Chinas Dilemma wegen der Korea-Krise

Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) unter Führung von Präsident Xi Jinping steht vor der Frage, wie sie auf die wachsenden Spannungen auf der koreanischen Halbinsel reagieren soll. In ihren Führungskreisen ist eine Debatte um das langjährige Bündnis mit Nordkorea entbrannt.

Ein Teil der KP-Bürokratie will den amerikanischen Forderungen entgegen kommen und Nordkorea durch Druck zum Einlenken zwingen. Ein anderer besteht darauf, Pjöngjang weiterhin zu unterstützen, um das Land auch in Zukunft als Puffer gegen die USA und ihre Verbündeten, vor allem Südkorea, zu erhalten.

Am vergangenen Wochenende forderte Präsident Xi auf dem Wirtschaftsforum in Boao „umfassende und kooperative Sicherheit, um das globale Dorf in eine große Bühne der gemeinsamen Entwicklung zu verwandeln, statt in eine Arena, in der Gladiatoren gegeneinander kämpfen.“ Er warnte: „Es sollte niemandem erlaubt sein, die Region oder gar die ganze Welt aus eigennützigen Motiven ins Chaos zu stürzen.“

Die meisten westlichen Medien werteten Xis Aussagen als gegen Nordkorea gerichtet. Sie lassen sich aber genauso gut auf die USA beziehen, die die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel rücksichtslos anheizen, um Pjöngjang und Beijing unter Druck zu setzen. Letzten Monat hat das Pentagon seinen „Anti-Provokationsplan“ in die Tat umgesetzt und unter anderem atomwaffenfähige B52- und B2-Bomber nach Südkorea entsandt.

Ein Teil des chinesischen Militärs sorgt sich um die wachsende Kriegsgefahr. Ein anonymer Informant aus der Volksbefreiungsarmee sagte der Deutschen Presse-Agentur (DPA) am vergangenen Wochenende, das chinesische Militär sei in Alarmbereitschaft und entwickle Notfallpläne für den Kriegsfall.

Nach Aussage des Informanten hat sich eine Gruppe Generäle besorgt über die Sicherheitslage der nordkoreanischen Atomanlagen und einen möglichen Flüchtlingsstrom aus Nordkorea nach Nordchina geäußert. „Die Notfallpläne schließen die Möglichkeit ein, chinesische Truppen nach Nordkorea zu schicken, wenn es zu Gefechten kommt, um Atomanlagen zu sichern und eine Atomkatastrophe zu verhindern,“ schrieb die Nachrichtenagentur.

In Beijing sorgt man sich ernsthaft um die Stabilität des kleinen, isolierten und wirtschaftlich bankrotten Regimes in Pjöngjang. In den vergangenen vier Jahren hat die Regierung Obama die Wirtschaftsblockade Nordkoreas aufrechterhalten und verweigert auch weiterhin alle Gespräche, so lange Pjöngjang sein kleines Atomarsenal nicht aufgibt und seine Atom- und Raketenprogramme nicht einstellt.

Washington hält vor einem möglichen nordkoreanischen Raketentest den Druck auf Pjöngjang aufrecht. Der Chef des amerikanischen Pacific Command, Admiral Samuel Locklear, sagte dem Streitkräfteausschuss des US-Senats gestern, dass die USA bereit seien, Raketen abzuschießen, wenn sie auf amerikanisches Territorium, US-Stützpunkte oder Verbündete der Vereinigten Staaten gerichtet seien.

Locklear widersprach dem republikanischen Senator John McCain, der behauptet hatte, die Beziehungen zwischen Nordkorea und den USA seien so schlecht wie noch nie seit dem Koreakrieg in den 1950ern, erklärte jedoch, dass die amerikanischen Streitkräfte unter seinem Befehl für einen Krieg gegen Nordkorea bereit seien.

Beijing ist sich bewusst, dass die USA die Korea-Krise ausnutzen, um ihre Truppen zu verstärken, vor allem durch Raketenabwehrsysteme, und das nicht nur als Vorbereitung für einen Krieg gegen Nordkorea, sondern auch gegen China. Die Regierung Obama schürt im Rahmen ihrer aggressiven „Schwerpunktverlagerung auf Asien“ Spannungen auf der koreanischen Halbinsel, um Beijings strategische Position und den Einfluss Chinas in der Region zu untergraben.

Als Reaktion darauf schlägt die KPCh-Führung ein Ende des Bündnisses mit Nordkorea und sogar einen Regimewechsel vor. Sie will damit verhindern, dass Washington die Spannungen auf der Halbinsel weiter zu seinen Gunsten ausnutzt. Im Februar schrieb Deng Yuwen, stellvertretender Chefredakteur der Zeitung der Zentralen Parteischule der KPCh, einen Kommentar für die britische Financial Times. Darin erklärte er, Nordkorea sei für China kein strategischer Puffer mehr und könne ihm sogar in den Rücken fallen. Er forderte Unterstützung für Südkorea, um beide Länder in einen vereinigten Staat Korea zu integrieren.

Deng wurde zwar angeblich letzte Woche auf unbestimmte Zeit seines Postens enthoben, aber die staatlichen Medien Chinas verbreiten ähnliche Ansichten.

Ein Kommentar in der Auslandsausgabe der People’s Daily am 10. April kritisierte vier Staaten – Nordkorea, die USA, Südkorea und Japan – weil sie sich in Chinas nationale Angelegenheiten einmischen. Ungewöhnlich an dem Kommentar war seine offene Warnung an Nordkorea, die Lage nicht „falsch zu beurteilen.“ Es hieß darin, Nordkorea trage wegen seiner Raketen- und Atomtests die Verantwortung für die Eskalation der Spannungen auf der Halbinsel im letzten Jahr. Der Kommentar verbat sich zwar eine äußere Einmischung in die inneren Angelegenheiten Nordkoreas, deutete aber an, dass es nicht allein Nordkoreas Angelegenheit sei, wenn sein Vorgehen „die Stabilität und den Frieden in der Region beeinträchtigt und ein internationales Problem schafft" – mit anderen Worten, eine Intervention Chinas könnte gerechtfertigt sein.

Selbst Chinas militaristische und nationalistische Kommentatoren unterstützen Nordkorea nicht ausnahmslos. General Zhang Chaozhong, der letztes Jahr während der Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer zum Krieg gegen die Philippinen aufgerufen hatte, äußerte sich gestern im China Radio Network vergleichsweise zurückhaltend. Er gab den USA, Südkorea und Japan die Schuld an der Krise, forderte Amerika aber nur dazu auf „sich etwas zurückzunehmen“ und Kim Jong-Un die Möglichkeit zu geben, sich ebenfalls zu mäßigen, dann „werden sich die Probleme lösen lassen.“

Derzeit gibt es noch keine klaren Anzeichen dafür, dass die neue chinesische Führung den amerikanischen Forderungen entsprechen und Korea zu Zugeständnissen zwingen wird. Beijing schloss sich den USA letzten Monat bei der Verhängung einer neuen Runde von Sanktionen wegen Nordkoreas drittem Atomtest im Februar an, beliefert seinen Verbündeten aber weiterhin mit Nahrungsmitteln und Treibstoff. In den letzten Jahren hat China Milliarden Dollar an Investitionen in Nordkorea getätigt, um dem Land beim Aufbau seiner Infrastruktur zu helfen. Unter anderem wurden mehrere Sonderwirtschaftszonen aufgebaut, um von billigen Arbeitskräften zu profitieren.

Laut der New York Times wurden hochrangige amerikanische Regierungsvertreter nach Beijing geschickt, um sich für die Durchsetzung der UN- und anderer Sanktionen gegen Nordkorea auszusprechen, darunter US-Finanzminister Jacob Lew. Sie kehrten ohne klares Ergebnis zurück.

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