Drei Jahre nach der Loveparade-Katastrophe: Neue Gutachten belasten Verantwortliche

Neue Gutachten zur Duisburger Loveparade-Katastrophe vom 24. Juli 2010 belasten die Verantwortlichen und Organisatoren schwer.

Knapp drei Jahre nach der Tragödie, bei der einundzwanzig Menschen zu Tode gequetscht und Hunderte verletzt und traumatisiert wurden, ist noch gegen keinen der Verantwortlichen Anklage erhoben worden. Gegen fünfzehn Beschuldigte wird ermittelt, eine weitere Person starb in der Zwischenzeit. Nun scheinen die Ermittlungen und Untersuchungen dem Abschluss nahe zu stehen. Laut Süddeutscher Zeitung gehen Justizkreise „davon aus, dass es im Sommer [2013] auch zu Anklagen kommen kann“.

Im März legte G. Keith Still, Professor für „Crowd Science“ am „International Centre for Crowd Management and Security Studies“ [Internationales Zentrum für Massenmanagement und Sicherheitsstudien] im britischen High Wycombe, sein drittes Gutachten vor. Das erste hatte er bereits 2011 präsentiert. Es erhebt erhebliche Anschuldigungen gegen Verantwortliche der Stadt Duisburg und gegen den Veranstalter Lopavent.

Still weist in seinem Gutachten nach, dass die Vorstellungen der Veranstalter von Anfang an nicht umsetzbar waren. Auf der Rampe, auf der es zu dem tödlichen Gedränge kam, befanden sich weit mehr durchgehende Besucher, als diese fassen konnte. Durch Umzäunungen wurde die Rampe zusätzlich verkleinert.

Laut Still wurden entsprechende Berechnungen versäumt. Die Behörden erteilten die Genehmigung, obwohl sie mit einfachen Kalkulationen hätten gegenrechnen und erkennen können, dass sich ein Desaster ankündigte. Außerdem weist der Brite die Behauptung einer Massenpanik zurück – die Menschen wurden nicht infolge einer Panik erdrückt, sondern weil sie keinen Platz zum Ausweichen hatten.

Darüber hinaus wurden Berechnungen bewusst gefälscht, was zur Folge hatte, dass ein „Frühwarnsystem“ versagte. Wie die Süddeutsche Zeitung ausführt, wurden die Teilnehmer am Tag der Katastrophe per Hand, über Hubschrauber- und über Rasterbilder gezählt. Dabei sei ein mathematischer Mittelwert berechnet und dabei ein unglaublicher Fehler begangen worden: „Meldete eine Kontrollstelle keine Daten, wurde sie mit Null in die Tabelle eingefügt. (…) Letztlich wusste niemand so genau, wie viele Menschen sich auf dem Gelände befanden.“

Noch am Veranstaltungstag wurde die zulässige Zahl von Personen pro Quadratmeter von den Verantwortlichen der Stadt erhöht. Nach Still durfte die Zahl von zwei Menschen pro Quadratmeter nicht überschritten werden, in Duisburg standen indessen bis zu zehn Menschen auf einem Quadratmeter.

Das Unternehmen Lopavent, verantwortlich für die Organisation, und sein Geschäftsführer Rainer Schaller, Inhaber der Fitness-Kette McFit, hatten im Vorfeld eine Million Besucher angekündigt. Weder eine korrekte Errechnung der Besucherzahl noch deren Beschränkung waren erwünscht. Passenderweise waren auch die Tunnelkameras, die eine Zählung ermöglicht hätten, gerade defekt.

Es sollte unbedingt verhindert werden, dass die Loveparade aus Sicherheitsgründen nicht stattfinden konnte, wie es 2009 in Bochum der Fall gewesen war, wo die Stadtverantwortlichen das bereits angekündigte Event absagen mussten. Der Eifer, mit dem der damalige (und inzwischen durch Bürgerentscheid abgesetzte) Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) sich um die Veranstaltung „kümmerte“, ist gut dokumentiert (vgl. Die Arroganz der Verantwortlichen nimmt kein Ende).

Um die Kosten der Veranstaltung möglichst niedrig zu halten, lehnte Lopavent aufwändige und kostspielige Sicherheitsvorkehrungen ab – darunter ein elektronischer Besucherzähler, die Aufstellung von Lautsprecheranlagen sowie eine ausreichend Zahl von Ordnungskräften.

Schaller versucht seinen Kopf mit der Behauptung aus der Schlinge zu ziehen, er sei nicht an den Vorbereitungen beteiligt gewesen. Doch Angestellte seiner Firma haben bezeugt, dass er auf Einsparungen drängte. Auch eine entsprechende E-Mail liegt den Ermittlern vor.

Laut einem weiteren Gutachten, über das das Focus-Magazin berichtet, hat Lopavent auf gravierende Weise Sicherheitsvorkehrungen ignoriert, indem es nur 234 von 640 vorhandenen Ordnungskräften für das 100.000 Quadratmeter umfassende Showgelände abstellte.

Laut dem Gutachten, das die Staatsanwaltschaft Duisburg bei der Firma Invita Consult in Auftrag gegeben hat, konnte „von erfahrenen Kräften … keine Rede sein“. Als sich die Tragödie ereignete und sich im Aufgang zum Party-Areal ein Menschenstau bildete, waren die acht Ordner an dieser Stelle völlig überlastet. Um Kosten beim Personal einzusparen, war auch ein fünfter Notausgang gestrichen worden.

Laut Focus liegen der Staatsanwaltschaft interne E-Mails vor, die belegen, dass die Organisatoren im Vorfeld der Veranstaltung enormen Druck auf die Stadtverantwortlichen ausübten, die Genehmigung zu erteilen. Schaller habe einen Juristen vorgeschickt, der den Lopavent-Planern dezidierte Hinweise gegeben habe, „gesetzliche Vorgaben zu umgehen“. Außerdem sei den E-Mails zu entnehmen, dass er bei den Besucherzahlen „getrickst“ habe, „um die städtischen Gemüter zu beruhigen“.

Als die damalige Amtsleiterin für Baurecht und Bauordnung im Frühjahr 2010 offen Bedenken an der Umsetzbarkeit der Pläne äußerte und Mängel nannte, die schließlich zur Katastrophe führen sollten, schalteten sich Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe (CDU) und dessen Amtsleiter Hans-Peter Bölling ein. Sie ließen ein Gutachten erstellen, um die Genehmigung zu rechtfertigen. Laut Focus kassierte Verkehrsforscher Michael Schreckenberg, „bekannt für veranstalterfreundliche Gutachten“, 20.000 Euro Honorar von der Stadt Duisburg. Ein „richtiges Gutachten“ liege indessen nicht vor, obwohl die Genehmigung kurz vor der Veranstaltung erteilt wurde.

Die Tragödie von Duisburg zeigt, mit welchem Zynismus die herrschende Elite und ihre Handlanger in der Politik auf die Bevölkerung herabblicken. Aus reiner Profitsucht haben sie elementare Sicherheitsvorkehrungen missachtet, was schließlich einundzwanzig Menschen das leben kostete.

Mit abstoßender Arroganz wehren sich die Verantwortlichen gegen die Vorwürfe. Schaller, Sauerland und Rabe (im Gegensatz zu Sauerland noch im Amt) „delegieren“ ihre Verantwortung nach unten, auf weisungsgebundene Beschäftigte, die leicht zu opfern und zu ersetzen sind. Für die Hinterbliebenen der zu Tode Gequetschten haben sie nur Hohn übrig: noch vor Beginn des Prozesses soll der Versicherungskonzern Axa ihnen ein Schmerzensgeld „von rund 2.000 Euro pro Person“ angeboten haben.

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