Griechische Polizei stürmt besetztes Rundfunk-Gebäude

Am frühen Donnerstagmorgen stürmten über einhundert Polizisten das Gebäude des ehemaligen griechischen Rundfunks ERT. Mitarbeiter hatten das Gebäude besetzt und die Übertragung von Fernseh- und Radiosendungen ehrenamtlich fortgesetzt, nachdem die Regierung im Juni den öffentlich-rechtlichen Sender über Nacht geschlossen und die 2.700 Mitarbeiter auf die Straße gesetzt hatte.

Die Polizei drang in das Gebäude ein und zwang die etwa fünfzig anwesenden Journalisten und Techniker, das Gebäude zu verlassen. Vier Personen wurden festgenommen. „Die haben mich an den Haaren gepackt, dabei haben wir doch keinen Widerstand geleistet. Ich werde die Polizisten anzeigen“, sagte die ERT-Journalistin Vaja Paliadaki. „So geht der Faschismus vor, verschlagen und im Dunkeln“, rief eine Kollegin beim Verlassen des Gebäudes.

Die Mitarbeiter hielten den Sendebetrieb bis zur letzten Minute aufrecht und riefen zu Solidaritätsbekundungen auf. „Es geht nicht nur um ERT. Es geht nicht nur um unsere Jobs. Es geht um die Demokratie“, sagte der Nachrichtensprecher während der Räumung. „Bemüht Euch nicht um Legalität, verteidigt die Demokratie... Weil wir uns auf den Straßen gemeinsam treffen, weil wir den gleichen Kampf gemeinsam führen, rufen wir Euch auf, jetzt zur Zentrale des staatlichen Rundfunksenders ERT zu kommen.“

Dem Aufruf folgten spontan hunderte Demonstranten, die von der Polizei brutal mit Tränengas angegriffen und auseinander getrieben wurden. Journalisten anderer Sender und Zeitungen reagierten am Donnerstag mit einem spontanen dreistündigen Streik auf die Polizeiaktion. Am Freitag versammelten sich tausende Menschen vor dem Rundfunk-Haus.

Ehemalige ERT-Mitarbeiter errichteten vor dem Gebäude ein provisorisches Studio und übertrugen die Abendnachrichten im Internet. Weit mehr als eine Million Menschen verfolgten den Livestream. Im Bildhintergrund waren Polizisten zu sehen, die Demonstranten daran hinderten, in die Nähe des Gebäudes zu gelangen. Die Journalisten erklärten, sie würden solange bleiben, bis sie wieder hineingelassen werden.

Das Vorgehen gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedeutet eine massive Eskalation der Gewalt gegen streikende und protestierende Arbeiter. Die Schließung des ERT war zu einem Brennpunkt des Widerstands gegen die Massenentlassungen im öffentlichen Dienst geworden.

Als die Regierung ERT im Juni über Nacht den Stecker zog, hatten hunderttausende Arbeiter in Solidarität mit den Beschäftigten protestiert und gestreikt und ihr Protest-Programm verfolgt. Täglich hatten sich tausende Menschen vor dem Gebäude versammelt. Die Massenbewegung führte zu einer tiefen Regierungskrise, die im Austritt des kleinen Koalitionspartners Demokratische Linke (DIMAR) mündete.

Die Räumung sei notwendig gewesen, um „Recht und Gesetz“ wiederherzustellen, verkündete Regierungssprecher Simos Kedikoglou. „Sie hatten das Rundfunkgebäude in eine Art Widerstandszentrum gegen die Regierungsentscheidung verwandelt.“

Der zuständige Minister Pantelis Kapsis hatte schon vor einigen Wochen gewarnt, durch die Besetzung des ERT-Gebäudes sei die TV-Berichterstattung über den griechischen EU-Vorsitz im ersten Halbjahr 2014 in Gefahr.

Das brutale Vorgehen der Regierung steht in direktem Zusammenhang mit dem Besuch der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission in Athen. Die Kreditgeber diskutieren mit der Regierung, wie die vereinbarten Entlassungen gegen den anhaltenden Widerstand der Arbeiter durchgesetzt und so neue Kürzungen vorbereitet werden können. Der Sturm des ERT-Gebäudes galt offenbar als Voraussetzung hierfür.

Zur gleichen Zeit reichte Bildungsminister Constantinos Arvanitopoulos vor Gericht einen Antrag ein, den seit nunmehr zwei Monate dauernden Streik der Universitätsbeschäftigten für illegal zu erklären. Im Falle der streikenden Seeleute, U-Bahn-Fahrer und Lehrer war dies jeweils das Vorspiel, um die Arbeiter unter Kriegsrecht zu stellen und zurück an die Arbeit zu zwingen. Die Universitätsarbeiter wollen am Montag über die Fortsetzung ihres Streiks entscheiden.

Der Streik der Universitäten ist Teil von umfassenden Protesten des gesamten öffentlichen Dienstes gegen die Entlassung von 25.000 Beschäftigten in die sogenannte Mobilitätsreserve. Immer wieder kommt es zu Streiks in Krankenhäusern, Verwaltungen, Gerichten und dem Nahverkehr. Das Verbot des Universitätsstreiks ist gegen all diese Proteste gerichtet.

Die Entlassungen gelten als Vorbedingung, um weitere Kürzungen umsetzen zu können. Über die konkreten Ergebnisse der Verhandlungen zwischen Troika und Regierung sind bisher keine Details an die Öffentlichkeit gedrungen. Arbeitsminister Yannis Vroutsis versicherte aber schon, dass er der Troika-Forderung nach einer Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen zustimme. Allein diese Maßnahme wird unweigerlich zu weiteren Sozialkürzungen führen.

Von Seiten der großen Gewerkschaftsverbände ADEDY und GSEE gab es keinen nennenswerten Protest gegen den Überfall auf die ERT-Beschäftigten und die Illegalisierung des Universitätsstreiks. In der Vergangenheit haben die Gewerkschaften eine Schlüsselrolle dabei gespielt, Arbeiter nach dem Verbot von Streikmaßnahmen zurück an die Arbeit zu bringen.

Die größte Oppositionspartei, die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), brachte nach dem Sturm des ERT-Gebäudes im Parlament ein Misstrauensvotum gegen die Regierung ein. Die Debatte begann am Freitag und endet am Sonntag mit der Vertrauensabstimmung. Verpasst die Regierung dabei eine Mehrheit, kommt es zu Neuwahlen. Kann sie sich behaupten, ist ein erneutes Misstrauensvotum sechs Monate lang ausgeschlossen.

Da die Regierung über eine klare Mehrheit von 155 der 300 Abgeordneten verfügt und die Kommunistische Partei (KKE) und DIMAR bereits angekündigt haben, sich der Stimme zu enthalten, gilt ein Sieg der Koalition aus der konservativen Nea Dimokratia und der sozialdemokratischen PASOK als sicher. Verwaltungsreformminister Kyriakos Mitsotakis bezeichnete das Votum als „großartige Chance, die Stärke der Regierung zu beweisen“.

Der Antrag SYRIZAs hat vor allem symbolischen Charakter. Die Partei versucht auf diese Weise, den Unmut in der Bevölkerung aufzufangen und sich zugleich der griechischen Elite und der EU als Garanten für Stabilität zu empfehlen.

„Die Regierung hat einen Putsch gegen sich selbst und gegen die Legalität durchgeführt“, sagte die SYRIZA-Abgeordnete Zoe Konstantopoulou. Diese müsse nun wieder hergestellt werden. Der SYRIZA-Vorsitzende Alexis Tsipras werde hatte erst am Dienstag auf einem Forum der University of Texas versichert, seine Partei dafür sorgen, dass Griechenland nicht aus der EU austritt, sondern das Spardiktat neu verhandelt.

Noch vor einigen Wochen hatte Tsipras die griechische Polizei, die jetzt brutal gegen die protestierenden Arbeiter vorgeht und enge Verbindungen mit faschistischen Kräften hat, als „demokratisiert“ dargestellt. Zudem hatte er die regierende ND zu einem gemeinsamen Bündnis zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen.

Loading