G8- und Nato-Gipfel finden ohne Putin statt

Der russische Präsident Wladimir Putin wird weder am G8-Gipfel, der vom 18. bis zum 19. Mai in Camp David stattfindet, noch am darauffolgenden Nato-Gipfel in Chicago teilnehmen. Die Absage Putins für den G8-Gipfel, der seinetwegen von Chicago nach Camp David verlegt worden war, erfolgte nur drei Tage nach Beginn seiner dritten Amtszeit und ist ein unmissverständliches Zeichen für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Moskau und der Nato.

Als Vertretung beim G8-Gipfel schickt Putin den nunmehrigen Premierminister Dmitrij Medwedew nach Camp David, dem spätestens seit dem Ämtertausch mit Putin kaum noch politische Kompetenzen zugeschrieben werden.

Während Putin den Gipfeltreffen der Westmächte fernbleibt, nahm er am Gipfel der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) teil, der am Dienstag in Moskau begann. Die OVKS umfasst Weißrussland und ehemalige Sowjetrepubliken in Zentralasien mit Ausnahme von Aserbaidschan, Georgien und der Ukraine.

Die USA reagierten laut einem Bericht der russischen Zeitung Kommersant gereizt auf Putins Absage. Präsident Barack Obama kündigte inzwischen an, nicht am APEC-Gipfel zur asiatisch-pazifischen Zusammenarbeit im September teilzunehmen.

Im Zentrum der Konflikte zwischen Russland und der Nato stehen das Raketenabwehrsystem in Osteuropa, das Moskau als Bedrohung seiner Sicherheit empfindet, und die Kriegsvorbereitungen gegen Syrien und den Iran. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat angekündigt, beim Gipfeltreffen die erste Phase des Raketenabwehrsystems für einsatzfähig zu erklären.

Russland hat mehrfach Bedenken gegen das System geäußert. Zuletzt hatte der Kreml gedroht, den Abrüstungsvertrag über Atomwaffen zu kündigen, wenn die Nato nicht zu Kompromissen bereit sein sollte. Der russische Generalstabschef Nikolai Makarov warnte zudem vor zwei Wochen mit einem Präventivschlag gegen die Stützpunkte des Systems in Osteuropa. Trotzdem haben Rasmussen und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die Notwendigkeit des Abwehrsystems bekräftigt und die Sorgen Moskaus für unbegründet erklärt.

Während die Nato in der Frage des Raketenabwehrsystems zu keinen Kompromissen bereit ist, kann sie sich eine weitere Eskalation der Spannungen mit dem Kreml momentan kaum leisten. Vor allem beim Truppenabzug aus Afghanistan ist sie auf die Hilfe Moskaus angewiesen. Da auch die Beziehungen zu Pakistan angespannt sind, können die gewaltigen Mengen an Waffen und anderem militärischem Material ohne Nutzung russischer Transitwege nicht aus dem Binnenland am Hindukusch abtransportiert werden.

Die wachsenden Spannungen zwischen Russland und der Nato haben vor allem in Europa Besorgnis ausgelöst. In einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung warnt Wolfgang Ischinger vor einer „Rückkehr des Kalten Krieges“ und mahnt die Nato zu einer „Denkpause“. Der Präsident der Münchner Sicherheitskonferenz und langjährige Karrierediplomat zählt zu den gewichtigsten Stimmen der deutschen Außenpolitik.

Ischinger bedauert, das Projekt eines gemeinsamen Raketenabwehrsystems (BMD) mit Russland werde beim anstehenden Nato-Gipfel ohne Widerstand der europäischen Länder „faktisch suspendiert“. Anstatt das Misstrauen zwischen Russland und dem Westen zu überwinden, „sind wir auf dem besten Weg, längst überwunden geglaubte Denkmuster des Kalten Krieges neu zu beleben“, schreibt er.

Der Hintergrund von Ischingers Warnungen ist das Dilemma, in dem sich Deutschland und Europa gegenüber Russland befinden. Deutschland bezieht fast 40 Prozent und die EU insgesamt rund ein Drittel der Öl- und Gasimporte aus Russland. Gleichzeitig unterhalten Brüssel und die einzelnen europäischen Regierungen enge Beziehungen zu den USA. In den politischen Eliten Europas und insbesondere Deutschlands gibt es daher starke Differenzen über die Frage der Haltung zu Moskau.

Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen und der Tatsache, dass der Versuch einer gesamteuropäischen Sicherheitspolitik vollkommen gescheitert ist, bemühen sich einzelne EU-Staaten vermehrt im Alleingang um eine enge Beziehung zu den USA, die nach wie vor die größte Militärmacht der Welt sind.

George Friedman, Leiter des CIA-nahen Nachrichtendienstes Stratfor, konstatierte kürzlich, dass die Wirtschaftskrise, die Abwahl von Nicolas Sarkozy in Frankreich und die Übernahme der italienischen Regierung durch Mario Monti die Stellung Russlands in Europa deutlich geschwächt haben. Monti orientiert sich anders als sein Vorgänger Silvio Berlusconi, ein enger Freund Putins, in hohem Maße an den USA. Kaum im Amt, erkannte Monti das Nato-Raketenabwehrsystem an. Friedman stellt fest: „Die Tage, als Putin einen Freund in Europa anrufen konnte, um Hilfe beim Umgang mit der Nato oder technologischen Problemen zu bekommen, sind vorbei.”

In der Frage der Kriegsvorbereitungen gegen Syrien und den Iran stehen die europäischen Mächte mittlerweile fast geschlossen hinter den USA. Neben Frankreich, Italien und Großbritannien hat auch Deutschland zu verstehen gegeben, dass es sich diesmal trotz der wirtschaftlichen und energiepolitischen Beziehungen mit Russland an einem militärischen Vorgehen beteiligen werde. Russland hat dagegen gemeinsam mit China zwei UN-Resolutionen gegen Syrien blockiert und sich wiederholt strikt gegen einen Militärschlag auf den Iran ausgesprochen.

Der russische Premierminister Medwedew warnte am Donnerstag auf einem internationalen Forum in St. Petersburg, dass Handlungen, die die staatliche Souveränität Syriens untergraben, zu einem Regionalkrieg und dem Einsatz von Atomwaffen führen können.

Die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran waren auch das Hauptthema des OVKS-Gipfeltreffens, das am Dienstag in Moskau stattfand. An dem Treffen nahmen neben Putin die Regierungschefs von Kasachstan, Weißrussland, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan teil. Das Bündnis beschloss umfassende jährliche Militärübungen in Zentralasien und im Kaukasus. In beiden Regionen droht im Falle eines US-israelischen Militärschlags gegen den Iran, mit dem Moskau im Sommer rechnet, ein Flächenbrand. Georgien und Aserbaidschan, die seit 1999 nicht mehr Teil des Bündnisses sind, könnten sich bei einem Iran-Konflikt auf die Seiten Israels und der USA schlagen.

Die vom OVKS-Gipfel verabschiedete Erklärung betonte, die Bündnisstaaten würden ihre „Reaktion auf Herausforderungen und Bedrohungen verstärken“. Im September sollen groß angelegte Militärübungen in den kaukasischen Staaten Armenien, Südossetien und Abchasien stattfinden. Russland will sich damit auf einen Militärschlag der USA und Israels auf den Iran vorbereiten. Anders als bisher werden bei den Übungen nicht nur Heer, Marine und Luftwaffe, sondern auch der Inlandsgeheimdienst FSB, Truppen des Innenministeriums und andere Sicherheitskräfte teilnehmen.

Der russische General Leonid Iwaschow, Präsident des Zentrums für geopolitische Probleme, erklärte im Januar, die geplanten Manöver dienten der Wahrung von Russlands geopolitischen Interessen im Kaukasus.

Die wachsenden Spannungen mit den USA und seine zunehmende Isolation in Europa treiben den Kreml verstärkt in ein Bündnis mit China, gegen das die USA immer aggressiver vorgehen. Ein Angriff auf den Iran droht einen Flächenbrand im gesamten Nahen Osten und dem Kaukasus zu entfachen, der schließlich zu einem Krieg zwischen den Großmächten führen könnte.

Loading