Perspektive

USA:

Der Mord an Trayvon Martin

Trayvon Martin, ein 17jähriger schwarzer Jugendlicher, wurde vor einem Monat von einem selbsternannten Wachmann in Sanford im US-Bundesstaat Florida niedergestreckt. Seine kriminelle und grundlose Erschießung hat eine Welle von Protesten ausgelöst. Es wird gefordert, den Mörder, der sich noch immer auf freiem Fuß befindet, zu verhaften und vor Gericht zu stellen.

Der Schütze, George Zimmerman, ist zweifellos ein verhaltensgestörtes Individuum. Als Sohn eines Armeeveteranen wollte er gern Polizist werden. Da er das nicht schaffte, organisierte er als Ausgleich eine Bürgerwehrgruppe. Er trug– im Gegensatz zu den Regeln der Gruppe – eine Waffe bei sich und verfolgte und stellte Martin, obwohl ihn ein Einsatzleiter der Polizei telefonisch anwies, das nicht zu tun.

Gesprächsaufzeichnungen der Einsatzzentrale belegen eindeutig, dass Zimmerman Trayvon Martin auf Grund seiner Rasse und seines Alters als Opfer auswählte. Das Handygespräch zwischen Trayvon und seiner 16jährigen Freundin zeigt, dass der Jugendliche unterwegs mitbekam, dass er verfolgt wurde und versucht hat, so schnell wie möglich zu entkommen, ohne durch Weglaufen noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

In den gesamten USA kam es am vergangenen Wochenende zu Demonstrationen. Sie reichten von Gottesdiensten in New York, wo alle Versammelten zum Zeichen ihrer Solidarität mit dem getöteten Jugendlichen Kapuzenpullover trugen, bis zum Auftritt der Miami-Heat-Basketballer, die in ähnlichem Aufzug posierten. Zehntausende marschierten letzte Woche in Sanford und tausende weitere Menschen kamen in den Großstädten im ganzen Land zusammen.

Die Reaktion der Bevölkerung ist echt, tief empfunden und zeigt die instinktive Sympathie für den ermordeten Jungen und seine Familie in breiten Schichten von Jugendlichen und der arbeitenden Bevölkerung ungeachtet aller ethnischen Hintergründe. Millionen sind empört angesichts der Weigerung der Polizei von Sanford, den Schützen zu verhaften oder gerichtlich zu belangen.

Parallel zu diesem Anschwellen öffentlicher Empörung gibt es einen zweiten, entgegengesetzten Prozess: die politisch kalkulierte Verdammung des Mordes durch demokratische und republikanische Politiker, die von Präsident Obama angeführt wird.

In sorgfältig gewählten Worten benutzte Obama am Freitag ein ganz anderes Ereignis, die Ankündigung der Ernennung des neuen Weltbank-Chefs, um Trayvons Eltern sein Mitgefühl auszudrücken und Ermittlungen durch die Justizbehörden des Bundes zu fordern, die bereits am Tag zuvor begonnen hatten.

Die drei übriggebliebenen Kandidaten im Rennen um die republikanische Präsidentschaftsnominierung, Mitt Romney, Rick Santorum und Newt Gingrich, gaben anschließend ähnlich lautende Erklärungen wie Obama ab. Santorum und Gingrich gingen sogar noch weiter als Obama und kritisierten die Tatsache, dass die örtlichen Behörden Zimmerman nicht verhaftet und gerichtlich belangt hatten.

Die Heuchelei dieser Kommentare ist wahrlich umwerfend. Es gab keine Ermittlungen durch die Bundesbehörden und keinen Präsidentenauftritt im Rosengarten des Weißen Hauses, als Ramarley Graham, ein unbewaffneter 18jähriger Jugendlicher, im letzten Monat von New Yorker Polizisten in seiner eigenen Küche erschossen wurde.

Solche brutalen Angriffe finden in den Vereinigten Staaten täglich statt. Letzte Woche rief der Bürgermeister von Albuquerque im Bundesstaat Neu Mexiko öffentlich dazu auf, die Praxis der Polizeigewerkschaft von Albuquerque abzuschaffen, an tödlichen Schießereien beteiligten Beamten eine Sonderzahlung von bis zu 500 Dollar zu leisten. Kritiker hatten dies mit einer Kopfprämie auf Mitglieder der Arbeiterklasse oder ethnischer Minderheiten verglichen, die in überproportionalem Maß Opfer von Polizeiwillkür und Gewalt sind.

Selbst die offensichtlichsten Fälle von Polizeigewalt rufen nur geringe Reaktionen hervor. Letzte Woche entließ die New Yorker Polizei endgültig einen Polizisten, der 2006 an der Erschießung von Sean Bell, einem jungen schwarzen Arbeiter, beteiligt waren. Sean Bell war von mehr als fünfzig Kugeln durchsiebt worden, als er einen Nachtclub verließ, in dem er den Abend vor seiner Hochzeit gefeiert hatte. Keiner der Polizisten hat für diese Hinrichtung auf der Straße auch nur eine Nacht im Gefängnis verbracht.

Der Mord an Trayvon Martin ist die Folge der seit dreißig Jahren andauernden Dominanz der politischen Reaktion in den USA. Recht-und-Ordnungs-Demagogie wird eingesetzt, um Polizeistaats- und Bürgerwehrgewalt zu rechtfertigen. Sie gipfelt in der Verabschiedung von Gesetzen wie Floridas berüchtigtem „Stand your ground“ („Lass dich nicht unterkriegen“)-Erlass und ähnlichen Gesetzen in mehr als zwanzig Bundesstaaten.

Diese Gesetze rechtfertigen den Einsatz tödlicher Gewalt auf öffentlichen Plätzen durch Einzelpersonen, die “begründete Angst” haben, dass ein Angreifer ihnen oder jemand anderem etwas Ernsthaftes antun könnte. Einer Studie zufolge haben sich die Berufungen auf „berechtigte Tötungen“ in Florida seit der Einführung des Gesetzes verdreifacht.

Der Vorfall selber ist das Nebenprodukt der Vertiefung der sozialen Krise. Die Arbeitslosigkeit in Florida beträgt fast zehn Prozent und die Lebensbedingungen in Sanford, einem Ort am Rande des Stadtgebietes von Orlando, haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert.

Presseberichten zufolge ist die “umzäunte Gemeinde”, wo sowohl Zimmerman, als auch Trayvon Martins Vater leben, keine Enklave des Wohlstands, sondern ein Wohngebiet der Mittelschicht, wo Zwangsversteigerungen zunehmen und Mieter Hauseigentümer verdrängen, die nicht in der Lage sind, ihre Hypotheken abzuzahlen.

Wenn die Tragödie von Sanford in breiten Schichten der Arbeiterklasse und der Jugend ihren Nachhall findet, dann liegt das vor allem daran, dass sich die sozialen und politischen Bedingungen in den Vereinigten Staaten und international verändert haben.

Millionen Menschen mussten mit ansehen, wie ihre Arbeitsplätze und ihr Lebensstandard von der globalen Finanzkrise vernichtet wurden, während Sparmaßnahmen das öffentliche Bildungswesen und lebensnotwendige soziale Dienste zerstören. Jugendliche haben keine Zukunft. Sie stehen vor lebenslangen Niedriglöhnen und ungewissen Beschäftigungsbedingungen oder sie können sich der Armee anschließen und sich in Amerikas endlosen Aggressionskriegen oder kolonialen Eroberungszügen einsetzen lassen.

Obama und seine republikanischen Rivalen, die sich um den Kommandeursposten für die amerikanische Finanzaristokratie bewerben, geben im Mordfall Trayvon Martin ein paar mitfühlende Worte von sich, weil die herrschende Klasse als Ganzes das Rumoren von unten fühlt und sich vor den Konsequenzen fürchtet.

Die arbeitende Bevölkerung und junge Menschen müssen die notwendigen politischen Lehren aus solchen Ereignissen ziehen und die Fallen der Rassen- oder Identitätspolitik oder der Appelle an die Demokratische Partei zurückweisen, die alternde Hausierer wie Al Sharpton und Jesse Jackson von sich geben. Es ist unumgänglich, dass die Arbeiterklasse eine sozialistische Massenbewegung gegen das Profitsystem und den Apparat staatlicher Gewalt und Unterdrückung aufbaut, der den Wohlstand der Superreichen verteidigt.

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