In Diskussion mit Glenn Greenwald

Bill Keller verteidigt Rolle der New York Times bei der Vertuschung von Verbrechen der Regierung

Letzten Sonntag erschien auf der Webseite der New York Times eine Kommentardiskussion zwischen dem ehemalgen Chefredakteur Bill Keller, derzeit Kolumnist, und Glenn Greenwald, dem Journalisten, der die Hauptrolle bei der Enthüllung der illegalen Überwachung der National Security Agency (NSA) auf Grundlage der Dokumente des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden gespielt hatte.

In einer Einleitung und im Laufe seiner Kommentare stellte Keller den Meinungsaustausch mit Greenwald als eine Debatte zwischen „traditionellem“ Journalismus, wie er selbst und die Times ihn vertrete und der „eher aktivistischen, parteiischen Art von Journalismus“ dar, die er Glennwald zuschreibt.

In Wirklichkeit versucht Keller seine Rolle und die der Times zu beschönigen, die auf Anordnung der Regierung Informationen vorenthalten und unter dem Vorwand, „Nachrichten“ zu veröffentlichen, staatliche Propaganda verbreitet hat.

Die Times-Kolumne erscheint vor dem Hintergrund einer tiefen Krise der Obama-Regierung und des ganzen politischen und militärisch-geheimdienstlichen Establishments wegen der andauernden Enthüllungen massiver staatlicher Überwachungsprogramme gegen die Bevölkerung der USA und der ganzen Welt.

Die Times und die übrigen etablierten Medien versuchen, die Krise einzudämmen, während sie Snowden und andere Whistleblower wie Julian Assange und Chelsea (ehem. Bradley) Manning angreifen und die Hetzkampagnen der US-Regierung gegen sie unterstützen. Journalisten wie Greenwald, die geholfen haben, Snowdens Enthüllungen weiterzuverbreiten, werden als Kriminelle und Verräter verteufelt.

In der herrschenden Klasse und dem Staat herrscht große Sorge über den Widerstand gegen die Polizeistaatsprogramme, die Diskreditierung des ganzen politischen Systems und das Auftauchen von Leuten wie Snowden, die bereit sind, ihre Karrieren und sogar ihr Leben zu opfern, um die offizielle Mauer des Schweigens und der Lügen zu durchbrechen und der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen. Kellers Kolumne wirkt wie ein Teil der Versuche der Regierung, den Schaden zu begrenzen und die Fakten zu verdecken, während die Vorbereitungen für staatliche Unterdrückung verschärft werden.

Kellers Grundargument ist die Behauptung, er und die Times verkörperten eine Tradition unparteiischer und objektiver Berichterstattung, während Greenwald und seinesgleichen die Nachrichten verzerrten, um eine politische Agenda zu bedienen. Der angebliche Beweis dafür ist Greenwalds Bereitschaft, Staatsgeheimnisse zu veröffentlichen, ohne auf Belange der nationalen Sicherheit Rücksicht zu nehmen.

Keller versucht in der Diskussion hinter einem kollegialen Tonfall, den giftigen Hass zu verbergen, den er und die Times auf Greenwald und Whistleblower wie Assange, Manning und Snowden hegen, weil sie Verbrechen der amerikanischen Regierung enthüllen.

Allein in diesem Jahr hat der Hauptkommentator zu außenpolitischen Fragen Thomas Friedman eine Kolumne verfasst, in der er Snowden dazu drängte, sich den amerikanischen Behörden zu stellen, um sich unter dem Espionage Act anklagen zu lassen und so zu beweisen, dass er kein Verräter sei. Keller selbst veröffentlichte eine brutale Hetzschrift gegen den jungen Whistleblower Manning, nachdem er enthüllt hatte, dass er versucht hatte, seine Dokumente in der Times zu veröffentlichen, die amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan enthüllten.

In der Diskussion mit Greenwald behauptet Keller unehrlicherweise, sein Modus Operandi sei es, den „Tatsachen zu folgen“ und „die Beweise für sich selbst“ sprechen zu lassen, und dass er als Autor und Redakteur seine Aufgabe nicht darin sehe, Lesern zu sagen, was er denke, oder was sie denken sollten, sondern was sie wissen müssen, um für sich selbst zu entscheiden.

Greenwald schlägt in seinen Beiträgen riesige Breschen in Kellers Pose von Unparteilichkeit gegenüber der Wahrheit und weist auf die Rolle der Times hin, vor dem Irakkrieg 2003 die Lügen der Bush-Regierung über irakische Massenvernichtungswaffen verbreitet zu haben. Keller war damals ein ranghoher Autor. Er weist auch auf Kellers persönliche Entscheidung als Chefredakteur hin, im Jahr 2004 die Enthüllungsstory über die anlasslose Überwachung von Amerikanern durch die NSA, zu der die Bush-Regierung ermächtigt hatte, bis nach den Wahlen zu verschieben. Keller hatte diese Entscheidung nach einem Treffen im Weißen Haus getroffen, auf dem ihn Bush darum bat, die Geschichte unterm Tisch zu halten.

Keller äußert sich nicht wirklich zu diesen Punkten. Er beruft sich nur ohne Erklärung auf die „nationale Sicherheit“ als Grund für die mehr als einjährige Unterdrückung der NSA-Geschichte. Und wenn Greenwald andeutet, dass die Times die Verwendung des Wortes „Folter“ in Bezug auf Waterboarding und andere amerikanische Verbrechen vermeidet, um sich mit der US-Regierung gut zu stellen, versucht Keller das als irrelevant darzustellen. Es fällt jedoch auf, dass er den Vorwurf nicht zurückweist.

Nachdem Keller zynisch und unehrlich behauptet, der objektiven Darstellung von Fakten verpflichtet zu sein, kommt er zum Kern seines Streits mit Greenwald und anderen ehrlichen Journalisten, die das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen über die Interessen des Staates stellen. Er schreibt: „Die Times und andere wichtige Medien setzen sich ernsthaft mit dem Argument auseinander, dass die Veröffentlichung von bestimmten Informationen die nationale Sicherheit gefährden könnten – das heißt, dass jemand deshalb getötet werden könnte.“

Wenn Keller die „nationale Sicherheit“ mit dem Schutz von Menschenleben gleichsetzt, wiederholt er die Standard-Rechtfertigungen der CIA, der NSA, des Pentagon und Obamas Weißem Haus für Polizeistaatsmaßnahmen und Kriegsverbrechen, darunter Drohnenmorde an tausenden von Zivilisten. Er spricht natürlich als Vertreter des Militär- und Geheimdienst-Establishments, auf dessen Seite er in Wirklichkeit steht.

An einer Stelle der Diskussion benutzt er den Vorwand „Leben zu retten“, um gegen WikiLeaks zu hetzen und Assange „kaltblütige Gleichgültigkeit“ gegenüber dem Schicksal „unschuldiger Informanten“ zu unterstellen, die mit den amerikanischen Besatzern im Irak und in Afghanistan zusammenarbeiten. Genauso gut könnte man dem antifaschistischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg vorwerfen, diejenigen entlarvt zu haben, die ihre Landsleute ausspioniert und mit den Nazi-Besatzern zusammengearbeitet haben.

Auf dem Höhepunkt der verheerenden Enthüllungen von WikiLeaks über amerikanische Verbrechen im Irak, Afghanistan und anderen Ländern im November 2010 veröffentlichte Keller einen Artikel, in dem er seine bedingungslose Unterstützung für den Krieg gegen den Terror erklärte, und betonte, dass die Times bei der Erwägung, ob Staatsgeheimnisse veröffentlicht werden sollten „ausführliche und ernste Diskussionen mit der Regierung führt.“

Er schrieb: „Wir sind uns völlig einig, dass Transparenz kein absolutes Gut ist. Zur Pressefreiheit gehört die Freiheit, etwas nicht zu veröffentlichen, und diese Freiheit üben wir nicht selten aus.“

Keller machte klar, dass er es für seine Rolle, und die Rolle der Times hält, den Interessen des Staates und der herrschenden Klasse zu dienen, und nicht dem Recht der Bevölkerung auf Information. Keller nimmt nicht die Rolle einer „vierten Gewalt“ ein, die den etablierten Mächten kritisch gegenübersteht und die demokratischen Rechte der Bevölkerung gegen den Zugriff des Staates verteidigt, sondern praktiziert eine Form von „Journalismus,“ der problemlos auch in einer faschistischen- oder einer Militärdiktatur funktionieren würde.

Für Keller scheint Unterstützung für den „Krieg gegen den Terror,“ von dem er genau weiß, dass es sich um einen Allzweckvorwand für militärische Aggression im Ausland und Angriffe auf demokratische Rechte im Inland handelt, keine „politische Agenda“ zu sein. Auch Unterstützung für die „nationale Sicherheit“ – ein Euphemismus für die innere und äußere Agenda des amerikanischen Imperialismus -, ist scheinbar politisch neutral.

Zu Beginn der Diskussion mit Greenwald lässt Keller durchblicken, was er wirklich von ihm und anderen Journalisten hält, die im Unterschied zu ihm selbst unabhängig vom Staat sind, und auch, was er von der Entwicklung des Internets als alternative Informatonsquelle zu den etablierten Medien hält. Er spricht von der „Störkraft“ des Internets.

Das ist bei Keller ein immer wiederkehrendes Thema. Er hat die herrschenden Mächte seit Jahren vor den Gefahren gewarnt, die das Internet für die Versuche darstellt, die Öffentlichkeit über die Aktivitäten der Regierung im Dunkeln zu lassen.

Im November 2006 sprach Keller bei einem Vortrag an der Universität von Michigan schwerpunktmäßig über die Gefahren der „Informationsanarchie.“ Die Times war von der Bush-Regierung und Republikanern angegriffen worden, weil sie endlich die Geschichte über die Inlandsüberwachung der NSA veröffentlicht und einen separaten Bericht über ein Programm des Finanzministeriums und der CIA gebracht hatte, das amerikanische und internationale Banken überwacht.

Kellers ganze Rede war ein kaum verhohlener Appell an die Bush-Regierung, den Wert der Times bei der Kontrolle der Nachrichten und der Verheimlichung von Staatsgeheimnissen anzuerkennen. Er erklärte:

„Unter den Heerscharen von Internetjournalisten sind mindestens ein paar, die kein Problem damit hätten, lebensbedrohende Informationen zu veröffentlichen. Wenn ein der Bush-Regierung feindlich gesonnener Blogger es schaffen würde, wichtige Geheimnisse über den Krieg gegen den Terror zu dokumentieren – würde er erst die Konsequenzen abwägen, bevor er sie veröffentlichen würde? Und wenn die Informationen erst einmal in der Blogosphäre kreisen, wie lang würden die großen Medien zögern, bevor sie darüber berichten?“

Um das zu unterstreichen, fügte er hinzu: „Das meiste, was das Land über die geheimen Aktivitäten der Regierung weiß, weiß es dank seriöser Medien, die ihre Verantwortung noch ernst nehmen.“

Mit anderen Worten, dank Medien wie der New York Times, die dem Staat und der herrschenden Klasse gegenüber „verantwortungsbewusst“ sind, bleibt die Bevölkerung im Unklaren über die illegalen und politisch kriminellen Taten der Regierung.

An einer Stelle seiner Diskussion mit Greenwald bemerkt Keller, offenbar befriedigt, dass Whistleblower, die entschlossen sind, staatliche Geheimnisse aufzudecken, „den Willen besitzen müssen, alles zu riskieren.“ Er schreibt: „Manning wurde für die Weitergabe der Dokumente an WikiLeaks zu 35 Jahren Haft verurteilt, Snowden droht ein Leben im Exil.“

Keller sagt aber nicht, dass diese tapferen und prinzipienfesten Menschen „alles riskieren“ müssen, um die Bevölkerung über staatliche Verbrechen und Verschwörungen gegen ihre demokratischen Rechte aufzuklären, weil „seriöse“ Medien wie die Times und Pseudojournalisten wie Keller sich dafür einsetzen, mit dem Staat zusammenzuarbeiten, um die Bevölkerung im Unklaren zu halten.

Das macht sie zu Komplizen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zu Mitverschwörern bei der Vorbereitung eines Polizeistaates.

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