Unabhängigkeit Kataloniens eine Sackgasse

Teil 2

Dies ist der zweite und letzte Teil eines Artikels zur Frage der Unabhängigkeit Kataloniens Der erste Teil erschien am 3. November

Wie das Internationale Komitee der Vierten Internationale analysiert hat, hat die Entwicklung der globalisierten Produktion in der gegenwärtigen Periode „einen objektiven Anstoß zur Entstehung eines neuen Typs von nationalistischen Bewegungen gegeben, welche die Zerstückelung existierender Staaten anstreben. Das global mobile Kapital hat kleineren Regionen die Möglichkeit verschafft, sich direkt an den Weltmarkt anzubinden. Hongkong, Singapur und Taiwan sind zu einem neuen Entwicklungsmodell geworden. Eine kleine Küstenenklave, die über die entsprechenden Transportverbindungen, die Infrastruktur und ein Angebot an billigen Arbeitskräften verfügt, kann sich als attraktiver für das multinationale Kapital erweisen als ein großes Land mit einem weniger attraktiven Hinterland.“ (siehe Globalisierung und internationale Arbeiterklasse)

Während der Jahrzehnte von 1980 bis 2000 war der Chef der in Katalonien regierenden Convergència i Unió (CiU – Katalanische Konvergenz- und Einheitspartei) Jordi Pujol 1960 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er das Singen der verbotenen Hymne Cant de la Senyera (Lied der Fahne) organisiert hatte. Nach seiner vorzeitigen Entlassung machte sich Pujol daran, „das Land aufzubauen“, wobei er das Ziel verfolgte, ein föderales Spanien zu schaffen, das Katalonien „als ein Land“ anerkennen würde.

Als Präsident der Generalitat von 1980 bis 2003 schloss er Abkommen mit jeder Partei, die gerade an der Regierung war, ob mit den Sozialdemokraten von der PSOE oder der konservativen PP, um von Madrid wirtschaftliche Zugeständnisse zu erhalten. Seine Rolle während dieser Jahre wurde so geschätzt, dass er von der patriotischen und monarchistischen Zeitung ABC zum „Spanier des Jahres“ erklärt wurde.

In den 1990er Jahren wurde mit der Europäischen Union der größte Binnenmarkt der Welt geschaffen, um mit den Vereinigten Staaten konkurrieren zu können. Eine gemeinsame Währung sollte geschaffen und die Grundlage für die Expansion nach Osteuropa gelegt werden. Mit dem Aufstieg der Billiglohn-Reservoire von China und Indien setzte die herrschende Elite Europas in zunehmendem Maße auf die Senkung des Lebensstandards der Arbeiterklasse und die Kürzung der Sozialausgaben, um die europäischen Konzerne in die Lage zu versetzen, auf dem Weltmarkt zu konkurrieren. Pujol war zusammen mit Premierminister José Maria Aznar von der PP einer der wichtigsten spanischen Politiker, die den führenden europäischen Politikern versicherten, dass Spanien die Maastricht-Kriterien der Finanzdisziplin und der Liberalisierung der Wirtschaft einhalten würde.

Bei den Wahlen von 1999 verlor die CiU ihre absolute Mehrheit in der Generalitat, aber Pujol wurde mit den Stimmen der PP als Präsident wiedergewählt. Bestandteil dieses Abkommens war, dass die CiU ihre Forderung nach mehr Autonomie und einem neuen Finanzabkommen fallen ließ. Hauptnutznießer der gegen die Regierung gerichteten Stimmungen war die Schwesterpartei der PSOE, die Katalanische Sozialistische Partei (Parti Socialist de Catalunya—PSC), die begrenzte Reformen versprochen hatte.

Der Verlust der absoluten Mehrheit für die CiU wurde in der Öffentlichkeit als Bedrohung der Stabilität Spaniens angesehen. Ein Leitartikel in der rechtsgerichteten Zeitung El Mundo warnte: “Der alte eher moderate Nationalismus schwindet heute dahin. Bis vor Kurzem haben die beiden wichtigsten Strömungen des Nationalismus Kataloniens und der Basken, die CIU und die PNV ungeachtet ihres gelegentlichen – nie sehr ernstgemeinten – Getöses eine ehrenwerte Rolle gespielt, um die zentrifugalen Kräfte, die in ihren Regionen existieren, zurückzuhalten und in demokratische Bahnen zu lenken. Es ist nicht zu bestreiten, dass sich alle ungeachtet steigender oder sinkender Sympathiewerte bemühten, auf der Grundlage der Koexistenz vernünftig vorwärtszukommen. Aber in letzter Zeit werden sehr beunruhigende Töne angeschlagen.“

Pujol erklärte kürzlich in einem Interview in der Financial Times: „Bis zum Jahr 2000 versuchten wir eine Politik der nationalen und der sprachlichen Identität zu verfolgen, aber wir taten dies innerhalb des Rahmens von Spanien … Wir haben beim Übergang (zur Demokratie) in Spanien einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Stabilität geleistet.“

In dieser Zeit wuchs die spanische Wirtschaft um drei bis vier Prozent im Jahr, was zweimal so hoch war wie der europäische Durchschnitt. Dadurch wurde das Land zu achtstärksten Wirtschaftsnation der Welt. Das war auch die Zeit, in der die Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) begann, den Separatismus zu propagieren. Sie argumentierte damit, dass Katalonien durch seine Steuern die armen agrarischen Regionen Südspaniens finanziere. Bei den Wahlen von 2003 nahm der Anteil der Wählerstimmen der ERC auf 16.5 Prozent zu, womit sich die Zahl ihrer Sitze auf 23 fast verdoppelte. Sie ging dann eine Koalition mit der PSC und der Initiative für die Grünen Kataloniens (ICV, Zusammenschluss kleinbürgerlicher „Linker“ und Stalinisten) ein, womit eine 23-jährige Regierungszeit der CiU endete.

2005 wurde ein neues Statut der katalanischen Regierung verfasst, dem zufolge Katalonien mehr Befugnisse erhielt und zu einer Nation erklärt wurde, wenn auch innerhalb Spaniens. Das wurde von der nationalen PSOE Regierung unter Premierminister José Luis Zapatero abgeschwächt, der versuchte, gleichzeitig die gemeinsamen Interessen der spanischen Bourgeoisie zu wahren und unvermeidbare Zugeständnisse zu machen.

Die PP versuchte, die Regierung von Zapatero zu stürzen, und mobilisierte Kräfte wie die Kirche, die Vereinigung der Opfer des Terrorismus und Elemente innerhalb des Militärs gegen Bestrebungen, Frieden mit der baskischen Partei Heimat und Freiheit (Euskadi ta Askatasuna – ETA) und dem neuen katalonischen Statut zu schließen. Boykottaktionen gegen katalanische Produkte wurden organisiert. Das Statut und die Verordnung, dass die Unterrichtung der katalanischen Sprache in öffentlichen Schulen Vorrang haben müsse, wurden vor das Verfassungsgericht gebracht. Die rechten Medien brachten Berichte, dass spanisch sprechende Menschen in Katalonien verfolgt würden.

2010 erklärte das Verfassungsgericht, dass die Hälfte des Statuts nicht der Verfassung entspreche und urteilte, die Sprachen-Verordnung für die Schulen sei illegal. Dies gab dem katalanischen Nationalismus neue Nahrung.

Neue Parteien, wie die Candidatura d’Unitat Popular (CUP), die Solidaritat Catalana per la Independència, die vom früheren Präsidenten des FC Barcelona Joan Laporta gegründet wurde, die Reagrupament Independentista und die Jugendorganisation Arran entstanden und erklärten, dass es Katalonien ohne Spanien besser gehen würde. Sogar Pujol beklagte, „dass Katalonien sich vom spanischen Staat nichts mehr erhoffen“ könne.

Die ex-linken Parteien, darunter En Lucha, Revolta Global und El Militante berufen sich auf die große Zahl von Demonstranten vom 11. September, um ihren eigenen Forderungen nach Separatismus Nachdruck zu verleihen. Sie schreiben die Unabhängigkeitsforderung der Arbeiterklasse zu und bezeichnen sie als „gerecht“ und als „demokratische Stimmung“. Sie wenden sich gegen alle Bemühungen, den politischen Einfluss der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Strömungen auf die Arbeiterklasse zurückzudrängen und behaupten stattdessen, dass der nationale Separatismus eine neue Grundlage für den „Sozialismus“ schaffen könne. Auf diese Weise fesseln sie die katalanische Arbeiterklasse an die Bourgeoisie und schreiben jede Möglichkeit eines gemeinsamen Kampfs der Arbeiterklasse in Spanien und international für den revolutionären Sturz der Bourgeoisie ab.

Die britische Socialist Workers Party erklärt in dem Artikel “Es ist Zeit für die Forderung nach einem Referendum über die Selbstbestimmung”: “Wir Anti-Kapitalisten begreifen den spanischen Staat als Werkzeug der Klassenherrschaft und wir haben kein Interesse an seiner Einheit. Wir verteidigen die Unabhängigkeit Kataloniens unter dem Blickwinkel, den rückschrittlichen spanischen Staat zu schwächen, der auf der Verweigerung sozialer und nationaler Rechte beruht.“

En Lucha will den Nationalismus in Katalonien stärken, um die nationalistische Bewegung in den angrenzenden katalanisch sprechenden Gebieten in Spanien und Frankreich zu schüren. Die Bewegung schürt den Nationalismus sogar in Gebieten, in denen er sehr schwach ist oder gar nicht existiert. In Andalusien ruft sie nach dem „Recht auf Selbstbestimmung des Volkes gegen die Unterentwicklung Andalusiens, für eine Agrarreform und die Wiederbelebung und Verstärkung der vielen positiven Aspekte der andalusischen Kultur.“

Anlässlich der katalanischen Wahlen von 2010 machte En Lucha zusammen mit Izquierda Anticapitalista (IA), der spanischen Sektion des pablistischen Vereinigten Sekretariats (VS), in der Koalition von unten (Des de Bais) eine Kampagne für eine katalanische Republik. Das VS geht zurück auf die Spaltung der Vierten Internationale von 1953 und wurde geführt von Michel Pablo und Ernest Mandel.

Die katalanische Sektion von IA, Revolta Global –Esquerra Anticapitalista; (Globale Revolte – antikapitalistische Linke) fordert in ihrer Erklärung „Nach dem 11.S.[eptember]: die Katalanische Republik ist die Zukunft. Keine Kürzungen!“ ein sofortiges Referendum.

Die Demonstration vom 11. September wird als Beginn des Prozesses bezeichnet, der “zur Charta einer Katalanischen Republik mit eigener Souveränität führt, die selbst entscheidet, welche Beziehungen sie mit den übrigen Völkern Europas und der Welt haben will“.

IA wie auch En Lucha verbrämen ihre Begeisterung für die Schaffung unzähliger Ministaaten und die Aufsplitterung der Arbeiterklasse mit Ratschlägen an die katalanische Bourgeoisie, mehr „sozialen Inhalt“ in ihre Forderung nach Unabhängigkeit zu legen. Wenn dies nicht geschehe, „besteht ein Risiko, dass die Demagogie der PP und von Ciutadans de Catalunya [eine rechte katalanische Partei] in weiteren Teilen der katalanischen Gesellschaft Einfluss gewinnt. Dann könnte sich die Arbeiterklasse weniger mit der nationalen Forderung identifizieren, was zur Polarisierung im nationalen Konflikt in den Arbeitervierteln führen könnte.“

Nach Meinung der IA soll also das Mittel gegen Nationalismus sein, dass die Arbeiter sich stärker dem Nationalismus zuwenden! Sie ruft dazu auf, am 25. November für die bürgerliche CUP zu stimmen und behauptet, dass diese „ein Programm des Durchbruchs und der gesellschaftlichen Veränderung“ präsentiere und „einige Kandidaten sich stärker sozialen Kämpfen gewidmet“ hätten.

El Militante, die frühere spanische Sektion der Internationalen Marxistischen Tendenz [in Deutschland Der Funke], nutzt die Demonstration vom 11. September, um die Gewerkschaftsbürokratie zu stärken. Sie anerkennt, dass die „Gewerkschaften und die linken Parteien nicht in der Lange waren, einen Weg im Kampf gegen die Angriffe und Kürzungen zu weisen. Mangels Alternativen wurde das teilweise mit dem Eintreten für Unabhängigkeit bemäntelt. Auch hätten „die Führer der CCOO und der UGT [Gewerkschaften] …entscheidende Punkte wie den Fiskalpakt und die Demonstration“ verteidigt. Aber dann behaupten sie, dass „die Gewerkschaften jetzt wegen der Massenunterstützung für die Unabhängigkeit gezwungen sein werden, zum Kampf aufzurufen“. „Die katalanische Arbeiterklasse wird mächtig und voll Wut antworten und viel weiter gehen als nur die Kürzungen abzulehnen: Sie wird die gesamte kapitalistische Ordnung in Frage stellen“.

Das Hohe Lied der Ex-Linken auf den Separatismus im Namen der Selbstbestimmung ignoriert die Erfahrungen der spanischen und der internationalen Arbeiterklasse mit bürgerlich nationalistischen Bewegungen.

Das größte tragische Ereignis war Jugoslawien, wo die ex-stalinistischen Bürokraten und kommunalistischen Bewegungen einen Bruderkrieg anzettelten, der darauf abzielte, den Balkan und Osteuropa fest unter die Herrschaft der imperialistischen Mächte zu bringen, die sie im Kampf unterstützten und Bomben auf Belgrad regnen ließen. Heute lebt die Arbeiterklasse in zunehmender sozialer Verelendung in ethnisch gespaltenen Staaten, die vom Imperialismus dominiert werden. Dies dient im Gegenzug als Hebel, um den Lebensstandard der Arbeiter im restlichen Europa zu senken.

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