Perspektive

Zweitausendster US-Soldat in Afghanistan getötet

Am vergangenen Wochenende starb der zweitausendste amerikanische Soldat in Afghanistan infolge eines so genannten „Insider“-Angriffs. Die seit elf Jahren andauernde Besatzung Afghanistans durch die USA steckt in einer tiefen Krise. Die Zweitausender-Marke wurde alsbald durch den Tod von drei weiteren amerikanischen Soldaten übertroffen, die bei einem Selbstmordanschlag in der ostafghanischen Stadt Khost getötet wurden. Außerdem starben vierzehn weitere Personen, darunter ein Übersetzer und sechs afghanische Polizisten.

Der makabre Meilenstein gibt jedoch die Kosten dieses inzwischen längsten amerikanischen Krieges nicht wahrheitsgetreu wider. Mindestens weitere hundert US-Soldaten sind an ihren Verwundungen erst gestorben, nachdem sie das Land verlassen haben.

Auch jene über 17.000 amerikanischen Soldaten sind nicht berücksichtigt, die in diesem Krieg verwundet wurden, die ihre Gliedmaßen verloren oder schwere Gehirnverletzungen erlitten, und auch nicht die große Zahl derer, die aus diesem kolonialkriegsähnlichen Konflikt mit schweren psychologischen und emotionalen Traumata zurückgekehrt sind.

Mehr als Zweidrittel der amerikanischen Opfer in Afghanistan gehen auf das Konto Obamas seit seiner Amtsübernahme 2009. Er hatte die Wahl zu großen Teilen wegen der Anti-Kriegsstimmung im Land und wegen der Empörung über die militaristische Politik der Bush-Regierung gewonnen.

Diese Wahl [im November 2008] belegte, dass es für die arbeitende Bevölkerung, die große Mehrheit im Lande, keine Möglichkeit gibt, sich in dem bestehenden politischen System Gehör zu verschaffen. Egal was sie damals wählte, egal was die Kandidaten für leere Versprechungen machten, die Entscheidungen werden von einem nicht gewählten Militär- und Geheimdienstapparat getroffen, und ihre Grundlage sind die Interessen der Finanzaristokratie, die entschlossen ist, ihre globale Kontrolle mit militärischen Mitteln durchzusetzen.

Bei der Wahl im November ist es nicht anders. Obama und Romney werden beide die Operationen in Afghanistan fortsetzen und an der kriegerischen Politik festhalten, die letztlich zu einem Krieg gegen den Iran führen wird.

Der Republikanische Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan griff die Obama-Regierung an, weil sie 22.000 Soldaten aus Afghanistan abzieht. Es sind die letzten der so genannten Verstärkungstruppen, die Obama in den Krieg geschickt hatte. Immer noch stehen ca. 66.000 US-Soldaten und Marines im Land und halten es besetzt. Das sind doppelt so viele wie zu Beginn von Obamas Amtszeit. Außerdem sind dort noch fast 40.000 Nato-Soldaten aus anderen Ländern und andere ausländische Truppen.

Die Republikaner unterstützen Obamas Termin von Dezember 2014 für den Abzug aller amerikanischen “Kampftruppen”, ein konstruierter Begriff, der verschleiern soll, dass auch danach noch Zehntausende Soldaten zurückbleiben werden. Aber sie kritisieren ihn dafür, dass er das Abzugsdatum öffentlich bekannt gegeben hat.

Als ob ein Abzug der 22.000 Soldaten erst nach der Wahl oder die Geheimhaltung des Termins von Ende 2014 etwas an dem Debakel ändern würde, das der US-Imperialismus in Afghanistan erleidet!

Wie tief der Morast in Afghanistan ist, wurde durch die Umstände des Todes des zweitausendsten amerikanischen Soldaten in Afghanistan klar. Der Soldat wurde an einem Checkpoint in der Provinz Wardak, westlich von Kabul, bei einer Konfrontation zwischen amerikanischen Truppen und Soldaten der afghanischen Armee (ANA) getötet. Ebenfalls getötet wurden drei afghanische Soldaten und ein ziviler amerikanischer Söldner, der als Ausbilder afghanischer Sicherheitskräfte arbeitete.

Damit sind dieses Jahr bis jetzt schon mindestens 53 amerikanische und Nato-Soldaten von ihren angeblichen afghanischen Verbündeten getötet worden. Diese „grün gegen blau“ Angriffe sind inzwischen für zwanzig Prozent der Kriegsopfer auf Seiten der US-geführten Besatzungstruppen verantwortlich.

Das amerikanische Kommando hat mehrere Gegenmaßnahmen ergriffen. So sind US-Truppen angewiesen, in den Stützpunkten, die sie mit afghanischen Truppen gemeinsam unterhalten, jederzeit geladene Waffen mit sich zu führen, und so genannte Schutzengel sind im Einsatz, deren Aufgabe darin besteht, amerikanische Soldaten vor ihren angeblichen afghanischen Verbündeten zu schützen. Afghanische Geheimdienstagenten wurden in die Mannschaften geschickt, um Sympathisanten der Aufständischen aufzuspüren und zur Strecke zu bringen.

Der jüngste Zwischenfall ereignete sich, gerade nachdem das Pentagon die Suspendierung gemeinsamer Operationen mit afghanischen Kräften wieder aufgehoben hatte, die nach einer ganzen Reihe solcher Angriffe verhängt worden war. Gleichzeitig fiel er mit der globalen Empörung über das üble anti-muslimische Video zusammen, das in den USA produziert worden war.

Offenbar kann nichts die Übergriffe stoppen, die nach mehr als zehn Jahren Besatzung den tief sitzenden Hass der Bevölkerung auf amerikanische und andere ausländische Truppen reflektieren. Die Tatsache, dass Marionettenstreitkräfte immer wieder die US-Soldaten töten, die sie ausbilden sollen, ist in der modernen Kriegsführung ohne Beispiel. Das gab es nicht in Korea und nicht in Vietnam. Die Wirkung ist demoralisierend und führt zu immer stärkeren Verdächtigungen und Feindseligkeiten zwischen amerikanischen Kräften und afghanischen Marionettentruppen.

In einem Interview in der CBS-Nachrichtensendung “60 Minutes” am Sonntagabend nannte der amerikanische Oberkommandierende in Afghanistan, Marinegeneral John Allen, diese so genannten “Insider”-Angriffe die für den Afghanistankrieg “typischen Angriffe”. General Allen, der bald als Kommandeur in Afghanistan abgelöst wird, erklärte tief frustriert: „Nun, ehrlich gesagt bin ich fuchsteufelswild deswegen. (…) Überall in den Vereinigten Staaten herrscht Empörung darüber (…). Wir sind bereit, eine ganze Menge Opfer für diesen Feldzug zu bringen, aber wir sind nicht bereit, uns dafür ermorden zu lassen.“

In dem Versuch, dieser verzweifelten Lage noch etwas Positives abzugewinnen, gab Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen zu, dass die Insider-Angriffe “das Vertrauen und die Zuversicht“ zwischen den ausländischen Besatzungstruppen und der afghanischen Armee untergraben hätten, aber äußerte sich zuversichtlich, dass es nächstes Jahr einen „nahtlosen“ Übergang zu der „neuen Mission“ nach 2014 geben werde.

Da hat der deutsche Nachrichtendienst BND allerdings eine nüchternere Einschätzung. In einem als vertrauliche Verschlusssache eingestuften Dokument mit dem Titel „Afghanistan bis zum Jahr 2014 – eine Prognose“, der dem Spiegel zugespielt wurde, warnt der Nachrichtendienst, dass die Angriffe von Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte auf amerikanische und andere ausländische Truppen sich von heute bis Dezember 2014 nur noch verschlimmern werden.

Er warnt, dass solche Angriffe nach dem offiziellen “Rückzugsdatum” weitergehen und vielleicht sogar noch zunehmen werden. Der Dienst erwartet, dass 35.000 ausländische Kräfte im Land bleiben werden, darunter Ausbilder für die afghanische Armee, Special Forces, die Aufständische jagen sollen, und Kampftruppen, die ausländische Kräfte schützen sollen.

Mit anderen Worten werden hinter dem Rücken der Bevölkerung der USA und anderer Nato-Länder eine dauerhafte Okkupation und ein andauernder schmutziger Krieg in Afghanistan vorbereitet, während Washington und Israel gleichzeitig einen noch blutigeren Krieg gegen den Iran vorbereiten.

Die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung ist gegen beide Kriege, hat aber keine Möglichkeit, ihren Willen in dem bestehenden politischen System durchzusetzen, das von zwei kapitalistischen Parteien dominiert wird.

Ein größerer Krieg kann nur verhindert werden, wenn die Arbeiterklasse in den USA und weltweit selbständig eingreift und den Kampf gegen das kapitalistische Profitsystem aufnimmt, das die Ursache des Militarismus ist.

Alle ausländischen Truppen müssen sofort bedingungslos aus Afghanistan zurückgezogen werden, alle Aggressionen gegen den Iran müssen eingestellt und die amerikanische Militärmaschine muss abgerüstet werden. Dadurch werden Hunderte Milliarden Dollar verfügbar, mit denen die Opfer amerikanischer Aggression entschädigt werden können, Arbeitsplätze geschaffen werden und der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung in den USA und weltweit erhöht werden kann.

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