Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party (Sri Lanka)

Teil 2

Die World Socialist Web Site veröffentlicht einen weiteren Teil des Dokumentes Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party (Sri Lanka), das auf dem Gründungskongress in Colombo vom 27. bis 29. Mai 2011 einstimmig angenommen wurde. Es wird in zwölf Teilen veröffentlicht.

Teile 1-12

4. Die LSSP wendet sich der Vierten Internationale zu

4.1. Die Vierte Internationale wurde im September 1938 in Paris auf einem Geheimtreffen von dreißig Delegierten aus elf Ländern gegründet. Auch drei asiatische Parteien – aus China, Französisch-Indochina und Australien – schlossen sich als Sektionen der Vierten Internationale an, obwohl sie keine Delegierten schicken konnten. In dem von Trotzki verfassten Übergangsprogramm: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der 4. Internationale, das auf der Konferenz angenommen wurde, hieß es: „Alles Gerede, dass die geschichtlichen Bedingungen noch ‘nicht reif’ seien für den Sozialismus, ist ein Erzeugnis von Unwissenheit oder bewusstem Betrug. Die objektiven Voraussetzungen für die proletarische Revolution sind nicht nur ‘reif’, sondern beginnen bereits zu verfaulen. Ohne eine sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht der gesamten menschlichen Kultur eine Katastrophe. Alles hängt nunmehr vom Proletariat ab, das heißt vor allem von seiner revolutionären Vorhut. Die geschichtliche Krise der Menschheit läuft auf die Krise der revolutionären Führung hinaus.“[1] Das Programm umfasst ein „System von Übergangsforderungen,... die von den heutigen Bedingungen und dem heutigen Bewusstsein breiter Schichten der Arbeiterklasse ausgehen und stets zu ein und demselben Schluss führen: zur Machteroberung des Proletariats.[2] Das Übergangsprogramm sollte die revolutionäre Initiative und das Bewusstsein der Arbeiter entwickeln, statt es dem bestehenden Bewusstsein entsprechend zu verwässern.

4.2. Das Gründungsdokument formulierte dann die Perspektive der Permanenten Revolution auf Grundlage der kombinierten und ungleichzeitigen Entwicklung des Kapitalismus: „Die kolonialen und halbkolonialen Länder sind ihrer Natur nach rückständige Länder. Aber rückständige Länder sind Teil einer Welt, die vom Imperialismus beherrscht wird. Deshalb hat ihre Entwicklung einen kombinierten Charakter: sie vereinigt die primitivsten Wirtschaftsformen mit dem letzten Schrei der kapitalistischen Technik und Kultur. Damit ist auch die Politik des Proletariats der rückständigen Länder vorgezeichnet. Es ist gezwungen, den Kampf um die elementarsten Aufgaben der nationalen Unabhängigkeit und der bürgerlichen Demokratie mit dem sozialistischen Kampf gegen den Weltimperialismus zu kombinieren. ´Die Forderungen der Demokratie, die Übergangsforderungen und die Aufgaben der sozialistischen Revolution sind in diesem Kampf nicht durch historische Epochen geschieden, sondern gehen unmittelbar auseinander hervor.“[3]

4.3. Im Juli 1939 ging Trotzki in einem Brief an die indischen Arbeiter noch näher auf die politischen Fragen ein, vor denen sie angesichts des drohenden Krieges standen. „Agenten der britischen Regierung schildern die Sache so, als solle der Krieg für die Prinzipien der ‘Demokratie’ geführt werden, die vor dem Faschismus gerettet werden müsse. Alle Klassen und Völker müssten sich um die ‘friedlichen’, ‘demokratischen’ Regierungen scharen, um die faschistischen Angreifer zurückzuschlagen. Dann werde die ‘Demokratie’ gerettet und der Friede für immer gesichert sein. Dieses Evangelium ist eine bewusste Lüge. Wenn die britische Regierung wirklich am Gedeihen der Demokratie interessiert wäre, gäbe es eine sehr einfache Möglichkeit, das zu beweisen, indem sie Indien die völlige Freiheit gewährte."[4]

Trotzki verharmloste zwar nicht die Gefahr des Faschismus, bestand aber darauf, dass der Hauptfeind der unterdrückten Klassen und Völker im eigenen Land sitze. In Indien war das der britische Imperialismus, dessen Sturz allen Unterdrückern einen schweren Schlag versetzen würde, auch den faschistischen Diktatoren.

4.4. Trotzki unterwarf die indische Bourgeoisie vernichtender Kritik: „Sie ist eng mit dem britischen Kapitalismus verbunden und von ihm abhängig. Sie zittert um ihren eigenen Besitz. Sie fürchtet sich vor den Massen. Sie sucht um jeden Preis Kompromisse mit dem britischen Imperialismus zu schließen und lullt die indischen Massen mit Hoffnungen auf Reformen von oben ein. Der Führer und Prophet dieser Bourgeoisie ist Gandhi. Ein falscher Führer und ein falscher Prophet! Gandhi und seine Standesgenossen haben eine Theorie entwickelt, der zufolge Indiens Lage sich ständig verbessern wird, seine Freiheiten sich ständig vergrößern und Indien allmählich, auf dem Weg friedlicher Reformen, ein sich selbst regierendes Land des Britischen Staatenbundes wird. Später kann es sogar die vollständige Unabhängigkeit erlangen. Diese ganze Perspektive ist von Grund auf falsch.[5]

4.5. Mit Blick auf die Rolle des Stalinismus erklärte Trotzki, dass die Sowjetbürokratie die Interessen der indischen Massen ihren diplomatischen Manövern mit den „demokratischen Mächten“ untergeordnet habe, wie sie es auch in allen anderen Ländern gemacht habe – sie forderte das Recht auf Selbstbestimmung für Völker unter faschistischer Herrschaft, während die britischen, französischen und amerikanischen Kolonien unterdrückt blieben sollten. Der Kampf gegen den britischen Imperialismus und den nahenden Krieg erforderte den vollständigen Bruch mit dem Stalinismus. Das war genau die Frage, mit der sich die LSSP-Führung auseinandersetzte, als sie sich der Vierten Internationale zuwandte. Selina Perera wurde 1939 nach Großbritannien und in die Vereinigten Staaten geschickt, um sich mit trotzkistischen Führern in Europa und Nordamerika in Verbindung zu setzen und sich mit Trotzki zu treffen. Letzteres scheiterte allerdings.

4.6. Im Dezember 1939 warf die trotzkistische Fraktion den Anhängern des Stalinismus in der LSSP den Fehdehandschuh hin, indem sie folgenden Antrag an das Exekutivkomitee richtete: „Da die Dritte Internationale nicht im Interesse der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse gehandelt hat, erklärt sich die Lanka Sama Samaja Party, zwar mit der Sowjetunion, dem ersten Arbeiterstaat, solidarisch. Hat aber kein Vertrauen in die Dritte Internationale.“ Der Antrag wurde mit 29 zu fünf Stimmen angenommen. Die Stalinisten und ihre Anhänger brachen daraufhin mit der Partei und gründeten im November 1940 zuerst die United Socialist Party, und im Juli 1943 die Kommunistische Partei Ceylons

4.7. Leslie Goonewardene schrieb eine Kritik des Stalinismus mit dem Titel: „Die Dritte Internationale ist verurteilt“, in der er die opportunistischen Kurswechsel der Kommunistischen Parteien in Großbritannien und Frankreich 1939 angriff, die den imperialistischen Krieg erst unterstützten und dann dagegen waren. Er erklärte, dass die wilden politischen Schwingungen von den Kehrtwenden der Kremlführung diktiert wurden, die nach prinzipienlosen Manövern mit den "demokratischen Mächten", Großbritannien und Frankreich, im August 1939 den Hitler-Stalin-Pakt unterzeichnet hatte. Er kam zu dem Schluss: „Die Zweite Internationale hat im Krieg von 1914 bis 1918 die Arbeiterklasse verraten. Heute verübt die Dritte Internationale einen weiteren Verrat, da sie die internationale revolutionäre Bewegung der sowjetischen Außenpolitik unterordnet. Es ist unsere Pflicht, darauf hinzuweisen.“[6]

4.8. Der Austritt der Stalinisten und die Neuorientierung zur Vierten Internationale waren ein entscheidender Wendepunkt in der Klassenachse und der politischen Orientierung der Partei auf der Grundlage der Theorie der Permanenten Revolution. Vor allem erkannten die LSSP-Führer an, dass der Kampf gegen imperialistische Unterdrückung und für den Sozialismus in Sri Lanka unlösbar verbunden mit den Kämpfen der Arbeiterklasse in Indien und der ganzen Welt war. In einem weitsichtigen Schritt forderte die LSSP die Bildung einer gesamtindischen Partei als Sektion der Vierten Internationale, um die Kämpfe der Arbeiter auf dem ganzen Subkontinent gegen den britischen Imperialismus miteinander zu verbinden. Zu diesem Zweck wurde 1942 die Bolschewistisch-Leninistische Partei Indiens (BLPI) gegründet.

The available histories of the LSSP, reflecting its subsequent degeneration in the 1950s, either ignore the experience of the BLPI or treat it as a hopeless adventure in revolutionary romanticism.

In den vorhandenen Geschichtsaufzeichnungen der LSSP, die ihre Degeneration in den 1950er Jahren zeigen, wird die Erfahrung der BLPI entweder ignoriert oder als hoffnungsloses Abenteuer abgetan, geboren aus revolutionärer Romantik. Aber genau mit diesem Bruch mit der radikalen nationalistischen Perspektive des Samasamajismus und der Umorientierung auf Grundlage des proletarischen Internationalismus machte die BLPI einen unauslöschbaren Beitrag zum Kampf für den Marxismus in Südasien und weltweit, aus dem Arbeiter und Jugendliche heute noch wichtige Lehren ziehen können.

4.9. Als der Krieg näher rückte, machte sich Stalin daran, die neugeschaffene Vierte Internationale zu zerstören und, vor allem, Trotzki selbst zu eliminieren. Stalin fürchtete, dass die revolutionären Konvulsionen, die durch den Krieg unweigerlich entstehen würden, die trotzkistische Bewegung sogar in der Sowjetunion immens stärken würden und eine direkte Gefahr für die Sowjetbürokratie werden könnten. Noch vor der Gründung der Vierten Internationale konnte die GPU mithilfe eines Netzwerkes von Agenten innerhalb der trotzkistischen Bewegung Erwin Wolf, einen von Trotzkis Sekretären ermorden; ferner den GPU-Überläufer Ignaz Reiss, der seine Unterstützung für Trotzki erklärt hatte sowie Trotzkis Sohn und engen Mitarbeiter Leo Sedow; und Rudolf Klement, Sekretär der Vierten Internationale. Nach einem gescheiterten Anschlag im Mai 1940 verübte der GPU-Agent Ramon Mercader am 20. August 1940 in seinem Haus in Coyoacan in Mexiko einen Anschlag auf Trotzki. Er starb am darauffolgenden Tag. Trotzkis Ermordung war eines der großen politischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts und ein schwerer Schlag für die internationale Arbeiterklasse. Er hatte zusammen mit Lenin die Russische Revolution angeführt, war ein unversöhnlicher Gegner des Stalinismus und der letzte große Repräsentant der Traditionen des klassischen Marxismus, der die revolutionären Massenbewegungen der Arbeiter im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert inspiriert hatte.

5. Die Gründung der Bolschewistisch-Leninistischen Partei Indiens (BLPI)

5.1. Als im September 1939 der Krieg zwischen Nazi-Deutschland und seinen Verbündeten und Großbritannien und Frankreich begann, lehnte die LSSP kategorisch jede Unterstützung für den Krieg ab. Als CNC-Führer D.S. Senanayake eine Resolution im Staatsrat einbrachte, in der er die britische Regierung „von ganzem Herzen“ unterstützte, lehnte Philip Gunawardena den Krieg zwischen den beiden imperialistischen Lagern ab und erklärte: „Wir weigern uns, an einem imperialistischen Krieg teilzunehmen. Wir sind gegen alle imperialistischen Kriege und die Ausbeutung. Der Klassenkampf hört nicht auf, weil ein Land im Krieg ist.“[7] Die LSSP spielte die führende Rolle in einer Reihe von Streiks der Plantagenarbeiter, die im Dezember 1939 auf der Plantage Mooloya begannen, nachdem die Polizei einen Arbeiter einer Teefabrik namens Govindan erschossen hatte. Als sich die Streikwelle ausbreitete und in der Schaffung eines Arbeiterrates auf der Plantage Wewessa im Mai 1940 ihren Höhepunkt fand, forderten bekannte Plantagenbesitzer, gegen die LSSP vorzugehen, da „die sich verschlechternde Lage in Ceylon zu Blutvergießen und Aufständen ... sowie eindeutigen, ernsten Gegenreaktionen in Indien führen könnte.“ Die Polizei entfesselte auf den Teeplantagen ein Terrorregime. Am 18. Juni, nur vier Tage nach der Einnahme von Paris durch die deutsche Wehrmacht, wurde die LSSP verboten und vier ihrer Anführer – Philip Gunawardena, N.M. Perera, Colvin R. de Silva und Edmund Samarakkody – verhaftet. Die Partei hatte sich bereits auf die Illegalität vorbereitet und war in Sri Lanka weiterhin aktiv, obwohl das Kriegsrecht verhängt worden war.

5.2. Im Mai 1940 begann die LSSP, Mitglieder nach Indien zu schicken, um sich mit Gruppen von trotzkistischen Sympathisanten in Verbindung zu setzen und die Grundlagen für eine gesamtindische Partei zu schaffen. Die LSSP gewann die Unterstützung von drei Gruppen – in Kalkutta unter Führung von Ajit Kumar Mukherji und Kamalesh Banerji; in der Industriestadt Kanpur, unter Führung von Onkarnath Verma Shastri; und in Bombay unter Führung von Chandravadan Shukla. Shastri und Shukla waren Mitglieder der Kommunistischen Partei Indiens (KPI) gewesen, lehnten aber die Volksfrontpolitik ab und brachen Ende der dreißiger Jahre mit der Partei. Im Dezember 1940 und März 1941 hielt die LSSP in der Illegalität zwei Geheimtreffen in Kandy ab, um die Grundlagen für eine einzige große trotzkistische Partei in Indien, Burma und Ceylon zu schaffen. Die verhafteten LSSP-Führer, die ihren Wärter rekrutiert hatten, nahmen an beiden Treffen teil. Beim zweiten Treffen waren Delegierte aus Indien anwesend. Da sich in Indien eine explosive Situation mit möglicherweise revolutionären Auswirkungen entwickelte, gingen die meisten LSSP-Führer aufs Festland. Am 7. April 1942 brachen die vier LSSP-Führer mit ihrem Wärter aus dem Gefängnis in Kandy aus, entgingen einer Fahndung und schafften es bis nach Indien. Im Mai 1942 wurde bei einem Treffen mit den Führern der LSSP und der indischen Trotzkisten die Bolschewistisch-Leninistische Partei Indiens (BLPI) gegründet. Sie nahm ein Programm an und beantragte die Anerkennung durch die Vierte Internationale.

5.3. Die Gründung der BLPI stellte einen Meilenstein im Kampf für den revolutionären Marxismus in Südasien dar. Nichts, was sie später getan hat, kann die Leistungen der BLPI-Führung schmälern, den Trotzkismus auf den indischen Subkontinent gebracht zu haben. Im deutlichen Gegensatz zu dem formlosen Programm, das die LSSP 1935 verabschiedet hatte, mit seinen beschränkten Aufrufen zum Sozialismus in Sri Lanka, war das Programm der BLPI zutiefst vom proletarischen Internationalismus geprägt. Es basierte auf der Erkenntnis, dass der Kampf gegen imperialistische Unterdrückung und für Sozialismus in Sri Lanka untrennbar mit der sozialistischen Revolution in Indien und international verbunden war. Das Programm umfasste eine vollständige Analyse der britischen Herrschaft in Indien, des entstehenden Kapitalismus, der Rolle der verschiedenen Klassen und aller Parteien, sowie eine Reihe von Übergangsforderungen auf Grundlage des Programms der Vierten Internationale.

5.4. Die BLPI entlarvte die Kompromisspolitik des Indian National Congress, seine engen Verbindungen mit den Großgrundbesitzern und seinen Verrat an den massiven gewaltlosen Widerstandsbewegungen der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Zu Gandhis „Gewaltlosigkeit“ erklärten sie, dass die Bourgeoisie mit dieser Doktrin versucht habe, „ihre Kontrolle über die nationale Bewegung zu festigen, indem sie die Formen und das Ausmaß des Kampfes beschränkten und verhinderten, dass er in revolutionäre Kanäle geriet.“ Die BLPI nannte die Rechtfertigung der Stalinisten für ihre Kollaboration mit der Kongresspartei, er sei eine Partei mehrerer Klassen, einen „dreisten Betrug“ und mahnte, der Kongress, vor allem seine politische Führung, ähnelten der bürgerlichen Kuomintang, die in China von 1925-27 die Revolution zerschlagen hatte.

5.5. Aufgrund der engen Verbindung der indischen Bourgeoisie mit den Großgrundbesitzern war der Kongress organisch unfähig, auch nur die elementarsten Bedürfnisse der Bauernschaft zu erfüllen. „Die Führung der Revolution, die die Bauernschaft nicht für sich selbst stellen kann, kann nur aus einer städtischen Klasse kommen. Aber die indische Bourgeoisie kann diese Führung nicht leisten, da sie in der Landfrage selbst durch und durch reaktionär ist und an der parasitären Ausbeutung der Bauernschaft ebenfalls stark beteiligt ist. Vor allem ist die Bourgeoisie durch ihre inhärente Schwäche und Abhängigkeit vom Imperialismus dazu bestimmt, in dem kommenden Machtkampf eine konterrevolutionäre Rolle zu spielen.“[8] Die BLPI formulierte eine Reihe von Forderungen, in erster Linie die „entschädigungslose Enteignung der Großgrundbesitzer“ und die Parolen „Das Land denen, die es bestellen“ und „Abschaffung der Schuldknechtschaft“, um die Bauernschaft, vor allem die am meisten unterdrückten Schichten im Machtkampf hinter der Arbeiterklasse zu mobilisieren.

5.6. Die BLPI entlarvte die Rolle der KPI, die 1920 gegründet und vom Stalinismus völlig korrumpiert worden war. Wie in China wies die Komintern die KPI in den zwanziger Jahren an, Bündnisse mit den „revolutionären“ Teilen der Bourgeoisie einzugehen, die im Indian National Congress organisiert waren. Um den Kongress nach links zu drücken, sollte die KPI sich außerdem darauf konzentrieren, „Zweiklassenparteien“ für Arbeiter und Bauern mit bürgerlich-demokratischem Programm aufzubauen. Damit gab sie noch mehr von ihrer Klassenunabhängigkeit auf und wurde unfähig, mutig um die Führung der Arbeiterklasse zu kämpfen. Anfang der dreißiger Jahre folgte die KPI der Linie der „Dritten Periode“ und vertrat die stalinistisch-menschewistische Zwei-Stufen-Theorie der Revolution, verbunden mit rein rhetorischer Kritik am INC. Sie hielt sich von der zweiten gewaltlosen Widerstandsbewegung fern und weigerte sich, die Führung des INC direkt anzugreifen. Als sich Mitte der Dreißiger die Volksfrontpolitik durchsetzte, stellte die KPI den Kongress noch offener und auf noch primitivere Weise als Protagonisten im Kampf gegen die britische Herrschaft dar. Das änderte sich selbst dann nicht, als der Kongress die Verfassungsreformen von 1935 annahm und zum Partner der Kolonialherrschaft wurde. Er bildete in den meisten Provinzen von Britisch-Indien Regierungen. In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre kam es zu militanten Erhebungen der Arbeiterklasse, in denen sie in offenen Konflikt mit den Ministerien des Kongresses geriet, sowie zu einer Reihe von Bauernkämpfen, und zu einem schnell Wachstum der Kisan Sabhas (Bauernvereinigungen). Die Stalinisten versuchten, diese Bewegungen vor den Karren des INC zu spannen, die Kämpfe der Arbeiterklasse auf wirtschaftliche Forderungen zu beschränken und die Forderung nach der Abschaffung des Zamindari(Grundbesitzer)-Systems aufzugeben, da dies möglicherweise zu einer Konfrontation mit der Kongress-Führung hätte führen können.

5.7. Nach Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes im August 1939 hörte die KPI auf, die „demokratischen“ Kräfte gegen den Faschismus zu unterstützen, und konzentrierte sich stattdessen auf Widerstand gegen den Krieg. Nach Beginn der deutschen Invasion in Russland unterstützte die KPI voll und ganz Großbritannien und agierte als oberster Streikbrecher und Unterstützer des imperialistischen Krieges innerhalb der Arbeiterklasse. Zusammenfassend erklärte die BLPI zum Verrat der KPI: „Diese Einstellung ist zurzeit die schändlichste und kaltblütigste von allen. In unterwürfigem Gehorsam gegenüber der konterrevolutionären Kreml-Clique fordern sie offen die bedingungslose und aktive Unterstützung des imperialistischen Krieges. Mit ihrer falschen Theorie der Nationalen Front bereitet sich die KPI darauf vor, den Verrat an der chinesischen Revolution zu wiederholen, indem sie die Führung des revolutionären Kampfes der verräterischen Bourgeoisie überlässt. Weil die Kommunistische Partei Indiens versucht, das Prestige der Russischen Revolution und der Sowjetunion zu benutzen, ist ihr Einfluss auf die indische Arbeiterklasse heute am gefährlichsten.[9]

5.8. Zur Congress Socialist Party erklärte die BLPI, sie habe „von Anfang an eine Politik völliger Unterwürfigkeit gegenüber der Bourgeoisie im Kongress verfolgt und ist daher auch heute noch ohne Rückhalt in der Arbeiterklasse. Nachdem sie ihre unabhängige Existenz aufgegeben hatte, wurde sie von den Kommunisten, die in ihr aktiv waren, auseinandergespalten. Heute ist sie eine leere Hülle ohne jede politische Substanz.“ Weiter hieß es, nur die BLPI „mit ihrer revolutionären Strategie auf Grundlage der gesammelten Erfahrungen der Geschichte und der Theorie der Permanenten Revolution, kann die Arbeiterklasse zur siegreichen Revolution führen.“[10]

5.9. Die BLPI unterstützte entschlossen die Verteidigung der Sowjetunion durch die Vierte Internationale gegen Intrigen und Angriffe. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges führte Trotzki einen politischen Kampf gegen eine Fraktion innerhalb der amerikanischen Sektion, der Socialist Workers Party (SWP), die von Max Shachtman, James Burnham und Martin Abern angeführt wurde. Diese behaupteten, die Sowjetunion könne nicht mehr länger als degenerierter Arbeiterstaat angesehen werden und die Vierte Internationale solle nicht mehr zu ihrer Verteidigung aufrufen, wenn sie in einen Krieg hineingezogen würde. Die UdSSR beruhte trotz des Wirkens der stalinistischen Bürokratie und ihrer Verrätereien jedoch immer noch auf den verstaatlichten Eigentumsverhältnissen, die nach der Russischen Revolution etabliert wurden. Hinter Burnhams Neubewertung der Sowjetunion als „bürokratischer Kollektivismus“ steckte der pessimistische Schluss, dass dies eine neue von einer Verwaltungselite dominierte und geleitete Gesellschaftsform sei, die der Marxismus nicht vorhergesehen hätte, Dieses Hinnehmen der stalinistischen Bürokratie als dauerhaftes Merkmal einer Gesellschaft anstatt als zeitweiligen bösartigen Auswuchs am Arbeiterstaat kam aus einer Ablehnung der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse und des Charakters der imperialistischen Epoche als Todesagonie des Kapitalismus. Die Argumente von Burnham und Shachtman waren Vorreiter einer langen Reihe von Angriffen auf den Marxismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihre Ergebnisse unterschieden sich zwar voneinander, aber alle diese revisionistischen Gruppierungen sahen –ob in der Form der Theorie vom „Staatskapitalismus“ oder in Michel Pablos „Jahrhunderten deformierter Arbeiterstaaten“ –die stalinistischen Regimes als etwas historisch tragfähiges an und schrieben die Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft ab.

Wird fortgesetzt

Fußnoten:

1. Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm (Essen: Arbeiterpresse Verlag, 1997) S. 84.

2. Hervorhebung im Original; ibid, S. 86.

3. Hervorhebung im Original; ibid, S. 114.

4. Leo Trotzki: Die nationale Frage und nationale Minderheiten, S. 9 http://www.internationalesozialisten.de/Buecher/Klassiker/Trotzki/Nationale Frage und nationale Minderheiten.pdf

5. Ibid, S. 8.

6. Blows Against the Empire: Trotskyism in Ceylon the Lanka Sama Samaja Party, 1935–1964 (London: Porcupine Press: Socialist Platform, 1997) S. 64–67.

7. Zitiert aus George Jan Lerski, Origins of Trotskyism in Ceylon: a documentary history of the Lanka Sama Samaja Party, 1935–1942 (Stanford: Hoover Institution on War, Revolution and Peace, 1968) S. 206.

8. Charles Wesley Ervin, Tomorrow is Ours: The Trotskyist Movement in India and Ceylon, 1935–48 (Colombo: Social Scientists Association, 2006) S. 300. (aus dem Engl.)

9. Ibid., Appendix B, S. 304.

10. Ibid., S. 305.

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