Kommunistische Partei Chinas schasst den Spitzenfunktionär Bo Xilai

Am vergangenen Mittwoch warnte der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao öffentlich davor, dass China soziale Unruhen wie während der Kulturrevolution in den 1960er Jahren bevorstehen könnten. Kurz danach wurde der Parteisekretär von Chongqing, Bo Xilai, abgesetzt, der bisher als aufsteigender Politstar galt und kurz davor stand, auf dem im Herbst stattfindenden, achtzehnten Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in den neunköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros aufzusteigen.

Bos Entlassung spiegelt die Furcht der KPCh-Führung wider, dass seine oberflächliche neomaoistische Rhetorik, die zum Ziel hat, die Wut der Bevölkerung über die wachsende soziale Ungleichheit in China zu beschwichtigen, in der Arbeiterklasse unbeabsichtigt politischen Widerstand heraufbeschwören könnte. Die KPCh reagiert äußerst empfindlich auf jedes Anzeichen von Opposition in der Bevölkerung, weil sie im Begriff ist, im Interesse der chinesischen “roten Kapitalisten” und des westlichen Finanzkapitals eine umfassende marktwirtschaftliche Umstrukturierung durchzuführen.)

Auf einer Pressekonferenz unmittelbar nach Abschluss des Nationalen Volkskongresses (NVK) erklärte Wen, dass bestimmte Fehler der Kulturrevolution nicht beseitigt worden seien. Er sagte dann, dass angesichts zunehmender sozialer Ungleichheit und Korruption im öffentlichen Bereich “erneut eine historische Tragödie wie die Kulturrevolution stattfinden könnte”.

Mao Zedong startete 1966 die “Große Proletarische Kulturrevolution” zunächst als eine studentische Bewegung, um den Apparat von einem Teil der Bürokratie, der sogenannten Fraktion der “kapitalistischen Wegbereiter”, zu reinigen. Doch Maos populistische Appelle gegen privilegierte Funktionäre und eine drohende kapitalistische Restauration entfesselten unerwartet eine Massenrevolte in der Arbeiterklasse, die demokratische Formen proletarischer Macht verlangte. Die Aufstände wurden schließlich von der Armee niedergeschlagen.

Wens Warnung spiegelt die Ängste wieder, dass die internen Machtkämpfe innerhalb der KPCh die Arbeiterklasse erneut in einen Kampf gegen die Bourgeoisie, die sich aus der KPCh-Bürokratie enwickelt hat, treiben könnte.

Auf seiner Pressekonferenz räumte Wen ein, dass 2012 “das schwierigste Jahr” werden könnte, weil die chinesische Wirtschaft von den Auswirkungen der europäischen Schuldenkrise getroffen werde. Vor dem Hintergrund von Immobilienpreisen, die trotz Pekings “makroökonomischen Regulierungsmaßnahmen” immer noch sehr hoch sind, entschuldigte sich Wen dafür, das Wohnungsproblem der Massen nicht in Angriff genommen zu haben. Er übernahm auch die persönliche Verantwortung für die sozialen Probleme, die sich während seiner neunjährigen Administration verschlimmert haben, worüber er angeblich “traurig” sei.

Nur wenige Tage vor seiner Amtsenthebung erschien Bo vor Journalisten, brüstete sich mit dem “Chongqing-Modell” und verfiel in neomaoistische Rhetorik: „Der Vorsitzende Mao sagte, als er die Nation aufbaute, das Ziel des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft sei, sicherzustellen, dass jeder einen Job und genug zu essen hat, und dass der Wohlstand gleich verteilt ist. Wenn nur wenige Leute reich sind, dann werden wir in den Kapitalismus abrutschen. Dann sind wir gescheitert. Wenn eine neue kapitalistische Klasse entsteht, dann haben wir wirklich einen falschen Weg eingeschlagen.”

Dennoch sind solche Kommentare völlig hohl und trügerisch, weil Bo sich genau wie andere Top-KPCh-Funktionäre in der Zeit der Restauration des Kapitalismus in den 1980er Jahren selbst massiv bereichert hat, während sich die soziale Ungleichheit in China explosionsartig entwickelte.

Bos “Chongqing-Modell” beinhaltete unter anderem die Anhebung der Sozialausgaben z.B. für die medizinische Absicherung der Bevölkerung in der Region und die kostenlose Ausgabe von Mahlzeiten an die 1,3 Millionen “zurückgelassenen” Kinder von Wanderarbeitern. Diese Ausgaben sind winzig gemessen an den Unternehmensgewinnen, die während des Anstiegs ausländischer Investitionen um das Zehnfache unter Bos Regie gemacht wurden. Daran beteiligt waren Ausbeuterbetriebe wie Foxconn, Joint Ventures mit transnationalen Konzernen in der Autoindustrie und internationale Banken, die ihre Hauptsitze nach Chongqing verlegten, um die billigen Arbeitskräfte in der verarmten Provinz Sichuan auszubeuten.

Bo hat sich einen Namen mit der Kampagne “das Rote singen und das Schwarze zerschlagen” gemacht, die zu einer Rückkehr zum Singen von Revolutionsliedern aus der Mao-Ära in der Öffentlichkeit ermutigen sollte, während Tausende von angeblich in organisierte Kriminalität verwickelte Geschäftsleute und Beamte zur Rechenschaft gezogen wurden. Einer der Polizeichefs Chongqings wurde für seine Absprachen mit der Mafia hingerichtet. Bos “rote Kultur” gewann Unterstützung in einem Teil der Mittelschichten, vor allem bei denjenigen, deren Karriere durch staatlichen Stellenabbau blockiert wurde und die sich durch den steigenden Wohlstand der neuen Bourgeoisie ausgegrenzt fühlen.

Auf einer Versammlung von 1.200 Kindern hoher KPCh-Funktionäre im vergangenen Monat erklärte die Sprecherin Hu-Muying, Tochter des ehemaligen Politbüro-Mitglieds Hu Qiaomu, einem “linken” Ideologen sowohl der Mao als auch der Deng-Ära: „Dreißig Jahre marktwirtschaftliche Reformen haben die Polarisierung zwischen den Klassen, ausufernde Korruption, ein gesellschaftliches spirituelles Vakuum, einen chaotischen moralischen Niedergang, Prostitution, Drogen, Triaden [Mafiabanden] und so weiter [zur Folge]. Diese Übel, die mit der Gründung des Neuen China [d.h. nach der Revolution 1949] ausgerottet wurden, sind zurückgekehrt und könnten sogar noch schlimmer geworden sein.” Sie fragte: “Ist das das neue China, das unsere Väter errichteten und für das sie ihr Blut im Kampf gaben?”

Unmittelbar nach Bos Absetzung wurden mehrere neomaoistische Webseiten wie beispielsweise Utopia und Mao Zedong-Flag, die seit Jahren Kritik an den herrschenden “Wegbereitern des Kapitalismus” und deren Markt-Reformpolitik äußern durften, abgeschaltet oder waren nicht verfügbar.

Die “neue Linke” hat nicht das Ziel, zu verstaatlichten Eigentumsformen und der zentralen Planung eines deformierten Arbeiterstaats, die nach der Revolution von 1949 eingeführt wurden, zurückzukehren, sondern verlangt, den staatlichen Schutz für bestimmte Unternehmen zu verstärken, insbesondere von solchen, die während der Umstrukturierung der verstaatlichten Betriebe in den 1990er Jahren gegründet wurden. Einige haben durch die Erpressung der Verbraucher mithilfe der Monopolisierung von Schlüsselindustrien wie der Energie- und Telekommunikationsbranche Super-Profite gemacht. Dies ermöglichte es ihnen, ihren CEOs bis zu vierhundert oder fünfhundert Mal mehr zu zahlen, als ein durchschnittlicher Arbeiter verdient. Während viele Kapital auf den internationalen Märkten mit Hilfe von amerikanischen Investmentbanken aufbrachten, stemmen sie sich gegen jede weitere Öffnung der Märkte.

Trotz Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 ist dem westlichen Kapital kein uneingeschränkter Einstieg in Schlüsselindustrien wie die Finanzbranche erlaubt worden. Während die westlichen Multis riesige Gewinne durch die billigen chinesischen Exporte machten, blieben viele Grundstoffindustrien und Banken in den Händen des Staates, und dem freien Fluss von Kapital wurden bestimmte Grenzen gesetzt. Nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 sind solche Vereinbarungen zwischen internationalem Kapital und den kapitalistischen Kumpanen der KPCh jedoch nicht mehr tolerierbar.

Ein Bericht der Weltbank mit dem Titel “China 2030”, der kurz vor dem Volkskongress veröffentlicht wurde und dem Wen sowie sein Nachfolger Li Keqiang zustimmen, verlangte die Auflösung der staatlichen Monopole und einen einfacheren Marktzugang für private und ausländische Unternehmen. Diese neue Runde der “Reformen” wird in einen massiven Angriff auf die sozialen Bedingungen der chinesischen Arbeiter münden.

Die Entlassung Bos, die gewiss die Zustimmung des Präsidenten Hu Jintao erfordert hat, zielte offensichtlich darauf ab, der neuen Führung unter Vizepräsident Xi Jinping und Vizepremier Li den Weg zu ebnen.

Sie repräsentieren diejenigen, die weithin für die räuberischste Schicht der neuen Bourgeoisie gehalten werden, angeführt von den Kindern der alten Führer – den “Prinzen”. Dieser korrupte soziale Typus, darunter Bo selbst, wird der größte Nutznießer der neuen Umstrukturierung sein, die die großen staatlichen Konzerne, die heute schon von ihresgleichen kontrolliert werden, vollständig in Privateigentum überführen wird.

Über Bos eigenen Sohn zum Beispiel wird gemunkelt, er pflege einen opulenten Lebensstil in Amerika und fahre einen roten Ferrari. Bo war während des Nationalkongresses gezwungen, dieses Gerücht zu dementieren.

Als Journalisten Aufnahmen von schwerreichen Delegierten schossen, die Luxus-Handtaschen oder Mode im Wert eines Vielfachen des monatlichen oder sogar Jahreslohns eines einfachen Arbeiters trugen, drückten Millionen im Internet ihre Wut und ihren Ekel über den “Milliardärs”-Kongress des Volkes aus.

Den siebzig reichsten Delegierten gehörte im vergangenen Jahr ein Netto-Vermögen von fast neunzig Milliarden US-Dollar und sie haben seit 2010 einen Gewinn von 11,5 Milliarden Dollar gemacht. Allerdings sind die Teilnehmer der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes(CPPC), die parallel zum NPC stattfand, sogar noch reicher. Als eine Körperschaft, die zunächst in der Revolution von 1949 von Mao eingesetzt wurde, um Teile der nationalen Bourgeoisie einzubinden, ist sie zu ihrer ursprünglichen Funktion als Interessenvertreter der Kapitalisten gegenüber dem Regime zurückgekehrt. 2011 besaßen die siebzig reichsten Delegierten der CPPC ein Nettovermögen von einhundert Milliarden Dollar.

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