Chicago:

Demokraten und Republikaner gegen die Lehrer

Am Montagmorgen traten in Chicago, Illinois mehr als 25.000 Lehrer in den Streik und legten damit den drittgrößten Schuldistrikt des Landes lahm. Der Streik – der erste von Chicagoer Lehrern seit 25 Jahren – drückt die Ablehnung der Bevölkerung gegen die Angriffe auf Lehrer und das öffentliche Bildungswesen durch Bürgermeister Rahm Emanuel aus. Dieser ist Mitglied der Demokratischen Partei.

Der Arbeitskampf ist ein Anzeichen, dass der Mut zum Widerstand in der Arbeiterklasse in den USA und der Welt wächst. Am Montag nahmen Tausende Lehrer an Streikposten teil, am Abend fand eine Massenkundgebung statt.

Lehrer demonstrieren in der Innenstadt von Chicago. Lehrer demonstrieren in der Innenstadt von Chicago.

Nur einen Tag nach dem Streik sind die darin enthaltenen politischen Fragen schon klar geworden. Bei der Verteidigung ihrer Arbeitsplätze und des öffentlichen Schulwesens sind die Chicagoer Lehrer nicht nur mit dem Bürgermeister in Konflikt geraten, sondern auch mit der Obama-Regierung und beiden Parteien des amerikanischen Großkapitals.

Emanuel reagierte auf den Streik, indem er die Streikenden mit der üblichen Arroganz verurteilte. Er erklärte, sie führten einen „unnötigen“ Streik. Für Emanuel und das politische Establishment Chicagos ist der Streik „unnötig“, weil er ihre Forderung gefährdet, Lehrer nach Leistung zu bezahlen und Schulen durch Vorgaben die Möglichkeit zu geben, Lehrer zu entlassen. Das gehört zu einer Strategie, das öffentliche Bildungswesen zu zerschlagen.

Die politischen Auswirkungen des Kampfes in den gesamten Vereinigten Staaten wurden durch die außergewöhnliche Einmischung der Republikanischen Partei deutlich. Mitten in einem Wahljahr, in dem Hunderte Millionen von Dollar für Schlammschlachten zwischen den beiden Parteien ausgegeben werden, beeilte sich der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney, sich hinter die Schulbehörde von Chicago und Bürgermeister Emanuel zu stellen.

Romney kritisierte die Lehrer dafür, ihr Recht zu streiken auszuüben und erklärte, der Streik sei „ein klares Beispiel dafür“ wie „Lehrergewerkschaften zeigen, dass ihre Interessen allzu oft mit denen unserer Kinder in Konflikt geraten.“

Romneys Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan äußerte seine Unterstützung für Emanuel noch klarer: „Rahm und ich sind uns nicht in allen Fragen einig, in vielen durchaus nicht [...] Aber diesmal hat Bürgermeister Emanuel recht, wenn er sagt, dass dieser Streik der Lehrergewerkschaft unnötig und falsch ist.“ Er fügte hinzu: „Bildungsreformen sind Aufgabe beider Parteien.“

Die beiden Parteien sind trotz ihrer Differenzen vereint im Hass auf die Arbeiterklasse. Die Republikaner wissen genauso gut wie die Demokraten, dass eine Niederlage der Lehrkräfte von Chicago wichtig ist, um gemeinsam das Bildungswesen zerschlagen zu können. Und nachdem der Klassenkampf jahrzehntelang durch die Gewerkschaften unterdrückt worden ist, betrachtet die herrschende Elite jeden Widerstand der Arbeiterklasse als unentschuldbar, wenn nicht gar kriminell.

Schüler auf Streikposten mit Lehrern. Schüler auf Streikposten mit Lehrern.

Der mutige Kampf der Chicagoer Lehrer ist eine Gefahr für Obamas bildungspolitische Pläne, darunter auch das „Race to the Top“-Programm, durch das Bezahlung nach Leistung und Privatschulen ausgebaut werden sollen. Als Romney Obama dafür kritisierte, sich nicht ausreichend hinter Emanuel und die Schulbehörde gestellt zu haben, erklärte Obamas Wahlkampfsprecher Ben LaBolt: „Es war Obamas Präsidentschaft, die zu tiefgreifenden Reformen unserer Schulen geführt hat.“

Emanuel ist nicht nur Bürgermeister von Chicago, sondern auch Obamas rechte Hand. Zweifellos koordiniert er sein Vorgehen in enger Zusammenarbeit mit der Regierung. Schließlich war Emanuel Stabschef des Präsidenten, bevor er kündigte, um für das Amt des Bürgermeisters von Chicago zu kandidieren.

Der ehemalige Investmentbanker ist außerdem eine wichtige Person in Obamas Wahlkampf; erst vor kurzem ist er als Co-Vorsitzender des Kampagnenteams zurückgetreten, um die Spendensammlung von Obamas politischem Aktionskomitee zu führen. Das erklärte Ziel des Aktionskomitees ist es, 150 Millionen Dollar Spenden von Multimillionären und Milliardären zu sammeln.

Obama und das Chicagoer Establishment sind auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Obamas Bildungsminister Arne Duncan war Vorsitzender von Chicago Public Schools (CPS); in dieser Funktion begann er viele der lehrerfeindlichen Maßnahmen, die jetzt von Emanuel ausgeweitet werden. Als Duncan Vorsitzender der CPS war, war Richard Daley Bürgermeister. Dessen Bruder William Daley, ersetzte Emanuel als Stabschef Obamas im Jahr 2001.

Emanuel plant, Dutzende von öffentlichen Schulen zu schließen und Tausende von Lehrern zu entlassen. Gleichzeitig hofft die Stadt, 60 neue Privatschulen zu eröffnen, zusätzlich zu den 100, die bereits bestehen. Viele der Privatschulen gehören dem Noble Charter Network und werden von ihm betrieben. Dieses Netzwerk hat enge Beziehungen zu der milliardenschweren Hotelerbin Penny Pritzker, die Obama seit langem unterstützt.

Die Entschlossenheit der Lehrer zum Kampf steht in scharfem Kontrast zur Haltung der Führung der Chicagoer Lehrergewerkschaft CTU, die sich um eine Einigung mit Emanuel und der CPS bemüht. Am Montag gingen die Verhandlungen weiter, aber die CTU-Führung gab keine öffentlichen Statements ab.

Die CTU wird von der Caucus of Rank-and-File Educators (CORE) mit ihrer Präsidentin Karen Lewis und dem Vizepräsidenten Jesse Sharkey, einem Mitglied der International Socialist Organization geleitet. Deren größte Sorge ist es, ihr politisches Bündnis mit der Demokratischen Partei zu bewahren.

In den letzten zwei Jahren hat die CTU Massenentlassungen, die Schließung von Schulen, „Sanierungen“ und den Abbau von Laufbahnen und anderen Arbeitnehmerrechten akzeptiert. Im April 2011 kollaborierte sie hinter dem Rücken der Mitglieder mit der demokratisch dominierten Staatsregierung von Illinois, um den lehrerfeindlichen Gesetzentwurf Senate Bill 7 durchzusetzen, der das Recht auf Streik begrenzt und die Anwendung standardisierter Prüfungen ausweitet. Anfang dieses Jahres akzeptierte die CTU die Verlängerung des Schultages als Teil eines Übergangstarifvertrages.

Randi Weingarten, die Präsidentin der American Federation of Teachers, der Dachorganisation der CTU, drückte am Wochenende ihre politische Solidarität mit Emanuel aus. Sie erklärte, als sie gewählt wurde, wollte Emanuel „große Veränderungen im öffentlichen Schulwesen von Chicago durchführen... Mit einigen Veränderungen waren wir nicht einverstanden, mit anderen schon. Aber Veränderungen dieser Größenordnung können nur gemeinsam und korrekt durchgeführt werden, nicht auf die schnelle Art.“

Das ist ein deutliches Signal, dass die Gewerkschaftsfunktionäre nicht gegen weitere Angriffe auf die Lehrer sind. Sie sind vielmehr bereit, mit den Politikern und Schulbehörden zusammenzuarbeiten und wollen nur an der Entscheidungsfindung beteiligt sein.

Letzte Woche, auf dem Parteitag der Demokraten, drängte Weingarten die CTU und Emanuel zu einer Einigung und erklärte: „Wir sind doch alle Demokraten.“

Der Erfolg des Streiks hängt vor allem vom Verständnis der politischen Dimensionen des Kampfes und der Notwendigkeit ab, die aktive Unterstützung der Arbeiter in Illinois und im ganzen Land zu gewinnen. Die Lehrer müssen jeden Versuch, die Verteidigung des öffentlichen Bildungswesens dem politischen Bündnis mit den Gewerkschaften und der Demokratischen Partei unterzuordnen, unmissverständlich ablehnen.

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