Perspektive

Zündeln am syrischen Pulverfass

Das Außenministertreffen, das vom UN-Gesandten Kofi Annan für Samstag in Genf einberufen wurde, wird offiziell als letzte Möglichkeit bezeichnet, die weitere Eskalation des Blutvergießens in Syrien zu stoppen. In Wahrheit aber wird es nur den Weg für noch intensivere Forderungen nach einem Regimewechsel durch Washington und seine Verbündeten ebnen.

Vor dem Treffen haben sich US-Außenministerin Hillary Clinton und andere westliche Politiker zu Annans Bemühungen überaus optimistisch geäußert und darauf hingewiesen, dass Russland, das sich bisher ausländischem Eingreifen in Syrien widersetzt hat, seine Haltung geändert habe und sich nun auch für die Absetzung von Präsident Baschar al-Assad ausspreche.

Russland Außenminister Sergej Lawrow wies diese Behauptungen am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Tunesien zurück. “Wir haben bisher kein ausländisches Eingreifen unterstützt und werden das auch weiterhin nicht tun”, sagte er und fügte hinzu: “Dies gilt auch für das Schicksal von Baschar al-Assad.”

Zweifellos spielt Washington ein doppeltes Spiel. Einerseits versucht es, soviel Druck wie möglich auf Moskau auszuüben, damit es sich einer imperialistischen Intervention in Syrien fügt. Andererseits bereitet es eine weitere Propagandakampagne vor. Sie zielt diesmal darauf ab, Russland als Hindernis im “Friedensprozess” darzustellen – sogar angesichts einer dramatischen Eskalation des nicht gerade im Geheimen geführten Krieges der USA und ihrer Verbündeten.

In Syrien hat dieser Krieg immer mörderischere Formen angenommen. Eine Welle von Terroranschlägen fand in und um Damaskus statt. Am Donnerstag explodierten Bomben vor dem Justizpalast in der Innenstadt von Damaskus und vor einer Polizeiwache.

Tags zuvor hatten Rebellen eine Fernsehstation in einem Vorort von Damaskus angegriffen. Sie verwüsteten die Büros und Studios, bevor sie sie in Brand setzten und in die Luft jagten. Sie richteten sieben Journalisten und Sicherheitsmitarbeiter hin, die gefesselt, auf die Knie gezwungen und dann eiskalt erschossen wurden.

Von den UN verlautete, die Gewalt in Syrien sei “so schlimm oder sogar noch schlimmer” als vor der von Kofi Annan ausgehandelten Waffenstillstandsvereinbarung vom 12. April. Darüber hinaus, so heißt es, sei das Töten keine Auseinandersetzung zwischen regierungstreuen und regierungsfeindlichen Truppen mehr. Stattdessen scheinen die Opfer “inzwischen aufgrund ihrer Religion ausgewählt zu werden.”

Im Namen der “Demokratie”, der “Menschenrechte” und “aus humanitären Gründen” haben der US-Imperialismus und seine Verbündeten Syrien in einen Bürgerkrieg gestürzt. Während es Unterstützung für Annans Waffenstillstandsplan heuchelte, hat Washington die sogenannten “Rebellen” bewaffnet, die zunehmend von sunnitisch-islamistischen Elementen kontrolliert werden, einschließlich solcher, die Verbindung zu Al Kaida haben.

Der kriminelle Charakter der amerikanischen Politik wird mit jedem Tag offensichtlicher. Die regionalen, ethnischen und religiösen Spannungen, die durch die imperialistische Intervention angefacht wurden, schaffen nicht nur die Bedingungen für ein Blutbad im Lande, sondern drohen, die ganze Region in einen Krieg hineinzuziehen.

Am Donnerstag wurde in der türkischen Presse berichtet, dass als Antwort auf Syriens Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs in der vergangenen Woche Militärfahrzeuge mit Panzern, Raketenwerfern und Artillerie an die syrische Grenze entsandt worden seien. Der abgeschossene Jet testete offenbar Syriens Luftabwehr.

Der türkische Premier Erdogan hat geschworen, die Türkei werde “jenen, die die Grenzen ihrer Macht erproben, eine Lektion erteilen”. Hohe Beamte in Ankara deuteten an, dass die Verhaltensregeln an der Grenze geändert wurden und alle syrischen Kräfte, die sich der Grenze näherten, als Feinde zu behandeln seien. Dies könnte den Weg für einen offenen Krieg ebnen, nachdem sich weitere Nato-Kräfte verpflichtet haben, die Türkei zu unterstützen.

Mittlerweile gibt es immer mehr Anzeichen, dass der Konflikt in Syrien sich über die Grenzen des Landes hinaus in den Libanon ausweiten könnte, das seinen eigenen Bürgerkrieg in ähnlicher Weise erlebte, und auf den Irak, wo eine Reihe von Bombenattentaten auf schiitische Pilger und Schreine in diesem Monat mehr als 150 Menschenleben gefordert haben und drohen, das durch die US-Besatzung von 2006 – 2007 angerichtete Blutbad zu wiederholen.

Eines der deutlichsten Anzeichen für die wahren Beweggründe Washingtons ist die Verhinderung einer iranischen Beteiligung an der Konferenz in Genf an diesem Samstag. Das Außenministerium erklärte die Teilnahme des Iran, die von Annan vorgeschlagen worden war, zur “roten Linie”, die bei einer Überschreitung zu einem Boykott der USA führen würde.

Wäre das Ziel der Verhandlungen ein Friedensabkommen, dann erschiene die Anwesenheit des Iran, Syriens Hauptverbündetem in der Region, unerlässlich. Das aber ist nicht die Absicht der USA. Sie sind entschlossen, einen Regimewechsel herbeizuführen, egal, wie viele Menschenleben er kostet. Darüber hinaus sehen die USA die Schaffung eines Marionettenregimes in Syrien als Meilenstein auf dem Weg zu einer weitaus größeren und potenziell blutigeren Kampagne zum Sturz des iranischen Regimes. Die Versuche, die Regimes sowohl in Syrien, als auch im Iran zu stürzen, führen unweigerlich zu einem Konflikt mit Russland und China, die diese Länder als ihre strategischen Partner ansehen.

Nach zwei großen Kriegen in Afghanistan und im Irak im vergangenen Jahrzehnt hat sich der US-Imperialismus auf eine scheinbar endlose Serie von Militärinterventionen eingelassen – von Libyen über Jemen, Somalia, Pakistan bis nach Syrien. Sie alle zielen darauf ab, die amerikanische Vorherrschaft über die energiereichen Regionen Zentralasiens und des Persischen Golfes sicherzustellen.

Dieser aggressive Feldzug ist ein Versuch, sich mit militärischen Mitteln dem wirtschaftlichen Niedergang des amerikanischen Kapitalismus zu entziehen, der sich als Ergebnis der Finanzkrise von 2008 beschleunigt hat.

Wie die bitteren Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts gezeigt haben, führen die Versuche imperialistischer Mächte, die Welt auf Kosten ihrer Rivalen neu aufzuteilen, unweigerlich zum Krieg.

Das ist es, worum es in Wirklichkeit in Syrien geht. Die Arbeiterklasse muss sich der US-geführten Intervention auf der prinzipiellen Grundlage widersetzen, dass es die Sache der Arbeiterklasse ist, mit dem Assad-Regime abzurechnen und nicht die Angelegenheit räuberischer imperialistischer Mächte, die einen Krieg entfachen, um die kolonialistische Unterjochung der gesamten Region zu betreiben. 

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