Bombenanschläge von Boston

Verdächtiger nach Fahndung von Polizei und Militär verhaftet

Dschochar Zarnajew, ein Verdächtiger im Fall der Bombenanschläge an der Ziellinie des Bostoner Marathons, wurde am 19. April nach einer großflächigen Fahndung der Behörden verhaftet. Tausende von Nationalgardisten, FBI- und anderen Agenten und Beamten der Staats- und Stadtpolizei riegelten Boston in beispielloser Weise ab, nachdem sich Dschochar (19) und sein Bruder Tamerlan (26) eine Schießerei mit der Polizei geliefert hatten.

In wenigen Stunden wurde eine amerikanische Großstadt nahezu in ein Militärlager verwandelt und praktisch unter Kriegsrecht gestellt. Das Ausmaß der Mobilisierung des Militärs und der Polizei – komplett mit Blackhawk-Hubschraubern, gepanzerten Fahrzeugen mit Maschinengewehren und SWAT-Teams mit automatischen Waffen – erschien völlig unverhältnismäßig für die Bedrohung durch einen einzigen Jugendlichen.

Der Gouverneur von Massachusetts, Deval Patrick, ein Demokrat, ordnete am Freitagmorgen eine Ausgangssperre an, ließ das öffentliche Verkehrssystem lahm legen und empfahl allen Geschäften zu schließen. Gemäß der Ausgangssperre sollten alle Einwohner von Boston in ihren Wohnungen bleiben und sie nur für ordnungsgemäß ausgewiesene Polizeibeamte öffnen. Die Anordnung wurde nach und nach auf ein Gebiet von 160 Quadratkilometern der Metropolregion Boston ausgeweitet und betraf fast eine Million Menschen.

Soldaten in einem Bostoner Stadtpark [Photo: Vjeran Pavic]

Schwerbewaffnete Polizisten und Soldaten liefen durch die menschenleeren Straßen der Stadt. Reporter verglichen die Szenerie mit Videos aus dem besetzten Bagdad.

Vor allem im Vorort Watertown ging die Polizei von Haus zu Haus und durchsuchte sie mit vorgehaltenen Sturmgewehren. Die New York Times schrieb: „In Watertown fühlte man sich am Freitagmorgen wie in einer seltsamen Mischung aus Geisterstadt und Polizeistaat.“

Der Busverkehr zwischen New York und Boston wurde lahmgelegt, auch der Zugverkehr nach New York City wurde angehalten. Taxis durften während der Morgenstunden nicht fahren; die Spiele der Eishockeymannschaft Boston Bruins und der Baseballmannschaft Red Sox wurden abgesagt.

Die lokalen Universitäten – darunter Harvard, das Massachusetts Institute of Technology, die Boston University, die Suffolk University, das Boston College und die University of Massachusetts-Boston – wurden geschlossen. Die Umass-Dartmouth, an der der jüngere der beiden Verdächtigen studierte, wurde geschlossen und evakuiert, einige Studenten, die sonst nirgendwo hin konnten, mussten in der örtlichen High School untergebracht werden. Die öffentlichen Schulen in der Gegend waren bereits für die Ferien geschlossen.

Am Donnerstagabend hatte die Polizei Videos von Überwachungskameras veröffentlicht, auf denen zu sehen war, wie die Verdächtigen nahe dem Ort der Anschläge Taschen abstellten. Laut den Behörden hatten die Zarnajew-Brüder später am Donnerstagabend einen Mercedes-SUV gestohlen, daraufhin wurden sie von der Polizei in den Vorort Watertown nordwestlich von Boston verfolgt. Tamerlan wurde angeblich bei einer Schießerei mit der Polizei, in der er Sprengsätze warf, lebensgefährlich verletzt und starb am Freitag um fünf Minuten nach halb zwei Uhr morgens im Beth Israel Deaconess Hospital. Dschochar konnte vom Schauplatz der Schießerei fliehen.

Laut ersten Medienberichten hatte die Polizei die Zarnajew-Brüder als Verdächtige identifiziert, nachdem am Donnerstag um zehn Uhr abends Videomaterial von einem Raubüberfall auf einen Gemischtwarenladen aufgetaucht war. Kurze Zeit später wurde ein Wachmann des Massachusetts Institute of Technology namens Sean Collier tot in seinem Polizeiauto aufgefunden. Ein Wachmann des öffentlichen Verkehrsbetriebs wurde ebenfalls angeschossen und schwer verletzt.

Die Mutter der Brüder, Subeidat Zarnajewa, erklärte in einem Interview mit Russia Today, sie glaube, dass ihre Söhne „hereingelegt“ worden seien. Sie behauptete, das FBI hätte ihren Sohn Tamerlan seit drei bis fünf Jahren „kontrolliert“, seinen Internetverkehr überwacht und sei mehrmals bei ihnen zuhause aufgetaucht, um ihn zu befragen.

Am späten Freitagnachmittag bestätigte das FBI, dass es Tamerlan Zarnajew im Jahr 2011 auf Anordnung einer nicht genannten ausländischen Regierung befragt habe.

Menschenleere Straßen in der Bostoner Innenstand während der Ausgangssperre. [Photo: Brian Birne]

Der Bevölkerung von Boston wurde gesagt, die Ausgangssperre sei notwendig gewesen, weil sie Dschochar Zarnajew, der als „bewaffnet und gefährlich“ beschrieben wurde, nicht über den Weg laufen durfte. Um 18 Uhr hob Patrick die Ausgangssperre jedoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Bürgermeister von Boston, Thomas Menino, und dem Polizeioberst von Massachusetts, Timothy Alben wieder auf, obwohl sie weder Zarnajew noch einen anderen Verdächtigen verhaftet hatten. Sie erklärten nicht, warum die Straßen nach ihrer Pressekonferenz sicherer sein sollten als davor.

Alben widersprach auch den Berichten, laut denen die Zarnajew-Brüder den Gemischtwarenladen überfallen haben sollten.

Kurz nachdem die Ausgangssperre aufgehoben worden war, wurde Dschochar Zarnajew blutüberströmt unter der Abdeckplane eines Bootes in einem Privathaus in Watertown gefunden. Sondereinheiten der Polizei wurden verständigt, sperrten die Gegend ab und schossen mehrfach auf Zarnajew, bevor sie ihn in Gewahrsam nahmen und in einen Krankenwagen brachten. Angeblich schwebt er noch in Lebensgefahr.

Später am Abend zeigten Fernsehsendungen zahlreiche Einwohner, die erleichtert ihre Häuser verließen und in den Straßen von Boston feierten.

Bei dieser außergewöhnlichen und unheimlichen Polizeistaatsübung verließen sich die Obama-Regierung, das Militär, die Polizei, staatliche und städtische Behörden darauf, dass die Medien ein Klima der Angst und der Anspannung schafften, um zu verhindern, dass die Bevölkerung über die langfristigen Auswirkungen der Übung nachdachte.

Trotz der schrecklichen Bombenanschläge in Boston sind diese Auswirkungen sehr real. Die umfassende Mobilisierung von Polizei und Militär war eindeutig das Ergebnis jahrelanger Planung und Koordination zwischen Militär, Geheimdienst- und Polizeibehörden, die seit den Anschlägen vom 11. September unablässig aufgebaut wurden. Jetzt ist klar, dass auf ein Kommando hin eine amerikanische Großstadt unter Belagerungszustand gestellt werden kann, wie man das in lateinamerikanischen Diktaturen genannt hätte.

Die Ereignisse in Boston haben enthüllt, wie stark die amerikanische Gesellschaft hinter der brüchigen Fassade der Demokratie militarisiert worden ist.

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