Perspektive

Die Rückkehr der Eurokrise

Es gilt mittlerweile als Gemeinplatz, dass die Eurokrise während des deutschen Wahlkampfs auf Eis gelegt wurde. Weder Regierung noch Opposition wollten, dass Nachrichten über drohende Staatspleiten, Bankenzusammenbrüche, milliardenschwere Rettungspakete, Sparprogramme und weitere soziale Angriffe den Wahlkampf beherrschen. Entscheidungen in Brüssel wurden deshalb verzögert, die Krise schöngeredet.

Umso heftiger tritt die Krise nun wieder in den Vordergrund. Die Hiobsbotschaften, während der Wahl aus den Spalten der Presse verbannt, sind wieder da. Wortführer der Wirtschaft drängen auf neue Sparprogramme und Arbeitsmarktreformen – und zwar nicht nur in Süd- und Osteuropa, sondern auch in den Kernländern der Europäischen Union: in Italien, Frankreich und Deutschland.

Nicht eines der Probleme, die zur längsten und tiefsten Rezession seit den 1930er Jahren geführt haben, ist gelöst. Griechenland braucht trotz drakonischen Sparmaßnahmen einen neuen Schuldenschnitt. Portugal, das 2011 mit einem Kredit von 78 Milliarden Euro „gerettet“ wurde, benötigt eine neue Finanzspritze von 50 Milliarden Euro. Den spanischen Banken droht trotz Milliardenhilfen weiterhin der Bankrott.

Die drakonischen, von der EU diktierten Sparmaßnahmen haben die Schuldenkrise nicht gelöst, sondern vertieft. Ihre wirkliche Aufgabe bestand darin, die Reichen auf Kosten der Arbeiterklasse und der öffentlichen Haushalte weiter zu bereichern. Während die Zahl der Millionäre steigt und die Börsen Rekordkurse schreiben, wachsen Armut, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung.

In der Eurozone ist die Schuldenquote innerhalb nur eines Jahres von 88 auf 92 Prozent gestiegen. Spanien erzielte im vergangenen Jahr trotz schmerzhafter Einsparungen ein Haushaltsdefizit von 10,2 Prozent, Griechenland von 10, Irland von 8,3 und Portugal von 6,4 Prozent. Auch Frankreich wird in diesem Jahr mit einer Neuverschuldung von 4,1 Prozent die 3-Prozent-Grenze der EU nicht einhalten.

Die Herrschenden reagieren auf diese selbst verursachte Krise wie ein Verdurstender, der Salzwasser trinkt – sie verlangen mehr von demselben.

So forderte die Finanzpresse nach dem Scheitern des Misstrauensvotums gegen den italienischen Regierungschefs Enrico Letta, dass er den Gürtel des schwer gebeutelten Landes noch enger schnallt. Letta habe nun die Oberhand, schrieb die Financial Times. Er müsse die Wettbewerbsfähigkeit des Landes wieder herstellen, „indem er die Arbeitskosten senkt und dies durch die Kürzung der öffentlichen Ausgaben finanziert“.

In Frankreich hat der Hohe Rat für die öffentlichen Finanzen (HCFP) soeben „größere Anstrengungen in der Haushaltsplanung“ angemahnt, um 2016 ein ausgeglichenes Budget zu erreichen.

Und in Deutschland hatte die Zeit schon vor der Wahl geklagt, die Regierung formuliere „keinerlei Reformbedarf nach innen“ und schrecke „nach außen vor der Übernahme internationaler Verantwortung“ zurück. Weitere Kürzungen der klammen Haushalte der Kommunen, der Länder und des Bundes sowie verstärkte Militäreinsätze auf internationalen Kriegsschauplätzen werden nun den Kern des zukünftigen Regierungsprogramms bilden.

Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Rede, die Bundespräsident Joachim Gauck zum Tag der deutschen Einheit hielt. Er forderte eine stärkere Rolle Deutschlands in der Weltpolitik und in der Euro-Krise. „Es stellt sich tatsächlich die Frage: Entspricht unser Engagement der Bedeutung unseres Landes?“, sagte er.

Fünf Jahre Sparpolitik haben die sozialen Spannungen in Europa dramatisch verschärft und eine tiefe politische Krise ausgelöst. Es gibt kaum mehr ein Land, das über eine halbwegs stabile Regierung verfügt. In Portugal hat die konservative Regierungspartei bei den jüngsten Kommunalwahlen 12 Prozent der Stimmen verloren. In Frankreich stehen nur noch 23 Prozent hinter der Politik des Präsidenten. In Deutschland braucht Kanzlerin Angela Merkel nach dem Ausscheiden der neoliberalen FDP aus dem Parlament einen neuen Koalitionspartner.

Gleichzeitig wachsen die Spannungen innerhalb der europäischen Bourgeoisie. Die wachsende wirtschaftliche Kluft zwischen Deutschland und Frankreich und die anhaltende Krise in Italien haben das Gleichgewicht zwischen den drei größten Volkswirtschaften der Eurozone empfindlich gestört. Rechte, chauvinistische Strömungen gewinnen an Einfluss. In Frankreich wächst der Front National und die konservative UMP öffnet sich gegenüber dieser rechtsextremen Partei. In Österreich haben rechte, nationalistische Parteien am vergangenen Sonntag rund 30 Prozent der Stimmen erhalten. In Deutschland hat sich mit der Alternative für Deutschland erstmals eine rechte Anti-Europa-Partei formiert.

Die Bourgeoisie kann sich in dieser Krise nur an der Macht halten und ihr reaktionäres Programm vorantreiben, weil ihr niemand im Namen der Arbeiterklasse politisch entgegentritt. Alle etablierten Parteien – von links bis rechts – reagieren auf die Verschärfung der Krise, indem sie die Reihen schließen und weiter nach rechts rücken.

Die Sozialdemokraten unterscheiden sich längst nicht mehr von den rechten bürgerlichen Parteien und unterstützen uneingeschränkt das Spardiktat der EU. Dasselbe gilt für die Gewerkschaften, die als Co-Manager und Betriebspolizisten den Widerstand der Arbeiter unterdrücken.

Den schärfsten Rechtsruck vollziehen pseudolinke Parteien wie die deutsche Linkspartei und die griechische „Koalition der radikalen Linken“ (SYRIZA). Sie stellen sich mit allen Mitteln gegen eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterlasse und übernehmen Verantwortung für den Erhalt der bürgerlichen Herrschaft.

Die Linkspartei bietet der SPD und den Grünen bei jeder Gelegenheit ihre uneingeschränkte Unterstützung an und diskutiert die Befürwortung „humanitärer“ Kriegeinsätze. SYRIZA ist bereit, die Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sie unterstützt und verteidigt einen Staatsapparat, der die engsten Beziehungen zur faschistischen Chrysi Avgi unterhält.

Die einzige politische Tendenz, die die Arbeiterklasse auf die kommenden Klassenkämpfe vorbereitet, ist die Partei für Soziale Gleichheit und das Internationale Komitee der Vierten Internationale. Die PSG ist mit einem Programm zur Bundestagswahl angetreten, das der weit verbreiteten Opposition gegen das Spardiktat aus Berlin und Brüssel eine Stimme und eine politische Orientierung gibt.

Sie lehnt sowohl die Europäische Union wie jede Form von Nationalismus unversöhnlich ab und kämpft für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa. „Nur durch die Vereinigung Europas auf sozialistischer Grundlage“, heißt es in ihrem Wahlprogramm, „kann die Arbeiterklasse ihre Interessen zur Geltung bringen, den Rückfall Europas in Nationalismus und Krieg verhindern und die gewaltigen Reichtümer und Produktivkräfte des Kontinents im Interesse der gesamten Gesellschaft nutzen und weiterentwickeln.“

Wir rufen alle Leser der WSWS auf, sich der PSG anzuschließen und in ganz Europa Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aufzubauen.

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