Fiats LKW-Tochter Iveco schließt fünf Werke in Europa

Seit Monaten befinden sich die Mitarbeiter des Nutzfahrzeug-Herstellers Iveco in einem Kampf um ihre Arbeitsplätze. Der italienische Autokonzern Fiat-Industrial will bis Ende dieses Jahres fünf Werke seiner LKW-Sparte in Europa schließen. Grund dafür sei der rapide Wirtschaftsrückgang in Südeuropa und die damit verbundenen deutlich rückläufigen LKW-Verkäufe, erklärte der Fiat-Vorstand.

Die Schließungen betreffen 1.075 Beschäftigte. In Deutschland geht es um die Werke in Ulm, Weisweil und Görlitz. Außerdem sollen die Produktionsstätten im französischen Chambéry sowie im österreichischen Graz geschlossen werden.

Die geplanten Schließungen sind Teil eines radikalen Rationalisierungsprogramms, das Fiat in Europa durchsetzt. Zuvor wurden bereits die Bus-Produktionsstätten im italienischen Avellino und im spanischen Barcelona geschlossen. Die Feuerwehrwagen-Tochter Camiva kündigte im Mai die Schließung einer Fabrik in Saint-Alban-Leysse in Savoyen an. Iveco hatte Camiva 1997 von Renault übernommen.

Die Schließungen seien „schmerzhaft aber notwendig“, erklärte die Fiat-Konzernleitung und teilte gleichzeitig mit, dass Fiat Industrial im ersten Quartal diesen Jahres einen Gewinnsprung um mehr als 90 Prozent auf 207 Millionen Euro gegenüber dem Vergleichsquartal des Vorjahres gemacht habe.

Der Produktionsabbau an mehreren europäischen Standorten ist mit einer stärkeren Orientierung auf den amerikanischen Markt verbunden. Dort ist Iveco bisher nicht vertreten. Wie das Fiat-Autogeschäft soll nun auch die Fiat-LKW-Sparte auf dem US-Markt auftreten. Durch die Beteiligung am US-Autobauer Chrysler, an dem Fiat mittlerweile die Mehrheit hält, bekommt Iveco nun die Möglichkeit, auf das Vertriebsnetz der Ram-Trucks zurückzugreifen. Unter diesem Namen will Fiat künftig den Kastenwagen Iveco Daily in den USA verkaufen.

Fiat-Chef Sergio Marchionne spielt eine Schlüsselrolle dabei, in der europäischen Autoindustrie amerikanische Verhältnisse durchzusetzen. Bereits im vergangenen Jahr wurden das Werk Termini Imerese auf Sizilien geschlossen, die Löhne in anderen Werken deutlich gekürzt, die Werksferien im Werk Pomigliano bei Neapel verlängert und verstärkt Kurzarbeit angeordnet.

Nun folgt der Kahlschlag in der Fiat-LKW-Sparte. Im Mai kündigte Iveco-Chef Alfredo Altavilla die Verlagerung der LKW-Produktion vom deutschen Hauptwerk in Ulm nach Spanien an. 670 Arbeitsplätze sollen dadurch gestrichen werden. Verbunden ist die Verlegung der LKW-Produktion nach Spanien mit der gleichzeitigen Verlegung der Brandschutztechnik von anderen Iveco-Werken in ein neu zu schaffendes „Kompetenzzentrum“ in Ulm.

Bei diesen Umstrukturierungen und Werksschließungen arbeitet die Konzernleitung eng mit der IG Metall und den Betriebsräten zusammen. Das Management nutzt die Kompromissbereitschaft der Gewerkschafter, um immer schärfere Attacken auf die Beschäftigten durchzusetzen, worüber sich die IG-Metall-Funktionäre mitunter beschweren. Ihre Kritik an der Konzernleitung beschränkt sich aber völlig darauf, die „Einhaltung der Sozialpartnerschaft“ und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den betrieblichen und gewerkschaftlichen Funktionären einzufordern. Dabei folgt die Gewerkschaft einer egoistischen Standortpolitik, was immer wieder dazu führt, einen Standort gegen den anderen auszuspielen.

Als am 7. Mai bekannt wurde, dass in Ulm ein Teil der Produktion geschlossen und dafür Aufgaben von anderen Standorten dorthin verlagert werden, lobten die IG Metall und der Ulmer Betriebsrat die Firmenspitze in Turin, weil sie 670 Beschäftigte „sozialverträglich“ abbauen und eine „friedliche Einigung“ erzielen wolle. Sie erklärten zynisch, die geplante Produktionsverlagerung erlaube es, „eine Lösung zu finden, bei der die Interessen der Beschäftigten an allen Standorten berücksichtigt werden“.

Was davon zu halten ist, zeigte sich wenig später. Während an mehreren Standorten die Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze bangten, nahmen IG Metall und Betriebsrat in Ulm separate Verhandlungen über den Stellenabbau auf. Am 5. Juli verkündete die örtliche IG Metall unter der Überschrift „Aufatmen in Ulm“, das Management wolle bei den Entlassungen in Ulm auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten.

In den folgenden Wochen übernahmen IG Metall und Betriebsrat die Hauptarbeit bei der Abwicklung der Arbeitsplätze. In Ulm erfolgt dies über sogenannte „Ausstiegsmodelle für ältere Beschäftigte“ und „freiwillige Aufhebungsverträge“.

Wie „freiwillig“ letztere sind, zeigen Schilderungen des verantwortlichen IG-Metall-Bevollmächtigten in Offenburg, Ahmet Karademir. Er berichtete, viele Arbeiter seien „mehrmals hintereinander“ zu Besprechungen geladen worden, bis sie „freiwillig“ den Vertrag unterzeichneten. Wie er der WSWS sagte, können diese Aufhebungsvereinbarungen „nur rein theoretisch abgelehnt werden“.

Ende September werden in Ulm 380 Arbeiter entlassen. Bis zum Schluss sorgten die „Arbeitnehmervertreter“ dafür, dass die Belegschaft ohne großen Protest und Arbeitskampf weiter arbeitete. Betriebsrat Georg Hepp begründete dies mit den Worten, die Belegschaft zeige so, dass „sie arbeiten will“.

Auch am Standort Weisweil lehnte die IG Metall die prinzipielle Verteidigung aller Arbeitsplätze ab. Stattdessen versuchte sie, die Schließung des Werks über einen sogenannten „Sozialtarifvertrag“ abzuwickeln. Weisweil ist eine kleine Gemeinde am Rhein mit knapp über 2.000 Einwohnern. Von den rund 500 Arbeitsplätzen im Ort sind 180 bei Iveco, viele weitere hängen direkt von der Existenz des Werkes ab.

Am 12. September präsentierten IG Metall und Betriebsrat dem Iveco-Unterhändler ihre Forderungen. Die Entlassungen sollten demnach mit einer Beschäftigungsgesellschaft verbunden werden, die den Beschäftigten für drei Jahre „eine lange Brücke baut“. Unter den Bedingungen der sich verschärfenden Wirtschaftskrise bedeutet das für die große Mehrheit der Beschäftigten nichts anderes als eine Brücke in die Arbeitslosigkeit.

Doch der Iveco-Vorstand lehnte ab. Er nutzte die Kompromissbereitschaft der Gewerkschaft, um einen Überraschungscoup zu organisieren. Zu Beginn des Wochenendes, am 28. September, rückten mehrere Lastwagen und Transporter in Weisweil an, um das Werk im Auftrag des Unternehmens leer zu räumen. Nachdem über einen mit den Betriebsräten und der IG Metall ausgehandelten Wissenstransfer von Weisweil nach Ulm die Schließung des Werks bereits weit voran getrieben worden war, versuchte das Management die Mitarbeiter in einer Nacht und Nebelaktion vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Die IG Metall und die Betriebsräte fühlten sich übergangen. Gemeinsam mit Beschäftigten blockierten sie die Werkstore und zwangen die Transporter, unverrichteter Dinge abzuziehen. Trotz der Bereitschaft vieler Arbeiter, einen ernsthaften Arbeitskampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu führen, lehnt die Gewerkschaft das strikt ab. Stattdessen setzt sie auf ein Schlichtungsverfahren.

Gegenüber der WSWS erklärte IGM-Chef Karademir, er und der Betriebsrat von Weisweil hätten sich auf einen Schlichter und ein so genanntes „Einigungsfeststellungsverfahren“ geeinigt. Als Schlichter sei Joachim Kienzle bestellt, der bis vor kurzem als Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall fungierte. Welche Entscheidung von ihm zu erwarten ist, steht außer Frage.

Die Beschäftigten von Iveco in Weisweil, Ulm und an allen anderen Standorten sind mit demselben Problem konfrontiert, vor dem alle Arbeiter in allen Ländern stehen: die Gewerkschaften und Betriebsräte arbeiten aufs engste mit der Geschäftsleitung zusammen und unterdrücken jeden ernsthaften Kampf zur Verteidigung von Arbeitsplätzen.

Die radikalen Sprüche, mit denen sie zeitweise die Geschäftsführung attackieren, sind reine Augenwischerei. Die Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre sind aufs engste mit dem Management verbunden. Fünf von ihnen sitzen im Aufsichtsrat von Iveco und erhalten zusätzlich zu ihren üppigen Gehältern dicke Tantiemen. Es sind: Michael Braun, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall in Ulm, Bernhard Maurer, Betriebsratsvorsitzender Werk Ulm, Markus Görtler, Betriebsrat Werk Ulm, Paul Rodenfels, bisher Bevollmächtigter IG Metall in Singen, und Wilfried Schmid, Vorsitzender des Iveco-Gesamtbetriebsrats.

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