Polizei belagert chinesische Industriestadt, um Proteste zu unterdrücken

Der entschlossene Protest von ländlichen Wanderarbeitern in der Provinz Guangdong, der am 26. Juni begann, zeigt die zunehmenden Spannungen zwischen der Abermillionen zählenden Arbeiterklasse und dem Regime der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).

Die Unruhen brachen nach einem Streit im Stadtteil Shaxi von Zhongshan zwischen einem dreizehnjährigen Schüler und einem Fünfzehnjährigen mit einem Hintergrund als Wanderarbeiter aus. Shaxi ist eine der zahlreichen Industriestädte im Perlflussdelta, das auch als „Werkbank der Welt“ bezeichnet wird. Sie ist auf die Produktion von Alltagskleidung ausgelegt.

Der jugendliche Wanderarbeiter wurde schließlich von Sicherheitskräften festgenommen, von denen er angeblich geschlagen und schwer im Gesicht verletzt wurde, bevor sie ihn der Polizei übergaben. Als seine Eltern und ihre Freunde gegen seine Behandlung protestierten, wurde dies zum Ventil für die aufgestaute Wut gegen die weit verbreitete offizielle Diskriminierung gegenüber Wanderarbeitern.

An den ersten Demonstrationen vor der örtlichen Polizeiwache nahmen einige hundert Arbeiter teil, aber sie eskalierten schnell, als die Polizei versuchte, die Menge mit Knüppeln auseinanderzutreiben. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer und Tausende versammelten sich zur Unterstützung, darunter auch viele Menschen aus Nachbarstädten wie Guangzhou und Fusan.

Liu Tianjin, ein Fabrikarbeiter aus Shaxi, sagte der Presseagentur Agence France Press: „Die Unruhen begannen [am Montag] mittags, aber gestern Abend eskalierten sie, Tausende haben protestiert. Gestern Abend war viel Bereitschaftspolizei unterwegs, und jetzt sind immer noch viele da. Ich kann Ihnen sagen, dass mehr als 30 Menschen verletzt wurden.“

Am Dienstagmorgen belagerten mehr als 10.000 Arbeiter die Stadtverwaltung und standen eintausend Polizisten gegenüber. An diesem Abend schritten die Behörden plötzlich ein, um die Proteste aufzulösen, indem sie der Polizei befahlen, auf die Demonstranten loszugehen (Video).

Die Polizei riegelte die Stadt ab und die Medien von Shaxi und Zhongshan forderten die Öffentlichkeit auf, sich von den Orten fernzuhalten, und die Bewohner, in den Häusern zu bleiben. Geschäfte, Schulen und Banken wurden geschlossen.

Laut der Hongkonger Tageszeitung Ming Pao Daily kamen zehntausende von Wanderarbeitern, um die Proteste zu unterstützen, auch aus Nachbarstädten. Arbeiter griffen Polizeiautos und Polizeireviere sowie Geschäfte an. Eine Bushaltestelle wurde angezündet. Die Polizei ging wahllos auf jeden los, der auf der Straße war, und die örtlichen Krankenhäuser waren voll mit Verletzten. (siehe Photos).

Die Zeitung meldete mit Berufung auf ungenannte Quellen, dass die Zentralregierung in Peking Polizei und Soldaten autorisiert habe, auf Arbeiter zu schießen, wenn der Konflikt eskalieren sollte. Sie schickte 10.000 Polizisten nach Zhongshan, darunter große Verstärkungen aus nahen Städten, um Proteste in der Innenstadt zu verhindern.

Chinesische Behörden versuchten, die Ereignisse herunterzuspielen. Das staatliche Fernsehen verbreitete die Aussage des Vaters des verletzten Jungen, der beteuerte, sein Sohn sei nur leicht verletzt und nicht getötet worden, wie Gerüchte besagten. Er erklärte, er kenne die Demonstranten nicht. Um die Polizeigewalt zu rechtfertigen, behaupteten die staatlichen Medien, die Proteste seien von organisierten Verbrecherbanden organisiert worden.

Der plötzliche Ausbruch von Protesten ist ein Ergebnis der systematischen Diskriminierung von Wanderarbeitern. Diese gelten offiziell nicht als Stadtbewohner, sie werden als Bürger zweiter Klasse behandelt, haben keinen Zugang zu Sozialleistungen und werden ständig von der Polizei belästigt. In Städten wie Shaxi, wo es mehr Wanderarbeiter als Bewohner gibt, ist die Verwaltung nicht für ihre Bildung und ihre Gesundheitsversorgung verantwortlich. Die offizielle Politik und die Polizei fördern Vorurteile gegen Migranten, die sie oft für steigende Kriminalitätsraten verantwortlich machen.

Die Ereignisse in Shaxi sind Teil größerer Arbeiterunruhen in derselben Provinz. Letzten Juni brachen ähnliche Proteste aus, an denen sich Tausende von Wanderarbeitern in den Textilwerken von Zengcheng beteiligten. Seit November hat es zahlreiche Streiks gegen Lohnkürzungen und Angriffe auf die Arbeitsbedingungen gegeben.

Letztes Wochenende löste die Polizei gewaltsam eine Fabrikbesetzung von 800 Arbeitern bei Lituo Civilian Explosive Equipment in Shaoguan, ebenfalls in Guangdong, auf. Das Unternehmen, das früher im Staatsbesitz war, produziert Industriesprengstoffe und Zünder. Die Arbeiter waren seit Anfang Mai im Streik, um gegen die Veruntreuung von Geldern durch das Management zu protestieren, die eigentlich für die Belegschaft bestimmt waren, als das Unternehmen letztes Jahr verkauft wurde. Am 22. Juni blockierten die Arbeiter eine Straße und riegelten das Tor ab, sodass die Manager das Grundstück nicht verlassen konnten. Die Regierung setzte hunderte von Bereitschaftspolizisten ein, die mit Tränengas gegen die Arbeiter vorgingen und mehrere von ihnen verhafteten.

Der tiefere Grund für die wachsende Militanz der Arbeiter ist der Rückgang der Exporte aufgrund der zunehmenden Wirtschaftskrise in Europa und der fehlenden Nachfrage aus den USA. Guangdongs Wirtschaft, früher die treibende Kraft für ganz China, ist jetzt in großen Schwierigkeiten. Seine Exporte und Importe nahmen in den ersten fünf Monaten des Jahres nur um fünf Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu – 2,7 Prozentpunkte unterhalb des nationalen Durchschnitts. Die Investitionen in Industrieanlagen sind in der gleichen Zeit nur um neun Prozent gestiegen – im letzten Jahr waren es noch 9,9 Prozentpunkte mehr.

Cheng Jianshan von der Akademie für Sozialwissenschaften in Guangdong, sagte der Nachrichtenagentur China News Service am 27. Juni, die „Troika“ der Provinz (Exporte, Investitionen und Konsum) verliere an Fahrt: „Der Rückgang des Außenhandels untergräbt das Vertrauen der Investoren, was zu einem Rückgang der Kapitalinvestitionen führt, und wiederum zu einem Verlust von Verbrauchervertrauen und Mehrwert der Industrie.“

Der KP-Chef von Guangdong, Wang Yang, versprach den Arbeitern letztes Jahr ein „glückliches Guangdong,“ nachdem es zu einer Reihe von gewaltsamen Protesten gekommen war, unter anderem in Zengcheng und von Dorfbewohnern in Wukan, die einen langen Kampf gegen korrupte Landverkäufe geführt hatten.

Angesichts sinkender Gewinne wollen die Betreiber der Sweatshops jedoch den Arbeitern durch Lohnkürzungen und Forderungen nach gesteigerter Produktivität neue Lasten auferlegen. Die Regierung von Guangdong sollte Anfang des Jahres die offiziellen Mindestlöhne erhöhen. Aber aufgrund von Druck der Industrielobby aus Hongkong, die Millionen von Arbeitern in der Provinz beschäftigt, verschob die Regierung die Erhöhung. Dies führte zu einer Streikwelle.

Am 18. Juni traten in der Uhrenfabrik Citizen in Guangzhou, die in japanischem Besitz ist, 3000 Arbeiter in den Streik für eine Gehaltserhöhung. Ihr Grundgehalt war nur 1.100 Yuan im Monat – der offizielle Mindestlohn im Distrikt Huadu, wo die Fabrik steht. Da ihnen bereits 200 Yuan für die Sozialversicherung abgezogen werden, beklagten sich die Arbeiter, sie hätten nicht mehr genug zum leben.

Arbeitern anderer japanischer Elektrowerke in Guangzhou wurde am 1. Juni eine Gehaltserhöhung von 1.350 auf 1.500 Yuan im Monat angeboten, aber eintausend von ihnen traten am 14. Juni in den Streik, weil es ihrer Meinung nach nicht genug war, um über die Runden zu kommen.

Der Grund für die brutalen Polizeistaatsmethoden gegen Wanderarbeiter, die in Zhongshan angewandt wurden, ist die Angst des chinesischen Regimes, dass längere Proteste zu weiteren Aktionen der hoch konzentrierten Arbeiterklasse in Guangdong und den anderen Kernregionen der chinesischen Industrie führen könnten.

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