Perspektive

Europa am Vorabend gewaltiger Klassenkämpfe

Die soziale Konterrevolution in Europa nimmt dramatische Formen an. Jüngsten Berichten zufolge sind 26 Millionen Menschen in der Europäischen Union ohne Arbeit, davon sechs Millionen allein in Spanien und fünf Millionen in Frankreich. In Spanien und Griechenland liegt die offizielle Arbeitslosenrate bei 27 Prozent, unter Jugendlichen nahe 60 Prozent.

In Deutschland beträgt die offizielle Arbeitslosigkeit nur 7 Prozent. Doch das lässt außer Acht, dass mit den Hartz-Gesetzen ein ständig wachsender Niedriglohnsektor geschaffen wurde. Von 42 Millionen Beschäftigten haben nur 29 Millionen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Die restlichen arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen. 4 Millionen verdienen weniger als 7 Euro in der Stunde.

Europa ist heute tiefer gespalten als zu Zeiten der Berliner Mauer und des „Eisernen Vorhangs“. Eine ständig wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zieht sich quer durch den Kontinent. Die Zahl der Menschen, die ihren Lebensunterhalt, ihre Miete oder ihre Ausbildung nicht mehr finanzieren können, wächst täglich, während eine Minderheit in obszönem Reichtum lebt und der Gesellschaft ihr Diktat aufzwingt.

Ein krimineller Geldadel diktiert die Politik. Steuergelder im Umfang von 1,6 Billionen Euro wurden in marode Banken gesteckt, und nun werden diese Gelder durch Kürzungen bei den Ausgaben für Soziales, Bildung, Renten und Gesundheit wieder aus der Bevölkerung herausgepresst.

Unter den Bedingungen der größten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren zeigt die Europäische Union ihr wahres Gesicht. Sie verkörpert nicht die „Einheit Europas“, wie die Propagandisten aller Parteien behaupten, sondern die Diktatur des Finanzkapitals über Europa. Sie diente nicht dazu, den deutschen Imperialismus in den europäischen Staatenbund einzubinden und unter Kontrolle zu halten, sondern ist zum Instrument der größten und mächtigsten Banken und Konzerne geworden, von denen viele ihren Sitz in Deutschland haben.

Die Bundesregierung nutzt den Euro und die Europäische Zentralbank (EZB), um die Kapitalströme nach Deutschland zu lenken, die schwächeren Länder Europas auszuplündern und zu dominieren. Sie zwingt gewählte Regierungen zum Rücktritt und ersetzt sie durch ihr genehme Experten-Regierungen. Sie setzt Parlamentsentscheidungen und Gerichtsurteile außer Kraft. Das Diktat aus Brüssel und Berlin zerstört die Sozialsysteme, bringt Millionen Rentner um ihr verdientes Altersgeld und treibt unzählige Familien in Not und Elend. Vor 70 Jahren terrorisierten die Nazis und die Wehrmacht Europa, heute sind es die Troika und die Deutsche Bank.

Unter diesen Bedingungen verschärfen sich die sozialen Spannungen. Unzufriedenheit, Wut und Empörung wachsen. Angesichts der nicht endenden sozialen Angriffe verlieren breite Bevölkerungsschichten das Vertrauen in die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit und die moralische Berechtigung des Kapitalismus. In bürgerlichen Medien wird offen darüber diskutiert, wie lange es noch dauert, bis Europa „lichterloh brennt“.

In Griechenland, Spanien und Portugal hat sich der Widerstand in Massenprotesten und zahlreichen Generalstreiks entladen. Doch die Gewerkschaften und pseudolinke Organisationen sorgten dafür, dass sie wirkungslos blieben und weder die amtierenden Regierungen noch die Europäische Union gefährdeten.

Die Interessen von Arbeitern, Jugendlichen, Arbeitslosen und Rentnern finden im offiziellen politischen Leben Europas keinen Ausdruck mehr. Doch unter der politischen Oberfläche braut sich ein gewaltiger sozialer Sturm zusammen. Als Reaktion darauf rücken die Parteien enger zusammen. Egal ob sie sich konservativ, liberal, sozialdemokratisch, grün oder links nennen, unterstützen alle etablierten Parteien das Spardiktat der EU oder versuchen, die Opposition dagegen in rechte, chauvinistische Bahnen zu lenken.

Die Gewerkschaften integrieren sich immer deutlicher in den Staatsapparat. Sie verteidigen die nationalen Interessen und fungieren als Unternehmensberater für Massenentlassungen, Lohnsenkung und Sozialabbau.

Bei Opel hat die IG Metall die Aufgabe übernommen die Stilllegung des Werks in Bochum zu organisieren und jeden Widerstand dagegen zu unterdrücken. Der Masterplan zur ersten Schließung eines Autowerks seit Kriegsende wurde in der Zentrale der IG Metall entworfen, die ihn in allen Werken außerhalb Bochums durchsetzte. Die Bochumer Beschäftigten wurden systematisch isoliert. Gleichzeitig fungieren die Betriebsfunktionäre der IG Metall wie eine Art Betriebspolizei, um jede selbständige Regung der Arbeiter im Keim zu ersticken.

Nicht anders handeln Verdi bei Lufthansa und im öffentlichen Dienst und die GEW bei den Lehrern. Überall in Europa suchen Arbeiter nach Möglichkeiten, die bürokratische Zwangsjacke der Gewerkschaften zu durchbrechen.

Die herrschende Klasse reagiert auf die zunehmenden sozialen Spannungen wie sie es vor 80 Jahren getan hat: mit der Einschränkung demokratischer Rechte und der Aufrüstung des Staatsapparats im Innern und Militarismus nach außen.

Demokratische Wahlen sind zu einer inhaltslosen Hülle verkommen. Unabhängig davon, was die Wähler entscheiden, wird die Politik jeder Regierung durch die Finanzmärkte bestimmt. So haben die Wähler in Italien dem verheerenden Sparkurs der Regierung Monti im Februar eine massive Abfuhr erteilt, nur um nach zwei Monaten politischen Geschachers eine Große Koalition vorzufinden, die exakt dieselbe Politik fortsetzt. Auch in Deutschland werden die Interessen der Wirtschaft die Politik der nächsten Regierung bestimmen, unabhängig davon, wer die Bundestagswahl im September gewinnt.

In ganz Europa wird der Staatsapparat intensiv aufgerüstet und der staatliche Überwachungsapparat kontinuierlich ausgebaut, um jeden sozialen Widerstand zu unterdrücken. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht die Trennung von Polizei und Geheimdiensten weitgehend aufgehoben und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Inneren legitimiert. Als Vorbild dienen die USA, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit dem Department of Homeland Security einen gewaltigen Überwachungs- und Polizeiapparat aufgebaut haben.

Eine besonders üble Rolle bei der Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung und der politischen Unterdrückung der Arbeiter spielen die diversen Linksparteien in Europa (SYRIZA in Griechenland, der Parti de gauche in Frankreich, Rifondazione Comunista in Italien und Die Linke in Deutschland, um nur einige zu nennen) und ihr pseudolinker Anhang.

Sie alle verteidigen die Europäische Union, das wichtigste Werkzeug der sozialen Konterrevolution in Europa. Wo diese Parteien selbst Regierungsverantwortung übernehmen, kürzen sie die Sozialausgaben und stärken den Staatsapparat. In Berlin war die Linkspartei während ihrer zehnjährigen Regierungszeit an der Seite der SPD nicht nur für massive soziale Angriffe, sondern auch für die Verschärfung des Landespolizeigesetzes verantwortlich. In Brandenburg, wo die Linkspartei seit drei Jahren den Finanzminister stellt, spielt sie die Vorreiterrolle bei der Einhaltung der Schuldenbremse auf Länderebene und baut 8.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst ab.

Die rechte Politik dieser Linksparteien hat tiefe objektive Ursachen. Sie sprechen für wohlhabende gesellschaftliche Schichten, die materiell von den Angriffen auf die Arbeiterklasse und der Verschärfung der Ausbeutung profitieren. Ungeachtet ihres Namens handelt es sich um rechte bürgerliche Parteien, die der Arbeiterklasse feindlich gegenüberstehen. Lafontaines und Wagenknechts Anpassung an die Alternative für Deutschland und deren nationalistische Anti-Euro-Position macht deutlich, wie wesensverwandt diese Parteien sind.

Angesichts der zugespitzten sozialen und politischen Krise gewinnt der Aufbau einer neuen revolutionären Führung der Arbeiterklasse große Bedeutung und Dringlichkeit. Das ist nur auf den programmatischen Grundlagen des Internationalen Komitees der Vierten Internationalen möglich, in deren Mittelpunkt der Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa steht.

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