Mexiko

Enrique Peña Nieto gewinnt Präsidentschaftswahl

Laut vorläufiger Stimmenauszählung hat der 45-jährige Enrique Peña Nieto, früherer Gouverneur des Bundesstaates Mexiko (Estado de México), die Präsidentschaftswahlen vom 1. Juli für sich entschieden. Peña Nietos Partei der Institutionellen Revolution (PRI) errang auch die Mehrheit im Unionskongress (Congreso de la Unión de México), der mexikanischen Legislative.

Am Montagmorgen gab die Nationale Wahlbehörde (IFE) folgendes Ergebnis bekannt: Peña Nieto erhielt über achtzehn Millionen Stimmen, gut 38 Prozent; Andrés Manuel López Obrador von der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) erhielt 31,7 Prozent; Josefina Vazquez Mota von der bisherigen Regierungspartei der Nationalen Aktion (PAN) kam auf 25,4 Prozent; Gabriel Quadri von der Neuen Allianz (PANAL) erhielt 2,3 Prozent; die übrigen 2,4 Prozent waren ungültig. Bei siebzig Millionen Wahlberechtigten betrug die Wahlbeteiligung 62 Prozent.

Zusätzlich zur Präsidentenwahl hatten die mexikanischen Wähler 300 Mitglieder des Abgeordnetenhauses (mexikanisches Unterhaus) und 168 Senatoren zu wählen. In sechs Bundesstaaten mussten neue Gouverneure gewählt werden, und in Mexiko-Stadt ein neuer Bürgermeister. Die PRI hat offensichtlich sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Senat die Mehrheit gewonnen.

Präsident Felipe Calderón, der als Kandidat der PAN die Wahlen im Jahr 2006 gewann, erkannte den Sieg der PRI unverzüglich an und versprach einen „ordentlichen, transparenten und effizienten“ Übergang bis zur Amtseinführung des neuen Präsidenten am 1. November. „Ich möchte ihm aufrichtig gratulieren“, sagte Calderón, an Peña Nieto gerichtet.

Die PRD behielt die Kontrolle über das zweitmächtigste Amt im Land: Das ist der Bürgermeisterposten von Mexiko-Stadt, Hauptstadt und einwohnerstärkste Stadt des Landes. Hier gewann Miguel Angel Mancera mit über sechzig Prozent der Stimmen; er übernimmt das Amt von seinem Parteikollegen Marcelo Ebrad.

Die Wahlen wurden nicht nur vom Drogenkrieg, sondern auch von massiven Wahlbetrugs-Vorwürfen begleitet. Die Wahlen sollen mittels verlorener Stimmzettel, Stimmenkäufe und zu spät geöffneter Wahllokale gefälscht worden sein. Vertreter der Nationalen Aktionspartei (PAN) schätzen, dass etwa 15.000 Wahllokale (sogenannte „rote Stätten“) im Verdacht stehen, hauptsächlich an die Partei der Institutionellen Revolution (PRI) Stimmen verkauft zu haben. Der PAN-Vorsitzende Gustavo Madero rief die Bundesbehörden zu erhöhter Wachsamkeit auf.

Gemäß einer Erhebung der Tageszeitung La Jornada aus Mexiko-Stadt glauben siebzig Prozent der Einwohnern, dass die Wahlen gefälscht seien. Als die Ergebnisse bekannt wurden, protestierte die Gruppe #YoSoy132 gegen Stimmenkauf und Wahlbehinderung, indem sie im ganzen Land Büros der IFE besetzte.

Wahlbetrug ist für Mexiko nichts Neues. PRD-Kandidat López Obrador warf dieses Thema in den vergangenen Wochen mehrfach auf und beschuldigte die PRI, sie betreibe Wahlwerbung mit Geschenken. So habe die Partei fünf Millionen Dollar investiert, um Kreditkarten an die Bevölkerung zu verteilen.

Trotz dieser Anschuldigungen steht Peña Nietos Sieg indessen im Einklang mit den Umfrageergebnissen, die seit Beginn des Wahlkampfes vor drei Monaten veröffentlicht wurden. Nur der Abstand, den er in den Umfragen vor den anderen Kandidaten hatte, schmolz bedeutend von dreißig auf etwas über fünf Prozent.

Das mexikanische Wahlsystem vergibt die Präsidentschaft an den Kandidaten, der über die meisten Stimmen verfügt, – selbst wenn die Mehrheit keine fünfzig Prozent beträgt. Anders als beispielsweise in Frankreich gibt es keine zweite Runde.

Die PRI konnte siegen, weil die bisher regierende PAN in der ganzen Bevölkerung so verhasst ist. Diese hatte die Präsidentschaft seit 2000 inne und hinterließ die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung Mexikos in schlimmerem Zustand als vor ihrem Machtantritt. Obwohl Präsident Felipe Calderón seinem Parteikollegen Vazquez Mota Rückendeckung gab, erreichte dieser nur ein Viertel der am 1. Juli abgegebenen Stimmen. Damit erhielt er nur die Zustimmung von fünfzehn Prozent der mexikanischen Bevölkerung.

Der Ruf der Calderon-Regierung hat sich so sehr verschlechtert, dass zwei Flügel der PAN mit der Partei brachen und entweder die PRI oder die PRD unterstützten. Unter den Abweichlern befinden sich der ehemalige Präsident Vicente Fox und Manuel Clouthier, Sohn und Erbe des Parteigründers und langjährigen Oberhaupts der Partei.

Ein von der New York Times interviewter Arbeiter beschrieb die Bilanz der PAN so: „Die Reichen sind reicher, die Armen sind ärmer; der Rest von uns hängt dazwischen: Wir überleben gerade eben.“ Was „gerade eben überleben“ meint, drückt das in Volkszählungen erhobene Zahlenmaterial aus: 57 Prozent der mexikanischen Arbeiter verdienen weniger als 13,50 Dollar täglich, und 52 Millionen Mexikaner leben unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, das sind zwölf Millionen mehr als vor zehn Jahren.

Der Ausgang der Wahlen ist schwerlich als Begeisterungstaumel für die PRI zu verstehen, die als korrupt und autoritär berüchtigt ist, geschweige denn für Peña Nieto selbst. Millionen Menschen halten ihn für eine Marionette der großen Medienmonopole und der Handvoll mexikanischer Milliardäre. Je länger der Wahlkampf dauerte, desto tiefer sank Peña Nieto in den Umfrageergebnissen, und am Ende entschieden sich mehr als sechzig Prozent der Wähler gegen ihn.

Einen entscheidenden Beitrag zur erfolgreichen Rückkehr der PRI an die Macht leistete der Rechtsschwenk der PRD in den vergangenen sechs Jahren. Die programmatischen Differenzen unter den im Wettstreit liegenden Kandidaten waren sehr gering. Die PRD und López Obrador entfernten sich in den vergangenen sechs Jahren von der linkspopulistischen Rhetorik des Wahlkampfs in 2006. In mehreren Bundesstaatswahlen verbündete sie sich auch mit der PAN.

Dank dieser Strategie gewann López Obrador die Unterstützung der Geschäftswelt der Stadt Monterrey. Eine bedeutende Industriellenschicht dieser Stadt im Norden verschob ihre Wahlpräferenz diesmal von der PAN auf die PRD. Leute wie Alfonso Romo, Chef der Pulsar Group, hatten 2006 noch Calderón unterstützt und López Obrador als „Gefahr für Mexiko“ verschrien.

Die aus Monterrey stammende Cristina Sada Salinas, deren Familie Textil- und andere Fabriken besitzt, trat als PRD-Kandidatin für einen Senatssitz an. „Wir können diese Dekadenz nicht noch einmal sechs Jahre ertragen“, sagte Sada. Die PRD, die unter dem Motto „Liebe statt Patronen“ zu nationaler Einheit aufrief, ist offenbar für die konservative Monterrey-Elite heute vollkommen akzeptabel.

Die Erfolge der PRI in den Parlamenten sowie die Wahl von Peña Nieto selbst bedeuten ein gewaltiges Comeback dieser Partei. Die PRI regierte Mexiko 71 Jahre lang, von 1929 bis 2000, bis sie im letzten Jahr ihrer Macht an schwerwiegenden inneren Spaltungen zerbrach.

Die Partei wurde 1929 als eine Begleiterscheinung der Mexikanischen Revolution (1910-1917) gegründet. Es gelang ihr, die mexikanische Gesellschaft und ihre konkurrierenden Klassen der Herrschaft der nationalen Bourgeoisie unterzuordnen. Gleichzeitig wahrte sie bis zu einem gewissen Grade Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten, obwohl der US-Imperialismus in dieser Region eine überwältigende Dominanz ausübt.

Bis in die späten 1980er Jahre ermöglichten die korporativen Strukturen der Partei, den Klassenkampf abzuschwächen und ihn dem nationalen Kapitalismus und der Armee unterzuordnen. Doch dann zerbrachen diese Strukturen unter den Hammerschlägen der Globalisierung, als vor allem der ökonomische Druck der Vereinigten Staaten wuchs. Die NAFTA-Verträge (Nordamerikanisches Freihandelsabkommen) waren Ausdruck dieser Entwicklung. Die PRI ging drastisch nach rechts, wandte Rezepte neoliberaler Ökonomen an und demontierte Staatsunternehmen und soziale Reformen.

Die PRI zollte ihren korporativen “vier Säulen” (Wirtschaft, Gewerkschaften, Bauern und Militär) nur noch Lippenbekenntnisse, während transnationale Konzerne und Banken die Staatsindustrie (Eisenbahnen, Stahlindustrie, Versorgungsleistungen) zerschlugen. Die Erosion ihrer eigenen Basis führte im Jahr 2000 zum Wahldebakel. In diesem Jahr kam die noch weiter rechts stehende PAN mit Vicente Fox an die Macht.

Die jetzige Rückkehr der PRI an die Macht zeigt das Ausmaß der gegenwärtigen sozioökonomischen Krise, die Mexiko erfasst hat. Damit ist die Partei an der Macht, die von einer extrem rechtsstehenden, marktliberalen Fraktion geleitet wird. In Lateinamerika nennt man diese Gruppe von “técnicos” abschätzig die „Chicago Boys“.

Die großen Versprechen, die Peña Nieto im Wahlkampf machte (höhere Löhne, mehr Arbeitsplätze, weniger Straßenkriminalität) werden im Madrider Blatt El Pais als Wunschzettel für Weihnachten bezeichnet. Seine Regierung bringt Mexiko keine Wende. Schon im Wahlkampf machte der Kandidat deutlich, dass die Erfüllung seiner Versprechen vom Wachstum der Produktivität abhängig sein werde. Die Produktivität wird jetzt an Arbeitsmarktreformen geknüpft, die den Privatunternehmen mehr Flexibilität beim Einstellen und Entlassen einräumen.

Die mexikanische Wirtschaft ist an die Vereinigten Staaten gekoppelt und zu einem geringeren Maße auch von Spanien und der Eurozone abhängig. Ein Abschwung der amerikanischen Wirtschaft, sowie der fortschreitende Zusammenbruch Europas werden auf mexikanische Exporte, Beschäftigung und Lebensstandard schlimme Auswirkungen haben.

Loading