Vor sechzig Jahren:

Der Offene Brief der Socialist Workers Party vom 16. November 1953

Am 16. November 1953 veröffentlichten James P. Cannon und die Socialist Workers Party der USA einen Offenen Brief an alle Trotzkisten der Welt, um die revolutionären Prinzipien der von Leo Trotzki 1938 gegründeten Vierten Internationale gegen den Pablismus zu verteidigen.

Der Offene Brief führte zur Gründung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und hat 60 Jahre nach seiner Veröffentlichung nichts von seiner herausragenden Bedeutung eingebüßt. Er fasst die zentralen Fragen zusammen, die im Kampf gegen den pablistischen Revisionismus aufkamen und für den Aufbau des IKVI als revolutionärer Führung der Arbeiterklasse auch heute von entscheidender politischer Bedeutung sind.

Der Pablismus war eine politische Tendenz, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb der Vierten Internationale entwickelte und grundlegende Fragen der Klassenorientierung, der historischen Perspektive und der politischen Strategie aufwarf.

Unter der Führung von Michel Pablo argumentierte sie, dass es nicht länger die Aufgabe der trotzkistischen Bewegung sei, Sektionen der Vierten Internationale aufzubauen und die Arbeiterklasse in politischen und historischen Fragen zu erziehen, um ihre politische Unabhängigkeit von allen anderen gesellschaftlichen Klassen herzustellen. Sie wiesen die zentrale Rolle der Arbeiterklasse in der sozialistischen Revolution zurück und schrieben dafür den stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratien und unterschiedlichen bürgerlich-nationalistischen Bewegungen eine revolutionäre Rolle zu.

Der Pablismus widerspiegelte das Interesse von Schichten des Kleinbürgertums, die Vierte Internationale für ihre eigenen sozialen und politischen Interessen zu nutzen und als revolutionäre Führung der Arbeiterklasse zu liquidieren. Der Kampf gegen den pablistischen Opportunismus tobte bis 1985 innerhalb der Vierten Internationale, als die orthodoxen Trotzkisten des Internationalen Komitees mit der Spaltung von der britischen Workers Revolutionary Party wieder die politische Führung erlangten.

Sechzig Jahre nach seiner Veröffentlichung bleibt der Offene Brief ein zentrales Dokument für die internationale Arbeiterklasse. Heute haben sich die pseudolinken Erben des Pablismus und die wohlhabenden Mittelschichten, die sie repräsentieren, in direkte Stützen des Imperialismus verwandelt.

Damals wie heute betont das Internationale Komitee, dass die revolutionäre Führung der Arbeiterklasse nur in einem ständigen und unerbittlichen Kampf gegen alle Spielarten des politischen Opportunismus aufgebaut werden kann.

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Liebe Genossen

Am 25. Jahrestag der Gründung der trotzkistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten grüßt die Vollversammlung des Nationalkomitees der Socialist Workers Party alle orthodoxen Trotzkisten auf der ganzen Welt.

Obwohl die Socialist Workers Party aufgrund der undemokratischen Gesetze, die von den Demokraten und Republikanern verabschiedet worden sind, nicht länger Mitglied der Vierten Internationale sein kann, – der von Leo Trotzki gegründeten Weltpartei der Sozialistischen Revolution, die das Programm, das die Sozialdemokraten der Zweiten Internationale und die Stalinisten der Dritten Internationale verraten haben, verteidigen und verwirklichen muss, –haben wir doch sehr großes Interesse am Wohlergehen der weltweiten Organisation, die unter der Leitung unseres zum Märtyrer gewordenen Führers geschaffen worden ist.

Die amerikanischen trotzkistischen Pioniere machten, wie man weiß, vor 25 Jahren Trotzkis vom Kreml unterdrücktes Programm der Weltöffentlichkeit bekannt. Diese Tat erwies sich als entscheidend, um die Isolation zu durchbrechen, die die stalinistische Bürokratie Trotzki aufgezwungen hatte. Sie legte den Grundstein für die Vierte Internationale. Als Trotzki wenig später ins Exil gehen musste, begann er eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Führung der SWP, die bis zu seinem Tod währte.

Diese Zusammenarbeit schloß gemeinsame Anstrengungen ein, um revolutionäre sozialistische Parteien in einer Reihe von Ländern aufzubauen. Dies fand, wie man weiß, 1938 seinen Höhepunkt in der Gründung der Vierten Internationale. Das Übergangsprogramm, das der Kern des heutigen Programms der trotzkistischen Weltbewegung bleibt, wurde von Trotzki gemeinsam mit den Führern der SWP ausgearbeitet und auf sein Verlangen hin von ihnen dem GründungsKongress zur Annahme vorgelegt.

Wie eng und grundlegend die Zusammenarbeit zwischen Trotzki und der Führung der SWP war, kann an der Art und Weise beurteilt werden, wie der Kampf zur Verteidigung der orthodoxen trotzkistischen Prinzipien gegen die von Burnham und Shachtman angeführte kleinbürgerliche Opposition 1939-1940 geführt wurde. Die Ergebnisse dieses Kampfs hatten in den letzten dreizehn Jahren einen wesentlichen Einfluss auf die Herausbildung der Vierten Internationale.

Nach dem Mord an Trotzki durch einen Agenten der stalinistischen Geheimpolizei übernahm die SWP die Führungsrolle bei der Verteidigung und Vertretung seiner Lehren. Wir übernahmen die Führung nicht, weil wir sie uns ausgesucht hätten, sondern weil es notwendig war: Der Zweite Weltkrieg zwang die orthodoxen Trotzkisten in vielen Ländern, besonders unter den Nazis in Europa, in den Untergrund zu gehen. Gemeinsam mit den Trotzkisten in Lateinamerika, Kanada, England, Ceylon, Indien, Australien und anderen Ländern taten wir, was wir konnten, um das Banner des orthodoxen Trotzkismus durch diese schwierigen Kriegsjahre hindurch aufrecht zu halten.

Bei Kriegsende waren wir sehr erfreut, als in Europa Trotzkisten aus dem Untergrund auftauchten und die organisatorische Wiedererrichtung der Vierten Internationale in Angriff nahmen. Da uns reaktionäre Gesetze die Mitgliedschaft in der Vierten Internationale verboten, setzten wir um so größere Hoffnungen in das Entstehen einer Führung, die in der Lage wäre, die große Tradition fortzusetzen, die Trotzki unserer Weltbewegung hinterlassen hat. Wir fanden, dass wir der neuen Führung der Vierten Internationale in Europa unser volles Vertrauen und unsere Unterstützung geben mussten. Wenn diese Genossen von sich aus eigene, ernste Fehler berichtigten, fühlten wir uns in unserer Haltung bestätigt.

Heute müssen wir jedoch zugeben, dass eben diese Freiheit von scharfer Kritik, die wir und andere dieser Führung zugestanden, dazu beitrug, eine unkontrollierte, geheime Privatfraktion in der Führung der Vierten Internationale zu stärken, die das grundlegende Programm des Trotzkismus aufgegeben hat.

Diese Fraktion um Pablo arbeitet jetzt bewusst und zielgerichtet daraufhin, die historisch geschaffenen Kader des Trotzkismus in den verschiedenen Ländern aufzulösen, zu spalten und auseinanderzubrechen, um die Vierte Internationale zu zerstören.

Das Programm des Trotzkismus

Um zu zeigen, worum es geht, wollen wir noch einmal die grundlegenden Prinzipien darlegen, auf denen die trotzkistische Weltbewegung aufgebaut ist:

1. Der Todeskampf des kapitalistischen Systems droht, die Zivilisation durch immer schlimmere Depressionen, Weltkriege und barbarische Erscheinungen wie den Faschismus zu zerstören. Die Entwicklung von Atomwaffen unterstreicht heute diese Gefahr auf das Ernsteste und Nachdrücklichste.

2. Der Sturz in den Abgrund kann nur verhindert werden, indem der Kapitalismus weltweit durch eine sozialistische Planwirtschaft ersetzt und so die Spirale des Fortschritts, die der Kapitalismus in seiner Frühzeit in Gang gesetzt hat, wieder aufgenommen wird.

3. Dies kann nur unter der Führung der Arbeiterklasse geschehen, da sie die einzige wahrhaft revolutionäre Klasse in der Gesellschaft ist. Doch die Arbeiterklasse selbst ist mit einer Krise der Führung konfrontiert, obwohl die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auf Weltebene noch nie so günstig wie heute dafür waren, dass die Arbeiter den Weg der Machteroberung beschreiten können.

4. Um sich für die Durchsetzung dieses welthistorischen Zieles zu organisieren, muss die Arbeiterklasse in jedem Land eine revolutionäre Partei nach dem Muster, wie es Lenin entwickelt hat, aufbauen; d.h. eine Kampfpartei, die in der Lage ist, Demokratie und Zentralismus dialektisch zu vereinen, – Demokratie in der Entscheidungsfindung, Zentralismus bei der Durchführung dieser Beschlüsse –, mit einer Führung, die von den einfachen Mitgliedern kontrolliert wird, Mitgliedern, die fähig sind, diszipliniert vorzugehen, auch wenn sie unter Feuer stehen.

5. Das Haupthindernis hierfür ist der Stalinismus, der dadurch, dass er das Ansehen der Oktoberrevolution von 1917 in Rußland ausnutzt, Arbeiter anzieht, nur um dann später ihr Vertrauen zu missbrauchen und sie entweder in die Arme der Sozialdemokratie, in Apathie oder zurück zu Illusionen über den Kapitalismus zu treiben. Den Preis für diese Verrätereien hat dann das arbeitende Volk zu zahlen, in Form einer Stärkung faschistischer oder monarchistischer Kräfte und durch neue Kriege, die der Kapitalismus hervorbringt und vorbereitet. Seit ihrer Gründung stellte sich die Vierte Internationale als eine ihrer Hauptaufgaben den Sturz des Stalinismus innerhalb und außerhalb der UdSSR.

6. Viele Sektionen der Vierten Internationale, wie auch Parteien und Gruppen, die mit ihrem Programm sympathisieren, stehen vor der Notwendigkeit einer flexiblen Taktik. Es ist daher um so dringender, dass sie wissen, wie man den Imperialismus und alle seine kleinbürgerlichen Agenturen (wie z.B. nationalistische Organisationen und Gewerkschaftsbürokratien) bekämpft, ohne vor dem Stalinismus zu kapitulieren; dass sie umgekehrt wissen, wie man gegen den Stalinismus kämpft (der letzten Endes eine kleinbürgerliche Agentur des Imperialismus ist), ohne vor dem Imperialismus zu kapitulieren.

Diese grundlegenden Prinzipien, die Leo Trotzki aufgestellt hat, behalten auch in der heutigen, immer komplizierteren und sich verändernden politischen Weltlage ihre volle Gültigkeit. Tatsächlich haben die revolutionären Situationen, die sich, wie Trotzki vorhersah, überall eröffnen, erst jetzt vollen konkreten Inhalt all dem verliehen, was früher als eine Reihe von etwas entrückten, in keinem Zusammenhang mit der damaligen lebendigen Wirklichkeit stehenden Abstraktionen erschienen sein mag. In Wahrheit gewinnen diese Prinzipien zunehmend an Gültigkeit und Stärke, sowohl in der politischen Analyse als auch bei der Bestimmung des Kurses für das praktische Handeln.

Pablos Revisionismus

Pablo hat diese Prinzipien aufgegeben. Anstatt die Gefahr einer neuen Barbarei herauszustreichen, hält er die Entwicklung zum Sozialismus für “unaufhaltsam”, und doch sieht er den Sozialismus nicht für unsere Generation oder eine der nächsten Generationen kommen. Statt dessen vertritt er das Konzept einer “alles überflutenden” Welle von Revolutionen, die nichts als “deformierte” Arbeiterstaaten, d.h, Arbeiterstaaten des stalinistischen Typus, hervorbringen, die dann “jahrhundertelang” weiterbestehen.

Damit verrät er den größtmöglichen Pessimismus, was die Fähigkeiten der Arbeiterklasse betrifft. Das liegt völlig auf einer Linie mit dem Spott, mit dem er kürzlich den Kampf für den Aufbau unabhängiger revolutionärer sozialistischer Parteien bedachte. Anstatt am Hauptkurs festzuhalten und mit allen taktischen Mitteln unabhängige revolutionäre sozialistische Parteien aufzubauen, blickt er auf die stalinistische Bürokratie oder einen entscheidenden Teil dieser Bürokratie, ob sie sich nicht unter dem Druck der Massen dazu bringen lasse, sich zu verändern und die “Ideen” und das “Programm” des Trotzkismus anzunehmen. Unter dem Deckmantel der Diplomatie, die bei taktischen Manövern erforderlich sei, um in Ländern wie Frankreich Arbeiter im Lager des Stalinismus zu erreichen, deckt er jetzt den Verrat des Stalinismus.

Dieser Kurs hat bereits zu schwerwiegenden Desertionen aus den Reihen des Trotzkismus in das Lager des Stalinismus geführt. Die prostalinistische Abspaltung in der ceylonesischen Partei muss jedem Trotzkisten auf der ganzen Welt als ernste Warnung vor den tragischen Folgen der Illusionen über den Stalinismus dienen, die der Pablismus heranzüchtet.

In einem anderen Dokument unterwerfen wir Pablos Revisionismus einer detaillierten Analyse. In diesem Brief beschränken wir uns auf einige kürzliche Proben auf dem entscheidenden Gebiet der praktischen Aktion, um zu zeigen, wie weit Pablo bereits bei seiner Versöhnung mit dem Stalinismus gegangen und wie groß die Gefahr für die Existenz der Vierten Internationale ist.

Nach dem Tode Stalins kündigte der Kreml eine Reihe von Zugeständnissen an, darunter kein einziges politisches. Anstatt sie lediglich als Bestandteil eines Manövers zu bezeichnen, mit dessen Hilfe die Usurpatorenbürokratie ihre Macht nur noch gründlicher befestigen und sich darauf vorbereiten wollte, einen anderen führenden Bürokraten in den Mantel Stalins schlüpfen zu lassen, nahm die pablistische Fraktion die Zugeständnisse für bare Münze, stellte sie als politische Zugeständnisse hin und fasste sogar die Möglichkeit einer “Machtteilung” zwischen der stalinistischen Bürokratie und den Arbeitern ins Auge. (Fourth International, Januar-Februar 1953, S. 13)

Das Konzept der “Machtteilung”, wie es Clarke, ein Hohepriester des Pablo-Kultes, am offensten vertritt, hat Pablo selbst in einer rhetorischen Fangfrage abgesegnet: Werde die Liquidierung der stalinistischen Bürokratie, fragt Pablo, etwa nicht “die Form heftiger innerbürokratischer Kämpfe annehmen zwischen den Elementen, die für den Status quo oder sogar für einen Rückschritt eintreten, und den immer zahlreicheren Elementen, die von dem mächtigen Druck der Massen getrieben werden?” (Fourth International, März-April 1953, S. 39)

Diese Worte geben dem orthodoxen trotzkistischen Programm der politischen Revolution einen neuen Inhalt, nämlich die revisionistische Position, dass die “Ideen” und das “Programm” des Trotzkismus in die Bürokratie einsickern und sich in ihr oder in einem beträchtlichen Teil von ihr verbreiten und so den Stalinismus auf unvorhergesehene Weise “stürzen” würden.

Im Juni haben sich die Arbeiter in einer der größten Demonstrationen der deutschen Geschichte gegen die stalinistisch geführte Regierung in Ostdeutschland erhoben. Es war der erste proletarische Massenaufstand gegen den Stalinismus, seit er in der Sowjetunion die Macht an sich gerissen und gefestigt hat. Wie reagierte nun Pablo auf dieses epochemachende Ereignis?

Anstatt klar und deutlich die revolutionären Hoffnungen der aufständischen ostdeutschen Arbeiter zum Ausdruck zu bringen, deckte Pablo die konterrevolutionären stalinistischen Statthalter, die sowjetische Truppen einsetzten, um den Aufstand niederzuschlagen: “...konnten die sowjetischen Führer und die Führer der verschiedenen ’Volksdemokratien’ und der Kommunistischen Parteien die weitreichende Bedeutung dieser Ereignisse nicht länger verfälschen oder ignorieren. Sie sahen sich gezwungen, noch weiter gehende und ehrlichere Zugeständnisse zu machen, um nicht Gefahr zu laufen, endgültig die Unterstützung der Massen zu verlieren und noch heftigere Explosionen zu provozieren. Sie werden in Zukunft nicht wieder auf halbem Wege stehen bleiben können. Sie werden gezwungen sein, in kleinen Portionen Zugeständnisse zu machen, um schwerere Explosionen in unmittelbarer Zukunft zu verhindern und nach Möglichkeit ’auf kaltem Wege’ die gegenwärtige Situation in eine für die Massen erträglichere Situation umzuwandeln.” ("Erklärung des Internationalen Sekretariats der Vierten Internationale", veröffentlicht in The Militant vom 6. Juli)

Anstatt den Rückzug der sowjetischen Truppen – der einzigen Kraft, die die stalinistische Regierung an der Macht hielt – zu fordern, nährte Pablo die Illusion, die Gauleiter des Kreml würden “noch weiter gehende und ehrlichere Zugeständnisse” machen. Hätte Moskau sich eine bessere Unterstützung wünschen können, als es begann, die enorme Bedeutung jener Ereignisse auf das Ungeheuerlichste zu verfälschen, die aufständischen Arbeiter als “Faschisten” und “Agenten des amerikanischen Imperialismus” zu verleumden und eine Welle brutaler Unterdrückung gegen sie zu entfesseln?

Der französische Generalstreik

In Frankreich brach im August der größte Generalstreik in der Geschichte des Landes aus. Gegen den Willen ihrer offiziellen Führung von den Arbeitern selbst in Gang gesetzt, war er eine der günstigsten Ausgangspositionen in der Geschichte der Arbeiterklasse, um einen wirklichen Kampf um die Macht aufzunehmen. Die Bauern Frankreichs schlossen sich den Arbeitern in Demonstrationen an, in denen sie ihre starke Unzufriedenheit mit der kapitalistischen Regierung zum Ausdruck brachten.

Die offizielle Führung, Sozialdemokraten wie Stalinisten, verrieten diese Bewegung und taten ihr Äußerstes, um sie zurückzuhalten und den französischen Kapitalismus in Schutz zu nehmen. Man kann in der Geschichte schwerlich einen scheußlicheren Verrat finden, wenn man in Betracht zieht, welche Möglichkeiten vorhanden waren.

Wie reagierte die Pablo-Fraktion auf dieses kolossale Ereignis? Sie bezeichnete das Vorgehen der Sozialdemokraten als Verrat – aber aus falschen Gründen. Der Verrat, erklärte sie, bestehe darin, dass sie hinter dem Rücken der Stalinisten Verhandlungen mit der Regierung aufnahmen. Dieser Verrat war jedoch nur eine Folgeerscheinung ihres Hauptverbrechens, nämlich der Weigerung, den Weg der Machteroberung zu beschreiten.

Den Verrat der Stalinisten hingegen deckten die Pablisten. Dadurch beteiligten sie sich an dem stalinistischen Verrat. Die schärfste Kritik, die sie gegen den konterrevolutionären Kurs der Stalinisten äußern zu können glaubten, war der Vorwurf, sie hätten keine Politik gehabt.

Das war eine Lüge. Den Stalinisten fehlte nicht etwa eine Politik. Ihre Politik bestand gerade darin, im Interesse der Außenpolitik des Kreml den Status quo aufrechtzuerhalten und den angeschlagenen französischen Kapitalismus zu stützen.

Aber damit nicht genug. Selbst auf einer parteiinternen Schulung der französischen Trotzkisten weigerte sich Pablo, die Rolle der Stalinisten als Verrat zu bezeichnen. Er stellte fest, “die Führungen der traditionellen Organisationen haben mehr oder weniger eine Bremserrolle gespielt”, (ein Verrat ist also nichts weiter als eine “Bremse”!), “aber auch die Fähigkeit bewiesen – und zwar besonders die stalinistische Führung – unter dem Druck der Massen nachzugeben, wenn dieser Druck so stark wird wie während dieses Streiks.” ("Politische Anmerkung Nr. 1")

Man sollte meinen, damit habe ein Führer, der den orthodoxen Trotzkismus aufgegeben hat, aber immer noch den Schutz der Vierten Internationale sucht, dem Stalinismus gegenüber genügend Versöhnlichkeit bewiesen. Doch Pablo ging noch weiter.

Das schändliche Flugblatt

In einem an die Renault-Arbeiter in Paris gerichteten Flugblatt seiner Anhänger heißt es, die stalinistische Führung der CGT (des größten französischen Gewerkschaftsbundes) habe während des Generalstreiks “richtig gehandelt, als sie keine anderen als die von den Arbeitern verlangten Forderungen aufstellte”. Und das angesichts der Tatsache, dass die Arbeiter durch ihre Aktionen eine Arbeiter- und Bauernregierung forderten.

Die Pablisten erklärten in ihrem Flugblatt, (wobei sie die von den Stalinisten geführten Gewerkschaften willkürlich von der Kommunistischen Partei trennten, – Ausdruck von absolut formalem Denken oder Ausdruck eines bewussten Abdeckens der Stalinisten?), was die Bedeutung und die Perspektiven des Streiks angeht: “Dieser Punkt betrifft die Gewerkschaft nur in zweiter Linie. Die Kritik, die daran geübt wird, betrifft nicht die CGT, die eine Gewerkschaftsorganisation ist und von daher zunächst und vorrangig als solche handeln muss, sondern die Parteien, deren Aufgabe es war, auf die tiefe politische Bedeutung dieser Bewegung und ihre Schlußfolgerungen hinzuweisen.” (Flugblatt “An die Arbeiterorganisationen und die Arbeiter von Renault”, vom 3. September 1953, unterzeichnet von Frank, Mestre und Privas)

In diesen Erklärungen sehen wir die völlige Aufgabe von allem, was uns Trotzki über die Rolle und Verantwortung der Gewerkschaften in der Epoche des Todeskampfs des Kapitalismus gelehrt hat.

Das pablistische Flugblatt “kritisiert” dann die französische Kommunistische Partei dafür, dass sie “keine Linie hatte”, dass sie sich selbst nur “auf die Ebene der Gewerkschaftsbewegung” gestellt habe, “anstatt den Arbeitern zu erklären, dass dieser Streik ein wichtiges Stadium (!) in der Krise der französischen Gesellschaft darstellt, das Vorspiel (!) für einen mächtigen Klassenkampf, in dem das Problem der Arbeitermacht gestellt würde, um das Land vom kapitalistischen Schwindel zu retten und den Weg zum Sozialismus zu eröffnen”.

Würden die Renault-Arbeiter den Pablisten Glauben schenken, so war das einzige, woran die perfiden französischen stalinistischen Bürokraten Schuld hatten, ein Anflug von Syndikalismus, nicht der bewusste Verrat des größten Generalstreiks in der Geschichte Frankreichs.

Pablos Befürwortung der Politik der CGT-Führung scheint unglaublich, aber sie ist eine unausweichliche Tatsache, die einem ins Gesicht schlägt. In dem größten Generalstreik, den Frankreich je erlebt hat, erklärt Pablo glatt eine französische Version von Gompers bürgerlicher Politik für “korrekt”, die darin besteht, die Gewerkschaften aus der Politik herauszuhalten. Und das im Jahr 1953!

Wenn es für die CGT-Führung falsch ist, politische Forderungen in Übereinstimmung mit den objektiven Erfordernissen aufzustellen, zum Beispiel die nach Bildung einer Arbeiter- und Bauernregierung, dann stellt sich die Frage: Warum fordert die Socialist Workers Party von den heutigen Gompers der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung, dass sie eine Labor Party (Arbeiterpartei) aufbauen? Eine Labor Party, deren Ziel darin bestünde, in den Vereinigten Staaten eine Arbeiter- und Bauernregierung an die Macht zu bringen?

Pablos billigendes “OK” erscheint in noch krasserem Licht, wenn wir uns daran erinnern, dass die CGT-Führung manchmal hoch politisch ist. Auf den kleinsten Wink vom Kreml hin ist sie bereit, die Arbeiter auf die Straße zu rufen, egal, um was für ein wildes politisches Abenteuer es sich handelt. Erinnert euch zum Beispiel an ihre Rolle bei den Ereignissen, die durch die Anti-Ridgway-Demonstrationen im letzten Jahr in Gang gesetzt wurden. Die Anführer der stalinistischen Gewerkschaft zögerten nicht, Streiks auszurufen, um gegen die Verhaftung von Duclos, einem Führer der Kommunistischen Partei, zu protestieren.

Tatsache ist, dass die CGT-Führung ihren hoch politischen Charakter wieder einmal während des Generalstreiks unter Beweis stellte. Aufgrund ihrer jahrelangen Übung in Perfidie und zweideutigem Handeln versuchte sie bewusst, die Arbeiter einer politischen Führung zu berauben, ihre Iniative zu ersticken, zu verhindern, dass die politischen Forderungen der Arbeiter zum Durchbruch kamen. Die stalinistische Gewerkschaftsführung hat bewusst verraten. Und diesen Verrat nennt Pablo “korrekt”.

Aber auch das ist noch nicht die ganze Bilanz. Eins der wichtigsten Ziele des pablistischen Flugblatts bestand darin, die französischen Trotzkisten zu denunzieren, die sich innerhalb des Renault-Werks während des Streiks als wirkliche Revolutionäre verhielten. Besonders zwei Genossen werden mit Namen genannt, die “von der Vierten Internationale und ihrer französischen Sektion vor mehr als einem Jahr ausgeschlossen worden sind”. In dem Flugblatt heißt es, dass diese “Gruppe wegen Disziplinlosigkeit ausgeschlossen” worden sei, und weiter: “Besonders während der letzten Streikbewegung hat sie eine Orientierung eingeschlagen, die im Gegensatz zu der steht, die die PCI [Französische Sektion der Vierten Internationale] verteidigt.” Der Bezug auf die “Gruppe” ist tatsächlich der Bezug auf die Mehrheit der französischen Sektion der Vierten Internationale, die willkürlich und ungerechtfertigt von Pablo ausgeschlossen wurde.

Hat die trotzkistische Weltbewegung jemals zuvor von einem solchen Skandal gehört, dass trotzkistische Aktivisten an Stalinisten denunziert und Rechtfertigungen für den abgrundtiefen stalinistischen Verrat gegenüber den Arbeitern geliefert wurden?

Es sollte beachtet werden, dass die pablistische Denunzierung dieser Genossen an die Stalinisten nach dem Urteil eines Arbeitertribunals stattfand, das die Trotzkisten in dem Renault-Werk von den Verleumdungen, die von den Stalinisten gegen sie verbreitet worden waren, freigesprochen hatte.

Die amerikanischen Pablisten

Der Test durch diese Weltereignisse hat unserer Meinung nach hinlänglich gezeigt, wieweit die Versöhnungsbereitschaft des Pablismus gegenüber dem Stalinismus geht. Trotzdem möchten wir der trotzkistischen Weltbewegung noch einige zusätzliche Tatsachen vorlegen.

Seit mehr als anderthalb Jahren führt die Socialist Workers Party einen Kampf gegen eine von Cochran und Clarke geführte revisionistische Tendenz. Der Kampf gegen diese Tendenz ist einer der härtesten in der Geschichte unserer Partei. Er dreht sich letztlich um dieselben Grundfragen, die uns am Anfang des Zweiten Weltkriegs von der Gruppe um Burnham und Shachtman und am Ende des Krieges von der Morrow-Goldman-Gruppe trennten. Wieder wird versucht, unser grundlegendes Programm zu revidieren und aufzugeben. Es geht um die Perspektive der amerikanischen Revolution, den Charakter und die Rolle der revolutionären Partei und ihrer Organisationsmethoden und um die Perspektiven der trotzkistischen Weltbewegung.

In der Nachkriegsperiode hat sich in der amerikanischen Arbeiterbewegung eine mächtige Bürokratie festgesetzt. Diese Bürokratie stützt sich auf eine breite Schicht privilegierter, konservativer Arbeiter, die unter den Bedingungen des kriegsbedingten Wirtschaftsaufschwungs “gemäßigter” geworden sind. Diese neue privilegierte Schicht stammt zum großen Teil aus den Reihen der ehemals kämpferischen Schichten der Arbeiterklasse, aus derselben Generation, die die CIO gründete.

Die relative Sicherheit und Stabilität ihrer Lebensbedingungen haben die Iniative und den Kampfgeist dieser Arbeiter, die früher an der Spitze aller militanten Klassenaktionen standen, zeitweilig gelähmt.

Der Cochranismus ist ein Ausdruck des Drucks dieser neuen Arbeiteraristokratie und ihrer kleinbürgerlichen Ideologie auf die proletarische Avantgarde. Die Stimmungen und Tendenzen dieser passiven, relativ zufriedenen Schicht von Arbeitern wirken als ein machtvoller Mechanismus, der den Druck feindlicher Kräfte in unsere Bewegung überträgt. Die Parole der Cochranisten, “Werft den alten Trotzkismus auf den Müll”, ist ein Ausdruck dieser Stimmung.

Die Cochran-Tendenz betrachtet das mächtige revolutionäre Potential der amerikanischen Arbeiterklasse als etwas, womit man erst in ferner Zukunft rechnen kann. Die marxistische Analyse, die die molekularen Prozesse aufzeigt, aus denen neue Kampfregimenter des amerikanischen Proletariats hervorgehen werden, lehnt sie als “sektiererisch” ab.

Soweit sie überhaupt irgendwelche fortschrittlichen Tendenzen in der Arbeiterklasse der Vereinigten Staaten sehen, dann nur in den Reihen oder dem Umfeld des Stalinismus oder bei “gut ausgebildeten” Gewerkschaftspolitikern – den Rest der Klasse halten sie für so hoffnungslos verschlafen, dass ihn nur ein Atomkrieg wecken könnte.

Kurz gesagt verrät ihre Position: kein Vertrauen mehr in die Perspektive der amerikanischen Revolution, kein Vertrauen mehr in die Rolle der revolutionären Partei im Allgemeinen und die Rolle der Socialist Workers Party im Besonderen.

Eigenschaften des Cochranismus

Wie alle Sektionen der Weltbewegung aus ihren eigenen harten und schwierigen Erfahrungen wissen, gibt es weitaus größeren Druck als den durch den Krieg verlängerten Wohlstand und die Welle der Reaktion, wie sie auf uns in den Vereinigten Staaten lastet. Aber was die Kader unter den schwierigsten Umständen aufrechterhält, ist die vollständige Überzeugung von der theoretischen Richtigkeit unserer Bewegung, das Wissen, dass sie lebendige Werkzeuge sind, um die historische Mission der Arbeiterklasse voranzubringen, das Verständnis, dass das Schicksal der Menschheit bis zu einem gewissen Grad davon abhängt, was sie tun, die feste Überzeugung, dass, – was immer die momentanen Umstände sein mögen –, die Hauptlinie der geschichtlichen Entwicklung den Aufbau von leninistischen Kampfparteien erfordert, die die Krise der Menschheit durch eine siegreiche sozialistische Revolution lösen werden.

Der Cochranismus setzt an Stelle dieser orthodoxen trotzkistischen Weltanschauung Skeptizismus, theoretische Improvisationen und journalistische Spekulationen. Dies macht den Kampf in der SWP gegen ihn genauso unversöhnlich wie den Kampf gegen die kleinbürgerliche Opposition 1939-1940.

Im Verlauf des Kampfs zeichneten sich die Cochranisten durch folgende Eigenschaften aus:

1. mangelnder Respekt vor den Parteitraditionen und der geschichtlichen Mission der Partei. Die Cochranisten lassen kaum eine Gelegenheit aus, um die 25jährige Tradition des amerikanischen Trotzkismus herabzusetzen, lächerlich zu machen und Verachtung für sie zu predigen.

2. zeigen sie die Tendenz, prinzipienfeste marxistische Politik durch prinzipienlose Bündnisse gegen das Partei-“Regime” zu ersetzen. Somit setzt sich die Cochran-Fraktion aus einem Block widersprüchlicher Elemente zusammen. Eine Gruppe, die hauptsächlich in New York konzentriert ist, befürwortet die Taktik einer Art “Eintritt” in die amerikanische stalinistische Bewegung.

Eine andere Gruppe, die sich aus konservativ gewordenen Gewerkschaftselementen zusammensetzt und hauptsächlich in Detroit konzentriert ist, meint, dass mit einer Hinwendung zu den Stalinisten nur wenig gewonnen sei. Sie gründet ihre revisionistische Anschauung auf eine Überschätzung der Stabilität und der langanhaltenden Macht der neuen Arbeiterbürokratie.

Auch müde gewordene Elemente, die dem Druck der gegenwärtigen widrigen Umstände nicht länger standhalten können und die nach einer plausiblen Rechtfertigung suchen, um sich in die Passivität zurückzuziehen, werden von den Cochranisten angezogen.

Was diesen prinzipienlosen Block zusammenhält, ist ihre gemeinsame Feindschaft gegen den orthodoxen Trotzkismus.

1. Eine Tendenz, die Partei von unserer Hauptkampfarena in Amerika abzubringen, nämlich von den politisch noch nicht erwachten Arbeitern in der Massenproduktion. In der Tat ließen die Cochranisten das Übergangsprogramm und seine Forderungen fallen, die die SWP benutzt, um eine Brücke zu diesen Arbeitern zu schlagen, und begründeten das damit, dass die Mehrheit, wenn sie diesen Kurs verfolge, sich der Rückständigkeit der Arbeiter anpasse.

2. Die feste Überzeugung, eine radikale Opposition der amerikanischen Arbeiterklasse gegen den amerikanischen Imperialismus vor einem dritten Weltkrieg sei ausgeschlossen.

3. Ein vulgär experimentierendes Theoretisieren über den “linken” Stalinismus, das sich auf den extravaganten Glauben reduzieren läßt, die Stalinisten “können nicht länger verraten”, der Stalinismus habe auch eine revolutionäre Seite, die es den Stalinisten ermögliche, eine Revolution in den Vereinigten Staaten anzuführen, und zwar in einem Prozeß der Aufnahme trotzkistischer “Ideen”, so dass die Revolution sich schließlich von selbst “berichtigen” werde.

4. Anpassung an den Stalinismus angesichts neuer Ereignisse. Sie unterstützen und verteidigen die Versöhnung mit dem Stalinismus, wie sie in Pablos Interpretation des Sturzes von Beria und der darauf folgenden umfangreichen Säuberungen in der UdSSR deutlich wird. Sie wiederholen all die pablistischen Argumente, um die konterrevolutionäre Rolle des Stalinismus beim Aufstand der ostdeutschen Arbeiter und beim französischen Generalstreik abzudecken. Selbst die Hinwendung des amerikanischen Stalinismus zur Demokratischen Partei interpretieren sie als den “rechten Ausschlag” einer “Linkswende”.

5. Verachtung für die Traditionen des Leninismus in Fragen der Organisation. Eine Zeitlang versuchten sie, in der Partei eine “Dopppelherrschaft” zu schaffen. Als sie auf der Mitglieder-Vollversammlung im Mai 1953 von der übergroßen Mehrheit der Partei abgewiesen wurden, verpflichteten sie sich schriftlich, die Autorität der Mehrheit und die von der Vollversammlung beschlossene politische Linie anzuerkennen. Kurz danach brachen sie ihr Wort und sabotierten die Aktivitäten der Partei auf einer noch fieberhafteren und hysterischeren Grundlage als zuvor.

Der Cochranismus, dessen Haupteigenschaften wir oben beschrieben haben, war nie mehr als eine schwache Minderheit in der Partei. Er wäre nie zu mehr als einem höchst schwächlichen und kränklichen Ausdruck des Pessimismus geworden, hätte er nicht hinter dem Rücken der Parteiführung Hilfe und Ermutigung von Pablo erhalten.

Pablos geheime Ermutigung und Unterstützung wurde kurz nach unserer Mai-Vollversammlung offen sichtbar, und seitdem arbeitet Pablo ganz offen mit der revisionistischen Fraktion in unserer Partei zusammen und bestärkt sie in ihrer Kampagne, die Parteifinanzen zu sabotieren, die Parteiarbeit zu stören und eine Spaltung vorzubereiten.

Dieser unloyale Kurs der Pablo-Cochran-Fraktion erreichte seinen Höhepunkt mit einem organisierten Boykott der Feier zum 25. Jahrestag der Partei in New York, die mit einer abschließenden Demonstration zum New Yorker Kommunalwahlkampf verbunden war.

Diese verräterische Streikbrecheraktion war in der Tat eine organisierte Demonstration gegen den 25jährigen Kampf des amerikanischen Trotzkismus und bedeutete zugleich eine objektive Hilfestellung für die Stalinisten, die den sich formierenden Kern des amerikanischen Trotzkismus im Oktober 1928 aus der Partei ausgeschlossen hatten.

Der organisierte Boykott dieser Versammlung war effektiv eine Demonstration gegen den Wahlkampf der Socialist Workers Party in den New Yorker Kommunalwahlen.

Alle, die sich an dieser verräterischen, gegen die Partei gerichteten Aktion beteiligten, vollzogen damit offenkundig die Spaltung, die sie schon lange vorbereitet hatten, und verwirkten damit alle Rechte auf Mitgliedschaft in unserer Partei.

Die Vollversammlung zum 25. Jahrestag der SWP trug dieser Tatsache formal Rechnung, indem sie die Mitglieder des Nationalkomitees, die den Boykott organisiert hatten, suspendierte und erklärte, dass alle Mitglieder der Pablo-Cochran-Fraktion, die sich an diesem verräterischen Streikbruch beteiligt hatten oder sich weigerten, ihn zu verurteilen, sich damit außerhalb der Reihen der SWP stellten.

Komintern-Methoden

Pablos Doppeldeutigkeit in seiner Handlungsweise, – wobei er der SWP-Führung ins Gesicht blickte und gleichzeitig hinter ihrem Rücken mit der revisionistischen Cochran-Tendenz zusammenarbeitete –, ist eine Methode, die der Tradition des Trotzkismus völlig fremd ist. Aber es gibt eine Tradition, zu der sie gehört – die des Stalinismus. Solche Handlungsweisen, wie der Kreml sie nutzte, waren entscheidend, um die Kommunistische Internationale zu korrumpieren. Viele von uns haben in der Periode von 1923-1928 persönliche Erfahrungen damit gemacht.

Es gibt nun entscheidende Beweise, dass diese Handlungsweise keine isolierte Verirrung von seiten Pablos darstellt. Ein durchgehendes Muster ist nun sichtbar.

Zum Beispiel erhielt ein bekannter Parteiführer in einer der führenden europäischen Sektionen der Vierten Internationale einen Befehl von Pablo, der ihn anwies, sich wie jemand zu verhalten, “der die Mehrheitslinie und die Disziplin der Internationale bis zum Vierten WeltKongress verteidigt”. Zusammen mit dem Ultimatum drohte Pablo Repressionen an, falls seinen Befehlen nicht Folge geleistet würde.

Die “Mehrheit”, auf die sich Pablo hier bezieht, ist einfach die bescheidene Bezeichnung für ihn selbst und die kleine Minderheit, die von seinen revisionistischen Neuheiten hypnotisiert ist. Pablos neue Linie steht im absoluten Gegensatz zum grundlegenden Programm des Trotzkismus. Viele Teile der trotzkistischen Weltbewegung haben gerade erst begonnen, sie zu diskutieren. Da keine einzige trotzkistische Organisation sie unterstützt hat, stellt sie auch nicht die bestätigte offizielle Linie der Vierten Internationale dar.

Die ersten Berichte, die wir erhalten haben, bringen die Empörung über seinen eigenmächtigen Versuch zum Ausdruck, seine revisionistischen Ansichten der Weltorganisation aufzuzwingen, ohne eine Diskussion oder Abstimmung abzuwarten. Wir haben bereits genügend Informationen, um zu erklären, dass die Vierte Internationale mit Sicherheit Pablos Linie mit überwältigender Mehrheit zurückweist.

Pablos selbstherrliche Forderung einem Führer einer Sektion der Vierten Internationale gegenüber, jede Kritik an seiner [Pablos] revisionistischen politischen Linie einzustellen, ist schlimm genug. Aber Pablo blieb nicht dabei stehen. Während er versuchte, diesen Führer zu knebeln und daran zu hindern, an einer freien Diskussion teilzunehmen, bei der die einfachen Mitglieder von seiner Erfahrung, seinem Wissen und seinem Einblick profitieren konnten, ging Pablo gleichzeitig dazu über, organisatorisch zu intervenieren und zu versuchen, eine revisionistische Minderheitsfraktion herauszukristallisieren, die gegen die Führung der Sektion Krieg führt.

Ein solches Vorgehen stammt aus der üblen Komintern-Tradition, als sie unter dem Einfluß des Stalinismus degeneriert war. Selbst wenn es nur allein darum ginge, wäre es notwendig, den Pablismus bis zum Ende zu bekämpfen, um die Vierte Internationale vor der inneren Korrumpierung zu bewahren.

Der Zweck einer derartigen Taktik ist offenkundig. Sie ist Teil der Vorbereitungen auf einen Putsch der pablistischen Minderheit. Sie hoffen, durch Pablos administrative Kontrolle der Vierten Internationale seine revisionistische Linie aufzwingen zu können, und da, wo man ihr Widerstand leistet, mit Spaltungen und Ausschlüssen reagieren zu können.

Dieser stalinistische organisatorische Kurs begann, wie jetzt völlig klar wird, mit Pablos brutalem Missbrauch seiner administrativen Kontrolle, als er vor über anderthalb Jahren der Mehrheit der französischen Sektion der Vierten Internationale mit Spaltung drohte.

Mit Genehmigung des Internationalen Sekretariats wurde der gewählten Mehrheit der französischen Sektion verboten, ihr Recht wahrzunehmen, die politische und Propagandaarbeit der Partei zu leiten. Statt dessen wurde das Politische Büro und die Presse unter die Kontrolle einer “paritätischen Kommission” gestellt.

Wir missbilligten damals zutiefst dieses willkürliche Vorgehen, bei dem eine Minderheit benutzt wurde, um eine Mehrheit völlig willkürlich zu unterdrücken. Wir müssen zugeben, dass wir den Fehler begingen, nicht schärfer dagegen vorzugehen, als wir davon erfuhren. Dieser Fehler ist darauf zurückzuführen, dass wir nur unzureichend verstanden, um welche Fragen es ging. Wir dachten, es gehe um taktische Differenzen, und deswegen stellten wir uns auf Pablos Seite, obwohl wir sein organisatorisches Vorgehen missbilligten, als nach einem monatelangen verheerenden Fraktionskampf die Mehrheit ausgeschlossen wurde.

Doch im Grunde waren die Differenzen programmatischer Natur. In Wirklichkeit erkannten die französischen Genossen der Mehrheit klarer als wir, was gespielt wurde. Der achte Kongress ihrer Partei erklärte: “Eine große Gefahr bedroht die Zukunft und sogar die Existenz der Vierten Internationale (...). In ihrer Führung zeigen sich revisionistische Konzepte, aus Feigheit und kleinbürgerlichem Impressionismus geboren. Die immer noch große Schwäche der Internationale, die vom Leben ihrer Sektionen abgeschnitten ist, hat momentan die Errichtung eines Systems persönlicher Herrschaft erleichtert, das sich selbst und seine antidemokratischen Methoden auf die Revision des trotzkistischen Programms und das Aufgeben der marxistischen Methode stützt.” (La Vérité, 18. September 1952)

Die gesamte Situation in Frankreich muss im Lichte der darauf folgenden Entwicklung neu untersucht werden. Die Rolle der Mehrheit der französischen Sektion im vergangenen Generalstreik zeigt in aller Deutlichkeit, dass sie die grundlegenden Prinzipien des orthodoxen Trotzkismus zu verteidigen weiß. Die französische Sektion der Vierten Internationale wurde ungerechtfertigt ausgeschlossen. In der französischen Mehrheit um die Zeitung La Vérité sind die wirklichen Trotzkisten Frankreichs, und sie werden von der SWP offiziell als solche anerkannt.

Besonders empörend ist die verleumderische Falschdarstellung, die Pablo über die politische Position der chinesischen Sektion der Vierten Internationale verbreitet. Die Pablo-Fraktion stellte sie als “Sektierer” und “Flüchtlinge vor der Revolution” hin.

Im Gegensatz zu dem von der Pablo-Fraktion bewusst geschaffenen Eindruck haben die chinesischen Trotzkisten als wirkliche Vertreter des chinesischen Proletariats gehandelt. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie von Maos Regime verfolgt wurden, genau wie Stalin die gesamte Generation von Lenins Bolschewiki in der UdSSR hinrichten ließ und damit den Noskes und Scheidemanns nacheiferte, die die Luxemburgs und Liebknechts der Revolution von 1918 hinrichten ließen. Doch Pablos versöhnlerische Linie gegenüber dem Stalinismus führt ihn unweigerlich dazu, das Mao-Regime schönzufärben und die prinzipielle Haltung unserer chinesischen Genossen mit Schmutz zu bewerfen.

Was ist zu tun?

Wir fassen zusammen: Der Graben zwischen Pablos Revisionismus und dem orthodoxen Trotzkismus ist so tief, dass weder ein politischer noch ein organisatorischer Kompromiss möglich ist. Die Pablo-Fraktion hat bewiesen, dass sie das Zustandekommen von demokratischen Entscheidungen, die wirklich die Meinung der Mehrheit widerspiegeln, nicht zulassen wird. Sie verlangen die vollständige Unterordnung unter ihre verbrecherische Politik. Sie sind entschlossen, alle orthodoxen Trotzkisten aus der Vierten Internationale zu vertreiben oder ihnen einen Maulkorb und Handschellen zu verpassen.

Sie haben geplant, ihr Versöhnlertum gegenüber dem Stalinismus stückweise einzuschleusen und ebenso stückweise sich derer zu entledigen, die durchschauen, was vor sich geht, und Widerspruch anmelden. Das ist die Erklärung für die merkwürdige Doppeldeutigkeit vieler pablistischer Formulierungen und diplomatischer Ausflüchte.

Bis jetzt hatte die Fraktion Pablos mit diesen prinzipienlosen und machiavellistischen Manövern einen gewissen Erfolg. Doch inzwischen ist eine qualitative Veränderung eingetreten. Die politischen Fragen haben den Schleier der Manöver zerrissen, und es findet ein offener Entscheidungskampf statt.

Wenn wir den Sektionen der Vierten Internationale von unserer Position aus, die erzwungenermaßen außerhalb der Mitgliedschaft liegt, einen Rat geben dürfen, so meinen wir, dass es Zeit ist zu handeln – entschlossen zu handeln. Es ist Zeit, dass die orthodox-trotzkistische Mehrheit der Vierten Internationale ihren Willen gegen Pablos Machtanmaßung durchsetzt.

Darüber hinaus sollte sie die administrative Leitung der Vierten Internationale sicherstellen, indem sie Pablo und seine Handlanger ihrer Ämter enthebt und sie durch Kader ersetzt, die in der Praxis bewiesen haben, dass sie den orthodoxen Trotzkismus zu verteidigen und die Bewegung politisch und organisatorisch auf einem richtigen Kurs zu halten wissen.

Mit brüderlichen trotzkistischen Grüßen

Das Nationalkomitee der SWP

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