Perspektive

Chicago:

Der „Krieg gegen den Terror“ schlägt auf die USA zurück

Die Verhaftung von fünf Demonstranten und ihre Anklage wegen „terroristischer“ Planungen während des Nato-Gipfels im vergangenen Monat in Chicago sollte von der gesamten Arbeiterklasse als Warnung verstanden werden. Die Entwicklung verdeutlicht eine verhängnisvolle Eskalation beim Einsatz staatlicher Unterdrückungsmechanismen, die während des „Krieges gegen den Terror“ gegen innenpolitischen Widerstand auf- und ausgebaut wurden. 

Die fünf Männer erschienen gestern vor Gericht, obwohl die Behörden sich weigern, Informationen über ihre Anklagen preiszugeben. Sie werden inzwischen seit zwei Monaten ohne Anklage festgehalten. Selbst der für den Fall zuständige Richter nannte es „merkwürdig“, dass die Staatsanwaltschaft keine Anklageschrift vorlegte. Sie wird jetzt für den 2. Juli erwartet. 

Ziel der Anhörung war es offensichtlich, die Angeklagten, die an Händen und Füßen gefesselt waren, als gefährliche Kriminelle zu präsentieren. Zu den Bedingungen, unter denen sie festgehalten werden, gehört die außergewöhnliche Kautionssumme von 1,5 Millionen Dollar, die auch dazu beiträgt, den Fall so darzustellen, als handle es sich um eine größere Sicherheitsfrage für das gesamte Land. 

Die Staatsanwältin von Illinois hat angedeutet, dass die staatlichen Anti-Terror-Gesetze gegen die Angeklagten zur Anwendung kommen werden. Diese Gesetze wurden nach den Angriffen vom 11. September 2001 zusammen mit ähnlichen Gesetzen in anderen Staaten und auf Bundesebene verabschiedet. Das Gesetz von Illinois geht in seiner Definition von „Terrorismus“ besonders weit. Darunter fällt zum Beispiel jegliche Handlung, die dem Viehbestand und der Ernte „erheblichen Schaden“ zufügt. Einer der Anwälte der Angeklagten formulierte es so: „Du kannst als Terrorist angeklagt werden, wenn du einen Bienenstock zerstörst.“ 

Zur Zeit ihrer Verhaftung sagte die Staatsanwältin von Illinois, Anita Alvarez, drei der fünf Angeklagten – Jared Chase, Brent Betterly und Brian Church – hätten versucht, Molotow-Cocktails zu basteln, um damit Einrichtungen der Demokratischen Partei anzugreifen. 

Den beiden anderen Männern, Sebastian Senakiewicz und Mark Neiweem, wird wegen zweier voneinander unabhängiger Vorfälle Terrorismus vorgeworfen. Senakiewicz hat sich angeblich gebrüstet, Sprengstoff zu besitzen, ohne tatsächlich welchen zu haben – was ihm eine Anklage wegen falschen Bombenalarms einbrachte. Neiweem hat angeblich eine Liste von Zutaten für eine Rohrbombe angefertigt – was ihm eine Anklage wegen „versuchten Besitzes“ von Sprengstoff einbrachte. 

Allen drei Fällen und allen fünf Angeklagten gemein ist die Beteiligung zweier verdeckter Polizeiermittler mit den Namen „Mo“ und „Gloves“, die die Occupy Chicago Organisation mehrere Monate zuvor unterwandert hatten. Darüber hinaus scheinen einzig und allein die Polizeiinformanten zu allen gewaltsamen Planungen angestiftet zu haben.

Die Operation, die zur Verhaftung der fünf führte, war Teil einer großen Mobilisierung der Polizei während der Proteste. Die Polizei riegelte die Chicagoer Innenstadt praktisch für vier Tage ab, verhaftete einhundert Demonstranten und schlug wahllos auf viele Demonstranten ein. 

Die Obama-Regierung lobte die Polizei nach den Ereignissen in Chicago, einschließlich der an den Haaren herbeigezogenen Terrorismus-Vorwürfe. Sie habe, so Obama, „unter erheblichem Druck und von vielen beobachtet großartige Arbeit geleistet hat“. Durch seine Bemerkungen machte er deutlich, dass seine Regierung hinter dem Angriff steht.

Der Einsatz von Polizeiprovokationen spiegelt die unversöhnlichen Konflikte wider, die die amerikanische Gesellschaft zerreißen. In der Arbeiterklasse wächst die Wut auf eine Politik, zu der sich beide Wirtschaftsparteien des sklerotischen politischen Establishments verpflichtet haben: Angriffe auf Arbeitsplätze und Sozialprogramme, Banken-Rettungen und endlose Kriege. 

Dieselbe soziale Dynamik liegt der tiefgreifenden Auflösung der amerikanischen Demokratie in dem Jahrzehnt zugrunde, in dem sich der „Krieg gegen den Terror“ entwickelte, und das mit dem Diebstahl der Wahlen von 2000 begann. Seit den Anschlägen vom 11. September hat die herrschende Klasse zuerst unter Bush und dann unter Obama die Befugnisse des Staates erheblich erweitert. Der „Krieg gegen den Terror“ wurde zur Rund-um-Rechtfertigung für die Maßnahmen, mit denen in den USA der juristische Rahmen für einen Polizeistaat geschaffen wurde.   

Mit der Unterstützung beider Parteien ließ die Bush-Regierung den Patriot Act verabschieden, der die Überwachungs-Befugnisse des Staates erweiterte. Außerdem schuf sie das Heimatschutzministerium und ein militärisches Oberkommando für das Territorium der Vereinigten Staaten. Dazu beanspruchte sie eine historisch nie dagewesene Ermächtigung der Exekutivgewalt zu foltern, Kriege zu führen und die amerikanische Bevölkerung zu überwachen. Die Nationale Sicherheitsagentur errichtete ein illegales System zur Überwachung der Kommunikation von US-Bürgern. 

Die Politik der Obama-Regierung zeigt die Vergeblichkeit und den Bankrott aller Versuche, die Entwicklung hin zu einem Polizeistaat innerhalb der Grenzen des Zwei-Parteien-Systems zu stoppen. 

Das Weiße Haus unter Obama hat sich allen Versuchen widersetzt, die illegalen Aktionen seines Vorgängers aufzuarbeiten oder gar gerichtlich zu verfolgen. Stattdessen behandelt es die Vereinigten Staaten wie ein „Schlachtfeld“ in einem zeitlich und räumlich nicht begrenzten globalen Krieg. Sie hat den National Defense Authorization Act von 2012 verabschiedet, der es erlaubt, amerikanische Bürger ohne Anklage auf unbestimmte Zeit in Militärhaft zu nehmen.  

Erst kürzlich hat Obama das Recht des Präsidenten bekräftigt, amerikanische Bürger außerhalb der Legalität ermorden zu lassen. Generalstaatsanwalt Eric Holder hat argumentiert, dass dem verfassungsmäßigen Recht auf eine Gerichtsverhandlung, einem grundlegenden Schutz gegen die Willkür der Exekutive, durch Beratungen zwischen dem Präsidenten und seinen Beratern genügt werde. Auf diese Weise kann jeder auf Anweisung des Präsidenten getötet oder auf sonstige Art und Weise seiner Grundrechte beraubt werden. 

Diese Ereignisse bestätigen die Warnungen der World Socialist Web Site, dass das Hauptziel des anti-demokratischen Apparates des “Kriegs gegen den Terror” die amerikanische Bevölkerung selbst ist. Die herrschende Klasse fürchtet sich vor anschwellendem Widerstand, der seinen Ausdruck nur außerhalb der offiziellen Politik finden kann, und versucht, ihn durch Einschüchterung und falsche Anschuldigungen einzudämmen. 

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