Andy Durgan und En Lucha:

Historische Verfälschungen zur Rechtfertigung des politischen Betrugs an den spanischen Arbeitern

Teil 3

Durgans Anstrengungen, die Rolle zu vertuschen, die die Arbeiterführer gespielt hatten, werden ebenso offenkundig bei seiner Einschätzung des asturischen Bergarbeiterstreiks von 1962. Wieder einmal fehlt die Erwähnung der Weltereignisse zwischen 1940 und 1962 und wie sie sich in Spanien ausdrückten.

Durgan unterstellt, dass Francos Sieg und die Errichtung der faschistischen Diktatur im April 1939 das Ende des Klassenkampfes in Spanien bedeutet hätten.

“Nach Francos Sieg wurden alle Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen verboten. Die im Krieg entfesselte Repression dauerte bis Ende der 1940er Jahre,“ fasst er zusammen.

Bequemerweise heißt das für ihn, dass er sich nicht mit der Rolle beschäftigen muss, welche die Sozialdemokratie und der Stalinismus in Spanien während des Zweiten Weltkrieges spielten.

Am Ende des Krieges hoben die sich im Exil befinden republikanischen Parteien und die PSOE eine Nationale Allianz Demokratischer Kräfte aus der Taufe – sie erwarteten nach dem Zusammenbruch der Achsenmächte einen Einmarsch der Alliierten in das Land und die Wiedererrichtung eines bürgerlichen demokratischen Systems.

Die Stalinisten begannen auf derselben Perspektive 1944 einen Guerillakrieg, der etwa 15.000 ihrer Mitglieder das Leben kostete. Damit war jedoch nicht beabsichtigt, die Arbeiterklasse als unabhängige politische Kraft zum Sturz des Kapitalismus und von Francos faschistischem Regime zu mobilisieren, sondern Druck auf die alliierten imperialistischen Mächte auszuüben.

Die PCE-Führung, die einige Jahre zuvor für die Niederlage der spanischen Revolution, die sie einen „Unabhängigkeitskrieg gegen deutsche und italienische Interventionen“ genannt und die Anarchisten und die Nichteinmischungspolitik Großbritanniens und Frankreichs verantwortlich gemacht hatte, war jetzt „überzeugt, dass durch die Errichtung von Kampfzentren im Lande und das Schüren von Panik innerhalb der herrschenden Klassen eine Situation geschaffen werden könne, in der die Alliierten uns helfen würden.“

Das Überleben des Kapitalismus in Europa im Endstadium des Krieges hing vor allem von der Kollaboration der Sozialdemokraten und besonders der Stalinisten ab, die der Arbeiterklasse die Beschlüsse von Jalta und Potsdam, unterzeichnet vom amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, dem britischen Premierminister Winston Churchill und Stalin, aufzwangen und somit eine revolutionäre Abrechnung mit dem Imperialismus verhinderten.

Im Gegenzug für die Kontrolle über die sogenannten “Pufferstaaten” in Osteuropa verpflichtete sich die Kremlbürokratie, den Widerstand der Arbeiterklasse mittels der kommunistischen Parteien zu unterdrücken, wie es in Frankreich und Italien geschah, und den Kapitalisten die Macht zurückzugeben.

Die imperialistischen Mächte beließen Spanien als ländliche Wirtschaft unter Francos Kontrolle. Dies war einerseits gedacht als eine Abstrafung der spanischen Arbeiterklasse dafür, dass sie im vergangenen Jahrzehnt einer sozialistischen Revolution so nahe kam. Andererseits war es der Furcht geschuldet, die Arbeiter könnten erneut eine Revolution beginnen. Vordergründig wurde Francos Regime auf der internationalen Bühne die kalte Schulter gezeigt. Aber es wurde vom US-Imperialismus weiterhin mit militärischer Ausrüstung versorgt. Seit Anbruch des Kalten Krieges betrachteten die imperialistischen Mächte den spanischen Diktator als Bollwerk gegen den Kommunismus und pflegten einmal mehr eine Politik der „Nichteinmischung“, oder genauer, stillschweigender Unterstützung.

Als im Jahr 1953 die Nato (North Atlantic Treaty Organisation) gegründet wurde, riet Stalin der PCE, ihren Guerillakrieg aufzugeben und stattdessen in faschistische und katholische Organisationen einzutreten, um zu versuchen, sie auf dem Wege bürgerlicher Demokratie zu beeinflussen. Die Sowjetunion war lediglich bestrebt, Franco zu neutralisieren. Sie verhinderte, dass Spanien der Nato und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG – der Vorläuferin der Europäischen Union) beitrat und damit Teil eines umfangreicheren wirtschaftlichen und militärischen Bündnisses wurde, das den Ostblock bedrohte.

Hinsichtlich der revolutionären Erhebung von 1962 schreibt Durgan lediglich, dass Spanien in den vierzehn vorhergehenden Jahren „ein beispielloses Wachstum erlebte und sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich transformiert wurde.

Wirtschaftliches Wachstum bedeutete, dass Arbeiter in Städte und Industrie strömten. Relativ unbeschadet von den Schrecken des Bürgerkrieges war eine neue Arbeiterklasse aufgetaucht.

„Über die 1960er Jahre hinweg wiederholten sich Zusammenstöße und Streiks, da diese neue Arbeiterklasse einerseits danach strebte, ihre Bedingungen zu verbessern und andererseits – zunehmend – die Demokratie einzuführen.“

Durgans wesentliche Verfälschung besteht in seiner Behauptung, alles, was in Spanien vor sich ging, sei ein Kampf um Demokratie gewesen. Tatsächlich entwickelte sich in diesen Jahren die längste Periode revolutionärer Kämpfe in Europa seit den 1930er Jahren. Zwischen 1968 und 1975 hatte der Kapitalismus in einer Reihe von Ländern, darunter in Spanien, nur dank der politischen Entwaffnung der Arbeiterklasse überlebt, für die ihre eigenen alten Organisationen gesorgt hatten. Dienstbeflissen spielten bei dieser Entwaffnung auch kleinbürgerliche Tendenzen, wie die Vorgängerin von SWP-En Lucha eine Nebenolle, indem sie sich dem Aufbau revolutionärer Alternativen zu den Arbeiterbürokratien entgegenstellten.

Die Entwicklung einer internationalisierten Weltwirtschaft hatte in der Tat massiven Druck auf die quasi autarke halbisolierte spanische Ökonomie ausgeübt und zwang die Bourgeoisie, sich für Überseeinvestitionen zu öffnen. Mit der Madrider Vereinbarung von 1953 garantierten die Vereinigten Staaten Spanien Hilfe im Wert von einer Milliarde Dollar im Austausch für die Erlaubnis, Stützpunkte auf spanischem Territorium zu errichten. Dessen ungeachtet stand das Land im Jahr 1957 vor dem Bankrott. Eine neue Mannschaft von Staatsbürokraten, angeführt von Laureano López Rodó, handelte mit dem Internationalen Währungsfond ein Notfallsparprogramm aus. Die Beschränkungen des freien Marktes wurden niedergerissen, ohne dass demokratische Rechte als Vorbedingungen verlangt worden wären.

Das Franco-Regime befand sich in einer Dauerkrise und sah sich wachsender Opposition ausgesetzt. Das Regime fuhr einen Zickzackkurs, bei welchem brutale Unterdrückung der Studenten- und Arbeiterunruhen mittels Polizei, Guardia Civil und Terrortrupps der Geheimdienste sich mit Zugeständnissen wie Mindestlohn und größeren Lohnerhöhungen ablösten.

Angelockt durch das repressive Arbeitsregime flossen ausländische Unterstützung und Kapitalinvestitionen ins Land, in deren Folge die spanische Wirtschaft zu wachsen begann. Daneben gab es die Überweisungen von über 500.000 spanischen Arbeitern, die gezwungen waren, im Ausland Arbeit zu suchen sowie eine gewaltige Zunahme des Tourismus aus Nordeuropa, ausgelöst durch billiger gewordene Flugkosten. Diese wachsenden Widersprüche führten einmal mehr zum Ausbruch von Klassenkämpfen, wie sie sich in der großen Streikwelle zeigten, die im Jahr 1962 das Land überzog.

Durgan ersetzt die Analyse dieses Klassenkampfes durch eine, in der er eine „Modernisierung“ Spaniens unterstellt. Damit enthebt er sich des Blickes auf die konterrevolutionäre Politik, welche die Arbeiterführer, besonders die stalinistischen Kräfte, betrieben, um das Funktionieren des spanischen Kapitalismus und das Überleben des faschistischen Franco-Regimes zu gewährleisten.

Alsdann geht Durgan zur Beschreibung der Streikentwicklung und seiner Organisierung über. An ihm waren 60.000 Arbeiter beteiligt, und dies trotz der Tatsache, dass „Streiken in Francos Spanien gleichbedeutend war mit einer militärischen Rebellion und schwer bestraft wurde. (…) Trotzdem konnten die Streikenden sich wirkungsvoll organisieren. Der Streik erfasste 24 Provinzen für mehr als acht Wochen“, stellt er fest.

“Die spanische Demokratiebewegung ergab sich teilweise aus diesen asturischen Bergarbeiterstreiks. Die Streikwelle verlieh der Bewegung Stärke, Schwung und die Hoffnung, dass der Faschismus in Spanien geschlagen werden konnte.“

So war es nicht. Obwohl begrenzte Fortschritte in Form von Lohnerhöhungen und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erzielt wurden, wurde dieser Generalstreik politisch der national beschränkten Perspektive der Stalinisten und der Gewerkschaftsbürokratie untergeordnet.

Als offensichtlich wurde, dass diese Krise des Franco-Regimes bereits sein Todeskampf war, wandte sich die Rettung heischende herrschende Elite wieder einmal an die PCE. Seit 1956, dem Jahr, in dem Nikita Chruschtschow, Parteichef der KPdSU, seine Geheimrede hielt, in der er Stalin verurteilte, hatte die PCE eine Politik der „nationalen Aussöhnung“ verfolgt.

Die PCE vertrat den Standpunkt, dass die in das Regime eingebundenen Gewerkschaften (Syndikate) sich zu demokratisch gewählten Organisationen entwickeln und demokratischen Wandel herbeiführen könnten.

Santiago Carrillo, der Generalsekretär der PCE, gestand ein, dass die Partei bewusst darauf hin gearbeitet hatte, die im Untergrund wirkenden Arbeiterräte der CCOO, die entstanden, nachdem die Syndikate seit 1962 zusammengebrochen waren, in eine reformistische Richtung und zurück in die faschistischen Gewerkschaften zu bringen. Carrillo sah seinen eigenen größten Erfolg gekommen, als die staatlichen Gewerkschaften das Minimalprogramm der PCE zu ihrem eigenen machten, was eine gleitende Lohnskala und gleichen Lohn für gleiche Arbeit beinhaltete.

Im Jahr 1966 feierten die PCE-Führer, die immer noch illegal arbeiteten, einen überwältigenden Sieg in den Syndikats-Wahlen. Doch das Regime ging gegen die PCE vor, annullierte die Wahlen und illegalisierte die Arbeiterräte.

Carrillo behauptete, dass es eine “objektive Konvergenz” zwischen der Arbeiterklasse und dem „modernen“ Sektor des spanischen Kapitalismus gegeben habe, die ein bürgerliches parlamentarisches System und demokratische Freiheiten notwendig machte. Er postulierte: „Erst nachdem diese Freiheiten gewonnen worden sind, wird es möglich werden, über die Perspektiven des Sozialismus zu sprechen.“

In dem Zeitraum, den Durgan so schroff und unkritisch behandelt, formulierten Carrillo und die PCE die Perspektive, die zum Rückgrat der Demobilisierung der Arbeiterklasse während der sogenannten „demokratischen Transición“ werden sollte.

Im Mittelpunkt stand die ruptura democratica – ein „demokratischer Bruch“ mit der Diktatur mittels eines Generalstreiks. Seit den frühen fünfziger Jahren und während der gesamten Zeit seines Exils in Frankreich hatte Carrillo seine Perspektive eines friedlichen nationalen Streiks ausgearbeitet. Diese Perspektive wurde nun Bestandteil der ruptura. 1973 konstatierte die PCE:

“Der Schritt von der Diktatur zur Demokratie muss durch eine echte politische Revolution erfolgen. Durch unseren Kampf, durch den Kampf, den die Kräfte, die Demokratie vorziehen, ausdrücken, schlagen wir vor, dass es unsere Aufgabe ist, einer politischen Revolution durczuführen. (…) Die Vorschläge der PCE werden den Schritt von der faschistischen Diktatur zur Demokratie ermöglichen (…) mit geringstmöglicher Gewalt und unter Ausschluss der Gefahr eines neuen Bürgerkrieges. (…) Die Kommunisten haben wiederholt gesagt, dass ein nationaler Streik die Diktatur beenden kann.

Das Konzept eines nationalen Streiks geht weiter als das eines Generalstreiks. (…) Der nationale Streik besteht nicht darin, die Arme zu verschränken und den anarchistischen Traum vom Generalstreik nachzuahmen. Es geht nicht darum, einfach die Arbeit einzustellen, die Arbeiter von der Arbeit und die Einwohner aus den Wohnvierteln holen, in Massen auf der Straße zu erscheinen (…) Es geht nicht einfach darum, das Land zum Stillstand zu bringen, sondern darum, uns selbst auf der Straße stark zu machen, (…) Kampf- und Machtorgane auf allen möglichen Ebenen zu errichten, um den Druck gegen den Kern der diktatorischen Macht zu erhöhen, bis sie gestürzt ist.“

Wenn man das linke Wortgeklingel beiseite lässt, war dies ein Appell an die sogenannten „demokratischen“ Kräfte in Spanien, einschließlich derer um das Franco-Regime, ausgenommen lediglich dessen inneren „Kern“. Nachdem Franco am 20. November 1975 in seinem Bett verstorben war, beeilte sich Carrillo, das Gerede von der Massenmobilisierung über Bord zu werfen und präsentierte eine neue Strategie, die ruptura pactada – ein Bruch mit Franco, aber nicht durch Massenaktion, sondern im Parlament ausgehandelt, auf Augenhöhe mit den Eliten. Innerhalb der politischen Landschaft, die nach Francos Tod entstand, ging die PCE eine Verbindung mit der Plataforma Democrática ein, dem sozialdemokratisch beeinflussten Oppositionsbündnis.

Dies war der erste Schritt zu einer Verständigung mit allen anderen kapitalistischen Parteien in Spanien. Die PCE, die in diesem Zeitraum eine führende Rolle bei der Entwicklung des Eurokommunismus spielen sollte, war die entscheidende Kraft bei der Unterdrückung der revolutionären Kämpfe der spanischen Arbeiterklasse und einmal mehr Lebensretter des Kapitalismus.

Die aktuellen Entwicklungen des Klassenkampfes und die sich verschärfende Klassenpolarisierung nötigen Durgan zu Verfälschungen dieser fundamentalen historischen Erfahrungen. Angesichts der aufs Neue bevorstehenden Revolution lässt Durgan jede intellektuelle und historische Glaubwürdigkeit fahren, die er jemals besessen haben mag, und betätigt sich als stalinistischer Fälscher.

Würde er auch nur ein Wörtchen über die POUM verlieren, oder den Namen Trotzkis, die GPU oder Stalins Verbrechen erwähnen, dann fiele er den Bestrebungen von En Lucha und der SWP in den Rücken, die den Stalinisten und ihrer Orientierung auf den kleinbürgerlichen politischen Morast im Umkreis der verfaulenden Arbeiterbürokratie Avancen machen.

Indem er jede Bezugnahme auf Trotzkis historischen Kampf zur Ausbildung eines marxistischen Kaders im Spanien der Jahre 1931-1939 vermeidet, spricht Durgan für eine kleinbürgerliche Tendenz, die tiefste Feindschaft gegen den Marxismus und gegen den Kampf hegt, der die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse durchsetzen will. Die Geschichte beweist, dass es eine Alternative zur katastrophalen Sackgasse gab, in welche die spanischen Arbeiter in der Vergangenheit geführt worden sind. Diese Alternative wird heute vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale repräsentiert.

Schluss

Anmerkungen:

[1] Santiago Carrillo, Dialogue on Spain, Lawrence and Wishart (1974), S. 92

[2] ebd. S 169

[3] Aus Proyecto de Manifiesto—Programa del PCE, 1973. In PCE en sus Documentos 1920-1977, ediciones hoac, Madrid, 1977, zitiert von Patrick Baker, The Spanish Transition to democracy—A Missed opportunity to the left?”, Socialist History Society Occasional paper Nr. 11 (2000), http://www.socialisthistorysociety.co.uk/BAKER01.HTM

 

Santiago Carrillo: Dialogue on Spain [Dialog über Spanien], Lawrence and Wishart (1974), S 92 [aus dem Englischen].

Ebd. S. 169.

Aus “Proyecto de Manifiesto—Programa del PCE, 1973” in: PCE en sus Documentos 1920-1977, ediciones hoac, Madrid 1977, zitiert nach Patrick Baker: “The Spanish Transition to democracy—A Missed opportunity to the left?”[Die demokratische Transition in Spanien – Eine verpasste Chance für die Linke?], Socialist History Society Occasional paper no. 11 (2000), http://www.socialisthistorysociety.co.uk/BAKER01.HTM [aus dem Englischen].

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