Perspektive

Infrastruktur eines Polizeistaats

Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden hat die Infrastruktur eines Polizeistaats aufgedeckt, der den Überwachungsapparat totalitärer Diktaturen wie des deutschen Nazi-Regimes in den Schatten stellt.

Amerikanische und europäische Geheimdienste überwachen und speichern die Kommunikationsdaten von hunderten Millionen Bürgern. Gestützt auf die Metadaten der Verbindungen können sie selbst im Nachhinein lückenlose Bewegungsprofile erstellen und herausfinden, wer zu wem Kontakt hält. Das wiederum versetzt sie in die Lage, gezielt die Inhalte von Gesprächen und Mails herauszufiltern.

Das Recht auf Privatsphäre, ein elementares Menschenrecht, das in der amerikanischen und jeder europäischen Verfassung verankert ist, und das daraus abgeleitete Post- und Fernmeldegeheimnis bleiben dabei auf der Strecke. Die Abhörmaßnahmen sind derart offenkundig illegal, dass die Geheimdienste sie oft an ausländische Partnerdienste delegieren, um die eigenen nationalen Gesetze nicht allzu sichtbar zu verletzen.

Die Enthüllungen Snowdens zeigen dabei nur die Spitze des Eisbergs. Sie konzentrieren sich auf seinen früheren Arbeitgeber, die National Security Agency (NSA), und deren Partnerorganisationen – die britischen Government Communications Headquarters (GCHQ), den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND), die französische Direction générale de la sécurité extérieure (DGSE) – die offiziell Auslandsspionage betreiben. Kaum berücksichtigt werden die Aktivitäten von militärischen und Inlandsgeheimdienste sowie entsprechender Abteilungen der Polizei, die ebenfalls Zugriff auf die gesammelten Daten haben.

Das Ausmaß des Überwachungsapparats ist gigantisch. Allein die US-Dienste beschäftigen Hunderttausende Mitarbeiter. Genaue Zahlen sind schwer zu erhalten, da sie oft geheim sind. Eine Untersuchung der Washington Post fand aber heraus, dass 2010 ungefähr 854.000 Amerikaner über eine Unbedenklichkeitserklärung der höchsten Sicherheitsstufe (top-secert security clearance) verfügten. Die Zahl der Geheimdienstmitarbeiter entspräche damit etwa der Hälfte der 1,8 Millionen Lehrer, die an amerikanischen Grundschulen unterrichten.

In Europa dürften die Zahlen ähnlich hoch liegen. Genaue Schätzungen sind aufgrund der Vielzahl von Ländern und Geheimdiensten kaum möglich. Allein in Deutschland existieren neben dem BND noch der Militärische Abschirmdienst sowie das Bundesamt und 16 Landesämter für Verfassungsschutz.

Die Behauptung, dieser orwellsche Überwachungsapparat diene der Abwehr von Terror, ist offensichtlich absurd. Es ist nicht nötig, hunderte Millionen Bürger zu überwachen, um eine Handvoll Terroristen aufzuspüren, die in den meisten Fällen ohnehin Verbindungen zu den Geheimdiensten unterhalten oder unter deren Augen agieren.

Das wirkliche Zielobjekt der geheimdienstlichen Überwachung ist die große Mehrheit der Bevölkerung. In ihr sieht die herrschende Klasse ihren eigentlichen Feind. Um dies zu verstehen, genügt ein Blick auf die sozialen Statistiken und auf die fortschreitende soziale Konterrevolution.

So verfügen in den USA die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung über die Hälfte aller Einkommen und über drei Viertel aller Privatvermögen, während 15 Prozent unter der offiziellen Armutsgrenze von 16.300 Euro für eine vierköpfige Familie im Jahr leben. In Europa führen die von der EU erzwungenen Spardiktate nicht nur zu Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg, sondern auch zum Tod. In Griechenland haben nach fünf Sparpaketen 40 Prozent der Bevölkerung keine Krankenversicherung und damit kein Anrecht auf gesundheitliche Versorgung mehr.

Die herrschende Klasse spürt die wachsende Empörung und reagiert darauf, indem sie die gesamte Bevölkerung unter ständige Aufsicht stellt. Dabei beschränkt sie sich nicht auf passive Beobachtung. Spitzt sich der Klassenkampf wie derzeit in Ägypten zu, werden die Persönlichkeitsprofile und Adressen in den gigantischen Datenbanken der Geheimdienste benutzt, um Verhaftungslisten zu erstellen und gegen politische Führer vorzugehen.

Wozu die herrschende Klasse dabei fähig ist, zeigt das Schicksal Edward Snowdens. Der 30-Jährige muss um sein Leben fürchten und wird auf dem ganzen Planeten gejagt, weil er den Mut hatte, die kriminellen Machenschaften der NSA aufzudecken. Selbst der gewählte Staatschef eines souveränen Staates ist vor den Machenschaften des US-Geheimdiensts nicht sicher, wie die erzwungene Landung des bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien zeigt.

Auch zu Provokationen und Terrorakten sind die Geheimdienste in der Lage, wie dies unter anderem die Aktivitäten der geheimen Nato-Organisation Gladio im Italien der 1970er und 80er Jahre zeigten. Wegen einem ähnlich gelagerten Fall, der sogenannten Bombenlegeraffäre, muss der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker voraussichtlich heute zurücktreten. Auch in Deutschland tauchen immer neue Hinweise auf, dass der Verfassungsschutz direkt in die rassistische Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verstrickt ist.

Der Fall Snowden beinhaltet wichtige Lehren. Es wäre gefährlich, bei der Verteidigung demokratischer Rechte auf die Gesetzes- und Verfassungstreue der herrschenden Klasse zu vertrauen. Sie trampelt über die elementarsten Grundrechte hinweg und greift zu den Methoden eines Polizeistaats, um ihren Reichtum und ihre Privilegien zu verteidigen. Die Verteidigung demokratischer Rechte erfordert ebenso wie der Kampf gegen Sozialabbau eine Massenbewegung der Arbeiterklasse, die sich gegen das kapitalistische Profitsystem richtet.

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