Perspektive

Obamas Rede und die politische Krise in Amerika

In seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen legte US-Präsident Barack Obama am Dienstag eine amerikanische Doktrin von Aggressionskriegen im Nahen Osten dar. Sie steht im direkten Gegensatz zur Charta der Vereinten Nationen und zu den grundlegendsten Konzepten internationalen Rechts.

Die USA, sagte er, seien bereit, „ihre gesamte Macht einschließlich militärischer Gewalt“ einzusetzen, um ihre „Kerninteressen“ im Nahen Osten und Nordafrika wahrzunehmen, wobei diese Kerninteressen vor allem den „freien Fluss von Energierohstoffen aus der Region“ betreffen.

Diese Doktrin der amerikanischen Außenpolitik hat eine lange Vorgeschichte. Sie wurde in leicht unterschiedlicher Form von den Präsidenten Eisenhower, Carter sowie von Bush sen. Und Bush jun. formuliert und mit militärischen Interventionen, zum Beispiel im Libanon, dem Golfkrieg von 1991, der Invasion im Irak 2003 und dem Krieg von USA und Nato gegen Libyen umgesetzt. Hinzu kamen zahlreiche weitere, kleinere verdeckte Operationen, Bombardierungen und Cruise Missile-Angriffe.

So kurz nach dem erzwungenen Verzicht auf den Einsatz militärischer Gewalt gegen Syrien klingt die Bekräftigung dieser Politik etwas hohl. Obama sah sich gezwungen, von einem unmittelbar bevorstehenden militärischen Angriff Abstand zu nehmen, weil er mit überwältigender Opposition im In- und Ausland konfrontiert war.

Zunächst zeigte sich dies in der Weigerung des britischen Unterhauses, einer Kriegsresolution zuzustimmen. Damit kam Washington sein wichtigster internationaler Verbündeter für den Angriff auf Syrien abhanden. Dann traf Obama auf eine derart starke Antikriegsstimmung im eigenen Land, dass er in die politisch untragbare Situation geriet, damit rechnen zu müssen, dass seine Kriegsermächtigungsresolution im Kongress scheitern werde.

In dieser Situation sprang Russland Obama mit dem Vorschlag zur Seite, die syrischen Chemiewaffen abzurüsten. Die US-Regierung ergriff diesen Strohhalm, um sich aus einer tiefen Krise zu befreien.

In diesem Zusammenhang stellt Obamas Rede eine bedeutsame taktische Anpassung seitens des US-Imperialismus dar. Der Präsident befürwortet eine „diplomatische Lösung“ des Streits über Syriens Chemiewaffen und eine „politische Lösung“ für den seit zwei Jahren andauernden Bürgerkrieg. Diesen Bürgerkrieg hat Washington selbst angeheizt, indem es islamistische Milizen finanzierte und bewaffnete, um die Regierung von Bashar al-Assad zu stürzen.

Zum Iran, der das eigentliche Ziel der amerikanischen Intervention in der Region und auch in Syrien ist, sagte Obama: „Washington strebt keinen Regimewechsel an.“ Er sagte: „Ich bin überzeugt, dass der diplomatische Weg eine Chance erhalten muss.“ Er gab bekannt, dass Außenminister John Kerry seinen iranischen Amtskollegen treffen werde, um ein Abkommen über das Atomprogramm des Iran zu erarbeiten.

Es darf bezweifelt werden, dass die Regierung sich wirklich im Klaren darüber ist, wohin dieser Weg sie führt. Angesichts der politischen Hindernisse, die einem militärischen Vorgehen im Weg stehen, ist er möglicherweise nur ein Versuch, Zeit zu gewinnen. Der Weg durch die diplomatischen Kanäle soll wohl vor allem beweisen, dass diese fruchtlos bleiben, weil Syrien und der Iran sich stur stellen, und dass nur kriegerische Mittel übrig bleiben. Wird der „Test“ eines diplomatischen Wegs unternommen, dann ist darin auch impliziert, dass militärische Maßnahmen folgen, sollte er scheitern.

Auf der anderen Seite war der Iran in der Vergangenheit lange Zeit ein Stützpfeiler der amerikanischen Politik im Mittleren Osten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Führer der islamischen Republik, eines rechten bürgerlichen Regimes, versuchen, ein Geschäft mit dem „Großen Satan“ zu machen. Wenn die Iraner allerdings sehen, was Washington im Gegenzug für eine Lockerung der schmerzhaften Sanktionen verlangt, werden sie möglicherweise „schockiert“ sein, wie es ein amerikanischer Sprecher ausdrückte.

Unabhängig von kurzfristigen Schwenks bleiben die räuberischen strategischen Ziele des US-Imperialismus die gleichen. Auch wenn unmittelbare militärische Maßnahmen verschoben worden sind, bleibt die Gefahr eines Krieges bestehen. Sie wurzelt in tief sitzenden Widersprüchen und in der Krise des amerikanischen Kapitalismus.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bestand die Politik der USA in den letzten beiden Jahrzehnten darin, die militärische Überlegenheit des amerikanischen Imperialismus einzusetzen, um dem Verfall seiner wirtschaftlich beherrschenden Stellung entgegenzuwirken. Das hat in erster Linie die Form einer ganzen Reihe von Kriegen und Interventionen in den strategisch wichtigen und ölreichen Regionen des Persischen Golfs und Zentralasiens angenommen.

Es ist aber keineswegs sicher, dass der Einsatz der militärischen Mittel Washingtons seinen Zielen auch wirklich gedient hat, Jeder dieser Kriege hat in einem Debakel geendet. Während sich Obama mit der Beendigung des Kriegs im Irak brüstet, sieht die Realität so aus, dass jeden Monat mehr als tausend Menschen Opfer religiös motivierter politischer Gewalt werden. Die Regierung des Irak ist zudem enger mit dem Iran verbündet als mit den USA. In Afghanistan, behauptet Obama, hätten die amerikanischen Besatzungstruppen „ihre Mission erfüllt“. Aber in Wirklichkeit droht das Ergebnis so schlimm zu werden wie im Irak, wenn nicht noch schlimmer. Und Libyen wird immer noch von gewaltsamen Zusammenstößen rivalisierender Milizen erschüttert, während China vor dem Abschluss seiner größten Ölkontrakte zu stehen scheint.

Angesichts dieser Bilanz ist nicht nur die Bevölkerung stark gegen eine Intervention in Syrien eingenommen, sondern auch im herrschenden Establishment herrscht beträchtliches Zögern. Außenminister Kerry hatte versprochen, dass diese militärische Aktion in einem „unglaublich kleinen“ Schlag bestehen werde. Doch im Gegenteil drohte die Militäraktion in einen Krieg mit unkalkulierbaren Konsequenzen zu münden und hätte sich zu einer Konfrontation mit dem Iran und sogar Russland ausweiten können. Auch Russland hat inzwischen seine Marinepräsenz im östlichen Mittelmeer hochgefahren.

Es wurde auch immer deutlicher, dass die Kampagne für einen Regimewechsel in Damaskus ein klares Element von Abenteurertum enthielt. Die USA stützt sich auf al-Qaida Elemente und auf eine Opposition, die in sich gegenseitig bekämpfende kriminelle Banden zerfällt.

Das amerikanische Establishment muss die tiefen Widersprüche in seiner Politik analysieren und sich fragen, welche Folgen es hat, wenn ein militärisches Eingreifen nicht die geringste Unterstützung in der Bevölkerung hat. Außerdem muss es die militärischen Folgen eines Angriffs auf Syrien in Rechnung stellen, falls er sich zu einem größeren Krieg entwickeln sollte.

Die Tatsache, dass Obama die Nahost-Kriegsdoktrin vor den UN bekräftigte, und seine rhetorische Verteidigung der „amerikanischen Einzigartigkeit“ zeigen, dass er sich an das einheimische Publikum richtet. Im Staatsapparat und in den militärischen und Geheimdienstabteilungen gibt es starke Kräfte, die absolut entschlossen sind, eine militärische Intervention zu führen, und jedes Schwanken als Verrat empfinden. Diese Kräfte werden durch beträchtliche politische Elemente in beiden bürgerlichen Parteien – nicht zuletzt durch die Israel-Lobby – verstärkt, die alle Verhandlungen mit dem Iran als Kapitulation betrachten.

Die Gefahr eines Krieges ist daher nicht vorüber. Je weiter die amerikanische Aggression aufgeschoben wird, desto heftiger wird der nächste unvermeidliche Ausbruch des US-Imperialismus erfolgen.

Angelehnt an Leo Trotzki dürfen wir nicht der Landkarte der imperialistischen Diplomatie folgen, sondern der Landkarte des Klassenkampfs. Die Katastrophe eines neuen globalen Kriegs kann nur durch die unabhängige politische Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse im Kampf für die Abschaffung des Kapitalismus verhindert werden.

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