Warum eine Arbeiterregierung notwendig ist

Eine Antwort auf Petra Pau

Am vergangenen Samstag, einen Tag vor der Bundestagswahl, gab die Parlamentsabgeordnete der Linkspartei und Vizepräsidentin des Bundestages Petra Pau dem Nachrichtensender n-tv ein Interview. Darin warf sie der Partei für Soziale Gleichheit vor, an der „Doktrin der Diktatur des Proletariats“ festzuhalten und einen undemokratischen „Avantgardestandpunkt“ zu vertreten.

Auf die Frage des Senders, ob sie andere linke Parteien „wie beispielsweise die DKP, die MLPD und die Partei für Soziale Gleichheit (PSG)“ in Gespräche eingebunden habe, antwortete Pau: „Bei manchen bezweifle ich, dass sie linke Positionen vertreten. Einige dieser trotzkistischen Splittergruppen haben sich immer noch nicht von der Doktrin der Diktatur des Proletariats verabschiedet. Das ist nicht links, wenn man einen Avantgardeanspruch hat und Menschen diktieren will, was für sie gut ist.“

Petra Pau hat an der „Parteihochschule Karl Marx“ in Ostberlin marxistische Gesellschaftswissenschaft studiert und weiß sehr gut, welche Rolle der Begriff „Diktatur des Proletariats“ in der marxistischen Theorie spielt. Trotzdem greift sie auf die abgedroschene antikommunistische Propaganda zurück, um der PSG undemokratische Absichten zu unterstellen.

Es ist nicht neu, dass bürgerliche Ideologen die stalinistische Diktatur in der Sowjetunion und ihre Satellitenregimes in Osteuropa und der DDR als Diktatur des Proletariats bezeichnen und Karl Marx und Friedrich Engels für die stalinistische Unterdrückung verantwortlich machen. Dass Petra Pau diese große Lüge des 20. Jahrhunderts wiederholt, sagt viel über den rechten bürgerlichen Charakter der Linkspartei. Pau spricht sich damit ausdrücklich gegen eine Arbeiterregierung aus, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung höher stellt als die Profitinteressen der Wirtschaft.

Beginnen wir mit den Fakten. In der Erarbeitung einer wissenschaftlichen Gesellschaftstheorie haben Marx und Engels nachgewiesen, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte von Klassenkämpfen ist. Im Anschluss an die frühe Gentilgesellschaft, deren Gleichheit auf allgemeinem Mangel basierte, entwickelte sich mit dem Anwachsen der menschlichen Gemeinschaft eine Klassendifferenzierung.

Die Entwicklung und Veränderung der Klassengesellschaft wurde durch den Stand, bzw. die Entwicklung der Produktionsmethoden bestimmt. An bestimmten Entwicklungspunkten geriet die Produktionsweise in Konflikt mit den alten gesellschaftlichen Verhältnissen. Dann trat eine Periode gesellschaftlicher Umwälzungen (Revolution) ein. In der Französischen Revolution vor gut zweihundert Jahren – und noch deutlicher in der Revolution von 1848 – wurde erstmals das moderne Industrieproletariat sichtbar, und aus dieser Zeit stammt der Begriff „Diktatur des Proletariats“.

„Diktatur“ heißt hier nicht mehr als „Klassenherrschaft“. Weil aber in der Vergangenheit und Gegenwart privilegierte Gesellschaftsklassen immer eine Minderheit darstellten, war deren Herrschaft immer mit Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber der Mehrheit der Gesellschaft verbunden. Anders beim Proletariat. Entstanden mit der Industrialisierung repräsentiert es ein qualitativ neues Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung. War die Klassenherrschaft der Vergangenheit ein Ergebnis der Unfähigkeit, genügend für alle Menschen zu produzieren, so überwand die moderne Industrie diese Begrenzung.

Das Proletariat vertritt nicht mehr die Interessen einer privilegierten Klasse, sondern verkörperte die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung. Seine Klassenherrschaft basiert nicht auf Unterdrückung der Mehrheit durch eine privilegierte Minderheit, sondern umgekehrt: Mit der Herrschaft des Proletariats beginnt die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit, d.h. wirkliche Demokratie. Daher bedeutet die „Diktatur des Proletariats“ tatsächlich das letzte Stadium der Klassenherrschaft und leitet den Übergang zu einer klassenlosen, sozialistischen Gesellschaft ein.

Weil aber eine solche Herrschaft der Mehrheit mit der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und den daraus resultierenden Privilegien der heutigen Elite verbunden ist, schürt das Bürgertum nicht nur eine größtmögliche Verwirrung über diese Fragen, sondern hat von Anfang an jede selbstständige Regung der arbeitenden Bevölkerung, die darauf ausgerichtet war, die politische Macht zu erobern, rigoros bekämpft und unterdrückt. Als die Pariser Arbeiter 1871 erstmals versuchten, eine Arbeiterregierung zu errichten, wurden alle Mitglieder der Kommune zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Zwanzig Jahre später schrieb Friedrich Engels: „Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats.“ (Friedrich Engels, Einleitung zu: Der Bürgerkrieg in Frankreich von Karl Marx, 18. März 1891)

Petra Pau macht deutlich, wie aktuell diese Worte von Engels sind. Ihre Ablehnung einer Arbeiterregierung, die die Bedürfnisse und Interessen der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung den Profitinteressen der Wirtschaft überordnet, geht Hand in Hand mit der Verteidigung der gegenwärtigen Diktatur der Banken.

Seit Frühjahr 2006 ist Pau Vizepräsidentin des Bundestages. Sie spielte eine Schlüsselrolle dabei, die sogenannten Bankenrettungspakete im Eilverfahren durch die Parlamente zu peitschen. Ohne Beratung und ohne Plenardiskussion, ja sogar ohne ausreichend Zeit für die Abgeordneten die umfangreichen Texte auch nur zu lesen, wurden in den europäischen Parlamenten Gesetze verabschiedet, die den Banken 1.600 Milliarden Euro (1,6 Billionen) zur Verfügung stellten. Nun werden diese Gelder zum Teil fällig und durch drastische Sparmaßnahmen und Sozialkürzungen aus der Bevölkerung herausgepresst.

Wann wurde die Bevölkerung gefragt, ob sie einer derart grundlegenden Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zustimmt? Wenn dieses Vorgehen nicht Kennzeichen einer faktischen Diktatur des Finanzkapitals ist, was ist es dann?

Die Linkspartei spielte in dieser Situation ihr bekanntes zynisches Doppelspiel. In der Frage des Eilverfahrens, das nur mit Zustimmung aller Parteien stattfinden kann, stimmte die Fraktionsleitung zu und in der Parlamentsabstimmung, bei der auch ohne ihre Zustimmung eine große Mehrheit sicher war, stimmte sie dagegen. Oskar Lafontaine und Gregor Gysi erklärten später, dass sie die „Bankenrettung“ für unerlässlich hielten.

In allen anderen politischen Fragen ist es ebenso. Man muss sich nur die jüngsten Bundestagswahlen vor Augen führen. Im Wahlkampf wurde jede ernsthafte politische Auseinandersetzung verhindert. Alle Bundestagsparteien stimmten in den wesentlichen Fragen überein. Egal in welcher Form und durch welche Parteienkoalition die kommende Bundesregierung gebildet wird, ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik wird in den Chefetagen der großen Konzerne und Banken entworfen und von den Wirtschaftsverbänden diktiert.

Das gilt in ganz besonderem Maße für die Außenpolitik. Schon bisher beteiligt sich die Bundeswehr an imperialistischen Kriegen wie in Afghanistan, ohne dass die Bevölkerung je dazu befragt worden wäre. Die kommende Bundesregierung wird noch weitaus stärker auf den amerikanischen Druck nach einer stärkeren deutschen Kriegsbeteiligung in Syrien und anderen Ländern reagieren. Trotz großer Kriegsopposition in der Bevölkerung wird diese Politik mit Brachialgewalt durchgesetzt.

Damit nicht genug. Wichtige Teile des gesellschaftlichen Lebens sind selbst von formaler Demokratie völlig ausgeschlossen und lassen nicht die geringste demokratische Kontrolle und Mitwirkung der Bevölkerung zu. In den Chefetagen der großen Konzerne und Banken werden täglich Entscheidungen getroffen, die das Leben breiter Bevölkerungsschichten direkt und indirekt stark betreffen, aber sie unterliegen nicht der geringsten demokratischen Kontrolle oder auch nur Rechtfertigung.

Deshalb fordert die PSG die Enteignung der Banken und großen Konzerne und die Errichtung einer demokratischen Kontrolle durch die Bevölkerung. Nur wenn die Arbeiterklasse die politische Macht erobert und Arbeiterregierungen errichtet, können wirklich demokratische Verhältnisse geschaffen werden.

Paus Attacke auf die PSG hat noch eine finstere Seite. Als Obfrau sitzt sie seit dem vergangenen Jahr im Untersuchungsausschuss zur Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund. Obwohl die Sicherheitsorgane offensichtlich in die Mordtaten der NSU verstrickt sind, betonte Pau immer wieder ihre enge Zusammenarbeit mit der Leitung der Geheimdienste.

Wenn man sich daran erinnert, dass die Frage der Diktatur des Proletariats beim Verbot der KPD 1956 eine wichtige Rolle spielte, liest sich Paus Interview wie eine Denunziation der PSG gegenüber den Sicherheitsbehörden.

Hervorgegangen aus der stalinistischen Diktatur der DDR unterscheidet sich die Linkspartei von den anderen Parteien nur dadurch, dass sie noch weitaus weniger demokratische Traditionen und Prinzipien hat. Sie sieht ihre Hauptaufgabe darin, jede Bewegung von unten im Keim zu unterdrücken, und ruft nach dem Staatsanwalt, um den Aufbau einer revolutionären sozialistischen Partei zu verhindern.

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