Was ist von den Piraten im Abgeordnetenhaus zu erwarten?

Viel wurde in den letzten Tagen über das Ergebnis der Piratenpartei bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen diskutiert. Beinahe einhellig wurde dabei auf das „Lebensgefühl einer ganzen Generation“ (Süddeutsche Zeitung) oder „eine Bewegung, die mit dem Netz geboren wurde“ (Welt) verwiesen. Doch der Erfolg der Piratenpartei ist eher Ausdruck einer verbreiteten politischen Orientierungslosigkeit, als des Aufbruchs einer Generation.

Schon die Nachwahlbefragungen der ARD zeigen sehr deutlich, dass die Piratenpartei von Menschen fast aller Altersgruppen vor allem aus Protest gegen den etablierten Politbetrieb gewählt wurde. Zwar erreichte die Partei mit 16 Prozent bei Wählern zwischen 18 und 35 Jahren ihr bestes Ergebnis, doch wählten immer noch zehn Prozent der 35 bis 44 Jährigen und acht Prozent der 45 bis 59 Jährigen die Piraten. Erst bei Wählern über 60 Jahren erreichte die Partei mit drei Prozent Ergebnisse deutlich unter dem Durchschnittswert. Auch die Berufsgruppen sind recht gleichmäßig verteilt.

Die Zahlen zu den Gründen der Wahlentscheidung sind noch deutlicher. 86 Prozent der Piratenwähler gaben an, dass die Partei eine Alternative für die sei, die sonst gar nicht wählen würden und immer noch 59 Prozent, dass sie gewählt werde, um anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Dabei erhielt bei den wahlentscheidenden Themen die „Soziale Gerechtigkeit“ mit 46 Prozent den Spitzenplatz, gefolgt von „Bildungspolitik“ mit 30 Prozent.

Auch an den Wählerwanderungen zeigt sich, dass gleich nach den früheren Nichtwählern (23.000) die Piraten die meisten Stimmen von den Regierungsparteien SPD und Linkspartei (27.000) erhielten. Von den Grünen erhielten die Piraten 17.000 und von der FDP 6.000 Stimmen.

Alle diese Zahlen belegen, dass der Wahlerfolg der Piraten nicht auf einer inhaltlichen Neuorientierung der jungen Generation, sondern auf der Unzufriedenheit aller Altersgruppen mit dem rot-roten Senat und allen offiziellen Parteien basierte.

In ihrer Mitgliedschaft und Führung repräsentiert die Partei keinesfalls breite Schichten von Jugendlichen, sondern ein ganz bestimmtes wohlsituiertes Klientel, das nicht an den sozialen Problemen der Jugend, an Massenarbeitslosigkeit und Niedriglöhnen interessiert ist, sondern endlich selbst etwas zu sagen haben will.

Auf ihrem letzten Parteitag wandte sich die Bundespartei mehrheitlich gegen Forderungen nach einem Grundeinkommen oder Mindestlöhnen, verglich sie mit „DDR-Verhältnissen“ und bezeichnete sie als „Grabenkämpfe des 20. Jahrhunderts“. Der derzeitige Bundesvorsitzende, Sebastian Nerz war bis ins Jahr 2004 Mitglied der CDU und sein Stellvertreter Bernd Schlömer, ist akademischer Direktor im Bundesverteidigungsministerium und erklärter Anhänger des ehemaligen Innenministers Gerhard Baum (FDP) sowie des Altkanzlers Helmut Schmidt (SPD).

Ein weiteres prominentes Mitglied der Partei ist die Ex-Grüne Angelika Beer, die als verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung der völkerrechtswidrigen Angriffskriege auf den Kosovo und Afghanistan beteiligt war. Zu diesen essentiellen politischen Fragen, die Millionen Jugendliche bewegen, hat die Piratenpartei noch immer nicht öffentlich Stellung bezogen.

In ihrem Berliner Wahlprogramm forderten die Piraten vor allem mehr Transparenz und Mitbestimmung auf relativ unwichtigen Ebenen der Politik, während sie gleichzeitig betonten, dass die Transparenz ein Ende habe, wenn es um Geschäftsinteressen gehe. In keinem Wort haben sie hingegen die Wirtschaftskrise thematisiert, die gerade jeden Bereich des politischen Lebens dominiert. Der Berliner Spitzenkandidat Andreas Baum hat seine ganze Ignoranz gegenüber diesen Fragen, die für Millionen Menschen die bloße Existenz bedeuten, in der Kleinparteienrunde des rbb deutlich gemacht, als er die Berliner Schulden von 63 Milliarden Euro auf „viele Millionen“ schätzte.

Zu keinem Zeitpunkt setzten sich die Piraten mit der unsozialen Politik des rot-roten Senats ernsthaft auseinander. Sie sehen sich als liberalen Teil des politischen Establishments. In einem Interview mit Spiegelonline machte Baum deutlich, dass die inhaltlichen Differenzen mit anderen Parteien nicht entscheidend seien: „Was uns von den anderen Parteien deutlich unterscheidet, ist vor allem eines: Wir sind eben neu und unverbraucht.“ Mehrfach hatte die Partei betont, dass sie mit allen im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien bereit sei, Koalitionsgespräche zu führen.

Einer der neuen Abgeordneten der Piraten, Simon Kowalewski, erklärte gegenüber dem Jungendmagazin Jetzt, dass seine Fraktion Abgeordnete anderer Parteien bitten werde, ihnen Nachhilfe in der Parlamentsarbeit zu geben. Auf kommunaler Ebene habe das etwa mit Vertretern der Linkspartei bereits gut funktioniert. Ein anderer Abgeordneter bedankte sich bei Benedikt Lux von den Grünen für die Einweisung in die Parlamentsarbeit, die er ihm gegeben habe.

Angesichts dieser Mischung aus Opportunismus, Naivität und Ignoranz gegenüber den brennenden Fragen der Zeit wundert es nicht, dass die Mitgliederentwicklung der Piratenpartei seit Beginn 2011, nur fünf Jahre nach der Gründung, bereits wieder rückläufig war.

Die schwedischen Piraten, die der deutschen Schwesterorganisation als Vorbild diente, scheiterten bei den Parlamentswahlen 2010 mit 0,65 Prozent kläglich. Bei den Europawahlen 2009 waren sie mit 7,1 Prozent noch ins Europaparlament eingezogen. Anschließend trat ihr bis dahin einziger Abgeordneter Christer Engström der Fraktion der Grünen bei und bastelte an seiner eigenen Karriere.

Gegenüber der Tageszeitung die Welt erklärte Engström kurz nach den Wahlen in Berlin: „Uns Piraten soll es als Partei auch gar nicht ewig geben. Wir sind nicht gekommen, um zu bleiben. Wir wollen Ideen verbreiten. Wenn die etablierten Parteien, ob CDU oder Linke, diese aufnehmen, umso besser. Wenn das getan ist, dann ist auch unser Job getan.“

Dass die Piraten in Berlin ein gewisses Protestpotential mobilisieren konnten, hängt weder mit einer breiteren Verwurzelung in der Jugend noch mit ihrer inhaltlichen Ausrichtung zusammen. Es ist vielmehr das Produkt einer aufwendigen PR-Kampagne und eines umfassenden Medienhypes.

Angesichts ihrer eigenen politischen Orientierungslosigkeit richteten die Berliner Piraten ein offenes Internetforum ein und forderten „Wähler und Nichtwähler“ auf ihre „Lieblingsforderung“ dort zu nennen. Mit Hilfe von Beratern wählten sie daraus einige Forderungen aus, die sie dann im Wahlkampf bekannt machten. Darunter waren Forderungen wie „Freie Fahrt im Berliner Nahverkehr“ und „Grundeinkommen“. Auf diese Weise präsentierten sich die Piraten trotz ihres durch und durch bürgerlichen Charakters als soziale Alternative.

Ein solches Make-Up und ein jugendliches Auftreten reichten nur deshalb für neun Prozent der Stimmen aus, weil in der ganzen Berlinwahl politische Fragen völlig ausgeklammert wurden. Keine der etablierten Parteien sprach in diesem Wahlkampf die Wirtschaftskrise, den Krieg gegen Libyen oder die Massenarmut in Berlin an. Während die SPD auf ihren Plakaten gänzlich auf Aussagen verzichtete, überzog die Linkspartei die Stadt mit zynischen Lügen. Die Grünen konzentrierten ihren Wahlkampf auf ihre Spitzenkandidatin Renate Künast und die CDU plakatierte den nichtssagenden Slogan „Damit sich etwas ändert“.

In diesem Klima der hohlen Phrasen fühlte sich die Piratenpartei wie der Fisch im Wasser. Richtig an Fahrt nahm ihre Kampagne aber erst auf, als die Medien begannen, massenweise über sie zu berichten. In hunderten Artikeln, sowie Radio- und Fernsehberichten wurde die Partei als frische Alternative zum verstaubten Establishment dargestellt. Im Zuge dieser Berichterstattung begannen die Umfragewerte der Partei signifikant zu steigen.

So wurden die Piraten zur neuen Alternative hoch stilisiert, um den weit verbreiteten politischen Unmut in harmlose und marktwirtschaftsfreundliche Kanäle zu lenken.

Ungeachtet der Tatsache, dass die Piraten mithilfe der Medien auch Protestpotential abschöpfen konnten, verkörpert diese Partei vor allem jene Mittelschichten, die sich von den Auswirkungen der Krise bedroht fühlen und in der verschärften Klassensituation nur um ihren eigenen Spielraum fürchten.

Von den Piraten im Abgeordnetenhaus ist daher nicht der geringste Widerstand gegen die Sozialkürzungen zu erwarten, die jetzt bevorstehen. Auch wenn sich verschiedene kleinbürgerliche Gruppen, die bisher die Linkspartei hofierten, jetzt bemühen, die Piraten als potentielle linke Alternative darzustellen, besteht kein Zweifel, wie sich diese Partei entscheiden wird.

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