Opposition gegen Afghanistankrieg stark wie nie

Eine Umfrage vom Montag zeigt, dass fast siebzig Prozent der Amerikaner den Krieg in Afghanistan ablehnen. Das ist der höchste Wert, seit die USA das Land vor mehr als zehn Jahren überfallen haben.

Die amerikanischen Besatzungstruppen sind mit einer neuen Welle von Angriffen afghanischer Soldaten konfrontiert, welche die Strategie der Washingtoner Regierung, eine dauerhafte Präsenz im Land beizubehalten, ernsthaft in Frage stellen.

Die Umfrage war von der New York Times und CBS News in Auftrag gegeben worden. Sie reflektiert die breite Empörung über den Krieg nach dem schrecklichen Massaker an siebzehn afghanischen Zivilisten, die meisten Frauen und Kinder, vom 11. März in der Provinz Kandahar. Das Pentagon behauptet, diese Schlächterei sei die Tat eines einzelnen schurkischen Soldaten, des Feldwebels Robert Bales, gewesen. Afghanische Dorfbewohner betonen dagegen, dass an dem Angriff mehrere amerikanische Soldaten beteiligt gewesen sein müssen. Sie sehen das Massaker als Ergebnis einer besonders brutalen „nächtlichen Durchsuchung“ von Sondereinheiten, wie sie überall in Afghanistan durchgeführt werden.

Fast siebzig Prozent der befragten Amerikaner sagten, dass die US-Truppen dürften nicht in Afghanistan sein. Nur 23 Prozent waren der Meinung, dass die Regierung das Richtige tue, wenn sie den Kampf dort fortsetze. Das ist die geringste Unterstützung, die je für den Krieg festgestellt wurde. Im November 2011 betrug sie noch 36 Prozent.

Diese Zahlen zeigen, dass die Opposition gegen den Krieg in Afghanistan jetzt größer ist als die Feindschaft gegen den Irakkrieg auf dem Höhepunkt der Bush-Regierung.

Die Umfrage zeigt, dass heute fast jeder zweite Amerikaner (47 Prozent) einen beschleunigten Abzug aller US-Truppen aus Afghanistan befürwortet. Präsident Obama erklärt, er wolle bis September 33.000 jener Soldaten, die er im Dezember 2009 in das Land abkommandierte, wieder abgezogen haben. Die damalige Aufstockung sollte den wachsenden bewaffneten Widerstand gegen die ausländische Besatzung zertreten. Entsprechend einem Nato-Abkommen sollen alle Kampftruppen das Land bis Ende 2014 verlassen haben.

Das Pentagon gibt keinen näheren Zeitplan für die weitere Truppenreduzierung von September 2012 bis Ende 2014. Währenddessen bemühen sich amerikanische Unterhändler, ein „strategisches Partnerschaftsabkommen“ mit dem Regime von Präsident Hamid Karsai auszuhandeln. Es soll die Beibehaltung permanenter amerikanischer Stützpunkte im Land und die fortgesetzte Anwesenheit amerikanischer Truppen unter dem Deckmantel von „Ausbildern“ und „Beratern“ regeln.

Diese Strategie ist davon abhängig, ob es den USA und ihren Nato-Verbündeten gelingt, die afghanische Armee und Polizei soweit auszubilden, dass sie gemeinsam mit eingebetteten amerikanischen Sondertruppen in der Lage sind, das Land unter Kontrolle zu halten.

Dieser Plan wird durch die wachsende Gewalt “grün gegen blau”, wie sie vom Pentagon und von der Nato genannt wird, immer mehr in Frage gestellt. Damit sind Angriffe von Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte auf amerikanische und Nato-Truppen gemeint, die eigentlich ihre Betreuer und Ausbilder sind.

Am Montag wurden drei weitere westliche Soldaten bei solchen Angriffen getötet. Am Dienstag wurde über einen Selbstmordbombenanschlag auf das afghanische Verteidigungsministerium berichtet, an dem mehrere afghanische Soldaten teilgenommen haben sollen.

Bei dem ersten Angriff am Montag erschoss ein afghanischer Armeeleutnant zwei britische Soldaten und verwundete einen dritten schwer, bevor er selbst erschossen wurde. Der Vorfall ereignete sich in dem schwer gesicherten Stützpunkt in Lashkar Gah in der Provinz Helmand. Die toten britischen Soldaten hatten angeblich nur noch eine Woche in Afghanistan zu dienen.

Bei dem zweiten Zwischenfall eröffnete mindestens ein afghanischer Polizist das Feuer auf amerikanische Soldaten und tötete einen von ihnen. Nach widersprechenden Berichten afghanischer Stellen der Provinz Paktika wurden ein Polizist getötet und ein weiterer verwundet, als die US-Soldaten das Feuer erwiderten, oder es wurden beide Polizisten verwundet.

Am Dienstag wurde das afghanische Verteidigungsministerium zwei Stunden lang abgeriegelt, nachdem das Gerücht umging, im Gebäude seien elf Selbstmordgürtel entdeckt und eine ähnliche Zahl afghanischer Soldaten als Verdächtige festgenommen worden. Offenbar handelte es sich um einen großen Bombenanschlag von „Insidern“, der zu enormen Opfern hätte führen können.

Die afghanische Regierung tat die Berichte über den Anschlagsplan als “Gerüchte” ab. Sie stammten jedoch von Geheimdienstlern des Regimes selbst. Der BBC-Korrespondent in Kabul berichtete: „Offiziell versuchen die afghanischen Behörden, diesen bedeutenden Sicherheitsmangel herunterzuspielen, weil er für die Regierung höchst peinlich ist.“

Fast 75 amerikanische und Nato-Soldaten sind seit 2007 durch solche Mordanschläge von vorgeblich “Verbündeten” getötet worden, siebzig Prozent davon in den beiden letzten Jahren.

General John Allen, Oberbefehlshaber der US-Truppen in Afghanistan, sprach diese Angriffe am Montag auf einer Pressekonferenz im Pentagon an. Er meinte, es sei mit weiteren solchen Angriffen zu rechnen, und nannte sie „typisch für Aufstände, wie wir das auch schon früher erlebt haben“.

Allen meinte, viele dieser Angriffe seien “nicht das direkte Ergebnis“ von Unterwanderung der afghanischen Sicherheitskräfte durch die Taliban. Diese Aussage wird die amerikanischen und Nato-Truppen aber kaum beruhigen. Sie bedeutet nämlich, dass auch scheinbar loyale Mitglieder dieser Kräfte mittlerweile einen tiefen Hass gegen die Besatzungstruppen hegen und aus eigenem Antrieb handeln, wie zum Beispiel der Leutnant, der am Montag auf die britischen Soldaten schoss. Das macht diese Angriffe umso schwerer vorhersehbar und somit schwer zu verhindern.

Solche Tötungen durch “Insider” sind für die Moral der Truppe verheerend. In einem Krieg, in dem die Amerikaner und die anderen ausländischen Truppen inzwischen die ganze Bevölkerung als Feind betrachten, müssen sie jetzt auch noch fürchten, von ihren so genannten Verbündeten getötet zu werden. „Obwohl die absolute Zahl dieser Angriffe eher gering ist, sind ihre Auswirkungen schwerwiegend“, sagte der leitende zivile Repräsentant der Nato in Afghanistan, Sir Simon Gass, in einem Interview mit der BBC.

Die erste offizielle Reaktion der Obama-Regierung auf die Umfrage zu Afghanistan kam von Verteidigungsminister Leon Panetta. Er wischte das enorme Ausmaß der Opposition mit einer Handbewegung vom Tisch. „Wir können einen Krieg nicht mit Umfragen führen. Wenn wir das tun, haben wir ein Problem“, sagte er in einer Pressekonferenz im kanadischen Ottwa am Dienstag nach einem Treffen mit den Verteidigungsministern Kanadas und Mexikos. Er erklärte die Ansichten der amerikanischen Bevölkerung für unmaßgeblich und sagte: „Wir müssen danach handeln, was wir für die beste Strategie halten, um die Mission zu erfüllen, die wir uns vorgenommen haben.“

Panettas Verachtung für die öffentliche Meinung widerspiegelt die Tatsache, dass die Massenopposition gegen den Krieg in Afghanistan im bestehenden System und den zwei großen Parteien keinen Ausdruck finden kann. Dass amerikanische Truppen in dem seit mehr als zehn Jahren andauernden Krieg immer noch töten und sterben, ist im Wahlkampf 2012 nicht einmal ein Thema.

Zudem haben öffentliche Proteste gegen die Verbrechen des US-Imperialismus praktisch aufgehört. Das kommt daher, dass die offizielle „Antikriegsbewegung“, die von der Politik der liberalen und Ex-Linken aus der oberen Mittelschicht bestimmt ist, sich in die demokratische Partei integriert hat und ihre Energien darauf konzentriert, Obama einen Deckmantel für seine Ausweitung militärischer Aggression zu verschaffen.

Nichtsdestoweniger wächst in der arbeitenden Bevölkerung die Antikriegsstimmung und verbindet sich mit dem Widerstand gegen Angriffe auf Arbeitsplätze, soziale Bedingungen und den Lebensstandard. Diese Stimmung in der Bevölkerung kann sich nur Gehör verschaffen, wenn die Arbeiterklasse gegen die Obama-Regierung und das kapitalistische System mobilisiert wird, das die Quelle des Kriegs ist.

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