Die amerikanische Terrorpanik

In den letzten drei Tagen versuchte, die amerikaniche Regierung erneut, die Bevölkerung durch eine Terrorwarnung in Angst und Schrecken zu versetzten. Das Vorgehen folgte einem seit dem 11. September bekannten Muster.

Führende Vertreter der Exekutive geben vage, ominöse Warnungen heraus. Führende Mitglieder des Kongresses wiederholen die Warnungen nach geheimen Informationstreffen mit den Nachrichtendiensten. Die Medien verstärken die Warnung unkritisch, um die Bevölkerung zu überrumpeln. Keine einzige Stimme regt sich, die die Behauptung oder die Prämissen dieser Panikmache hinterfragt.

Aus der internationalen Reisewarnung und der Schließung amerikanischer diplomatischer Einrichtungen im Nahen Osten, die am Freitag verkündet wurde, ergeben sich eine Reihe von Fragen.

Zuerst einmal das Timing der Maßnahmen. Sie erfolgen, nachdem fast zwei Monate lang ununterbrochen neue Informationen enthüllt wurden, dass die Regierung in massivem Umfang ihre Bevölkerung ausspioniert und unter anderem Metadaten und den Inhalt von Telefongesprächen und E-Mails fast jeder Person in den USA sammelt.

Die Obama-Regierung wurde von den Informationen, die der ehemalige Mitarbeiter der National Security Agency (NSA) Edward Snowden mit Unterstützung des Guardian-Journalisten Glenn Greenwald veröffentlicht hat, in die Defensive gedrängt.

Nur zwei Tage vor der Warnung des Außenministeriums erlitt das Weiße Haus eine Niederlage, als Russland Snowden für ein Jahr Asyl gewährte. Snowden konnte damit den Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo verlassen und eine Unterkunft in Russland finden, sodass die Gefahr gebannt ist, dass er sofort in eine amerikanische Gefängniszelle oder Folterkammer abgeschoben wird.

Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass trotz der Hetzkampagnen der Obama-Regierung und der Führung der Demokratischen und Republikanischen Partei die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung Snowden weiterhin als Whistleblower sieht, der aus Prinzipientreue die Verbrechen der US-Regierung enthüllt, und nicht als einen Spion oder Verräter. Die Massenüberwachung der NSA wird ebenfalls von einer Mehrheit als Bedrohung für demokratische Rechte angesehen.

Die Kongressführer, die am Sonntag morgen die Fernsehtalkshows bevölkerten, bezeichneten die neueste Terrorwarnung als nachweislichen Erfolg der Rasterfahndung durch die NSA. Der republikanische Senator Lindsey Graham erklärte auf CNN: „Das NSA-Programm hat sich wieder als nützlich erwiesen... Wer es begrenzen will, macht uns weniger sicher und setzt unsere Nation Risiken aus.“

Saxby Chambliss, ein führender Republikaner im Geheimdienstausschuss des Senats, berief sich auf die Anschläge vom 11. September und sagte in der NBC-Sendung Meet the Press: „Da draußen gab es viel Gequatsche... über die Planungen, die stattfinden, ähnlich wie vor dem 11. September.“ Mit Bezug auf die Überwachungsprogramme der NSA erklärte er: „Wenn wir diese Programme nicht hätten, könnten wir auch die Bösen nicht abhören.“

Die amerikanischen Medien haben ihre übliche widerliche Rolle gespielt und unkritisch die Behauptungen der Regierung als Tatsachen dargestellt, um eine Atmosphäre der Angst und Anspannung zu schaffen. Es gab nicht den kleinsten Hinweis darauf, dass sich solche Warnungen in der Vergangenheit als unbegründet herausgestellt haben, und keine Erwähnung der Tatsache, dass die Regierung die Bevölkerung oft genug belogen hat – von den Lügen, mit denen der Einmarsch im Irak gerechtfertigt wurde bis hin zu den Lügen der Obama-Regierung über das Überwachungsprogramm.

Die New York Times deutete in ihrer Schilderung die wahren politischen Motive hinter den alarmistischen Warnungen der Regierung an. „Einige Analysten und Funktionäre im Kongress hatten am Freitag vorgeschlagen, die Aufmerksamkeit von der Empörung über die Datensammelprogramme der NSA abzulenken, und jetzt eine Terrordrohung zu lancieren. Und wenn sich dabei herausstellt, dass durch die Überwachung eine Verschwörung aufgedeckt wurde, wäre das noch besser.“

Vertreter der Obama-Regierung haben keine Beweise für ihre Behauptung vorgelegt, es gäbe eine neue, unmittelbare Terrorgefahr, und sie haben zugegeben, dass keine spezifischen Ziele identifiziert wurden. Die Mitteilung des Außenministeriums am Freitag nannte nur mögliche Terranschläge auf Touristengebiete, U-Bahnen, Züge, Flug- und Schifffahrtslinien, eine Charakterisierung, die zwar vorsätzlich angsteinflößend klingt, aber so vage ist, dass sie bedeutungslos wird.

Das soll nicht heißen, dass es nicht zu Terroranschlägen auf Einrichtungen der US-Regierung oder sogar amerikanische Bürger im Ausland geben könnte. Die amerikanische Außenpolitik, die auf der ständigen Drohung mit oder der tatsächlcihen Anwendung von militärischer Gewalt gegen mögliche Gegner basiert – ganz abgesehen von den häufigen Mordanschlägen mit Drohnen in einem halben Dutzend Länder sowie der Unterstützung für die brutalen Ölscheichtümer und die Unterdrückung der Palästinenser durch Israel – führt ständig zu Widerstand, der die Form von Terrorismus annehmen könnte.

Außerdem gibt es Elemente im amerikanischen Staats- und Geheimdienstapparat, die solche Anschläge als Gelegenheit sehen würden, ihr Vorgehen im In- und Ausland zu verstärken und ihre Vollmachten zu vergrößern. Die US-Regierung hat genug Mittel zur Verfügung, um solch eine Provokation zu konstruieren.

Es ist eine bekannte Tatsache, von der die Medien jedoch kaum berichten, dass fast alle Terroranschläge oder versuchten Anschläge in den USA, seit dem 11. September, bis hin zum Bombenanschlag auf den Bostoner Marathon, von Personen verübt wurden, die entweder mit Regierungsagenten zusammenarbeiteten oder von Polizei und Geheimdiensten überwacht wurden.

Während das Weiße Haus und die Medien Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel, die vom Jemen aus operiert, die Schuld geben, wurde während der ganzen Hetzkampagne der Medien nicht auf das stillschweigende Bündnis der USA mit Al Qaida im syrischen Bürgerkrieg hingewiesen, oder auf die Beziehungen zu radikalen Islamisten während des Sturzes und der Ermordung von Muammar Gaddafi in Libyen.

In den amerikanischen Medien hat es in den letzten Monaten, vor allem nach den Enthüllungen über die NSA, oft Äußerungen gegeben, dass ein neuer großer Terroranschlag die Feindschaft in der Bevölkerung gegenüber der wachsenden Macht des Militär- und Geheimdienstkomplexes schnell ins Gegenteil verkehren könnte. In dieser Hinsicht sind die USA „einen Terroranschlag von der Verhängung des Kriegsrechtes entfernt.“

Das Modell hierfür, wie auch für einen Großteil des Aufbaus der Macht von Militär und Polizei in Amerika, ist das Dritte Reich. Im Jahr 1933 wurde der Reichstagsbrand, der einem kommunistischen Arbeiter in die Schuhe geschoben wurde, als Vorwand genutzt, um Hitler diktatorische Vollmachten zu geben. Später kam heraus, dass der Anschlag von der Gestapo organisiert und geleitet wurde.

Es gibt natürlich bedeutende Unterschiede zwischen den USA im Jahr 2013 und Deutschland im Jahr 1933. Aber die extremen sozialen Antagonismen, die den deutschen Kapitalismus dazu brachten, die Nazis einzusetzen, um die Arbeiterklasse zu unterdrücken, finden sich heute auch in den USA wieder. Nirgendwo in der Welt ist die soziale Kluft zwischen der herrschenden Elite und der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung so akut wie in Amerika.

Der nationale Sicherheitsapparat ist außerdem ein zunehmend unabhängiger und bestimmender Faktor im politischen Leben der USA. Das Militär, die Polizei und die Geheimdienste stellen fast 90 Prozent aller Beschäftigten der Bundesregierung, das sind fast drei Millionen Menschen. Inklusive Reservisten und zivilen Mitarbeitern von Militär, Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden wären es bis zu 5,5 Millionen.

Es ist diese Kombination aus wachsender sozialer Ungleichheit und dem Anwachsen von Militarismus und Unterdrückung, die für die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung eine so enorme Gefahr darstellen. Obama ist keineswegs eine Alternative zu seinem Vorgänger, sondern hat den Aufbau von Unterdrückungsstrukturen der Bush-Regierung auf beispiellose Weise erweitert.

Seit mehr als zehn Jahren wird der „Krieg gegen den Terror“ als übergeordneter Vorwand für den Aufbau der Infrastruktur eines Polizeistaates genutzt. Dazu gehören der Patriot Act, das Ministerium für Heimatschutz, das Northern Command des Pentagon, das Gefangenenlager Guantanamo Bay, Militärkommissionen, unbegrenzte Haft, außergerichtliche Drohnenmorde und das umfassende Ausspionieren der Bevölkerung.

Diese Vorbereitungen stoßen jetzt zunehmend auf Widerstand der arbeitenden Bevölkerung in den USA und weltweit, der sich zuerst in der Unterstützung der Öffentlichkeit für die Enthüllung der Verbrechen der amerikanischen Regierung durch Bradley Manning, Julian Assange und Edward Snowden äußert.

Es ist die Pflicht der arbeitenden Bevölkerung, der Jugendlichen und Studenten in den Vereinigten Staaten und international, diese mutigen Männer zu verteidigen. Der Kampf für die Freiheit derjenigen, die ins Fadenkreuz des US-Imperialismus geraten, weil sie seine Verbrechen aufdecken, muss zum Ausgangspunkt einer Offensive zur Verteidigung demokratischer Rechte werden. Diese Bewegung muss bewusst als Teil einer politischen Bewegung der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus entwickelt werden, der die Ursache von Krieg, sozialer Ungleichheit und Diktatur ist.

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