Manroland-Beschäftigte in Plauen:

„Belogen und verheizt haben sie uns“

„Plattmachen geht nicht!“ Der markige Spruch der IG Metall angesichts des laufenden Insolvenzverfahrens gegen die Manroland-Druckmaschinenfabrik springt einem in jeder Straßenbahn in Plauen entgegen. Auch vor dem Werk selber zeigt die Gewerkschaft durch einen beeindruckenden Stand Präsenz und spart auf zahlreichen Aushängen nicht mit kämpferischen Parolen.

Spricht man allerdings die Arbeiter des Betriebes auf ihre Erfahrungen mit der IG Metall an, dann hört man ganz andere Töne. „Belogen und verheizt haben sie uns“, sagt ein Arbeiter aus dem Logistikbereich, seit mehr als drei Jahrzehnten bei Manroland beschäftigt. „Eine Sauerei, was sie mit uns machen“, sagt ein junger Vorspäner, der seit knapp zehn Jahren zur Belegschaft gehört. „Die stecken doch alle unter einer Decke“, flucht ein Monteur aus der Endfertigung, „die denken doch nur an sich selber!“ Und ein vierter, der hier gelernt hat und seit 25 Jahren an der Werkbank steht, meint: „Vier Jahre lang haben sie uns zum Stillhalten aufgefordert – und am Montag haben sie auch noch die letzte Chance genommen, uns zu wehren.“

Aktueller Anlass der Verärgerung ist die am Montag auf einer Betriebsversammlung in Plauen bekanntgegebene Entscheidung von Betriebsrat und IG Metall, die für Freitag in München angesetzte Großdemonstration aller Manroland-Beschäftigten der drei deutschen Standorte abzusagen. Der einseitig getroffene und nicht zur Abstimmung durch die Belegschaft vorgelegte Entschluss ist aber nicht der einzige Grund für die Wut der Arbeiter. Er ist nur das bisher letzte Glied in einer langen Kette von Vorfällen, die allesamt zeigen: Wenn es darum geht, der Belegschaft in den Rücken zu fallen, hat die Betriebsleitung von Manroland keinen zuverlässigeren Verbündeten als die IG Metall.

Vier Jahre ist es her, da zeichneten sich die ersten grauen Wolken am Himmel von Manroland ab. Dumpingpreise, verschärfte Konkurrenz und die internationale Wirtschaftskrise verschlechterten die Marktsituation für den Druckmaschinenbauer. Das war abzusehen, und vor allem die IG Metall war über diese Entwicklung bestens informiert. Denn der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Manroland ist niemand anders als Jürgen Kerner, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall Augsburg und jetzt geschäftsführendes Vorstandsmitglied in ihrer Frankfurter Zentrale. Doch Herr Kerner nutzte sein Wissen nicht, um die Beschäftigten über die drohenden Gefahren aufzuklären und sie in die Lage zu versetzen, sich auf die unausweichlichen Auseinandersetzungen vorzubereiten. Stattdessen fungierte er als Berater der Geschäftsleitung.

Die Probleme verschlimmerten sich und die Inhaber von Manroland, die Konzerne MAN und Allianz, forderten durchgreifende Maßnahmen, um den Rückgang der Profite zu stoppen. Die Betriebsleitung setzte Kurzarbeit, Kürzung des Weihnachtsgeldes und Streichung des Urlaubsgeldes durch. Wieder fungierte die IG Metall als Berater, um den Sozialabbau so zu gestalten, dass er ohne großen Widerstand durchgesetzt werden konnte.

Ihr Zwickauer 1. Bevollmächtigter Stefan Kademann empfahl der Belegschaft, die Maßnahmen zu akzeptieren, um so mitzuhelfen „die Arbeitsplätze zu sichern“. Ein Versprechen mit fatalen Folgen: Inzwischen sind allein in Plauen weit mehr als einhundert Arbeitsplätze abgebaut worden.

Doch auch dieser Verzicht der Belegschaft reichte nicht aus. Die Marktsituation für Manroland verschlechterte sich weiter, bis MAN und Allianz am 25. November 2011 die Reißleine zogen und Insolvenz anmeldeten. Die Entscheidung traf die Belegschaften vollkommen unvorbereitet. Die IG Metall hatte mit der Geschäftsleitung ein Stillschweigeabkommen vereinbart, während gleichzeitig Jürgen Kerner und andere IGM-Funktionäre wochenlang an der Vorbereitung der Insolvenz beteiligt waren.

Die Folgen der Insolvenz sind in Plauen und dem sturkturschwachen Vogtland besonders verheerend. Manroland ist aus der früheren Plamag (Plauener Maschinenbau-AG) entstanden, die wiederum aus der Vogtländischen Maschinenfabrik (VOMAG) und deren Vorläufern hervorging, in der seit 1896 Druckmaschinen gebaut wurden. Der Betrieb ist der traditionsreichste und neben dem Omnibushersteller Neoplan der größte Arbeitgeber in Plauen.

Erst vor kurzem hat der dritte große Betrieb am Ort, Philips, 130 seiner 440 Mitarbeiter wegen einer teilweisen Produktionsverlagerung ins kostengünstigere Polen entlassen. Die Arbeitslosigkeit in Plauen liegt bei über neun Prozent, die Kreisstadt leidet wegen des ständigen Wegzugs jüngerer Menschen an Überalterung.

Der Verlust ihres Arbeitsplatzes wird viele Beschäftigte von Manroland direkt in die Langzeitarbeitslosigkeit treiben. Etliche jüngere Arbeiter kündigen an, sie würden in den Westen gehen und dort versuchen einen Arbeitsplatz zu finden. Vor allem aber wird die Insolvenz die Rentner mit großer Härte treffen, denn nach einer Insolvenz entfällt der Anspruch auf die Betriebsrente. Während die Vorstände von MAN und Allianz also weiter Millionengehälter kassieren und auch Jürgen Kerner sich um sein fünfstelliges Monatseinkommen nicht zu sorgen braucht, müssen die Rentner von Manroland in Plauen - ohnehin schon schlechter gestellt als ihre Kollegen im Westen - den Absturz unter die Armutsgrenze fürchten.

Angesichts dieser düsteren Aussichten brodelte es um die Weihnachtszeit innerhalb der Belegschaft. Um diesen Unmut abzufangen, wurde schnell die Großdemonstration der drei Manroland-Werke Augsburg, Offenbach und Plauen in München angesetzt. Der Schritt wurde von vielen Arbeitern begrüßt. „Da hätten wir endlich mal Stärke zeigen können“, sagen zwei junge Monteure, die schon in Plauen gelernt haben, und fügen hinzu, dass der Austausch mit den Kollegen an den anderen Standorten die Kampfkraft „entscheidend gestärkt“ hätte. Dass die Vogtländer kampfbereit sind, zeigte sich bereits bei einer Demonstration Anfang Dezember. Viele Beschäftige anderer Betriebe und Menschen aus der ganzen Region hatten sich beteiligt.

Als auf der Betriebsversammlung am Montag mitgeteilt wurde, dass die Gewerkschaft die Demonstration abgesagt habe, reagierten viele Beschäftigte überrascht und empört. Vor allem die Begründung sorgte für Unmut: Allianz und MAN hätten sich bereit erklärt, mit einem Sockelbetrag von 24 Millionen Euro künftige Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zu unterstützen. Um diese – weder schriftlich bestätigte, noch sonst rechtlich bindende - „Zusage“ nicht zu gefährden und Allianz und MAN „nicht zu verärgern“, wolle man auf den „Aufmarsch“ in München verzichten und stattdessen in Plauen wie an den anderen beiden Orten „kleinere Kundgebungen“ durchführen.

Viele Arbeiter am Standort Plauen fragen sich, wieso diese Zusage gerade am Montag bekannt gegeben wurde. Kann es vielleicht sein, dass sie gar kein ernstgemeintes Angebot, sondern nur ein taktisches Manöver war, um die geplante Großdemonstration abzusagen?

Das Urteil der Arbeiter in Plauen ist eindeutig. „Betriebsrat und IG Metall helfen der Betriebsleitung, unseren Widerstand zu zersplittern“, sagt ein Techniker, der seit fünfzehn Jahren im Werk arbeitet. „Eigentlich sollten wir sofort in den Streik treten“, meint ein anderer. Er wird von einem Kollegen darauf hingewiesen, dass der IG Metall-Bevollmächtigte Stefan Kademann innerhalb der Belegschaft „unter dem Siegel der Verschwiegenheit“ verbreitet habe, ein Streik sei unmöglich, da „die IG Metall Frankfurt ihn zurückgepfiffen“ habe.

Egal, ob diese Aussage stimmt oder nicht, sie ist in jedem Fall symptomatisch für die IGM, die bei Manroland wie in vielen anderen Betrieben ein übles Doppelspiel treibt: Während sie auf manchen Versammlungen und Kundgebungen kämpferisch auftritt, arbeitet sie hinter dem Rücken der Belegschaft eng mit der Unternehmensleitung zusammen und setzt Lohnsenkungen und Sozialabbau durch.

Das Plakat „Plattmachen geht nicht“ der IG Metall in Plauen sollte ersetzt werden durch ein Plakat mit der Aufschrift „Plattmachen geht doch“, ergänzt durch die Zeile: „Mit unserer Hilfe - Ihre IG Metall“.

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