Rücktritt von Cromme leitet neue Angriffe auf ThyssenKrupp-Arbeiter ein

Am 8. März kündigte Gerhard Cromme seinen Rücktritt vom Aufsichtsratsvorsitz der ThyssenKrupp AG und aus dem Kuratorium der Krupp-Stiftung an, die mit einem Anteil von 25,3 Prozent Mehrheitsaktionär des Konzerns ist.

Cromme stand seit 1986 an der Spitze des Krupp-Konzerns und war 2001 vom Vorstand an die Spitze des Aufsichtsrats gewechselt. Die feindliche Übernahme des Konkurrenten Hoesch und die spätere Fusion mit Thyssen zum größten deutschen Stahl- und Technologieunternehmen mit weltweit 150.000 Beschäftigten ging maßgeblich auf seine Initiative zurück.

Crommes Rückzug erfolgt am 19. März. Dann soll auf einer Sondersitzung des Aufsichtsrats Ulrich Lehner, der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Henkel-Konzerns, zu seinem Nachfolger gewählt werden. Cromme begründete seinen Schritt damit, dass er auch im Aufsichtsrat einen personellen Neuanfang ermöglichen wolle.

Der Stahlkonzern befindet sich in einer schweren Krise. Beim Bau von Stahlwerken in Brasilien und den USA sind angeblich Milliardenverluste entstanden, die internationale Wirtschaftskrise hat die Stahlnachfrage insbesondere in Europa sinken lassen und wegen zahlreichen Korruptionsaffären und Kartellabsprachen bei Aufzügen, Schienen und Stahl kommen Strafzahlungen und Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe auf ThysssenKrupp zu.

Crommes Rücktritt leitet ein neues Stadium von Angriffen auf die Belegschaft ein. Medienbericht gehen davon aus, dass er nicht freiwillig erfolgte. Der 99-jährige Berthold Beitz, der von Alfried Krupp 1967 auf Lebenszeit zum Vorsitzenden des Kuratoriums der Krupp-Stiftung ernannt worden war und nach wie vor über die Geschicke des Konzerns bestimmt, hatte ihn auf Druck der Aktionäre fallen lassen. Der Rücktritt wurde an der Börse entsprechend gefeiert. Am Tag der Bekanntgabe stieg die ThyssenKrupp-Aktie um 6,4 Prozent.

Crommes Rücktritt weist starke Parallelen zum Rückzug Heinrich von Pierers aus dem Siemens-Konzern vor sechs Jahren auf – nur dass damals nicht Beitz, sondern Cromme im Hintergrund die Fäden zog. Pierer hatte den Elektrokonzern in enger Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft IG Metall jahrelang wie ein Patriarch beherrscht, bis er in seinem Strudel von Verlustmeldungen und Korruptionsskandalen den Hut nehmen musste. Er machte so den Weg für eine gründliche Umstrukturierung frei, die die Belegschaft mit dem Verlust tausender Arbeitsplätze und massiven Lohneinbußen bezahlte.

Cromme war 1987 durch die Stilllegung des Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen mit über 6.000 Arbeitsplätzen erstmals ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Der damals 44-jährige Manager ließ sich von wochenlangen Massenprotesten nicht beeindrucken und setzte die Schließung mit Hilfe von SPD-Landesregierung und IG Metall kaltblütig durch.

Während ihn die Arbeiter deshalb hassten, zog er sich durch seine Härte nicht nur die Achtung von Beitz und der anderen Aktionäre, sondern auch des Betriebsrats und der IG Metall zu. Sie haben eng mit ihm zusammengearbeitet, im Aufsichtsrat gemeinsam mit Beitz dafür gesorgt, dass er unangreifbar blieb, und ihm bis zuletzt die Treue gehalten. Als Gegenleistung wurden sie mit Luxusreisen und anderen Zuwendungen verwöhnt.

Dank seiner engen Beziehung zur IG Metall gelang es Cromme, die Fusion mit Hoesch und Thyssen durchzuziehen und dabei relativ geräuschlos Zehntausende Arbeitsplätze abzubauen.

Ähnlich wie vor sechs Jahren bei Siemens gelten die über Jahre verfestigten Beziehungen aber inzwischen als Hindernis für eine grundlegende Neustrukturierung des ThyssenKrupp-Konzerns. Unter der Überschrift „Der letzte Hofstaat in Deutschland“, erläuterte die Süddeutsche Zeitung am 11. März, worum es beim Rücktritt Crommes wirklich geht:

„ThyssenKrupp ist so etwas wie das letzte Relikt der Deutschland AG, einem Milieu, in dem Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen eng verflochten waren, in dem die wirkliche Macht bei einigen wenigen konzentriert war, in dem Management und Arbeitnehmervertreter oft auf ein und derselben Seite standen. Es war ein Milieu, das nicht mehr als unbedingt nötig um Transparenz bemüht war, das alles störte bloß. Das ist weitgehend Geschichte, in Essen aber bei ThyssenKrupp lebt diese Welt weiter – bis heute.“

Crommes Rückzug wurde von den Medien durchgehend begrüßt. Einige forderten, Beitz solle gleich mit ihm zurücktreten. Ebenso einhellig war das Lob für Heinrich Hiesinger, den noch Cromme selbst vor gut zwei Jahren als neuer Vorstandsvorsitzender von Siemens zu ThyssenKrupp geholt hatte. Er versuche, eine neue Unternehmenskultur zu etablieren und für mehr Transparenz zu sorgen, und sei frei von den Lasten der Vergangenheit.

Als Beispiel für die neue „Unternehmenskultur“ wird gerne angeführt, Hiesinger habe die allein den Vorständen vorbehaltenen Aufzüge abgeschafft und die Luxusreisen für Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder reduziert. Doch das ist bloß Fassade. Hiesinger hat vor allem die Aufgabe, das Unternehmen wieder profitabler zu machen, koste es, was es wolle. Dazu strebt er Unternehmensverkäufe und den Abbau tausender Arbeitsplätzen an.

Hinter dem ganzen Gerede vom Kampf „gegen Korruption und alte Seilschaften“ und „für mehr Transparenz“ geht es in Wirklichkeit um eine Umstrukturierung des Unternehmens, in deren Verlauf die Sparmaßnahmen noch rücksichtsloser als bisher durchgesetzt und Arbeitsplätze schneller abgebaut werden. Alles gehöre auf den Prüfstand, ohne Tabus, heißt es immer wieder.

Gemeint ist damit, dass alle Aspekte den Renditeforderungen der Aktionäre untergeordnet werden. Arbeiter sollen schneller „geheuert und gefeuert“ werden. Soziale Errungenschaften wie Kündigungsschutz, Krankenversicherung Altersversorgung und halbwegs vernünftige Löhne, die sich Generationen von Arbeitern erkämpft haben, sollen mit einem Federstrich beseitigt werden.

Crommes Nachfolger können dabei, wie schon er selbst, auf die Unterstützung von IG Metall und Betriebsrat zählen. Als der neue Vorstandschef Heinrich Hiesinger im Dezember letzten Jahres mit Crommes Unterstützung ein Milliarden-Sparprogramm bei ThyssenKrupp ankündigte, trugen sie es mit.

Nun beeilen sie sich, auch Crommes designierten Nachfolger Ulrich Lehner zu unterstützen. Lehner gehört dem ThyssenKrupp-Aufsichtsrat seit 2008 an. Darüber hinaus sitzt er in den Aufsichtsräten von Eon, Henkel, Deutsche Telekom (als Vorsitzender), Novartis (als Interims-Präsident) und August Oetker.

In der Schweiz läuft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren, weil er dem scheidenden Novartis-Chef Daniel Vasella eine Abfindung in Höhe von 60 Millionen Euro genehmigt hatte, auf die dieser schließlich unter einem Sturm der öffentlichen Empörung verzichten musste.

Siehe auch: IG Metall-Chef von NRW wird Vorstand bei ThyssenKrupp

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