Israel:

Wahlen deuten auf zunehmende politische Instabilität hin

Likud-Beitenu, das rechte Wahlbündnis von Premierminister Benjamin Netanjahu, und seine Koalitionspartner, die religiösen Rechtsparteien, haben die Wahlen am letzten Dienstag mit einer stark verringerten Mehrheit gewonnen. Damit herrschen im Parlament unklare Mehrheitsverhältnisse.

Dieses Wahlergebnis erklärt sich durch eine Reihe wichtiger Faktoren. Ein besonders wichtiger ist, dass die Wahlbeteiligung mit 67 Prozent höher war als erwartet. Sie war so hoch wie seit 1999 nicht mehr. Darin zeigt sich, dass die Unzufriedenheit in der Gesellschaft, die im Sommer 2011 ihren Ausdruck in Massenprotesten fand, immer noch vorhanden ist.

Zweitens hat die Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft), die erst letztes Jahr gegründet wurde, überraschend viele Stimmen erzielt. Sie setzt sich für wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen ein, von denen die israelische Mittelschicht profitiert.

Ein weiterer Faktor ist die Zersplitterung kurzlebiger Parteien und Fraktionen ohne echte gesellschaftliche Basis durch die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise.

Netanjahu hatte vorgezogene Parlamentswahlen angesetzt, weil er angesichts des Chaos, in dem sich die Oppositionsparteien befinden, gehofft hatte, eine große Mehrheit zu gewinnen. Mit dieser Mehrheit wollte er für 2013 einen Sparhaushalt durchsetzen und gleichzeitig eine aggressive Politik gegenüber den Palästinensern verfolgen und einen Angriff auf den Iran vorbereiten.

Aber durch den Widerstand gegen seine Sozial- und Wirtschaftspolitik und seine Pläne, die israelischen Siedlungen in Ost-Jerusalem und im Westjordanland auszuweiten, ist dieses Vorhaben gescheitert. Diese Pläne haben auch seine Beziehungen mit Israels wichtigstem Verbündeten, den USA, beschädigt.

Es ist noch nicht klar, wie viele Sitze die kleineren Parteien gewonnen haben, und die endgültigen Ergebnisse werden erst am 30. Januar bekanntgegeben. Da aber 99 Prozent der Stimmen gezählt sind, kann man einen groben Umriss erkennen.

Netanjahu wird von 61 der 120 Abgeordneten der Knesset, des israelischen Parlaments, unterstützt. Das hat ihn zu der Ankündigung gezwungen, eine breite Koalition anzustreben, um Israel regierungsfähig zu machen. Gemäß der Verfassung hat er sechs Wochen Zeit, um sich mit den religiösen Parteien, Yesh Atid oder anderen säkularen Parteien zu einigen.

Unter diesen Bedingungen ist es unwahrscheinlich, dass er eine stabile Regierung bilden kann, mit der er seine militaristische Agenda gegenüber dem Ausland und sein Sparprogramm im Inland durchsetzen kann. Das deutet auf zunehmende politische und gesellschaftliche Unbeständigkeit hin.

Likud wird in diesem Parlament zwanzig Sitze haben, sieben weniger als zuvor, Beitenu wird, statt wie bisher fünfzehn, elf Sitze haben. Der große Gewinner der Wahl bei den extremen Rechten ist die junge Partei HaBajit haJehudi (Jüdisches Heim), die von Netanjahus ehemaligem politischen Berater Naftali Bennett geführt wird. Sie hat elf Sitze gewonnen.

Die Schas (Akronym v. Shomrei Sfarad, Sephardische Tora-Wächter) und andere religiöse Parteien haben achtzehn Sitze gewonnen.

Der Widerstand gegen den Sparkurs und Netanjahus Kriegspolitik findet in den offiziellen „linken“ und „zentristischen“ Parteien, die immer weiter nach rechts rücken, keinen wirklichen Ausdruck. Das politische Ergebnis der Massenproteste im Jahr 2011, deren Führer auf dem Grundsatz „keine Politik“ bestanden, war eine kurzzeitige Stärkung dieser dem Untergang geweihten und im Grunde reaktionären Parteien.

Jesch Atid wurde nach dem Likud die zweitstärkste Kraft mit neunzehn Sitzen. Bereits ihr Name „Es gibt eine Zukunft“ zeigt, wie nichtssagend und prinzipienlos ihre Politik ist. Ihr Führer Jair Lapid war ein populärer Nachrichtensprecher im Fernsehen und Sohn des verstorbenen Tommy Lapid. Dieser hatte selbst Karriere beim Fernsehen gemacht und war von 1997 bis 2006 Vorsitzender der säkularen Schinui-Partei (Partei des Wechsels). Lapids Wahlkampf richtete sich an die Mittelschicht und versuchte, Spannungen zwischen den säkularen und den ultraorthodoxen Juden zu schüren. Er forderte, dass die Ultraorthodoxen Militärdienst leisten und arbeiten sollten. Er strebt zwar ein Abkommen mit den Palästinensern an, aber unter Bedingungen, die Israel diktiert – er weigert sich, Ost-Jerusalem zurückzugeben und besteht auf dem Erhalt der Siedlungen.

Die Awoda (Arbeitspartei), die unter mehreren Spaltungen und dem Überlaufen führender Mitglieder gelitten hat, konzentrierte sich im Wahlkampf auf „soziale Fragen“. Zwei der Führer der Protestbewegung standen auf ihrer Wahlliste ganz oben. Der Erfolg war jedoch bescheiden, sie gewann fünfzehn Sitze – zwei mehr als bei der Wahl 2009 – und wurde drittstärkste Partei.

Die Parteivorsitzende, Ex-Journalistin Schelly Jachimowitsch distanzierte sich von dem früheren Programm ihrer Partei, das „Frieden“ mit den Palästinensern forderte und unterstützte im letzten November Netanjahus Angriff auf Gaza und das Siedlungsprojekt.

Hatnua (Die Bewegung) hat sechs Sitze gewonnen. Sie wurde von der ehemaligen Kadima-Vorsitzenden und Außenministerin Tzipi Livni gegründet. Sie setzt sich für ein Abkommen mit den Palästinensern ein, aber nur um zu verhindern, dass die Palästinenser in Israel und den besetzten Gebieten zur Mehrheit werden.

Die linkssozialdemokratische Meretz, die man früher mit Engagement für den Frieden assoziiert hat, konnte ihre Fraktion in der Knesset auf sechs Sitze verdoppeln.

Es ist noch nicht klar, ob die Kadima (Vorwärts), die im Jahr 2009 die meisten Sitze gewonnen hatte, diesmal genug Stimmen für einen einzigen Sitz erhalten hat. Die Partei war letztes Jahr zusammengebrochen, nachdem ihr Vorsitzender Shaul Mofaz Netanjahus Koalition beigetreten und sechs Wochen später wieder ausgetreten war, weil er nicht erreichen konnte, dass die Freistellung ultraorthodoxer Jeschiwa-Studenten vom Militärdienst aufgehoben wurde.

Die Parteien, die traditionell die Stimmen der israelischen Palästinenser erhalten, die zwanzig Prozent der Bevölkerung ausmachen, haben zehn Prozent der Sitze gewonnen, insgesamt zwölf.

Netanjahu muss jetzt eine Koalition zusammenstellen, die den rechtsextremen Flügel seines Likud und der anderen Siedler- und religiösen Parteien zufriedenstellt, die jeden Versuch einer Einigung mit den Palästinensern torpedieren, und außerdem einige der zentristischen Parteien umfasst. Alle versuchen, ihre jeweilige soziale Basis möglichst vor dem Sparhaushalt zu verschonen. Netanjahu verhandelt mit den rechten Parteien, Lapids Jesch Atid und möglicherweise mit Livnis Hatnua, um eine tragfähige Koalition zusammenzustellen.

Lapid befindet sich jetzt in der Position des Königsmachers. Netanjahu hat ihn kurz nach den Hochrechnungen angerufen. Lapid deutete seine Bereitschaft an, mit Netanjahu zusammenzuarbeiten und erklärte, die Herausforderungen, vor denen Israel steht, könne man nur „zusammen“ angehen. Er fügte jedoch hinzu: „Was gut für Israel ist, wissen weder die Rechten noch die Linken. Gut für Israel ist die Schaffung einer echten und anständigen Mitte.“

Jachimowitsch erklärte, sie werde ebenfalls versuchen, „eine Koalition auf einer wirtschaftlich-sozialen Grundlage zu bilden, die den Friedensprozess in Gang bringt.“ Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie das schaffen kann. Zumindest müsste sie dafür die Parteien mit einbeziehen, die von den israelischen Palästinensern gewählt wurden – dazu war bisher keine Regierungspartei bereit.

Die „Zentristen“ und „Linken“ sind sich in grundsätzlichen Fragen einig. Egal, welche Parteien die nächste Koalitionsregierung bilden, sie werden Netanjahus Kriegspläne unterstützen und den bereits jetzt verarmten Arbeitern und Familien die Diktate der israelischen Plutokraten und der internationalen Finanzelite aufzwingen. Sozialleistungen und öffentliche Dienste werden weiter gekürzt und Steuern erhöht werden.

Die Arbeiter, Jugendlichen und Studenten Israels müssen sich unabhängig von allen Fraktionen der herrschenden Klasse organisieren und sich unabhängig von Religion und ethnischer Zugehörigkeit mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern in den besetzten Palästinensergebieten und dem ganzen Nahen Osten vereinigen, statt sich auf kapitalistische und zionistische Parteien zu verlassen. Sie müssen mit einem sozialistischen Programm für eine Arbeiterregierung kämpfen, die die Banken und Großkonzerne enteignet und die Wirtschaft auf Grundlage der Bedürfnisse der Gesellschaft umgestaltet, statt auf der Grundlage von privatem Profitstreben.

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