Niedersächsischer Verfassungsschutz bespitzelt Journalisten

Der niedersächsische Verfassungsschutz hat über Jahre hinweg illegal Journalisten bespitzelt, die über die Hintergründe der rechtsextremen Szene recherchiert und geschrieben haben.

Die neue Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Maren Brandenburger, teilte Mitte September mit, die betroffenen Journalisten seien durch Stichproben in den mindestens 9.000 Datensätzen der Behörde aufgefallen. Inzwischen seien die Akten über sieben Journalisten gelöscht worden. Die Beschattung umfasste offenbar den Zeitraum von 2006 bis 2012.

Betroffen sind unter anderem die freie Journalistin Andrea Röpke und der Sportjournalist Ronny Blaschke. Beide sind in den letzten Wochen von Brandenburger persönlich telefonisch über die Bespitzelung informiert worden.

Röpke recherchiert seit mehr als zwanzig Jahren über die Hintergründe der rechtsextremen Szene und gilt als eine ihrer besten Kennerinnen in Deutschland. Sie wurde selbst mehrfach zum Ziel neonazistischer Anschläge. Ihre Arbeiten sind unter anderem im Spiegel, der Süddeutschen Zeitung, dem Focus und dem Stern und in TV-Magazinen wie Fakt und Panorama erschienen. Sie ist dafür wiederholt ausgezeichnet worden.

Röpke hatte bereits früher Verdacht geschöpft, sie werde bespitzelt, und im vergangenen Jahr vom LfV Auskunft darüber verlangt. Das Amt hatte sie belogen und wahrheitswidrig behauptet, es gebe keine Akte über sie.

Blaschke schreibt zu Gewalt und Rechtsextremismus im Fußball. Er hält Vorträge und veranstaltet Workshops und Podiumsdiskussionen „in Fanprojekten, Schulen, Universitäten, in Kommunal- und Landesparlamenten … mit Unterstützung von Vereinen, Stiftungen, Gewerkschaften, auf Initiative von Kirchen und allen demokratischen Parteien“, wie er in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung mitteilt.

Am Telefon habe ihm LfV-Präsidentin Brandenburger gesagt, ein Vortrag bei der Linkspartei in Hannover könnte ihn zur Zielscheibe des Geheimdienstes gemacht haben. Genaueres habe sie ihm nicht gesagt, so Blaschke. Das LfV habe ihm schriftlich bestätigt, nach Prüfung seines Falles seien seine Daten gelöscht worden. Was man über ihn gesammelt habe, wisse er aber noch immer nicht.

Im Gegensatz zu Andrea Röpke habe er, Blaschke, sich nie Sorgen darum gemacht, dass er von den Geheimdiensten beobachtet werden könnte. „Ich dachte, Sport sei nicht wichtig genug. Ich dachte, mein Feld sei weniger von Interesse als rechtsextreme Kundgebungen, Konzerte oder Zeltlager.“

Röpke, Blaschke und die fünf weiteren Journalisten, deren Akten laut Angaben des Verfassungsschutzes gelöscht wurden, sind offenbar nur die Spitze des Eisbergs. Anfang der Woche berichtete das Nachrichtenmagazins Der Spiegel über weitere Fälle, auf die Mitarbeiter bei den Recherchen in der Datenbank des Amtes gestoßen seien.

Zu den neuen Fällen gehört André Aden, der überwiegend als Fotograf arbeitet, unter anderem für das Netzwerk „Recherche Nord“, einen Zusammenschluss von Journalisten, die das rechtsextremistische Milieu durchleuchten.

Die Bespitzelung von Journalisten, die über Neonazis recherchieren, wirft ein Schlaglicht auf die politische Gesinnung des Verfassungsschutzes. Inzwischen ist bekannt, dass der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) seine Mordserie praktisch unter seinen Augen begangen hat. Im näheren Umfeld des NSU befanden sich mindestens zwei Dutzend V-Leute der Geheimdienste. Der Thüringer Heimatschutz, aus dem Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kamen, wurde durch hohe Zahlungen an V-Leute finanziell unterstützt.

Der niedersächsische Verfassungsschutz hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Holger G., der zu den fünf Angeklagten im Münchener NSU-Prozess gehört, weil er den NSU von seiner Gründung bis zu seiner Enttarnung unterstützt haben soll, wohnte in Niedersachsen und wurde dort 1999 wegen seiner Beziehungen zu dem untergetauchten Trio vom Verfassungsschutz überwacht. Dieser hat die Observation aber angeblich bereits nach drei Tagen wieder eingestellt, was er hinterher als „schweren Fehler“ bezeichnete.

In Niedersachsen war auch das 2000 verbotene rechtsextreme Netzwerk „Blood & Honour“ besonders aktiv, von dem zahlreiche Verbindungen zum NSU führen.

Dass der Verfassungsschutz die Observierung des NSU-Helfers Holger G. nach weniger Tagen einstellte, dafür aber jahrelang Journalisten bespitzelte, die den braunen Sumpf durchleuchten, wirft weitgehende Fragen auf. Weshalb hat er die Journalisten bespitzelt, welche Daten hat er gesammelt und was hat er damit gemacht? Wurde er selbst aktiv, um die Recherchen der Journalisten zu behindern?

Durch das Löschen der Daten ist es praktisch unmöglich geworden, diese Fragen zu beantworten.

Der neue Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat die Vernichtung der Daten mit den gesetzlichen Vorschriften begründet. Doch das ist eine gezielte Täuschung. Das Gesetz sieht gerade nicht vor, dass die Daten gelöscht werden. Es heißt darin ausdrücklich, dass die Löschung unterbleibt, „wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der Betroffenen weiterverarbeitet werden.“ [§10 Abs. 2 S.2 NverfSchG]

Andrea Röpke hat deshalb Strafanzeige wegen des Verdachts der Urkundenunterdrückung erstattet. Gegen den zuständigen Sachbearbeiter stellte sie zudem eine Dienstaufsichtsbeschwerde, wie ihr Anwalt Sven Adam mitteilte. Sie hat inzwischen auch bei allen weiteren Verfassungsschutzämtern in Deutschland Anträge auf Aktenauskunft gestellt.

Der niedersächsische Verfassungsschutz hat eine lange Geschichte gezielter Provokationen. So sprengte er 1978 ein Loch in die Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle, um einen Befreiungsversuch für den dort einsitzenden RAF-Terroristen Sigurd Debus vorzutäuschen. Angeblich sollte auf diese Weise ein Agent in die RAF eingeschleust werden.

Die Provokation kam erst acht Jahre später durch die Recherchen eines Journalisten ans Licht. Neben dem Verfassungsschutz hatten darüber auch die Niedersächsische Landesregierung unter Ernst Albrecht (CDU), dem Vater der derzeitigen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, Bescheid gewusst.

Die Bespitzelung von Journalisten ist aufgrund des Regierungswechsels in Niedersachsen ans Licht gekommen. SPD und Grüne haben im Frühjahr die bisherige Koalition von CDU und FDP abgelöst.

Die Bespitzelung in den Jahren 2006 bis 2012 fällt in die Zuständigkeit von CDU-Innenminister Uwe Schünemann. Er ist ein sicherheitspolitischer Hardliner, der keine Gelegenheit ungenutzt lässt, schärfere Maßnahmen gegen „Terrorverdächtige“ zu fordern und den Staatsapparat aufzurüsten.

SPD und Grünen geht es in erster Linie darum, den Schaden für den Verfassungsschutz in Grenzen zu halten und von seiner Verflechtung mit dem rechtsextremen Milieu abzulenken. Die neue Präsidentin der Behörde, Maren Brandenburger, ist keine Unbekannte. Sie war bisher Sprecherin des niedersächsischen Verfassungsschutzes und damit für seine öffentliche Verteidigung zuständig.

SPD und Grüne sind voll des Lobes über die neue LfV-Präsidentin, die laut Berliner Tageszeitung das Parteibuch der SPD besitzt. Sie habe nicht nur die betroffenen Journalisten persönlich informiert, sondern auch die unzulässig gesammelten Daten umgehend gelöscht. Tatsächlich hat sie mit dem sofortigen Löschen der Daten der weiteren Aufklärung einen Riegel vorgeschoben.

Die Grünen hatten in ihrem Landtagswahlprogramm noch „die vollständige Auflösung dieser Behörde“ gefordert. Nach dem Wahlerfolg verständigte sich Rot-Grün dann im Koalitionsvertrag auf eine Verfassungsschutzreform und machten die bisherige Amtssprecherin zur Präsidentin, um die Kontinuität zu garantieren.

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