Georgien: Wahlniederlage für Saakaschwili

Die Partei „Nationale Bewegung“ des georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili hat nach ersten Hochrechnungen bei den Parlamentswahlen am Montag empfindliche Stimmverluste hinnehmen müssen. Das endgültige Wahlergebnis wird erst im Verlaufe der nächsten Tage feststehen, doch schon jetzt ist klar, dass es in erster Linie eine Wahl gegen Präsident Saakaschwili war, der durch die von den USA instigierte Rosen-Revolution 2003 an die Macht gekommen ist. Kurz vor den Wahlen fanden in Tiflis die größten Proteste gegen die Regierung seit 2003 statt, an denen sich rund 100.000 Menschen beteiligten.

Die Oppositionspartei „Georgischer Traum“, die von Bidsina Iwanischwili, dem reichsten Mann Georgiens geführt wird, gewann ersten Auszählungen zufolge 53 Prozent der Stimmen. Die Partei war erst im April gegründet worden und hatte bislang keine Parlamentsvertretung. Saakaschwilis Partei kam hingegen nur auf 41,7 Prozent, in der Hauptstadt Tiflis schnitt sie noch weit schlechter ab.

Demnach könnte die Partei Iwanischwilis ungefähr 93 der 150 Parlamentssitze bekommen, Saakaschwilis „Nationale Bewegung“ müsste sich mit rund 46 Plätzen begnügen. Über 11 Mandate herrscht noch Unklarheit. Iwanischwili hat inzwischen angekündigt, Ministerpräsident des Landes werden zu wollen.

Saakaschwilis Politik der letzten Jahren, der die Bevölkerung nun eine klare Absage erteilt hat, zeigt deutlich, dass es bei der Rosen-Revolution nicht um „Demokratie“ ging, sondern um die Durchsetzung der strategischen Interessen der USA und um eine Umgruppierung innerhalb der herrschenden Eliten in Georgien. Heute steckt das Land in einer tiefen sozialen und politischen Krise.

Auch die Wahlen selbst liefen alles andere als demokratisch ab: In mehreren Wahllokalen kam es laut Beobachtern zu Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung. Spezialeinheiten stürmten Wahllokale, um Beobachter zu vertreiben und Stimmzettel zugunsten der Regierung zu fälschen. Auch die Internetseite der Wahlkommission wurde in der Nacht auf den Dienstag von Hackern angegriffen.

Die politische Zukunft des Landes ist nun ungewiss. Im nächsten Jahr finden die Präsidentschaftswahlen statt, zu denen Saakaschwili nicht mehr antreten darf. Saakaschwili plant seit längerem, ähnlich wie sein russischer Amtskollege Wladimir Putin mit dem Premierminister die Ämter zu tauschen. Allerdings ist nun nach dem Wahlsieg der Partei von Iwanischwilis nicht mehr sicher, ob er diese Pläne verwirklichen kann.

Die Kandidatur Iwanischwilis, die überraschend vor einem Jahr bekannt gegeben wurde, zeigt, wie zerstritten die herrschenden Eliten angesichts einer zunehmenden sozialen Polarisierung und wachsender Konflikte zwischen den Großmächten sind.

Bidsina Iwanischwili ist mit einem Privatvermögen von 6,4 Mrd. US-Dollar – über die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes des Landes – der reichste Mann Georgiens und einer der 200 reichsten Menschen der Welt. Wie fast alle Neu-Reichen des post-sowjetischen Raumes machte er sein Vermögen in den 1990er Jahren durch den billigen Aufkauf von Staatseigentum, das er anschließend zu gigantischen Preisen weiterverkaufte. Enge Kontakte verbinden ihn seit dieser Zeit mit russischen Oligarchen. Im Jahr 2003 unterstützt er die „Rosen-Revolution“ und war dann lange einer der wichtigsten Finanziers der Saakaschwili-Regierung. Laut eigenen Angaben begannen seine Differenzen mit Saakaschwili im Jahr 2007.

Sowohl Iwanischwili als auch Saakaschwili vertreten die winzige Finanzelite des Landes und wollen weitere Kürzungen im Sozialbereich durchsetzen. Beide setzen sich für einen NATO-Beitritt Georgiens ein und wollen die strategischen Beziehungen mit den USA weiter ausbauen. Anders als Saakaschwili will Iwanischwili allerdings gleichzeitig eine Annäherung mit Russland erreichen.

Nach dem russisch-georgischen Krieg im Sommer 2008 sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sehr angespannt geblieben. Sowohl der russische Präsident Wladimir Putin als auch Saakaschwili heizen diese Spannungen regelmäßig an, um von der sozialen Krise in ihren Ländern abzulenken. Auch während des Wahlkampfes schlug Saakaschwili aggressive Töne gegenüber Moskau an.

Iwanischwili erklärte hingegen: „Wir werden mit Russland reden müssen, unser Verhältnis normalisieren.” Er deutete auch an, dass die Russland-Frage schon 2007 der Hauptgrund für seine Auseinandersetzung mit Saakaschwili gewesen sei.

Bemerkenswerterweise haben sich die USA in den letzten Monaten deutlich von Saakaschwili distanziert, ohne allerdings von ihrer strategischen Unterstützung seiner Regierung abzurücken.

Ein Grund für die Verschlechterung der Beziehungen zu Saakaschwili sind die engen Beziehungen zwischen Georgien und dem Iran, gegen den die USA und Israel systematisch einen Krieg vorbereiten. Der Iran ist einer der wichtigsten Wirtschaftspartner von Tiflis. Die Regierung Saakaschwili hat sich deshalb um Vermittlung zwischen den USA und Teheran bemüht. Im Frühjahr lud Saakaschwili sogar einen Beamten des iranischen Verteidigungsministeriums zu einer Militärübung georgischer und US-amerikanischer Truppen ein.

Der Ausgang der Wahlen zeigt deutlich den sozialen und politischen Unmut breiter Teile der Bevölkerung. Die wirtschaftlichen Folgen des fünftägigen Krieges mit Russland 2008 und der Weltwirtschaftskrise sind immer noch deutlich zu spüren. Das Geld für die Bezahlung von Milliardenkrediten ausländischer Geldgeber versucht die Regierung Saakaschwili durch massive Einsparungen bei den ohnehin kargen Sozialleistungen reinzuholen.

Nach offiziellen Angaben lebt heute ein Drittel der 4,5 Mio. Einwohner Georgiens unter der Armutsgrenze, die bei rund 70 Euro im Monat liegt. Fast zwei Drittel der Bevölkerung (61 Prozent) verdienen weniger als 240 US-Dollar im Monat. Die Durchschnittsrente liegt bei 37 Euro und damit weit unter der Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch und das zurzeit größte soziale Problem: offiziell liegt sie bei 16 Prozent, aber inoffizielle Quellen gehen von 30 Prozent aus. In vielen landwirtschaftlichen Regionen ist jeder Zweite arbeitslos.

Nur wenige Wochen vor der Wahl wurde die Regierung Saakaschwili durch einen Skandal um Misshandlungen in Gefängnissen erschüttert, der einmal mehr den undemokratischen Charakter des Regimes bloß legte und weite Teile der Bevölkerung empörte. Zwei Fernsehkanäle, die der Opposition nahe stehen, zeigten am 18. September Videoaufnahmen von Folterungen und der sexueller Misshandlung mehrere Gefängnisinsassen durch ihre Wärter im Gdani-8-Gefängnis in der Hauptstadt Tiflis.

Tausende von Menschen protestierten in den folgenden Tagen gegen die Regierung. Berichten zufolge stürmten auch Angehörige von Gefängnisinsassen in das Gefängnis Gdani-8 und verlangten, ihre Freunde und Verwandten zu sehen. Eine Frau hatte ihren Sohn auf dem Video erkannt und meinte: „Er hat mir gesagt: ‚Sag es niemandem oder sie werden mich töten!‘“

In wenigen Ländern der Welt sind proportional gesehen so viele Menschen inhaftiert wie in Georgien: auf 100.000 Einwohner kommen 531 Gefängnisinsassen, das sind sogar mehr als in Russland.

Infolge des Skandals trat der Innenminister des Landes, Bacho Akhalaia, zurück. Präsident Saakaschawili sah sich zudem gezwungen, die Justizministerin Khatuna Kalmakhelidze zu entlassen.

Drei Tage vor der Wahl protestierten in Tiflis 100.000 Menschen, darunter viele Studenten. Es war die größte Demonstration in Georgien seit der „Rosen-Revolution“ 2003. Die Proteste wurden vor allem von oppositionsnahen Parteien und studentischen Organisationen angeführt.

Viele der Protestierenden sprachen sich jedoch gegen beide politischen Parteien aus. David Parulava, ein Student der gegen die Misshandlungen in Gefängnissen protestiert hatte, sagte gegenüber der Internetzeitung Eurasianet, die Wahl zwischen Saakaschwili und Iwanischwili sei „eine Wahl zwischen schlimm und schlimmer, und ich bin mir nicht einmal sicher, wer schlimm und wer schlimmer ist. Ich vertraue keiner Seite.“

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