Perspektive

Afghanistans My Lai

Ein namentlich nicht genannter US-Feldwebel hat in Panjwai in der Provinz Kandahar mindestens achtzehn unschuldige Zivilisten abgeschlachtet. Dieser Vorgang zeigt sowohl die Brutalität der Aggressionskriege des amerikanischen Imperialismus in Afghanistan und Pakistan, als auch die Tatsache, dass sie immer tiefer in eine Sackgasse geraten.

Die Tat erinnert in ihrer Grausamkeit und in ihren potenziellen politischen Auswirkungen an das My-Lai-Massaker während des Vietnam-Krieges. Der noch größere Massenmord von damals hatte die amerikanische Bevölkerung, insbesondere junge Menschen, hautnah mit der Barbarei des Krieges in Südostasien konfrontiert.

Das Massaker von My Lai war durch Artikel von Seymour Hersh, einem investigativen Journalisten der New York Times, in das Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit gerückt worden. Er hatte die Ermordung von hunderten Dorfbewohnern durch eine Einheit von US-Soldaten unter dem Kommando von Leutnant William Calley beschrieben.

Natürlich unterscheiden sich die Ereignisse vom 12. März 2012 von jenen vom 16. März 1968, die fast auf den Tag genau 44 Jahre auseinander liegen. Das Massaker vom Sonntag scheint das Werk eines vereinzelten Täters zu sein, der Presseberichten zufolge nach vier Kampfeinsätzen im Irak und in Afghanistan psychisch krank ist.

In My Lai waren 26 Soldaten an der Ermordung von 504 Zivilisten beteiligt. Sie befolgten den Befehl des US-Oberkommandos, das Dorf zu zerstören, jedes Haus niederzubrennen und die gesamte Bevölkerung als Sympathisanten der Nationalen Befreiungsfront, der nationalistischen vietnamesischen Aufständischen, zu behandeln.

Ein Hauch von Vietnam, der größten Niederlage, die der amerikanische Imperialismus je erlitten hat, liegt nun über der gesamten US-Nato-Intervention in Afghanistan. Das Marionettenregime in Kabul ist, wie sein Vorgänger in Südvietnam, das Produkt des gewaltigen Einstroms von US-Truppen und amerikanischen Dollars und hat keine nennenswerte Unterstützung in der Bevölkerung.

Das Führungspersonal des Regimes rekrutiert sich aus Menschen, die einem besonders habgierigen und prinzipienlosen sozialen Typus entsprechen. Ihr Ziel ist eher auf die Vergrößerung ihrer Offshore-Bankkonten als auf den Erfolg in einem Krieg gerichtet, den sie ohnehin für verloren halten, und in dem sie absolut nichts riskieren wollen.

Erst letzte Woche berichtete die amerikanische Presse in Zusammenhang mit dem Bankrott einer Kabuler Bank über zahlreiche Beispiele, bei denen Präsident Karzais Kumpane Millionen Dollar an amerikanischer Hilfe veruntreut hatten. Karzais Spitzenberater verhinderten eine Untersuchung des Vorfalls.

Wie das Wall Street Journal berichtet, gehen US-Beamte derzeit Vorwürfen nach, dass die vom Pentagon gebildete afghanische Luftwaffe eingesetzt worden sei, um Drogen und illegale Waffen durchs Land zu transportieren. Aus Afghanistan kommen neunzig Prozent des weltweit konsumierten Opiums. Jeder, der die Geschichte des Vietnamkrieges kennt, wird in der wachsenden Korruption und im Zerfall Vorboten des Zusammenbruchs erkennen.

Wie in Vietnam ist der Brudermord zur Haupttodesursache innerhalb der Besatzungskräfte in Afghanistan geworden. In Vietnam waren es frustrierte amerikanische Wehrpflichtige, die besonders brutale oder rücksichtslose Offiziere mit Granaten im Schlaf umbrachten.

In Afghanistan haben von den USA ausgebildete afghanische Polizisten und Soldaten Dutzende ihrer von den Amerikanern geführten “Verbündeten” in einer ganzen Reihe von Vorfällen getötet, die das Militär als “Grün gegen blau” beschreibt. Letzte Woche ließ ein afghanischer Polizist aufständische Taliban-Mitglieder einen Checkpoint betreten, worauf sie neun seiner Polizeikollegen im Schlaf töteten, und anschließend flüchtete er gemeinsam mit ihnen.

Die Parallele zwischen Panjwai und My Lai widerlegt die nicht enden wollenden Behauptungen der US-Regierung und der konzernkontrollierten Medien, der amerikanische Imperialismus engagiere sich weltweit militärisch aus „humanitären“ Gründen. Zuerst unter George Bush, dann unter Obama hat es einen wahren Bombenregen auf die Bevölkerung des Irak, Afghanistans, Pakistans, des Jemen und Libyens gegebenen. Syrien und Iran könnten bald dazukommen.

In Wahrheit hat die Explosion des amerikanischen Militarismus im vergangenen Jahrzehnt einen ebenso kriminellen Charakter wie in Vietnam. Die herrschende Elite der USA ist nicht weniger brutal oder rücksichtslos als in den sechziger Jahren. Auch wenn ihre Methoden technologisch raffinierter sind – „denkende“ Bomben und Drohnen-geführte Raketen anstelle von B-52-Bombern und Napalm – so ist die imperialistische Verachtung und Arroganz den betroffenen Völkern gegenüber dieselbe und findet ihren Ausdruck in solchen Gräueltaten wie der von Sonntagmorgen.

Insbesondere in Afghanistan hat Obama die entscheidende Rolle bei der Eskalation der Gewalt gespielt. Er hat die Truppenstärke der USA verdreifacht, den Krieg in jede Ecke des Landes getragen und ihn über die Grenze nach Pakistan ausgeweitet. Er hat General Stanley McChrystal eingesetzt, der die Mordzüge gegen Aufständische in Pakistan anführte, um ähnliche Aktionen in Afghanistan durchzuführen. Obama hat ihn gefeuert, weil er sich weigerte, die Luftwaffe wahllos gegen Zivilisten einzusetzen.

Unter McChrystals Nachfolger, General David Petraeus, haben Sondereinheiten der US-Truppen ihre Nachteinsätze, bei denen afghanische Dörfer zerstört wurden, erheblich ausgeweitet. Dies hat immer häufiger zu Skandalen geführt, von denen einige durch die Presse gingen, wie zum Beispiel das Urinieren auf Leichen, das Abschneiden von Fingern und anderen Körperteilen ermordeter Afghanen und ihre Aufbewahrung als „Trophäen“, wie auch die Verbrennung des Koran auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram.

Das Panjwai-Massaker enthüllt auch die reaktionäre Rolle der pseudolinken Gruppen, die dazu beitragen, die Gefühle der Massen gegen den Irakkrieg auf die Mühle der Demokratischen Partei zu lenken und sie für die Wiederwahl Obamas zu missbrauchen.

Viele dieser Organisationen haben ihre Wurzeln in der Protestbewegung der 1960er Jahre, die durch den Vietnamkrieg ausgelöst wurde. Aber sie sind inzwischen in das Lager des amerikanischen Imperialismus übergelaufen und haben selbst den Anschein eines Widerstands gegen seine Verbrechen aufgegeben. Letztes Jahr dienten sie als Cheerleader für die Bombardierung Libyens durch die USA und die NATO; heute schreien sie nach einem Einschreiten gegen das syrische Regime von Assad; morgen sind sie bereit, einen Krieg der USA und Israels gegen Iran zu unterstützten.

Die Socialist Equality Party kämpft dafür, die Arbeiterklasse in den USA und international gegen den amerikanischen Militarismus und kriegerische Aggression zu mobilisieren. Das erste Prinzip der SEP-Kampagne in den Wahlen von 2012 ist der Internationalismus: die Vereinigung der Arbeiterklasse auf der gesamten Welt in einem gemeinsamen Kampf gegen das kapitalistische System.

Wir verlangen den sofortigen Abzug aller US- und NATO-Truppen aus Afghanistan und eine finanzielle Entschädigung für das gesamte afghanische Volk. Außerdem verlangen wir, dass die Verbrecher, die für diesen Krieg verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden.

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