aussichten eines Verhandlungsabkommens mit den Taliban diskutiert. Ihre Regierung war bei der Invasion im Oktober 2001 von den USA gestürzt worden. Noch vor kurzem schloss US-Botschafter Ryan Crocker anlässlich einer bevorstehenden internationalen Afghanistan-Konferenz in Deutschland eine Beteiligung der Taliban aus. Jetzt schlug er kürzlich vor, die afghanische Regierung und der hohe afghanische Friedensrat sollten darüber entscheiden.

Inzwischen haben sich zweitrangige Beamte des Außenministeriums und CIA-Vertreter in Deutschland und in Qatar mit Vertretern der Taliban getroffen. Die Taliban ihrerseits bestehen darauf, dass es kein Abkommen geben könne, so lange nicht alle ausländischen Truppen das Land verlassen hätten.

Besonders entlarvend ist in diesem Zusammenhang die Studie “Afghanische Friedensgespräche: eine Einleitung”, die vor kurzem von der Rand Corporation herausgegeben wurde. Dieser vom Pentagon unterstützte Think-Tank spielt bei der Entwicklung der US-Militärstrategie eine herausragende Rolle. Das war schon früher so, als die USA gegen die Sowjetunion mit nuklearem Feuer spielten, als sie den Vietnamkrieg führten, oder als sie den „globalen Krieg gegen den Terror“ eröffneten.

Die Autoren der Studie sind James Dobbins und James Shinn. Dobbins war Chef-Unterhändler bei den US-Verhandlungen 2001, die im Bonner Abkommen das afghanische Marionettenregime von Hamid Karzai installierten, und Shinn ist ein ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister für Asien und Autor einer Studie zur Afghanistan-Strategie unter der Bush-Regierung.

In der neuen Studie heißt es, die USA könnten ihre Interessen in Afghanistan langfristig nur mit Hilfe eines „Friedensprozesses“ sichern, der auf Verhandlungen mit den Taliban beruhen und die Zusammenarbeit mit den benachbarten Mächten sichern würde. Pakistan, Indien, Iran und Russland müssten einbezogen werden. „Afghanistan ist seit mehr als einhundert Jahren umkämpft“, heißt es da, „weil das Land für viele Nationen von strategischem Interesse ist. Mit so vielen unterschiedlichen Interessen und Zielvorgaben könnte sich ein Friedensabkommen als schwierig erweisen.“

Weiterhin heißt es da, der Prozess werde “vermutlich jahrelange Gespräche erfordern. Während dieser Zeit werden die Kämpfe wahrscheinlich weitergehen und sogar noch heftiger werden“.

Während es bisher keine Anzeichen dafür gibt, dass substanzielle Gespräche begonnen haben, – die Taliban behaupten, bei ihren Kontakten zur US-Regierung sei es einzig und allein um die Frage des Gefangenen-Austauschs gegangen –, hat sich die zweite Voraussage bestätigt: die Kämpfe sind heftiger geworden.

Seit einigen Wochen werden Luftschläge in bisher unbekanntem Ausmaß geführt. Dem Pentagon zufolge haben US-Kampfflugzeuge im Juli 652 Angriffe geflogen, mehr als zwanzig pro Tag. Das sind rund doppelt so viele Luftschläge, wie während der gleichen Zeit im letzten Jahr ausgeführt wurden. Diese Angriffsart war 2009 unter der Aufstandsbekämpfungs-Strategie von General Stanley McChrystal eingeführt worden, wurde jedoch wieder eingeschränkt, weil sie die afghanische Bevölkerung zu stark aufbrachte.

Inzwischen soll sich laut Pentagonbeamten die Anzahl von Kommandounternehmen seit 2009 mehr als verdreifacht haben. Von Jahresbeginn bis Anfang August haben sogenannte „hunter-killer“-Einheiten 1879 Einsätze durchgeführt. Das sind, grob gerechnet, dreihundert pro Monat. Im ganzen letzten Jahr waren es 1.780 und 675 im Jahr 2009.

Ein US-Militärsprecher rühmte auf Bloomsberg News die Effektivität dieser nächtlichen Einsätze: „Selbst wenn die Zielperson bei diesen Einsätzen nicht gefangen oder getötet wird, gelingt es in 35 Prozent aller Fälle, ein anderes Individuum, das direkt mit der Zielperson in Verbindung steht, zu töten oder gefangen zu nehmen.“

Gerade diese Art nächtlicher Spezialeinsätze hat in der afghanischen Bevölkerung extremen Hass hervorgerufen. Immer wieder führen diese Einsätze zum Tod unschuldiger Männer, Frauen und Kinder und setzen afghanische Familien der Demütigung aus, mitten in der Nacht terrorisiert und aus dem Haus vertrieben zu werden.

Dass man sich immer starker auf den Einsatz von Spezialkommandos verlässt, unterstreicht der Abschuss eines Chinook-Helikopters am 6. August, bei dem dreißig US-Militärangehörige, darunter zweiundzwanzig Mitglieder der Eliteeinheit Navy Seals, getötet wurden.

Vierhundert US-Soldaten und Angehörige ausländischer Truppen sind 2011 bereits getötet worden. Damit ist das Jahr auf dem besten Weg, zum blutigsten Kriegsjahr seit Ausbruch dieses Kriegs vor fast einem Jahrzehnt zu werden.

Die Eskalation des Aggressionskrieges gegen Afghanen, die gegen eine ausländische Besatzung kämpfen, wird immer öfter von Angriffen unbemannter Drohnen begleitet, die über die Grenze nach Pakistan fliegen.

Auf einem Forum in Washington rechtfertigte Obamas neuer Verteidigungsminister (und früherer CIA-Direktor), Leon Panetta, am Dienstag die Drohnen-Angriffe gegen wachsenden Widerstand aus Pakistan. „Wir schützen unsere nationale Sicherheit“, sagte Panetta seinen Zuhörern an der Nationalen Verteidigungs-Universität. „Wir verteidigen unser Land.“

Am selben Tag tötete der letzte Drohnenangriff vier Menschen in Nordwasiristan, unter ihnen zwei Frauen und ein Kind. Vier weitere Personen wurden verletzt, als eine Hellfire-Rakete ein Privathaus in Schutt und Asche legte. Der Versuch, die Leichen zu bergen und den Verletzten zu helfen, wurde erschwert, da weitere Drohnen über die Gegend flogen und die örtliche Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzten.

Die früher üblichen Sprüche des Weißen Hauses und des Pentagons, die USA würden in Afghanistan “die Nation aufbauen” oder “die Herzen und den Verstand der Menschen gewinnen”, hört man praktisch nicht mehr. Offenbar verfolgt Obama jetzt das Endziel, den afghanischen Widerstand auszubluten, bis er sich ergibt. So will man ein Übereinkommen erzielen, das den imperialistischen Interessen entspricht, die den Krieg von Anfang an bestimmt haben.

Dieses Ziel hat nichts mit einem Krieg gegen den Terrorismus, sondern mit geo-strategischen Interessen und Konzernprofiten zu tun. Zum Beispiel will man permanente Stützpunkte in Afghanistan errichten. Darüber führt die Regierung in Washington zurzeit mit Hamid Karzai „strategische Partnerschafts“-Verhandlungen.

Zweck solcher Stützpunkte wäre es, die US-Kontrolle über die Energiereserven des Kaspischen Beckens und der wichtigsten Pipeline-Versorgungsstrecken in den Westen zu sichern und zusätzlich China, Russland und den Iran in Schach zu halten.

Der zehnjährige Krieg bringt nicht nur schreckliches Leid über die verarmten Massen in Afghanistan und Pakistan, er wird auch auf Kosten der amerikanischen Arbeiterklasse geführt. Die überwältigende Mehrheit der Soldaten, die bisher getötet und verstümmelt wurden, sind Arbeiter. Billionen von Dollars werden in die Kriege in Afghanistan und im Irak gepumpt, und das zu einer Zeit, da Demokraten und Republikaner gleichermaßen behaupten, es sei „kein Geld“ für Jobs und lebenswichtige Sozialleistungen vorhanden.

In der Öffentlichkeit gibt es praktisch keinen Protest mehr gegen den Krieg. Die offizielle „Anti-Kriegs“-Bewegung, die von einer wohl situierten Mittelschicht dominiert wurde, hat sich selbst in die Demokratische Partei integriert und sieht ihr Hauptziel darin, Alibis für den Militarismus unter Obama zu liefern.

Dennoch wächst die Wut über diesen Krieg innerhalb der Arbeiterklasse, wie auch die Empörung über den Angriff auf die sozialen Errungenschaften, auf Arbeitsplätze und den Lebensstandard. Diese kriegsfeindliche Stimmung kann und muss durch eine politische Mobilisierung der Arbeiterklasse freigesetzt werden. Und sie muss sich gegen die Obama-Regierung und das kapitalistische Profitsystem richten, das die Ursache von Militarismus und Krieg ist.

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