Perspektive

Die Plünderung der griechischen Arbeiterklasse

Die Angriffe auf die griechische Bevölkerung haben empörende Ausmaße angenommen. Die Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank verlangt nicht weniger als den völligen Ruin der griechischen Arbeiterklasse.

Bereits die bisherigen Sparpakete hatten einen beispiellosen sozialen Absturz zur Folge. Jeder fünfte Erwachsene und jeder zweite Jugendliche in Griechenland ist arbeitslos. Obdachlosigkeit, vor der Krise auf den Straßen Athens so gut wie unbekannt, ist zu einem weitverbreiteten Phänomen geworden. Zehntausende Kleinunternehmer sind wegen der drastischen Steuererhöhungen pleitegegangen.

Eine kleine, begüterte Oberschicht ist dagegen von den Sparmaßnahmen kaum betroffen. Sie hat nach Berechnungen des Handelsblatts 560 Milliarden Euro auf ausländischen Konten in Sicherheit gebracht, nahezu doppelt so viel wie die gesamte griechische Staatsschuld.

Für die Troika und die hinter ihr stehenden Banken ist dies alles nicht genug. Als Voraussetzung für die Auszahlung des im vergangenen Sommer beschlossenen zweiten Hilfspakets verlangt sie allein in diesem Jahr Haushaltskürzungen von 3,3 Milliarden Euro – und zwar ausschließlich auf Kosten der Arbeiterklasse.

Die Gesundheitsausgaben sollen um 1,1 Milliarden Euro reduziert, 15.000 Staatsbedienstete im kommenden und 150.000 in den nächsten vier Jahren entlassen werden. Der gesetzliche Mindestlohn, von dem 300.000 Griechen leben, soll von 750 auf 600 Euro, die Arbeitslosenhilfe von 460 auf 360 im Monat sinken. Auch die Zusatzrenten, auf die viele Griechen zum Überleben angewiesen sind, sollen um 15 Prozent gekürzt werden.

Das Lohnniveau im privaten Sektor soll um 20 Prozent reduziert werden, indem auslaufende Branchentarifverträge nicht erneuert und Tarife auf Unternehmensebene ausgehandelt werden. „Da der abgesenkte Mindestlohn die neue Basis für künftige Lohnverhandlungen darstellt, sind heftige Lohnkürzungen zu erwarten“, meint James Nixon von der Bank Société Générale.

Die drei Parteien, die die Technokratenregierung von Loukas Papademos im Parlament unterstützen (die sozialdemokratische PASOK, die konservative Nea Dimokratia und die ultrarechte LAOS), haben die Forderungen der Troika inzwischen weitgehend akzeptiert. Lediglich über die Kürzung der Zusatzrenten, die etwa einen Zehntel der Sparmaßnahmen ausmacht, gibt es noch Differenzen. Sie stimmen den Sparmaßnahmen zu, obwohl es offensichtlich ist, dass sie Griechenland tiefer in die Rezession treiben.

Die Kürzungen dienen ausschließlich der Befriedigung der Banken, die sich einen 50-prozentigen Schuldenschnitt für ihre längst abgeschriebenen Griechenlandkredite mit einer von der EU garantierten Verzinsung und Rückzahlung der restlichen 50 Prozent abkaufen lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy haben auf ihrem letzten Treffen in Paris sogar vorgeschlagen, dass ein Teil der griechischen Staatseinnahmen direkt auf ein Sonderkonto fließt, auf das die griechische Regierung keinen Zugriff hat, bevor die Forderungen der Banken erfüllt sind.

Inzwischen mehren sich auch Stimmen, die einen Staatsbankrott Griechenlands und den Austritt des Landes aus der Eurozone befürworten. So bezeichnete die Vizepräsidenten der EU-Kommission, Neelie Kroes, ein Ausscheiden des Landes aus der Währungsunion als „verkraftbar“. Und die griechische EU-Kommissarin Maria Damanaki bestätigte, dass ein Ausstieg aus dem Euro eine „echte Alternative“ geworden sei, „die offen geprüft“ werde.

Zweck eines solchen Schritts wäre es, alles, was an Einkommen, Ersparnissen und sozialer Infrastruktur noch übrig ist, mit den Mitteln einer Staatsinsolvenz und einer galoppierende Geldentwertung zu vernichten. Nachdem die griechische Arbeiterklasse bis aufs letzte Hemd ausgeplündert worden ist, wird sie wie eine ausgequetschte Zitrone beiseite geworfen. Die Reichen, die ihre Vermögen außerhalb des Landes in Sicherheit gebracht haben, wären dagegen abgesichert.

Griechenland dient als Präzedenzfall für ganz Europa. Hier findet eine soziale Konterrevolution statt, die noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar war. Breite Bevölkerungsschichten werden zu bitterer Armut, zu Arbeitslosigkeit, zu Krankheit und sogar zum Tod verdammt, um die Profitansprüche der internationalen Finanzaristokratie zu sichern.

Auch in anderen Ländern, die in den Strudel der Eurokrise geraten sind (Portugal, Spanien, Irland) oder am Tropf des Internationalen Währungsfonds hängen (Ungarn, Rumänien), finden ähnlich drakonische Angriffe auf die Arbeiterklasse statt. Die vielen Dutzend Toten, die die jüngste Kältewelle in Osteuropa gefordert hat, sind nicht Opfer des Wetters, sondern von Sparmaßnahmen, die Elektrizität, Heizung oder ein Dach über dem Kopf für viele unerschwinglich gemacht haben. Selbst in „reichen“ Ländern wie Deutschland nimmt die Zahl der „arbeitenden Armen“ und Niedriglöhner unaufhörlich zu.

Umso bezeichnender ist es, dass von den sozialdemokratischen Parteien und den Gewerkschaften in Europa nicht ein Wort der Solidarität mit den griechischen Arbeitern zu hören ist. Sie unterstützen das Diktat der Troika uneingeschränkt und helfen mit, es durchzusetzen.

Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments und eine maßgebliche Stimmen der europäischen Sozialdemokratie, hat die griechischen Parteien ausdrücklich aufgefordert, die Sparauflagen der Troika zu erfüllen. „Ich erwarte, dass Griechenland und alle Parteien sich darauf konzentrieren, wie sie die Maßnahmen der Troika umsetzen können“, sagte das SPD-Mitglied.

Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat zwar einige unverbindliche Zeilen der Solidarität mit seinen griechischen Mitgliedsverbänden veröffentlicht, die die Wut der griechischen Arbeiter in wirkungslosen, zeitlich befristeten Proteststreiks verpuffen lassen. Doch er hat keinen Finger gerührt, um die Arbeiter anderer Länder zur Verteidigung ihrer griechischen Kollegen zu mobilisieren, weil er selbst uneingeschränkt hinter der Troika steht und eng mit ihren Institutionen zusammenarbeitet.

Deutlicher könnten Sozialdemokraten und Gewerkschaften ihren vollständigen Übergang ins Lager der herrschenden Finanzoligarchie nicht zur Schau stellen. Indem sie die Angriffe auf die Arbeiterklasse in Griechenland unterstützen, bereiten sie ähnliche Angriffe auf die Arbeiterklasse in sämtlichen europäischen Ländern vor.

Unterstützt und verteidigt werden sie dabei von einer Vielzahl pseudolinker Organisationen, die versuchen, die Arbeiter an die bankrotten gewerkschaftlichen Apparate zu fesseln, Illusionen in die Reformierbarkeit der Soziademokratie und der Europäischen Union schüren oder die Empörung über das Diktat der Troika in die Sackgasse des griechischen Nationalismus lenken.

Die Ereignisse in Griechenland zeigen, dass die Arbeiterklasse neue Organisationen und eine neue politische Perspektive braucht. Die nicht endenden Angriffe auf ihre sozialen und demokratischen Rechte rufen unweigerlich heftigen Widerstand hervor. Massenproteste in Griechenland, Spanien, Rumänien und anderen Ländern zeigen das. Aber dieser Widerstand braucht eine politische Orientierung.

Er muss zu einer internationalen, sozialistische Massenbewegung entwickelt werden, die den Sturz der EU und aller kapitalistischen Regierungen in Europa anstrebt und sie durch Arbeiterregierungen ersetzt, die sich in den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zusammenschließen. Das erfordert den Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in ganz Europa.

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