Die Grünen rücken weiter nach rechts

Mit Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt haben die Grünen am Wochenende, ein Jahr vor der Bundestagswahl, ihre beiden Spitzenkandidaten bestimmt. Erstmalig in der bundesdeutschen Geschichte wurden die Kandidaten direkt von der Mitgliedschaft gewählt.

Das Ergebnis ist bemerkenswert. Wurde bisher oft behauptet, die Basis der Grünen sei gegenüber der Spitze der Partei moderner, sozialer oder gar „linker“ eingestellt, hat die Urwahl bewiesen, dass dies nicht der Fall ist. Geht es um konservative Werte oder die Durchsetzung des europaweiten Spardiktats, positioniert sich die Mitgliedschaft der Grünen entschieden im Lager des konservativen Bürgertums. Mit der Wahl von Göring-Eckardt öffnet sie die Tür für eine Zusammenarbeit mit der CDU im Bund und für eine Verschärfung der Angriffe auf die Arbeiterklasse.

An der Urwahl hatten sich knapp 62 Prozent der 60.000 Parteimitglieder beteiligt. Für Jürgen Trittin votierten 71,9 Prozent, für Katrin Göring-Eckardt 47,3 Prozent. Renate Künast kam auf 38,6 und Claudia Roth nur auf 26,2 Prozent.

Die Wahl der als Außenseiterin gehandelten Katrin Göring-Eckardt war für viele Beobachter eine Überraschung. Sie hatte sich gegen die Co-Fraktionsvorsitzende Renate Künast und gegen die Parteivorsitzende Claudia Roth durchgesetzt. In Umfragen unter grünen Wählern lag Göring-Eckardt weit abgeschlagen hinter den beiden Frontfrauen.

Im Gegensatz zu Göring-Eckardt hatten sich Roth und Künast deutlich für eine Zusammenarbeit mit der SPD nach der nächsten Bundestagswahl ausgesprochen. Dagegen steht Göring-Eckardt seit Jahren für eine Zusammenarbeit mit der CDU. Sie gehörte zur sogenannten Pizza-Connection, einem Gesprächskreis von jungen Abgeordnete der CDU und Grünen. In der Partei steht sie für einen wirtschaftsliberalen Kurs.

In die Politik kam die studierte Theologin 1989 über die kirchliche Opposition der DDR. Zur Wendezeit war sie Gründungsmitglieder der Bewegung „Demokratie jetzt“ und „Bündnis 90“, die sich mit der stalinistischen SED an den Runden Tisch setzte, um im Namen des Kampfes für bürgerliche Freiheiten die Wiedereinführung des Kapitalismus zu organisieren. Während in den folgenden Jahren in Ostdeutschland Millionen Arbeiter in Arbeitslosigkeit und Armut stürzten, begann sie ihren politischen Aufstieg.

Von 1990 bis 1994 war sie Fraktionsreferentin im Thüringer Landtag. 1998 zog sie in den Bundestag ein und wurde Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen. In dieser Funktion war sie an der Organisation einer grünen Mehrheit für den Kosovokrieg 1999 und den Afghanistankrieg 2001 beteiligt. Von 1998 bis 2005 waren die Grünen Partner der SPD in einer rot-grünen Koalition.

Nach der Bundestagswahl 2002 wurde Göring-Eckardt Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Als Schröder die „Hartz-Gesetze durch die rot-grüne Koalition prügelte, konnte er sich fest auf die Fraktionschefin verlassen“, lobt sie die konservative Zeitung Die Welt. Göring-Eckardt sorgte dafür, dass die wenigen Kritiker in den Reihen der Grünen auf Linie gebracht wurden. Sie selbst schwärmte von der Agenda 2010 als „Frühling der Erneuerung“. Die Leistungskürzungen, welche die Jobcenter den Hartz-IV-Empfängern androhen konnten, nannte sie ein „Bewegungsangebot“ an die Betroffenen.

Nachdem die Grünen 2005 aus der Bundesregierung ausgeschieden waren, wurde Göring-Eckardt mit den Stimmen von CDU, FDP, SPD und Grünen zur Bundestagsvizepräsidentin gewählt.

Ihre Unterstützung für Kriege und Sozialabbau verbindet die bekennende Christin mit religiöser Bigotterie. Der Zeitschrift Faszination Bibel sagte sie 2010: „Die Worte, die im Buch der Bibel überliefert sind, können uns gelassen, frei und erfinderisch machen inmitten einer sich rapide verändernden Welt.“ Nachdem ihre politische Karriere 2005 ins Stocken geraten war, wurde sie 2007 Kirchentagspräsidentin sowie 2009 Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Angesichts der sozialen Katastrophe, welche die Hartz-Reformen ausgelöst haben, bemüht sich die frisch gekürte Spitzenkandidatin der Grünen, ihre langjährige Unterstützung für die Agendapolitik der Regierung Schröder zu relativieren. Das ist nicht nur zynisch, sondern widerspricht auch ihrem Programm für die kommende Bundestagswahl. Vor der Hauptstadt-Presse sagte sie am Wochenende, ihr Ziel für 2013 sei „Grün oder Merkel“ – eine Formulierung, die eine Koalition mit der CDU offen lässt. Gemeinsam mit Trittin kämpfe sie um eine Wählerklientel, die einerseits „wertebewusst“ und andererseits „von der Union enttäuscht“ sei.

Damit spielt die Spitzenkandidatin auf die weit verbreitete Unzufriedenheit der Wirtschaftselite und bürgerlicher Kreise mit der zerstrittenen schwarz-gelben Bundesregierung an. Dieser wird kaum mehr zugetraut, gegen den Widerstand der Bevölkerung das von den Finanzmärkten verordnete Spardiktat durchzusetzen und weitere scharfe Angriffe auf den Lebensstandard zu führen.

Mit Jürgen Trittin hat sie dabei einen Partner an ihrer Seite, der zu den schärfsten Verfechtern von Geldgeschenken an die Banken bei gleichzeitiger „fiskalische Disziplin“ gegenüber der Bevölkerung gehört. Seit Ausbruch der Euro-Krise hat er alle Bankenrettungspakete und Gesetze der schwarz-gelben Bundesregierung, die sich auf den Euro bezogen, unterstützt. Merkel kritisiert er dafür, dass sie in der Griechenlandkrise nicht bereitwillig genug Geld für die Rettung der in Griechenland engagierten Banken bereitstelle und in Deutschland zu zögerlich den Rotstift ansetze. Im Deutschen Bundestag zählt er zu den vehementesten Fürsprechern der Europäischen Union und ihres Sparprogramms.

Das Ergebnis der grünen Urwahl wurde von der Presse und konservativen Kreisen begeistert aufgenommen. Sie honorieren, dass die Grünen-Basis zwei rechte, altgediente Agendapolitiker gewählt hat, die das Ziel verfolgen, 2013 dort weiter zu machen, wo sie unter Schröder 2005 aufgehört haben. Durch die Wahl Göring-Eckardts ist es zudem leichter, dies entweder in einer Koalition mit der SPD oder der CDU umzusetzen – unabhängig vom Wahlergebnis.

So titelte das wirtschaftsliberale Magazin Focus: „Roth und Künast abserviert – Die Grünen machen sich wählbar“. Weiter beglückwünschte das Blatt die Mitglieder für ihre „parteitaktisch kluge Wahl“. Die rechts-konservative Welt titelte: „Die neue Bürgerlichkeit“. Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer meinte, er finde die Wahl Göring-Eckardts „klasse“.

„Die Inkarnation der Bürgerlichkeit“, kommentierte Spiegel-Online, und schrieb weiter: „Mittlerweile dürfte sich herumgesprochen haben, dass die Grünen-Anhängerschaft auch vom Einkommen her die Partei der Besserverdienenden schlechthin“ sei. Zuletzt habe die Partei hohe Wahl- und Zustimmungswerte vor allem von Beamten des höheren Dienstes und Unternehmern bekommen. Heute bildeten die Grünen deshalb „den Nukleus des Bürgertums in Deutschland“.

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