Berlinwahl: Wofür steht die BIG-Partei?

Zu den Berliner Abgeordnetenhauswahlen tritt eine neue Partei an, die sich insbesondere an Wähler ausländischer Herkunft wendet. Das Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit, kurz BIG, wirbt vor allem in den problembelasteten Stadtteilen mit hohem Anteil an Migranten um Stimmen. Dabei gibt sich die Partei, wie schon der Name sagt, als fortschrittlich, vertritt aber in Wahrheit ein äußerst konservatives Programm.

Viel Zustimmung haben der BIG-Partei besonders die ausländerfeindlichen Thesen des Sozialdemokraten Thilo Sarrazin gebracht, gegen die sie auf ihren Werbeplakaten Stellung nimmt. Laut eigenen Angaben verfügt sie trotz ihrer relativ jungen Geschichte bereits über 1.000 Mitglieder.

Obwohl die BIG-Partei für „Chancengleichheit, Gleichbehandlung und Anerkennung in allen Lebensbereichen“ wirbt und behauptet, sie wolle „benachteiligten Migranten und Arbeitslosen eine Stimme geben“, stammt ihr Führungspersonal überwiegend aus dem Milieu türkischstämmiger Unternehmer, Kleinunternehmer und Selbständiger.

Sie unterhält enge Verbindungen zu islamischen Organisationen und Vereinen, auch wenn sie nicht als islamistische Partei auftritt und sich zu einer multikulturellen Gesellschaft bekennt. In Fragen der Inneren Sicherheit und der Sexualmoral vertritt BIG äußerst konservative Standpunkte, wie sie auch am rechten Rand der CDU zu finden sind.

Die BIG-Partei bekennt sich uneingeschränkt zum Kapitalismus. Jede Nähe zu sozialistischen Vorstellungen lehnt sie ab. Vor diesem Hintergrund muss ihr Anspruch gewertet werden, sie vertrete „alle in Deutschland lebenden Bürger“ und befürworte die Gleichbehandlung „aller Menschen in unserem Land“.

Wirkliche Gleichheit und Solidarität zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft ist nur auf der Grundlage eines sozialistischen Programms möglich, das sich gegen soziale Ungleichheit und das Diktat der Banken richtet. Das BIG versucht dagegen, Arbeiter aus Immigrantenkreisen an eine Partei zu binden, die religiöse Werte und die Interessen aufstrebender türkischer Unternehmer vertritt. Damit spaltet BIG sie die Arbeiterklasse.

Das BIG orientiert sich eindeutig an der türkischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), darauf deutet schon die Ähnlichkeit des Namens hin. Die AKP von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat in den Armenvierteln der Großstädte und unter religiös orientierten Schichten der Bevölkerung Stimmen gewonnen. Als Regierungspartei vertritt sie dagegen sowohl in der Wirtschafts- wie in der Innen- und der Außenpolitik aggressiv die Interessen der türkischen Bourgeoisie.

Das BIG-Programm: konservative islamische Politik

Die BIG-Partei entstand durch den Zusammenschluss von drei regionalen Wählervereinigungen aus Köln, Bonn und Gelsenkirchen, die bei den Kommunalwahlen 2009 in Bonn und Gelsenkirchen jeweils zwei Sitze in den Stadträten errungen hatten. Es wurde in Köln gegründet und trat 2010 zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen an, wo es mit einem Stimmenanteil von 0,2 Prozent an der 5-Prozent-Hürde scheiterte.

Zu den Unterstützern und den Strippenziehern bei der Gründung des BIG gehört laut Spiegel auch die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die als „europäischer Arm“ der AKP angesehen wird. Sie rief bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen alle türkischstämmigen Wahlberechtigten dazu auf, BIG zu wählen. Die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. unterstützt BIG ebenfalls.

Auch Milli Görüs und andere islamische Organisationen berichten freundlich über die BIG-Partei oder unterstützen sie, indem sie zu ihrer Wahl auffordern.

Die Partei verfügt über sieben Landesverbände und 35 Kreisverbände. Ihre Mitglieder kommen laut Homepage aus 21 verschiedenen Nationen. Sie hat nach eigenen Angaben 20 Prozent deutschstämmige Mitglieder. 60 Prozent sind in Deutschland geboren, haben aber zugewanderte Eltern. 20 Prozent sind reine Zuwanderer.

In ihrem Programm greift die BIG-Partei einige Themen auf, bei denen Immigranten offensichtlich benachteiligt werden.

So setzt sie sich für Gemeinschaftsschulen und mehr bilinguale Schulen ein und propagiert Türkisch als Zweitsprache im Unterricht. Dies allerdings auch mit der Begründung, dass sich mit der aufstrebenden Wirtschaft in der Türkei gute Geschäfte machen ließen. Sie fordert längere gemeinsame Schulzeit sowie frühkindliche Sprachförderung und setzt sich für die Förderung von Bildung für Frauen ein. In Nordrhein-Westfalen hat sie allerdings auch die schwarz-gelbe Hochschulpolitik mit Autonomisierung und zunehmender Privatisierung sowie Studiengebühren befürwortet.

In der Wirtschaftspolitik knüpft das BIG teilweise an islamische Vorstellungen an, wie die eines zinslosen Bankensystems. Es begründet diese Forderung mit dem Bedürfnis nach Fairness und bestreitet ihre religiöse Motivation. Auch die Förderung von Kleinunternehmern gehört zu ihren zentralen Forderungen.

Die Vorstellungen von Ehe, Familie und Familienpolitik ähneln stark denen konservativer CDU-Anhänger. So erklärt das BIG, der besondere Schutz der Familie als Rückgrat der Gesellschaft müsse bestehen bleiben. „Da vertreten wir die gleiche Position wie die CDU.“

Im Berliner Wahlkampf agitierte das BIG gegen den in den Berliner Lehrplänen vorgesehenen Sexualkundeunterricht in Grundschulen, in dem unter anderem eine altersgemäße Aufklärung auch über gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen vorgesehen ist.

Ein Flugblatt gegen das „Schulfach schwul“ warnte in deutscher und türkischer Sprache, die Berliner Schulbehörden wollten Erstklässlern Begriffe wie „Darkroom“ und „Selbstbefriedigung“ näher bringen. „Durch die werbende Darstellung der homosexuellen Lebensform im Unterricht wird das Recht der Eltern auf Vermittlung der eigenen Werte ausgehebelt. Wir dürfen nicht mehr entscheiden, wovor wir unsere Kinder bewahren wollen“, heißt es darin.

Der Kreuzberger Kandidat Ismail Özkanli suchte über Facebook „dynamische Mitglieder und Schüler“, um vor Grundschulen in Neukölln, Kreuzberg und Wedding Flyer gegen das „Schulfach schwul“ zu verteilen und die Berliner Kinder „vor der Unmoral zu schützen“.

Zur Inneren Sicherheit hatte sich der Generalsekretär des BIG, Amin Thomas Bongartz, schon vor der NRW-Wahl deutlich geäußert. Er fand die bestehenden Sicherheitsgesetze mit ihren Einschränkungen von persönlicher Freiheit und Grundrechten „sehr gut“ und meinte, sie seien „noch ausbaufähig“. Der Einzelne müsse vor dem übergeordneten Interesse der inneren Sicherheit „zurücktreten“. Sicherheit sei die Grundlage für Gerechtigkeit und Innovation, meinte er.

Das Führungspersonal: wohlhabend und etabliert

Der Vorsitzende des BIG, Haluk Yildiz, ist Unternehmensberater und sitzt seit 2009 im Bonner Stadtrat. Er ist strenggläubiger Moslem, betet fünfmal am Tag und ist mit einer deutschen Journalistin verheiratet. Er wurde in Deutschland geboren, wo seine Eltern eine Zeitlang als Ärzte arbeiteten.

Yildiz studierte in der Türkei Germanistik, arbeitete nebenbei als Reiseleiter, handelte mit Maschinen und Textilien und charterte Flugzeuge. In Deutschland studierte er zunächst Betriebswirtschaft und später vergleichende Religions- und Islamwissenschaften. Nach eigenen Angaben war er auch in der Bankenbranche und als Unternehmensberater tätig.

Erst in Deutschland wurde Yildiz in den 1990er Jahren praktizierender Moslem. Wie er in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger erklärte, wurde die Religion für ihn bei der „Suche nach der eigenen Identität in der Fremde“ lebensbestimmend. Er trat als Gründungsmitglied oder Initiator verschiedener moslemischer Organisationen hervor.

So gründete er 2001 die Islamische Hochschulvereinigung und 2006 den Rat der Muslime in Bonn. Letzterer wurde in den Räumen des Muslimischen Sozialen Bunds (MSB) gegründet, dessen Vorsitzender Hassan Özdogan ehemaliges Vorstandsmitglied der islamischen Bewegung Milli Görüs und ein enger Vertrauter des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ist. Özdogan ist auch Vorsitzender der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UFDT), die das BIG unterstützt.

Laut Yildiz gab der Karikaturenstreit Anlass zur Gründung des Rats der Muslime. Zu den Gründungsmitgliedern des Rats gehören auch zwei als islamistisch bekannte Moscheevereine. Yildiz ist der Auffassung, dass man auch extremistische Moslems nicht ausgrenzen dürfe, sondern auf sie zugehen und mit ihnen diskutieren müsse.

2009 ging aus dem Rat der Muslime, das Bündnis für Frieden & Fairness (BFF), eine der drei Gründungsorganisationen des BIG, hervor. Das BFF nahm an den Kommunalwahlen in Bonn teil und eroberte, wie bereits erwähnt, zwei Sitze im Stadtrat.

Spitzenkandidat des BIG in Berlin ist Ismet Misirlioglu, der langjährige Leiter des Berliner Büros der orthodoxen islamischen Hilfsorganisation „Islamic Relief“.

Der studierte Diplomingenieur für Elektrotechnik wurde 1966 im türkischen Samsun geboren und lebt seit 1984 in Deutschland. Er genießt hohes Ansehen bei seinen Glaubensgenossen und war einer der Mitinitiatoren des Runden Tischs der muslimischen Organisationen in Friedrichshain-Kreuzberg. Islamic Relief ist eine internationale Hilfsorganisation, die die sogenannte Zakat verwaltet. Das sind soziale Abgaben, zu denen wohlhabende Moslems nach den Koran verpflichtet sind. Islamic Relief ruft auch zur Wahl des BIG auf.

Auch die meisten anderen Kandidaten des BIG entstammen der gebildeten und relativ wohlhabenden Mittelschicht. An Geld scheint es den BIG-Wahkämpfern jedenfalls nicht zu fehlen, wenn man ihre Wahlwerbung betrachtet.

Um noch ein paar ihrer Kandidaten zu nennen:

Auf Platz 2 der Landesliste des BIG steht der Zahnarzt Prof. Dr. Ismail Özkanli. Den Professorentitel soll er ehrenhalber von der ziemlich zweifelhaften World Information Distributed University Belgien-Brüssel erhalten haben.

Der Direktkandidat in Friedrichshain-Kreuzberg Ibrahim Yadikar firmiert als Kaufmann und Unternehmer.

Die Homepage des Kandidaten Yusuf Bayrak, der in Neukölln als unabhängiger Kandidat bereits zum Bundestag 2009 kandidierte, verlinkt auf einen „vielfältigen weltweiten Warenhandel“ und andere Geschäfte. Er verdient sein Geld als Importeur von Waren aus China und gilt als gläubiger Moslem und Vertreter konservativer Werte.

Zur Auswahl der Kandidaten erklärt der Vorsitzende Yildiz, nur „erfolgreiche Migranten“ würden von den Wählern akzeptiert“. Wer sich in der deutschen Gesellschaft bisher nicht habe durchsetzen können und erfolglos blieb, der habe auch in der Politik keine Chance.

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